Kapitel 37 - Younes

--Younes--

Imras düsterer Blick spricht Bände. Und dabei habe ich ihr noch nicht einmal von dem erzählt, was damals zwischen mir und Cassian passiert ist.

Ich muss ihr nicht alles erzählen, damit sie Cassians Wesen versteht.

"Er war auch im Studium schon mit diesen kindischen Spielen beschäftigt."

"Was für Spielchen?"

"Sobald er mitbekam, dass sich jemand für mich interessierte, umwarb er denjenigen und landete als erster von uns beiden mit dieser Person im Bett. Es war ein unausgesprochener Wettbewerb für ihn."

"Der dich nicht davon abhielt, ebenso mit unzähligen Dates ins Bett zu gehen. Ich konnte euch das eine oder andere Mal hören."

Imra und ich brechen gleichzeitig in prustendes Lachen aus, das die Verlegenheit wieder verscheucht und die Enge um meine Brust lockert. Dann setzt meine Schwester das Thema fort.

"Vielleicht sieht Cassian all das tatsächlich als eine Art Spiel, in dem er unbedingt besser sein will. Das könnte erklären, warum er auf der Ausstellung so zielstrebig auf Kieran zu ist, als würde er ihn kennen. Er konnte diese Faszination nicht leiden, die Kieran an dein Foto fesselte", überlegt Imra.

"Und wieso er ihn sofort als meinen Mitbewohner vorgeschlagen hat", füge ich an.

"Was ist also deine Sorge?", fragt Imra. 

"Dass Kieran Cassians Charme verfällt und dabei verletzt wird", antworte ich sofort. Vor allem körperlich verletzt wird. Aber diesen Gedanken behalte ich für mich.

"Außerdem sorgst du dich, in alte Muster zu verfallen und Kieran damit zu vergraulen", fügt Imra wissend hinzu. Ich nicke.

"Du bist ehrlich zu ihn und das ist gut. Aber zu viel Ehrlichkeit könnte ihn überfordern - er wirkte auf mich, als fiele es ihm sehr schwer, sich jemanden zu öffnen."

"Das sagte er in einem unserer Gespräche bereits", erzähle ich und fühle mich erneut wie ein gefühlloser Trottel.

Imra sieht mich einen Moment schweigend und mit unergründlichen Gesichtsausdruck an. Nervös leere ich meine Tasse Tee in einem letzten Schluck.

"Lass ihn los, Younes."

"Wie bitte?" frage ich verwirrt und glaube für einen Moment, dass sie meinen Exfreund Kain meint.

"Lass Kieran seine Erfahrungen machen und hör' auf dich einmischen zu wollen. Cassian wird das Spiel überdrüssig, wenn er keinen hat, gegen den er spielen kann. Und Kieran muss für sich selbst entscheiden, was gut für ihn ist. Diese Entscheidung kannst du ihn nicht abnehmen."

"Ich soll zulassen, dass Cassian ihn verführt, ihn für sein Vergnügen ausnutzt und anschließend einfach wegwirft?"

"Vielleicht kommt es überhaupt nicht dazu, weil Kieran sich nicht für Cassian erwärmen lässt."

Ich schüttele den Kopf. Das fühlt sich nicht nach dem richtigen Weg an.

"Schau mal", unterbricht Imra sanft meine Gedanken.

"Du hast bereits getan, was du tun konntest. Du hast Kieran aufgeklärt und ihn vor Cassians Wesen gewarnt. Alles andere muss er für sich selbst entscheiden."

Sie wiederholt sich, stelle ich fest und mir wird bewusst, was für ein verzweifeltes Bild ich abgeben muss, dass meine Schwester der Meinung ist in diesem sanften, fast mütterlich anmutenden Tonfall mit mir zu sprechen.

Ich muss plötzlich über mich selbst schmunzeln.

"Du hast recht, ich verrenne mich."

Imra lächelt und nimmt meine Hand in ihre, um sie aufmunternd zu drücken.

"Was fasziniert dich so an Kieran?"

Ich denke einen Moment nach, auf der Suche nach den treffenden Worten.

"Er ist auf eine unhöfliche Art still und zurückhaltend."

"Dein komplettes Gegenteil also", wirft Imra ein. Sie legt den Kopf schief und mustert mich.

Ich lächle, obwohl es in mir kalt wird, während ich mir selbst gedanklich die Antwort auf Imras Frage gebe.

Da ist diese abgründige Trauer in Kieran, der er sich widerstandslos hinzugeben scheint. Und diese tiefe Traurigkeit, zieht mich an, weil sie sich so klar in Kierans Wesen zu erkennen gibt, während mir meine eigenen Gefühle verwehrt bleiben.

- Weil ich mich selbst belüge und nicht einmal mit meiner engsten Vertrauten all diese Gefühle teilen kann.

Die Anziehungskraft, die ich spüre, ist eine selbstbezogene. Ich hoffe darauf, mit Kieran etwas teilen zu können, das ich bisher nicht einmal vor mir selbst ans Licht ziehen konnte.

Gleichzeitig spüre ich das Bedürfnis, Kieran und mich von all den Schatten  fortzureißen, mit denen er sich umgibt ...

"Du brauchst es nicht zu erklären", höre ich Imra irgendwann sagen.

Ich erwidere ihr Lächeln dankbar und sie drückt ein letztes Mal meine Hand, bevor sie von ihrem Stuhl aufsteht.

"Und jetzt gehst du bitte ins Bett!"

An der Tür zieht sie mich in ihre Arme und mit dieser liebevollen Geste, löst sich etwas in mir.

Ich möchte, dass du mir vertrauen kannst, Kieran - auch wenn das bedeutet, dass ich dich zunächst loslassen muss.

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