Kapitel 29 - Younes
--Younes--
Am Sonntag überlasse ich Imra das Café. Es war nicht mehr als ein kurzer Anruf nötig, um sie zu überzeugen, für mich einzuspringen. Am Telefon fügte meine Schwester noch eine kurze Rede darüber ein, wie wichtig es sei, dass ich mir Auszeiten nehme. Ich hörte ihr nur halb zu, denn meine Gedanken waren schon bei der Route, die ich für meine Laufrunde geplant hatte.
Es ist lange her, seit ich das letzte Mal durch unseren Park im Kiez gejoggt bin. Trotzdem finde ich schnell ein angenehmes Tempo und nach den ersten Runden um den künstlich angelegten See, beginnen sich meine Gedanken zu klären. Die Luft ist so früh am Morgen noch stechend kalt, die Gräser und die Äste sind mit feinen Eiskristallen übersät. Mein Atem verwandelt sich in weiße Wolken und in den ersten Minuten zittere ich noch vor Kälte.
Das Gefühl der nasskalten Luft auf meiner Haut, das Knirschen von Kies unter meinen Sohlen und der rhythmische Klang meines Atems entwirrt das Chaos in meinen Gedanken.
Nach einer halben Stunde beende ich meinen Lauf und nehme den Weg zurück durch den stillen Kiez. Kaum ein Auto ist unterwegs und bis auf die singenden Vögel, höre ich nichts.
Ich denke an Kieran, der bei meinem Aufbruch vor einer Stunde noch in seinem Zimmer zu schlafen schien und steuere kurzerhand den kleinen Bäcker an, der am Ende meiner Straße auf der Ecke liegt.
Mit der Tüte voll Brötchen schließe ich wenig später die Wohnungstür auf. Kierans Tür ist noch immer geschlossen. Ich lege die Brötchen in der Küche ab, und gehe für eine Dusche ins Badezimmer.
Als ich zehn Minuten später aus dem Badezimmer trete, begegne ich Kieran im Flur. Er scheint eben erst aufgestanden zu sein. Seine schwarzen Haare fallen vom Schlaf noch wirrer als sonst in sein Gesicht. Unter seinen Augen erkenne ich jene dunklen Schatten, die er sich eigentlich stets mit Puder abzudecken versucht. Er sieht mich nur kurz an, während er sich seinen Mantel überwirft.
Über seinen Schlafanzug.
Er wirkt gehetzt, während er nun in seine Stiefel steigt. Als wäre er auf der Flucht.
"Bist du zu einer Pyjama-Party eingeladen?", frage ich schmunzelnd.
Kieran sieht an sich hinunter.
"Verdammt ..."
Der Mantel landet achtlos auf dem Boden, die Stiefel schüttelt er sich von den Füßen.
"Wie lange brauche ich von hier zum Bahnhof, wenn ich renne?", fragt er, bevor er in sein Zimmer verschwindet. Keine Minute später ist er wieder im Flur und zieht sich seinen lilafarbenen Kapuzenpullover über. Ich erhasche einen kurzen Blick auf nackte Haut. Er ist ungesund dünn.
"Zwanzig Minuten. Wenn du schnell bist."
"Zwanzig Minuten?"
Kieran wirkt völlig verzweifelt. Seine Hände zittern, während er auf seinem Handy etwas eintippt.
"Wieso kommt dieser blöde Zug auch nur einmal am Tag?"
"Es ist wahrscheinlich ein Pendlerzug, der meistens unter der Woche fährt", antworte ich, bevor ich darüber nachdenken kann. Kierans dunkle Augen funkeln wütend über meine unbrauchbare Antwort.
"Ich kann dich fahren, wenn du irgendwohin musst. Ich habe ein Auto."
Jetzt endlich unterbricht Kieran die nervöse Suche auf seinem Handy. Der Blick, den er mir zuwirft, ist so voller Unsicherheit und Misstrauen, dass ich meinen Vorschlag bereue. Doch die Gefühle verschwinden fast sofort wieder aus seinem Gesicht, um eine kalte, ausdruckslose Maske Platz zu machen.
"Ich brauche deine Hilfe nicht."
"Du wirst den Zug verpassen", werfe ich ihn ebenso kalt die unausweichliche Tatsache zurück. Kieran starrt mich mit seinen tiefschwarzen Augen an und die Zeit scheint für einen Moment stillzustehen.
Kieran weiß, dass er meine Hilfe braucht und mir einen Vertrauensvorschuss geben muss. Ich sehe die Zerrissenheit in seinem Blick, während er mich abschätzend mustert.
Und ich wiederum weiß, dass ich mit dem gestrigen Gespräch Grenzen überschritten habe. In meinem Bedürfnis danach, Kieran die Wahrheit über die Absichten des Fotografen zu offenbaren, bin ich viel, viel zu weit gegangen. Das, was zwischen mir und Kieran kaputtgegangen ist, will ich wieder zusammenflicken. Damit diese kalte Dunkelheit in diesen schwarzen Augen wieder in den Hintergrund tritt.
"Ich muss in eine Kleinstadt. Sie liegt zwei Stunden von hier."
"Kein Problem, ich fahre dich hin."
Mein Lächeln, dass ich Kieran schenke, bewirkt absolut nichts. Kierans Augen bleiben kalt.
Ich schlage ein Frühstück vor und erwähne die Brötchen vom Bäcker. Erst dann zieht Kieran seinen Mantel wieder aus und folgt mir in die Küche.
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