Kapitel 22 - Younes
--Younes--
Die immer wärmeren Frühlingstage sorgen für ein hohes Gästeaufkommen im Café, sodass ich die meiste Zeit der Woche dort verbringe. Am Freitagabend zwingt mich Imra allerdings dazu, dem Café am Wochenende fernzubleiben.
"Es gibt kein weiteres Geschirr von mir, wenn du am Wochenende auch noch arbeitest! Ich übernehme deine Schichten", verkündet sie und weil ich mich zum ersten Mal seit langem wirklich erschöpft fühle, gebe ich ohne Protest nach.
Kieran scheint über meine ungewohnte Anwesenheit am Wochenende wenig erfreut zu sein. Wann immer wir einander in der Wohnung begegnen, verdunkelt sich sein Blick, der dem meinen sehr schnell ausweicht. Einzig zum Frühstück setzt er sich zu mir an den Tisch.
Ich bereue meine letzte Frage, die ich ihn unüberlegt stellte, als wir letzte Woche nach dem Besuch des Cafés nachhause liefen.
Ab diesen Zeitpunkt zerbrach die vorsichtige Nähe zwischen uns und hinterließ wieder nur eisige Kälte.
Ich hatte versucht, mit der Frage nach seinem Beziehungsstatus herauszufinden, ob Cassians künftige Flirtversuche bei Kieran Anklang finden könnten. Das ist zumindest der Vorwand, den ich mir einrede. In meinen Gedanken sehe ich Imra über diese Ausrede wissend schmunzeln.
Es geht nicht um Cassians, sondern um deine Annäherungsversuche ... weil du dich für ihn interessierst.
Selbst Kieran schien sofort zu ahnen, worauf meine Frage eigentlich abzielte.
Es war dumm – was konnte ich schon von einem derart in sich zurückgezogen Charakter nach dieser direkten Frage erwarten?
Kierans kühle Ausstrahlung hält mich davon ab, weiterhin zu versuchen, ein Gespräch zwischen uns in Gang zu bringen. Somit begleitet uns das stete Schweigen. Meinem Mitbewohner scheint die Stille zwischen uns nichts weiter auszumachen, derweil ich von ihr in innere Unruhe getrieben werde.
Am Sonntagmorgen beschließe ich, das tagelange Schweigen zu brechen.
Kieran hat sich wie immer mit seinem Roman an den Küchentisch gesetzt. Seine Gesichtszüge sind völlig stillgelegt, während er sein Müsli isst und in seinem Buch liest.
"Kieran", beginne ich. Dunkle Augen lösen ihren Blick zögerlich von den Buchseiten. Ich sehe den Vorwurf darin stehen, weil ich ihm beim Lesen unterbreche.
"Es tut mir leid, dass ich dir mit meiner Frage über deinen Beziehungsstatus zu nahe getreten bin."
Anhand seiner Reaktion kann ich erneut feststellen, wie sehr ihm jene Frage durcheinandergebracht haben muss. Kieran presst die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.
"Schon okay", höre ich ihn leise sagen. Er wendet den Blick wieder auf sein Buch, und erklärt das Gespräch damit für beendet. Es ist nicht okay.
Ich schlucke die Worte hinunter, die ich ursprünglich vorhatte, meiner Entschuldigung hinzuzufügen.
"Ich würde gleich die Kuchen für das Café backen. Möchtest du mir helfen?"
Mein Herz stolpert, während ich Kieran nach meinem Vorschlag beobachte. Er zieht die Brauen zusammen, kaut auf seinen Lippen. Dann legt er sein Buch mit einem lauten Zuklappen beiseite.
"Ich weiß nicht, ob ich eine große Hilfe sein kann", sagt er zweifelnd. Es erleichtert mich, dass er mich nicht sofort abweist. Ich stehe auf, um mir eines der Rezeptbücher zu holen, in dem die Anleitungen für die Kuchen nachzulesen sind.
"Das ist der erste Kuchen, den ich backen werde", erkläre ich und schiebe das offene Buch Kieran hin. "Ein einfacher Blechkuchen. Man kann nicht viel falsch machen."
Kieran wirft einen langen, skeptischen Blick auf die Seiten.
"Ich kann es versuchen. Aber sei gewarnt: Ich bin wirklich tollpatschig."
Keine halbe Stunde später stehen wir gemeinsam in der Küche. Kieran bindet sich Imras alte Schürze um, die mit einem ihrer bunten Muster bedruckt ist. Etwas mehr Farbe tut dir gut, denke ich. Mit dieser ständig dunklen Kleidung wirkt Kieran ungesund blass im Gesicht.
Ich stelle Kieran den Karton Eier hin und beginne damit, das erste Ei aufzuschlagen und den Inhalt in eine Schüssel zu geben. Er versucht, meinem Beispiel zu folgen. Aber er holt beim Schlagen mit dem Messer so viel Schwung, dass er es komplett in zwei Hälften teilt und das Innere über seine behandschuhten Hände läuft.
"Siehst du, was ich meine?"
"Zum Glück hast du dir ein Buttermesser genommen", sage ich lachend und helfe Kieran dabei, das missglückte Ei in die Tonne zu werfen.
Als ich dabei seine Hände berühre, zieht er sie sofort zurück und weist meine Hilfe ab. Wieder muss ich daran denken, wie er bei Cassians Berührung auf der Eröffnungsfeier ebenso zurückgeschreckt war.
Ich hatte vermutet, seine Scheu hätte an den exzentrischen Fotografen gelegen. Dass Kieran nun auch auf meine Berührung derart reagiert, weckt erneut mein schlechtes Gewissen.
Ich kümmere mich schließlich allein um die Eier und bitte Kieran, diese mit den weiteren Zutaten mithilfe des Mixers zu vermengen. Bei all den nächsten Schritten, die ich ihm überlasse, wirkt er bei der Ausführung ernst und konzentriert. Egal wie sehr ich versuche, die Stimmung mit kleinen Bemerkungen aufzulockern.
Wir teilen uns auf und Kieran kümmert sich um den einen und ich mich um den anderen Kuchen. In der folgenden Stunde arbeiten wir größtenteils schweigend nebeneinander.
Schließlich schiebe ich den letzten der drei Kuchen in den Ofen und zufrieden lassen wir uns auf unsere Stühle fallen.
Die Wohnung ist erfüllt vom Geruch nach frisch gebackenen Teig und warmer Schokolade. In Kierans schwarzem Haar und in seinem Gesicht finden sich Spuren von Mehl und Kakaopulver. Er hatte bei den Brownies den Mixer zu hoch eingestellt und wurde prompt in einer Wolke aus Kakao und Mehl getaucht. Sein prustendes Lachen löste ein Teil der Anspannung zwischen uns.
Kierans Lippen sind nun zu diesem sanften Lächeln angehoben, das standhält und nicht sofort wieder verschwindet.
"Das hat Spaß gemacht", sagt er. Seine Augen haben inzwischen einen Braunton angenommen und die dunklen Schatten in ihnen verdrängt.
Alles an seiner Ausstrahlung wirkt verändert und soviel wärmer.
Und nur noch verlockender.
Ich spüre dieses schmerzhaft-süße Ziehen in meiner Brust, während ich, für einige Herzsprünge lang, in Kierans Augen zu versinken drohe.
- Hör auf, ermahne ich mich streng und zwinge meinen Blick von Kieran los, doch auch weiterhin wüten hundert Fragen in meinen Gedanken.
Unter anderen Umständen würde ich sie alle nacheinander stellen, um meinen Wissensdurst zu stillen. Stattdessen stehe ich von meinem Platz auf, und schneide den ersten Kuchen an.
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