Kapitel 18 - Kieran
--Kieran--
Wann hört er endlich auf zu reden?
Ich betrachte die ausgedruckte Tabelle, die zwischen uns auf dem Tisch liegt und versuche sie zu entziffern. Ich denke dabei sehnsüchtig an meine Brille, die ich irgendwo in den Tiefen meines Koffers geschoben haben muss.
Wir sitzen an unserem ersten Morgen als Mitbewohner am Frühstückstisch. Seit etwa zehn Minuten widmet Younes sich der Aufgabe, seinen ausgeklügelten Haushaltsplan zu erläutern. Alles, was ich der Tabelle bisher entnehmen kann, ist die Tatsache, dass jeder Raum in der Wohnung einen eigenen Putzplan hat, mit dem wir uns gegenseitig abwechseln würden. Außerdem soll einmal in der Woche ein gemeinsamer Einkauf stattfinden.
Wer zur Hölle legt eine Tabelle für einen Haushaltsplan an, auf den man sich mündlich einigen kann?
Younes räuspert sich und beendet seine ausschweifende Erklärung. Ich ziehe das Papier mit der bunten Tabelle zu mir, um sie endlich für mich zu enträtseln.
"Das alles hättest du in drei Sätzen zusammenfassen können. Wir teilen uns abwechselnd und wöchentlich für Küche, Bad und Wohnzimmer auf. Die Zimmer sind in der eigenen Verantwortung und weil das Büro dir gehört, kümmere ich mich um den Flur", sage ich. "Und ich weiß, wie man einen Staubsauger benutzt", füge ich bissiger hinzu, als eigentlich vorgehabt.
Ich triumphiere innerlich, als ich sehe, wie sich Younes Blick endlich einmal verdunkelt. Dieses helle Strahlen seiner Augen und das Dauerlächeln auf seinen Lippen wirkten bisher auf mich etwas zu überschwänglich.
Younes zieht den Plan wieder zu sich, um ihn mit Magneten an den Kühlschrank anzubringen.
"Du bist am Wochenende mit Bad und Wohnzimmer dran", verkündet er abschließend.
Ich nicke und nehme einen Schluck von dem Kaffee. Auch wenn ich den blonden Jungen noch misstraue – seine Caféspezialitäten beginne ich unweigerlich zu lieben. Jedes Getränk weist eine milde Balance zwischen der bitteren Note der Bohnen und der sanften Süße der Hafermilch auf. Ich hätte bis zu meinem ersten Younes-Kaffee nicht einmal damit gerechnet, dass mir Hafermilch schmecken könnte.
Ich wünsche mir schon eine zweite Tasse, traue mich aber nicht zu fragen. Ich habe einen Blick auf die Marke der Kaffeebohnen werfen können, sie sind sündhaft teuer. Noch dazu braucht der Cafébesitzer etwa fünf Minuten für die Zubereitung mit einer professionellen Siebträgermaschine, die fast den ganzen Raum der Arbeitsplatte einnimmt.
Viel zu bald ist Younes wieder in seiner üblichen guten Laune gestimmt. Sein Lächeln kehrt zurück. Dieses seltsam schiefe Lächeln, das mich ständig herauszufordern scheint.
"Ich habe gedacht, ich könnte dir demnächst eine kleine Tour durch das Viertel geben und dir mein Café zeigen."
Nein, danke. Die Absage liegt mir schon auf der Zunge, doch ich bin nicht blind. Ganz eindeutig erkenne ich den Schimmer der Hoffnung über Younes' Gesicht ziehen. Ich denke daran, dass er mir gestern Abend bei meinen Büchern geholfen hat. Also beiße ich mir rechtzeitig auf die Lippen und nicke.
"Bei dir dreht sich bestimmt alles nur um das Café."
Es soll als Stichelei wirken, doch Younes gibt sich vollkommen unbeeindruckt. Er strahlt sogar noch heller, während er stolz davon zu erzählen beginnt, wie er vor drei Jahren das Studium schmiss, um den Lebenstraum seines Vaters fortzuführen. Eine Geschichte, die mir Cassian bereits in weiter Ausführlichkeit unterbreitet hat, weshalb ich mich in der Betrachtung meines Gegenübers verliere und nur halb zuhöre.
Ich verstehe, warum der Fotograf Younes als sein Model auswählte.
Younes' vollen Haare haben den goldenen Ton von Honig, seine Haut ist leicht gebräunt, als habe er seinen letzten Urlaub am Meer verbracht. Helle, wache Augen, eine gerade Nase und geschwungene Lippen komplettieren das Bild des Schönlings. Sein bartloses Gesicht lässt ihn jünger erscheinen, doch sein eleganter Kleidungsstil aus Hemden und Stoffhosen geben einen Hinweis auf sein eigentliches Alter.
Und dann hat er diese Stimme.
Wann immer Younes seine sanfte Stimme erhebt, scheint sich ihr warmer Klang um das stetige Flattern in meiner Brust zu legen. Sie sorgt dort für eine langvergessene Ruhe, von der ich nicht einmal wusste, dass sie mir verloren gegangen ist.
"Du hörst nicht mehr zu", stellt Younes schmunzelnd fest.
"Ich schaue mir das Café gerne mal an", sage ich schnell, weil es mir peinlich ist, dass ich bei meiner ausschweifenden Musterung ertappt worden bin.
Wir planen schließlich die Tour für das nächste Wochenende.
Der ängstliche Teil von mir bereut es schon, zugesagt zu haben.
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