Kapitel 24 - Younes
--Younes--
"Du glaubst also, mit Brownies das Eis gebrochen zu haben?", fragt mich meine Schwester. Imra sieht mich mit einem amüsierten Funkeln in ihren Augen an und auch Marlaine wirft mir ein Schmunzeln zu, nachdem ich meinen Bericht über den gestrigen Nachmittag beendet habe.
Wir stehen zu dritt hinter dem Tresen meines Cafés. Für einen Montagvormittag sind ungewöhnlich viele Gäste zugegen und Imra gesellte sich kurz nach der Öffnung als Aushilfe zu uns, um die erste Flut mitzubedienen. Da nun alle Gäste mit ihren Bestellungen glücklich an ihren Tischen sitzen, können wir den Moment der Ruhe für unsere Unterhaltung nutzen, die am Morgen von den Gästen unterbrochen wurde.
"Ich weiß, dass ich das Eis gebrochen habe. Wir saßen heute Morgen am Tisch beieinander und er hatte das erste Mal kein Buch zum Lesen dabei."
"Und dann habt ihr euch stattdessen unterhalten?", fragt Marlaine.
"Er ist kein Morgenmensch", antworte ich schulterzuckend. Tatsächlich saßen wir während unseres Frühstücks eine ganze halbe Stunde lang schweigend zusammen. Hätte Kieran mir zur Begrüßung nicht diese kleine Andeutung eines Lächelns geschenkt, würde ich nicht behaupten, es hätte sich irgendetwas in unserer Mitbewohner-Beziehung getan. Die Stille zwischen uns war eine müde, aber nicht ungewöhnliche Morgenstille.
"Er hat heute seinen ersten Tag bei Cassian und war einfach angespannt", füge ich hinzu, weil mich Imra mit skeptischem Blick mustert.
"Du hast dir eigentlich vorgenommen, die Arbeit nicht mit nachhause zu nehmen", wirft sie nun missbilligend ein. "Du wolltest doch im Café backen."
"Eine Ausnahme", versichere ich und verschweige ihr damit, dass ich Kieran vorgeschlagen habe, mir auch am kommenden Wochenende in unserer WG beim Backen zu helfen.
"Ich glaube, wenn Kieran und ich mit irgendetwas beschäftigt sind, ist eine Unterhaltung einfacher."
Marlaine nickt zustimmend. "Meine entspanntesten Dates sind Sparziergänge, weil man nicht permanent dem neugierigen Blick ausgeliefert ist."
"Du datest wieder? Seit wann?", fragt Imra, offenbar genauso überrascht wie ich. Vor zwei Monaten hatte sich Marlaines Freundin von ihr getrennt und sie hat an jenem Tag geschworen, dem Liebesleben vorerst fernzubleiben.
"Seit ein paar Tagen." Marlaine stellt ihre Tasse Kakao beiseite und beginnt damit, überflüssigerweise den sauberen Tresen zu wischen. Sie wirkt plötzlich nervös. Mein Blick versucht Imras einzufangen, doch meine Schwester sieht stattdessen Marlaine an, die jetzt dazu übergeht, die Espressomaschine zu säubern.
Imra hat nicht nur auf mich ein wachsames Auge. Ihr freundschaftlicher Ratschlag war es gewesen, sich nicht sofort nach der Trennung in eine neue Beziehung zu werfen.
"Ich bin über sie hinweg", versichert Marlaine, als sie Imras forschenden Blick begegnet.
"Ihr wart drei Jahre zusammen und nach gerade Mal sechs Wochen willst du über sie hinweg sein?", fragt Imra. Marlaine faltet das Handtuch in ihren Händen und weicht Imras anklagenden Blick aus.
"Ich wette sie haben alle eine Ähnlichkeit mit deiner Ex oder sind das komplette Gegenteil."
"Imra", versuche ich meine Schwester zu beschwichtigen, die plötzlich seltsam wütend scheint. Auch Marlaine funkelt Imra an, die Lippen so sehr aufeinander gepresst, dass sie weiß scheinen.
"Warum musst du dich eigentlich überall mit einmischen? Erst bei deinem Bruder und jetzt bei mir. Hast du kein eigenes Liebesleben, dass du analysieren kannst?"
Bevor die Situation eskalieren kann, bitte ich Imra darum, nach den Gästen vor dem Café zu sehen. Ohne ein weiteres Wort verlässt sie den Tresen und ist zur Tür hinaus.
Marlaines Miene wird wieder weicher, doch mit hängenden Schultern sieht sie Imra nach.
"Sie macht sich nur Sorgen um dich", sage ich. Marlaine hatte die Nachricht, in der sich ihre Exfreundin von ihr trennte, während einer Schicht im Café erhalten. Imra hatte die aufgelöste Marlaine zwei Stunden lang zu trösten versucht und anschließend die angefangene Schicht übernommen.
"Ich weiß, aber sie hat diese furchtbar besserwisserische Art, die mich wahnsinnig macht. Wie kommst du nur damit klar?"
"Sie ist meine Schwester", sage ich nur, weil Imra schon wieder das Café betritt. Für den Rest der gemeinsamen Schicht wechseln die Freundinnen kein Wort mehr miteinander.
Am Abend verbleibe ich nach der Schließung allein im Café und während ich das Geld zähle und den Tagesabschluss ausfülle, denke ich an den Streit der Freundinnen zurück, der beinahe eskaliert wäre.
Imras Temperament ist dem meinen nicht unähnlich. Auch ich hatte einmal versucht meinem damaligen festen Freund zu helfen und bin dabei viel zu weit gegangen. Bevor mir die unachtsam übertretenen Grenzen bewusst werden konnten, entfernte sich mein Freund immer weiter – bis er sich schließlich von mir trennte.
Du bist zu viel, war der schmerzliche Vorwurf und die grausame, viel zu spät eingetroffene Erkenntnis. Ich hatte die Beziehung von innen heraus zerstört, ohne es zu bemerken.
Seitdem versuche ich mich zurückzuhalten. Und trotzdem scheine ich heute für Kieran, genauso wie damals für meinen Exfreund, zu viel zu sein.
Meine innere Stimme warnt mich deshalb eindringlich davor, Kieran näherzukommen. Dennoch will ich bis auf den Grund dieser dunklen Augen vordringen und verstehen. Ich will dieser seltsamen Scheu einen Namen geben, um sie verschwinden zu lassen. Ich will dieses zaghafte Lächeln sich wandeln sehen.
Warum? Wie konnte mich so schnell diese Neugierde packen? Warum spüre ich schon jetzt diese intensive Anziehung?
Weil mir Kierans Traurigkeit vertraut ist und ich mich meiner eigenen Dunkelheit nicht mehr zu stellen wage?
Doch ich fühle mich nicht als der Verräter meiner selbst, den ein mahnender Teil von mir zu sehen glaubt. Ich habe mich vor Jahren bewusst von dem abgewandt, was in mir verborgen ist – um weiterleben zu können. Um den Stillstand und der Leere entgegenzuwirken ...
Ein dumpfes Klopfen auf Glas zerrt mich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart. Ich blicke zur Tür des Cafés.
Cassian winkt mir grinsend zu.
Was in aller Welt machst jetzt ausgerechnet du hier?
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