Kapitel 31 - Younes
--Younes--
Ich folge Kierans Blick zu dem Gebäude mit den roten Backsteinen. Es ist ein Fitnessstudio. Irritiert sehe ich meinen Mitbewohner an, der seltsam erstarrt auf die Glasfront des Gebäudes sieht. Mein Blick fliegt zurück und dann sehe ich hinter dem Glas in das Innere des Studios.
Direkt am Fenster sind mehrere Crosstrainer aufgereiht. Nur einer davon ist besetzt, von einem Jungen mit blonden Locken. Neben dem Jungen steht ein Mitarbeiter des Studios mit kurzen braunen Haaren. Er lächelt breit und lacht anschließend über etwas, was der Blonde gesagt zu haben schien. Die Hand des Trainers legt sich in einer vertrauensvollen Geste auf die Schulter des Blonden. In diesem Moment geht ein Ruck durch Kieran und ohne nach rechts oder links zu sehen, betritt er die Kreuzung.
Ich halte ihn mit klopfenden Herzen in seinem Lauf auf, gerade rechtzeitig. Ein Auto rast, schneller als in dieser Straße wahrscheinlich erlaubt, an uns vorbei. Ein Schritt zu viel, und der Wagen hätte Kieran erwischt.
Der Schock steht Kieran deutlich ins Gesicht geschrieben, doch ich vermute den Auslöser nicht in der Tatsache, dass er soeben beinahe überfahren worden wäre. Sein Blick klebt noch immer auf dem Paar im Fitnessstudio.
"Warum ist er so glücklich?"
Kierans Stimme klingt brüchig. Seine Frage ist seltsam.
Ich folge erneut seinem Blick. Inzwischen hat der Blonde seine Trainingseinheit beendet und trocknet sich mit einem Handtuch den Schweiß von der Haut. Sein Freund neben ihm erzählt ihm lächelnd etwas.
Ich sehe zurück zu Kieran und plötzlich verstehe ich, warum wir hier sind. In mir zieht sich etwas schmerzhaft zusammen.
"War er dein Freund?", frage ich Kieran vorsichtig.
"Ich muss zu ihm."
Ich folge Kieran über die Straße, doch bleibe ich vor dem Studio stehen. Kieran reißt die Tür schwungvoll auf und dann ist er im Gebäude verschwunden. Ich wende meinen Blick ab.
Ich kenne die Szene nur zu gut, die sich im Innern des Gebäudes abspielen wird.
Diese Schatten in Kierans Augen. Dieses Misstrauen in seinem Blick. Kieran wurde verlassen von jenen Jungen mit den braunen Haaren, der nun glücklich lachend mit einem anderen flirtet. Mein Herz schlägt aufgebracht in meiner Brust. Vor Mitgefühl oder Wut, ich kann es nicht sagen.
Ich versuche nicht zu der Fensterfront zu sehen. Es geht mich nichts an. Also warte ich mit aufgelösten Gedanken vor dem Eingang.
Ich denke unweigerlich zurück an meine eigene Trennung, an den Schmerz und das Nicht-Wahrhaben-Wollen. Wie oft war ich zurück zu ihm, um ihn zu bitten, seine Entscheidung zu überdenken, es noch einmal mit mir zu versuchen, mir eine letzte Chance zu geben?
Ein gedämpfter Aufschrei lässt mich zusammen zucken. Ich wirbele herum und sehe jetzt doch zu den Fenstern. Ein kurzer Blick auf die Szene und dann stürme ich mit rasendem Puls in das Gebäude.
Mein Mitbewohner wird von dem blonden Lockenkopf an das Fenster gedrückt. Ein Unterarm presst sich auf Kierans Hals, der andere Arm hält den Braunhaarigen auf Abstand. Kierans Lippe ist aufgesprungen und auf seiner linken Wange ist ein dunkler Fleck. Abgrundtiefer Zorn blitzt aus seinen tiefschwarzen Augen, die auf den Blonden gerichtet sind.
"Hört auf!", rufe ich und eile an den Geräten und den verwirrten Trainierenden vorbei. Alle Augenpaare wenden sich mir zu.
"Wer bist du?", zischt der Blonde wütend. Ich sehe auch in seinen Augen die Wut des vergangenen Kampfes. In seinem Gesicht finden sich mehrere dunkle Flecken und Kratzspuren. Der Braunhaarige indes scheint unversehrt und aus seinem Blick spricht Verwirrung und ... Trauer?
"Lass ihn los. Und dann können wir reden. Ganz in Ruhe", sage ich. Der Blonde schenkt Kieran einen warnenden Blick, bevor er von ihm ablässt. Kieran bleibt zitternd am Fenster stehen.
"Was ist passiert?", frage ich den Braunhaarigen neben mir. Er sieht zu Kieran hin und wirkt für einen Moment so, als wolle er einen Schritt auf ihn zu machen. Noch immer sind die Augen mit dieser merkwürdigen Traurigkeit gefüllt, die auf mich seltsam fehl am Platz scheint.
"Er ist einfach auf uns zu und hat Chris angegriffen."
"Wie ein tollwütiger Hund", fügt der blonde Chris abfällig hinzu und fährt sich durch die Haare. "Verschwinde besser von hier, bevor ich die Polizei rufe!"
"Wir rufen nicht die Polizei", geht der Braunhaarige dazwischen. "Kieran ... du solltest nicht hier sein."
"Warum hast du mich verlassen? Etwa für ihn?"
Wir alle sehen Kieran an, der nun in seinem verbitterten Zorn und mit zu Fäusten geballten Händen auf den Braunhaarigen zugeht. Chris will Kieran aufhalten, doch ich halte ihn mit einem Griff zurück.
"Wir waren nicht einmal zusammen, Kieran. Du hast doch gar kein Recht, hier aufzutauchen und den Verlassenen zu spielen."
Die Worte des Braunhaarigen kommen nur als ein Flüstern daher, doch ihre Bedeutung lädt sich schwer auf meine Brust, als ich zu Kieran sehe. Mit einem Mal hat sich die Wut, die ihn zu Kämpfen befähigt hatte, verzogen. Stattdessen liegt so viel Schmerz in seinem Gesicht, dass ich den Blick betroffen abwenden muss.
Was zur Hölle ist nur zwischen euch passiert?
"Aber du hast mich verlassen. Einfach so."
"Wovon spricht er, Jules?", fragt der Blonde, doch keiner schenkt ihn Beachtung.
"Komm zurück", bittet Kieran. Er greift nach den Händen seines Ex-Freundes, die jedoch sofort wieder dem Griff entzogen werden. Jules macht einen Schritt von Kieran fort.
"Geh bitte, Kieran. Ich habe dir gesagt, warum ich dich und die Stadt verlassen habe."
"Aber"-
"Ich liebe dich nicht. Ich habe es nie getan."
Mein Herz scheint sich zusammenzuziehen, als sich die knallharten Worte Kierans Protest zum verstummen bringen. Die Augen meines Mitbewohners werden erneut dunkel und die trauernde Verzweiflung verwandelt sich in die mir mittlerweile vertraute Kälte. Er hört die Worte nicht zum ersten Mal.
"Das stimmt nicht. Und ich werde dir das niemals glauben."
Mein Mitbewohner richtet sich auf und wirft einen letzten hasserfüllten Blick auf den Blonden. Dann marschiert er an uns vorbei. Ich lasse den Blonden los und eile Kieran hinterher.
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