Kapitel 10 - Kieran
--Kieran--
Doch Cassian wirkt nach meiner ausgesprochenen Bedingung nur nachdenklich und nicht enttäuscht.
"Ich habe jetzt schon sehr viel Material filmen lassen. Du wirst mit einem enormen Berg an Sichtmaterial anfangen müssen", merkt er an.
"Das macht nichts. Ich bin schnell im Sichten", werfe ich sofort ein.
"Ja, das habe ich in der Beurteilung gelesen, die du mir von deinem alten Arbeitgeber gegeben hast. Trotzdem braucht es eine Zeit, um zu verstehen, worauf es mir in den Videos ankommt."
"Ich habe jedes Video gesehen, das bereits hochgeladen ist." Mehr als einmal.
"Können wir uns auf zwei Wochen einigen? Ich kenne ein paar Leute, die ihre Wohnungen untervermieten und könnte dir helfen, schneller etwas zu finden."
"Ich würde gerne in eine WG ziehen."
"Tatsächlich?"
Cassian wirkt amüsiert und das schiefe Lächeln auf seinem Gesicht irritiert mich.
Macht er sich über mich lustig?
"Drei Wochen", werfe ich aus einem Impuls heraus mein Angebot ein. Cassian lacht.
"Du weißt scheinbar genau, was du willst. Das gefällt mir."
Mir wird bei dieser Bemerkung erst furchtbar heiß und dann eiskalt. Der Ton seiner Stimme ist um ein paar Spuren dunkler geworden, sein Blick bohrt sich in meinen.
"Dann können wir jetzt das Inhaltliche besprechen und ich schreibe mir als Einstiegsdatum den heutigen Montag in drei Wochen auf. Einverstanden?"
Ich nicke und nehme einen Schluck vom Kaffee. Er schmeckt zu bitter für meinen Geschmack und ich schütte mir einen weiteren Schluck Milch hinein.
In der nächsten halben Stunde erklärt Cassian mir den Inhalt seiner Videos und vieles von dem, was er erzählt, habe ich mir bereits selbst erschließen können. Ich biege gedanklich ab, während ich vorgebe ihm zuzuhören.
Wie mir heute mit bestechender Klarheit bewusst wird, legt Cassian eine Bestimmtheit an den Tag, die kaum Raum für eigene Gedanken lässt. Er scheint es gewohnt zu sein, den Takt anzugeben und dabei selten Widerstand zu begegnen. Und wenn ihm Bemerkungen, wie die von Laureen treffen, wischt er sie einfach fort.
Er ist der verwöhnte Prinz und wir seine treuen Diener.
Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich der eigenwillige Jules Cassian gegenüber gefügt hat. Es hat inhaltliche Diskussionen gegeben, sie waren einander oft uneins, vermute ich also.
Aber hätte Jules sich nicht durchsetzen können, wäre er nicht so lange geblieben. Er hatte sich in unserer gemeinsamen Ausbildung sehr oft mit Kollegen und Kolleginnen angelegt, wenn ihm etwas nicht gefiel.
Und vielleicht führte das zu einem Streit zwischen Cassian und Jules. Einen sehr heftigen, ausartenden Streit ...
Ich betrachte Cassians schmale Hände, während er sich durch den Vertrag blättert, um mir irgendeine Passage über den Arbeitsort zu erläutern. Ich verwerfe erneut meine Theorie.
"Du wirst also auch direkt vor Ort am Set schneiden", höre ich ihn sagen und tauche aus meinen Gedanken auf. Ich nicke. Dann runzele ich die Stirn.
"Aber der Computer zum Schneiden steht hier. Ich denke nicht, dass ein Laptop die gleiche Leistung hat, um"-
"Es gibt immer auch einen Computer am Set und mit einem Cloud System kannst du von überall auf dein Projekt zugreifen."
Ohne auf meine Reaktion zu warten, springt er zum nächsten Teil des Vertrags. In mir braut sich zum ersten Mal eine vertraute Angst auf, als mir klar wird, dass ich nicht wie üblich einen ruhigen Raum für mich haben werde. Ich habe bisher immer versucht, Drehtage zu vermeiden.
Zu viele unbekannte Menschen, mit denen man Smalltalk führen muss. Zu viele Situationen, um mich anderen gegenüber lächerlich zu machen. Und Überstunden bis spät in die Nacht hinein.
So, als wisse Cassian von meinem plötzlichen Zweifel, betont er erneut das Gehalt, die Urlaubstage und alle weiteren Benefits, die mir im Arbeitsalltag zur Verfügung stehen würden.
"Am Set gibt es selbstverständlich ein Catering."
Keine Tiefkühlpizzen mehr! Mein Vater wird sich für mich freuen. Vielleicht meldet sich mit richtigem Essen auch mein Appetit zurück.
Nach einer Stunde schiebt Cassian mir eine neu ausgedruckte Version des Vertrags über den Tisch zu. Ich überprüfe das vereinbarte Einstiegsdatum und unterschreibe, ohne zu Zögern.
Cassian strahlt mich an, während er mich zur Tür begleitet. Laureen verabschiedet sich mit einem kühlen, aufgesetzten Lächeln.
Unter anderen Umständen hätte ich auf keinen Fall unterschrieben. Aber ich muss wissen, was mit Jules passiert ist.
Und ich bin mir mittlerweile sicher, dass irgendetwas mit Cassian so ganz und gar nicht stimmt.
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