Kapitel 39 - Kieran

--Kieran--

Trotzdem mich Cassians merkwürdige Blicke den ganzen Tag über nervös machten, bin ich in einer gelösten Stimmung, als ich am Abend die WG betrete. Während ich meinen Mantel ausziehe, höre ich Younes wie immer in der Küche.

"Bin zu Hause", rufe ich gegen die halb geschlossene Tür der Küche.

Habe ich das wirklich gerade gesagt?

Younes erscheint sofort im Türrahmen und sieht mich prüfend an, so als glaube auch er, sich verhört zu haben. Um den peinlichen Moment zu durchbrechen, drücke ich ihm die Papierschachtel mit dem kleinen Kuchen in die Hand.

"Hab etwas vom Bäcker für uns mitgebracht", erkläre ich, bevor ich den Flur entlang gehe und ins Badezimmer fliehe.

Im Spiegel betrachte ich mit rasendem Herzen verwirrt mein gerötetes Gesicht.

Ich muss heute zu viel Kaffee getrunken haben, versuche ich mir einzureden.

Doch die Wahrheit ist eine andere. Jede Begegnung mit Younes löst das reinste Chaos in mir aus. Mein Gesicht wird heiß, mein Herz rast, meine Knie fühlen sich zittrig an.

Weil ich halb nackt vor Younes gestanden und er mich auf diese sanfte Weise berührt hatte.

Ich habe gehofft, all das würde sich mit der Zeit legen, doch dann saß Younes auch noch nachts nach meinem Alptraum auf meinem Bett und war mir damit so nah, wie noch nie irgendjemand ... seit Jules.

Ich schüttele mich unwillkürlich und vertreibe die Erinnerung an unser nächtliches Gespräch.

Um die Hitze aus meinem Gesicht zu bekommen, tauche ich einen Lappen in kaltes Wasser und lege ihn ein paar Mal auf meine Haut. Erst als ich meinen Puls einigermaßen unter Kontrolle glaube, verlasse ich das Badezimmer.

Inzwischen zieht der Duft des Schokoladenkuchens durch die Wohnung. In der Küche stellt Younes gerade Kuchenteller auf dem Tisch ab.

"Gibt es etwas zu feiern? Ich weiß, woher du den Kuchen hast und ich kenne seinen Preis", sagt Younes mit einem Lächeln und weist auf das Logo, welches auf dem Deckel der Pappschachtel abgebildet ist.

"Kennst du etwa jeden Bäcker in der Stadt?"

"Den hier kenne ich, weil er die teuersten Kuchen der Stadt anbietet", sagt er, während er den kleinen Kuchen geübt in vier gleich große Teile schneidet. "Der Preis ist allerdings auch wirklich gerechtfertigt", fügt er hinzu und ich reiche ihn meinen Teller.

Ich habe heute zum ersten Mal seit einer sehr langen Zeit das Verlangen nach etwas Süßem verspürt und war spontan in jene Bäckerei gelaufen, die auf meinem Weg zum Bus liegt.

Außerdem habe ich heute das Gehalt von Cassian überwiesen bekommen und hatte das Bedürfnis davon etwas zu kaufen, das ich mit Younes teilen könnte.

"Ich möchte mich mit dem Kuchen bei dir bedanken", sage ich, ohne aufzusehen. Mein Gesicht wird schon wieder warm.

"Wofür bedanken?"

Ich zögere und sehe nun doch zu Younes auf. Ist das nicht offensichtlich?

Younes sieht mich mit fragend schief gelegten Kopf an und noch immer sind seine Lippen zu diesem zarten Lächeln verzogen, welches so oft auf seinem Gesicht liegt.

Ich wollte mich bedanken, dafür, dass du mich nicht allein gelassen hast, als ich wie ein tollwütiger Hund durch Jules Kleinstadt geirrt bin.
Dafür, dass du mich nicht im Regen hast sitzen lassen.
Dafür, dass du mich nicht auslachst und meine Gefühle ernst nimmst.

Ich denke all das und weiß, dass ich diese Worte niemals aussprechen kann.

Schweigend zucke ich mit den Schultern und widme mich dem Kuchen, der von dem Verkäufer in den höchsten Tönen gelobt wurde.

"Wow, er ist wirklich gut", rufe ich erstaunt aus, nachdem der intensive Geschmack nach Schokolade auf meiner Zunge zergangen ist. Younes Lächeln wird breiter und er nickt zustimmend.

"Du wirkst heute so, als gebe es tatsächlich etwas zu feiern", nimmt Younes den Faden wieder auf. Weil ich ihm in den letzten Tagen mehr oder weniger aus dem Weg gegangen bin, habe ich ihn auch nichts von der heutigen Videobesprechung erzählt.

"Cassian hat mein erstes Video abgenommen und es lief wirklich gut", erzähle ich. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es scheint, als würde das Lächeln in Younes' Augen ermatten. Er nickt und wendet den Blick ab, ohne weiter nachzufragen, wie er es sonst tut.

Irritiert starre ich ihn an. Doch bevor ich mir eine Frage zurechtlegen kann, ist die Regung fort und Younes schenkt mir wieder sein typisches Lächeln. Ich spüre einen kurzen Stich, dennoch beschließe ich, bei Younes' folgendem Ausweichmanöver mitzuziehen.

"Ich würde jetzt am Wochenende wieder die Kuchen für das Café backen. Möchtest du mithelfen?"

Erneut wird mir warm und mein Herzschlag beschleunigt sich. Beruhige dich, er fragt dich schließlich nicht nach einem Date!

Als würde Younes meine Unruhe sofort verstehen, fügt er eilig hinzu: "Imra und Marlaine werden auch helfen."

Ich nicke und schiebe mir zur Ablenkung ein weiteres Stück des leckeren Kuchens in den Mund.

"Okay", sage ich und meine eigentliche Antwort rutscht mir als Frage heraus.

Mein Mitbewohner fängt sofort an, sich zu entschuldigen: "Tut mir leid, ich wollte nicht"-

"Das klingt nach einer tollen Idee!", werfe ich schnell ein, bevor der ängstliche Teil in mir zurückrudern kann. "Ich komme gerne mit. Wirklich."

Younes sieht mich, trotz meiner nachgeworfenen Beteuerung, mit einem leichten Stirnrunzeln an.

"Ich würde mich freuen, Imra und Marlaine wiederzusehen."

"Du würdest dich freuen?", fragt Younes und sieht mich so verwundert an, als traue er keines meiner Worte über den Weg.

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