Kapitel 20 - Kieran

--Kieran--

Wir setzen uns nach draußen vor das Café, worüber ich mehr als froh bin. Die Stühle sind hier in Richtung der Häuser auf der anderen Straßenseite aufgestellt und stehen nicht wie sonst einander gegenüber.

Die ersten Minuten verbringen wir schweigend und ich kann den Geschmack des Apfelkuchens fast schon genießen. Das Café liegt in einem ruhigen Viertel. Ich beobachte die noch kahlen Äste der Kastanien und Ahornbäume, die sich im sanften Wind wiegen und folge mit meinem Blick den Spatzen, die zwischen den Bäumen und Büschen hin- und herfliegen.

Viel zu bald allerdings haben meine Hände nichts mehr zu tun und ich beginne mich mit dem Schweigen unwohl zu fühlen.

"Es ist ein gemütliches Café", sage ich.  Younes, der offensichtlich davon überrascht ist, dass ich eine Unterhaltung einleite, räuspert sich.

"Es ist vor allem alt und ich kann kaum abwarten, es endlich zu renovieren."

"Wann soll es losgehen?"

Ich spüre Younes' Blick auf mich ruhen. Ich weiß, wie seltsam es erscheinen muss, dass ich nun derjenige bin, der unsere Unterhaltung am Leben hält, nachdem ich in seiner Gegenwart die meiste Zeit geschwiegen habe. Ich sehe weiterhin in die Baumkronen.

"Ich hoffe, dass ich in einem Jahr genug angespart habe, um mit den Bestellungen der Einrichtung loszulegen. Ein Teil habe ich bereits gespart, aber es ist nicht viel."

"Warum hat dein Vater das Café aufgegeben?"

Einen Moment lang ist es erdrückend still zwischen uns und verunsichert sehe ich ihn an.

"Er ist vor drei Jahren gestorben."

"Das tut mir leid", sage ich, während ich den selben Ausdruck auf seinem Gesicht erkenne, der mich auf der Ausstellung so irritiert hat. Younes lächelt noch immer ganz leicht. Doch in seinen blaugrünen Augen erlischt das Funkeln, das dort bisher so häufig zu finden war.

Warum lächelst du, obwohl du so traurig bist?

"Kann ich euch noch etwas bringen?"

Die rotblonde Barista, die sich zuvor mit dem Namen Marlaine vorgestellt hat, taucht wie aus dem Nichts links von unserem Tisch auf. Ich zucke erschrocken zusammen. Ich war so von Younes eingenommen, dass ich die Umgebung komplett ausgeblendet habe. Schon wieder.

"Ich kann dir unsere hausgemachte Himbeerschorle empfehlen", höre ich Marlaine sagen, nachdem ich ein paar Sekunden unschlüssig in der Karte gelesen habe.

"Danke, die nehme ich."

"Gute Wahl. Bring uns zwei davon, bitte", sagt Younes. Marlaine kehrt mit dem leeren Geschirr ins Café zurück und ich bemerke sehr deutlich, dass Younes mich mustert.

"Was ist?", frage ich geradeaus. Younes' Lippen verziehen sich wieder zu diesem schiefen Lächeln. Seine Traurigkeit ist verflogen, als hätte ich mir ihren Anblick nur eingebildet.

"Wann fängst du nochmal an, für Cassian zu arbeiten?"

"Übernächste Woche Montag ist mein erster Tag", erkläre ich und spüre sofort kribbelnde Unruhe in mir. Ich wollte eigentlich nicht darüber nachdenken, wie nah mein erster Arbeitstag schon herangerückt ist.

"Du bist sehr aufgeregt deswegen", stellt Younes fest.

- Und du bist eine Spur zu aufmerksam.

Ich zucke ausweichend mit den Schultern. "Das ist man zwangsläufig, wenn man einen neuen Job anfängt."

Younes sieht einen Augenblick lang so aus, als wolle er etwas darauf erwidern, doch dann erklingt eine neue, weibliche Stimme und unterbricht unser Gespräch.

"Youni!"

Keine Sekunde später befindet sich mein Mitbewohner in den Armen einer braunhaarigen jungen Frau.

"Kieran, darf ich vorstellen: das ist meine Schwester Imra."

"Hallo, Kieran. Nett, dich kennenzulernen!"

Sie hat dasselbe Strahlen in ihrem Gesicht und auch dieses breite, viel zu fröhliche Lächeln.

Marlaine taucht mit den bestellten Himbeerschorlen auf und auch sie wird von Imra in diese herzliche Umarmung gezogen. Dann zieht sich Younes' Schwester einen Stuhl an unseren Tisch heran und bestellt bei Marlaine einen Latte Macchiato.

Während sich Imra und ihr Bruder über eine Idee für das neue Menü des Cafés unterhalten, nippe ich an meiner Schorle und mustere die junge Frau. In den wilden Locken trägt sie ein buntes Tuch, ihr Oberteil ist ebenso bunt gemustert. Auf der Jeanshose entdecke ich ein paar Flecken und Spuren von getrocknetem Sand oder brauner Farbe.

"Also Kieran, wie ist es, mit meinem Bruder zusammenzuleben?"

Ich stelle meine Schorle auf dem Tisch ab. Imra sieht mich neugierig an.

"Angenehm", wiederhole ich jene Beschreibung, die Younes für unser Zusammenleben zuvor der Barista gegenüber fallen ließ.

"Hast du dich schon eingelebt in deinem neuen Zuhause?", fragt Imra mich weiter. "Younes meinte, du würdest viel lesen und hättest sehr viele Bücher."

"So viele sind es nicht", dementiere ich.

Younes schnaubt belustigt.

::::

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top