Kapitel 17 - Younes
--Younes--
Kieran steht vor Imras alten Bücherregal und schiebt gerade eine Buchreihe auf eines der Bretter. Er ist nicht besonders weit gekommen. Noch über die Hälfte der Kartons sind gefüllt.
"Kann ich dir helfen?" Ich rechne schon mit einer Abfuhr, doch Kieran nickt und winkt mich zu sich.
"Tut mir leid, dass ich euch vorhin mit den Kartons nicht helfen konnte", entschuldigt er sich.
Ich zucke mit den Schultern. "Ich bin es gewohnt schwere Sachen zu tragen. Cassian hat dir vielleicht erzählt, dass ich ein Café betreibe?"
Er nickt und sein Blick huscht für einen kurzen Moment über meinen Körper, bevor er sich wieder seinen Büchern widmet.
Mir fällt auf, dass die oberste Reihe im Regal nicht besetzt ist. Kieran ist nicht groß genug, um die Bretter zu erreichen. Ich nehme mir einen Stapel der Bücher und stelle sie auf das leere Brett.
"Nein, die gehören da nicht hin", sagt Kieran sofort. Verwundert sehe ich ihn an.
"Wonach sortierst du die Bücher?"
"Nimm diese hier und stelle sie nach oben", weicht er meiner Frage aus und ein Stapel landet in meine Arme. Es scheint eine weitere, zusammenhängende Reihe zu sein.
"Du liest also gerne Fantasyreihen", stelle ich fest. Ein paar der Autoren, die ich auf den Buchrücken stehen sehe, sagen mir nun doch etwas.
"Ja."
Kieran legt einen weiteren Stapel in meine Arme. Mir wird bewusst, wie nah wir einander sind. Neben dem leichten Geruch von Papier, nehme ich einen angenehmen, blumigen Duft wahr, den ich Kieran zuordne. Der Duft erinnert mich an die frisch geschnittenen Blumen, die ich am Morgen zum Schmücken des Cafés benutzt habe. Es waren Schneeglöckchen gewesen. Wie passend.
"Dein Vater hat vorhin noch etwas länger mit mir gesprochen", beginne ich zu berichten. "Er hat mir von deinen Albträumen und dem Schlafwandeln erzählt."
Mein Herz rast, aus Sorge, die zarte Nähe zwischen uns sofort wieder kaputt zu machen.
Kieran seufzt und schließt die Augen, bevor er sich vor Scham die Hände vors Gesicht legt.
"Gott, das ist so peinlich", höre ich ihn flüstern. Ein Teil von mir verflucht meinen überstarken Drang zu ständiger Offenheit. Dann lässt Kieran die Hände sinken und sieht mich direkt an.
"Mein Vater übertreibt. Ich hatte schon seit Jahren keine Alpträume mehr. Er arbeitet auf einer psychiatrischen Station und ich glaube, er hat sich in etwas hineingesteigert. Er ist dort sechs Tage die Woche und hat einfach nichts anderes mehr im Kopf als seine Patienten und ihre Krankheiten."
"Ich verstehe", sage ich, während mir aufgeht, dass Kieran gerade mehr als einen Satz am Stück von sich gegeben hat.
"Mir geht es also ... gut."
Kieran lässt mir keine Zeit seine zögerlich formulierte Behauptung zu hinterfragen, denn schon legt er einen neuen Stapel in meine Arme.
Die nächste halbe Stunde verbringe ich damit, Kieran die Bücher abzunehmen, die er aus den Kartons zieht. Er erklärt mir genau auf welches Regalbrett, zwischen welchen Bänden ich die Werke einsortieren soll. Schließlich frage ich ihn noch einmal nach seinem Ordnungssystem, weil ich bisher kein solches erkennen kann.
"Es ist ein einfaches Rangsystem. Die dort oben haben mir am Besten gefallen, die hier unten am Wenigsten. Und die hier möchte ich noch lesen." Kieran öffnet einen weiteren Karton, beladen mit Büchern.
"Das Regal ist voll", stelle ich fest. Wie kann jemand so viele Bücher haben?
"Ich werde mir ein neues bestellen."
Ich helfe Kieran dabei, die restlichen Bücher auf den Schreibtisch zu laden, der am Fenster steht. Ich stelle fest, dass sich Kierans angespannte Ausstrahlung in den letzten gemeinsamen Minuten verändert hat. Er wirkt gelöster.
"Hast du Hunger? Ich könnte uns ein paar Nudeln machen", schlage ich vor. Erneut rechne ich damit, dass Kieran mich von sich stößt. Er sieht auf und schenkt mir tatsächlich ein Lächeln.
Es ist ein sehr zaghaftes Lächeln.
Mein Herz stolpert.
Ich höre Imras Worte erneut in meinen Gedanken auftauchen, als ich in der Küche das Wasser aufsetze.
Er gefällt dir.
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