Kapitel 25 - Younes

--Younes--

"Es braucht wirklich eine Renovierung", stellt Cassian fest, sobald er seinen Blick durch das halbdunkle Café schweifen lässt. In all den Jahren war er kein einziges Mal hier und sein plötzlicher Besuch verwundert mich.

"Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?"

Cassian zieht einen Stuhl unter einem der Tische hervor und setzt sich. Ich nehme ihm gegenüber Platz. Sein Grinsen wird zu einem freudigen Strahlen.

"Kieran ist so sonderbar, oder?"

Ich kann nicht anders, als Cassian anzustarren. Die Situation fühlt sich auf bizarre Weise unwirklich an, nicht zuletzt aufgrund der Zufälle, die Kieran, Cassian und mich in dieses merkwürdige Beziehungs-Dreieck gebracht haben.

Und jetzt setzt Cassian mit seiner Frage genau dort an, wo ich mit meinen Gedanken aufgehört hatte?

"Inwiefern sonderbar?", frage ich.

Cassian seufzt lächelnd und streicht sich die braunen Locken aus der Stirn.

"Er hat vielleicht drei Sätze von sich gegeben und war ansonsten den ganzen Tag in seiner Arbeit vertieft."

"Das ist in unserer WG nicht anders."

"Wie erleichternd! Ich dachte schon, seine Zurückhaltung hat etwas mit mir zu tun."

Das hat sie mit Sicherheit, denke ich und mustere meinen Freund. Wenn schon ich von Kieran für aufdringlich gehalten werde, ist Cassian mit seiner direkten, rücksichtslosen Art genau der Charakter, den Kieran versucht von sich fernzuhalten.

"Ich glaube, Kieran gefällt mir", verkündet Cassian nun.

Ich mustere dieses überlegene, schiefe Lächeln und die dunkle Herausforderung in seinem Blick, die ganz allein mir gilt. Wie schon auf der Ausstellungseröffnung offenbart sich Cassians Wesen nun erneut in diesem Licht, unter dem ich ihn eigentlich nicht stellen wollte.

"Auf welche Art gefällt er dir, Cassian?", frage ich. Meine Worte haben einen schroffen, harten Klang. In Cassians Gesicht zuckt etwas, von meiner plötzlichen Kälte irritiert. Doch sein Lächeln bleibt.

"Du weißt, auf welche Art!", lacht Cassian, als würde ich ihn mit meinen Worten witzelnd aufziehen. "Er ist schön."

"Er ist überhaupt nicht dein Typ", werfe ich ein und denke an all die jungen Männer zurück, mit denen sich Cassian in der Öffentlichkeit hat ablichten lassen.

"Dann hat sich mein Geschmack eben verändert."

Ein Schulterzucken. Dieses spöttische Lächeln, das sofort den Abgrund zwischen uns aufbricht, von dem ich glaubte, dass wir ihn vor Jahren gemeinsam übersprungen haben.

Was spielst du hier, Cassian?

"Du hast ihn als deinen Mitarbeiter eingestellt."

Cassian seufzt erneut, dieses Mal bedauernd.

"Deshalb werde ich auch die Finger von ihm lassen. Aber ich weiß jetzt, dass du ihn doch interessant findest."

"Das ist nicht wahr", wehre ich sofort ab. Ich stehe von meinem Platz auf, von einer so starken Wut erfüllt, die mich aus der Bahn zu werfen droht.

Diesen manipulierenden Charakterzug hat Cassian eine lange Zeit nicht mehr zutage befördert. Dem Fotografen jetzt wieder auf diese Weise zu begegnen, reißt alte Wunden auf, die nie richtig geheilt sind.

Ich wende mich meiner liegengebliebenen Arbeit am Tresen zu, um Cassian nicht weiter ansehen zu müssen. Während sich Stille zwischen uns ausbreitet, hefte ich den Tagesabschluss ab und fahre meinen Laptop runter, schalte die übrigen Lichter aus, bis wir nur noch vom schwachen Licht über der Tür umgeben sind.

Meine Wut schlägt weiterhin ihre Wellen. Doch mit jedem tiefen Atemzug verlieren die Wellen an Größe, bis nichts mehr von dem Gefühl übrig ist.

Ich fliehe nicht, ich deeskaliere.

Ich setze mich zurück an den Tisch, an dem Cassian noch immer sitzt. Sein Lächeln ist inzwischen etwas abgeschwächt.

"Was soll das alles, Cassian? Warum hast du Kieran als meinen Mitbewohner vorgeschlagen?"

Cassian legt den Kopf schief und sieht mich mit vorgetäuschter Verständnislosigkeit an.

"Weil du einen WG-Partner gesucht hast."

"Richtig. Einen WG-Partner, keinen Partner für eine Beziehung."

"Er ist genau dein Typ, oder?"

Bevor ich die Vermutung erneut dementieren kann, findet Cassian seine Antwort scheinbar in meinem Gesicht, denn seine Lippen verziehen sich zu einem triumphierenden Grinsen.

"Es war einfach Zufall, Younes. Entspann dich!"

Cassian lacht erneut, aber sein Lachen spitzt die Anspannung zwischen uns nur noch weiter zu.

"Ich dachte, du hättest dich verändert", sage ich. Cassian sieht mich mit großen, braunen Augen an. Die gespielte Unschuld. Abartig.

"Er gehört dir, wenn du ihn willst." Ein wölfisches Grinsen entzieht seinen Worten jede Bedeutung. "Und wenn er dich will, versteht sich."

"Raus hier", knurre ich.
Sofort ist die Wut wieder da, um mich tosend vollkommen zu überwältigen. Meine Hände ballen sich zu Fäusten, jeder Muskel meines Körpers ist gespannt.

Cassians Lächeln verschwindet, während er mich kurz mustert. Dann steht er auf. Aufreizend langsam und ohne seinen Blick von mir zu lösen. Es kostet mich unglaublich viel an Selbstbeherrschung, nicht auf meinen ehemalig besten Freund loszugehen.

"Bis bald, Youni."

Meinen Spitznamen aus seinem Mund zu hören gibt mir fast den Rest und es ist unser Glück, dass wir so nahe an der Tür sitzen und Cassian in nur wenigen Herzschlägen den Ausgang erreicht.

Ich sehe den jungen Fotografen nach, wie er in der Dunkelheit des Abends verschwindet und weiß, dass ich mit dem heutigen Abend einen Freund verloren habe.

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