2. {Cousine Sophia - Original Version}
Mazegirl15 Ich habe gerade erst gesehen, dass die Wortanzahl verlängert wurde. Ich weiß nicht ob das noch gilt, aber hier ist die Version, die ich eigentlich einreichen wollte.
Wenn ich diese noch einreichen kann, werde ich die andere gekürzte auch löschen, denn diese wollte ich ja sowieso urpsprünglich als Einzige veröffentlichen.
Also, kann ich meine Abgabe noch verändern und diese Version statt der anderen einreichen?
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Cousine Sophia
In jeder Stadt gibt es dieses eine Haus.
Schwarz angelaufenes Holz, eingeworfene Fensterscheiben, Bretter vor den Türen und überall Spinnen.
Das heißt, nicht in jeder Stadt.
Aber in unserer.
Früher habe ich in New York gelebt, aber wir konnten uns die Miete nicht mehr leisten.
Also sind wir umgezogen, in irgendeinen Vorort namens Gloom.
Und hier gibt es dieses Haus. Field Road, Nummer 17. Die Zahl steht mit abgeblätterter Farbe auf dem Briefkasten aus blauem Blech.
Ich wohne zwei Straßen weiter, Upper Field Road, und wenn ich den kürzesten Weg von der Schule nach Hause nehmen will, komme ich an Haus Nummer 17 vorbei, dem einzigen Haus in Gloom mit einem Spitznamen: „Horrorhaus."
Keine Ahnung, wer sich diesen unkreativen Namen ausgedacht hat, aber er passt. Es ist nicht nur so, dass das Haus übelst gruselig aussieht – es fühlt sich auch so an.
Immer wenn ich daran vorbeigehe, habe ich den Instinkt wegzulaufen. Wenn ich es ansehe, klopft mein Herz schneller.
Von diesem Haus sollte man sich wirklich fernhalten. Aber wir taten es nicht.
***
Eine Woche zuvor traf ich mich mit einigen meiner Freunde bei Caroline. Wir waren zu viert, Caroline, ich, Drew und Stanley.
Es war ein lustiger Abend, wir guckten irgendeinen Actionfilm, der so langweilig war, dass wir ihn selbst kommentierten, aßen Drews selbstgebackene Schokomuffins, die leider versalzen waren und spielten schließlich Wahrheit oder Pflicht.
„Okay, Stan, Wahrheit oder Pflicht?!", fragte Caroline grinsend, während sie sich Schokolade von den Wangen wischte.
„Wahrheit.", sagte Stan sofort.
„Schmecken dir Drews Muffins?!"
„Warte, was?!", fragte Drew.
„Sorry Drew. Nein, tun sie nicht.", sagte Stanley und klopfte seinem besten Freund entschuldigend auf die Schulter. „Caroline, Wahrheit oder Pflicht?"
„Nachdem ihr Langweiler alle Wahrheit genommen habt ... Pflicht!", sagte sie grinsend und nahm einen Schluck aus ihrer Wasserflasche.
„Ich hab nichts für Pflicht.", gestand Stanley bedauernd.
„Ernsthaft?!", rief Drew ungläubig. „Ich schon!"
„Was denn?!", fragte ich neugierig. Jetzt fing er an zu grinsen: „Also, es ist wahrscheinlich eher etwas für uns alle: Wir gehen ins Horrorhaus."
„Field Road siebzehn?! Bist du verrückt?!", meinte Stanley mit zusammengekniffenen Augen. „Das Ding ist einsturzgefährdet!"
„Nein, ist es nicht.", meinte Drew seelenruhig. „Die Leute denken es nur, wegen dieser ganzen „Keep-out" Schilder. Aber mein Vater hat mir erzählt, dass das nur ist, damit sich die Drogenjunkies nicht da einnisten!"
„Klingt logisch.", murmelte Caroline nachdenklich. „Ich bin dabei."
„Echt jetzt?!", stöhnte Stanley entsetzt.
„Ich natürlich auch!", meinte Drew grinsend.
„Ich auch.", sagte ich, wir alle sahen zu Stanley.
„Okay! Aber wenn wir uns den Hals brechen, ist das eure Schuld!", seufzte er schließlich ergeben.
Ich wünschte, er hätte darauf beharrt, nicht hinzugehen.
***
„Und du bist dir SICHER, dass das sicher ist?!", fragte ich Drew. Mir war eiskalt. Lag nicht an dem Wetter, lag am Haus: Hier waren wir also. Field Road siebzehn.
Mittlerweile war der Himmel tintenschwarz, hinter den Wolken leuchtete der Vollmond, was die Atmosphäre nicht weniger gruselig machte.
„Ich bin mir sicher.", sagte er grinsend und wuchtete sich am Tor hoch, stütze sich mit den Füßen an dem glänzenden „Keep-out" Schild ab. Dann ließ er sich auf der anderen Seite fallen und sah uns abwartend an.
„Also dann!", meinte Caroline, ihre Stimme vibrierte leicht vor lauter Abenteuerlust, als sie ebenfalls über das Tor kletterte, ich folgte ihr und versuchte nicht zu viel über das Ganze hier nachzudenken.
„Das ist doch verrückt!", seufzte Stanley, und sprach damit meine Gedanken aus. Trotzdem setzte er seinen rechten Fuß an und stand schließlich neben uns auf dem Gelände von Haus Nummer 17.
„Kommt schon, nicht trödeln!", grinste Drew, der bereits an der zugenagelten Eingangstür stand.
„Da kommen wir nicht rein. Wir müssen durchs Fenster!", bemerkte Caroline und deute auf eine der zersplitterten Scheiben.
„Das ist VERRÜCKT!", sagte Stanley schrill.
„Klappe Stan!", zischte Drew und wandte sich mit einer albernen Verbeugung zu Caroline. „Nach dir, Prinzessin!"
Sie grinste, gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf und stieg tatsächlich durchs Fenster.
„Tut das nicht weh?", fragte Stan unsicher, als ihr Kopf hinter dem Loch in der Scheibe erschien.
„Nope.", sagte sie. „Echt nicht! Jetzt kommt schon!"
Also folgten wir ihr durch das Fenster ins Haus.
Von wegen es tat nicht weh – mir zerschnitt das Glas meine Hände und ich schloss meine Augen, damit die nicht malträtiert wurden.
Leider fiel ich deshalb auch auf den staubigen Boden und landete nicht auf den Füßen wie Caroline und Drew. Nach mir folgte nur noch Stanley, dann standen wir einfach nur da.
„Wow. Ich habs mir irgendwie gruseliger vorgestellt!", meinte Drew bemüht lässig.
„Noch gruseliger?", fragte ich ungläubig. „Wir hätten Taschenlam-"
„Hier.", sagte Stanley und gab mir eine von seinen.
„Ernsthaft Stan?! Du hast Taschenlampen dabei?", fragte Drew spöttisch.
„Du musst sie nicht benutzen!", entgegnete Stanley nur und knipste seine an. Ich musste mich stark beherrschen, um nicht aufzuschreien.
Die Möbel um uns herum waren halb von alten, staubigen Decken verdeckt. Ich sah eine hölzerne Treppe voller Spinnenweben, an der Decke hing ein Kristallleuchter, an dem einige Kristalle fehlten.
Und mir war so unglaublich kalt!
„Guckt mal da!", sagte Caroline fasziniert und deutete auf eine Uhr. Eine hölzerne, wahrscheinlich uralte Standuhr. Die Zeiger liefen.
Es war wirklich verrückt – alles in dem Haus schien so kaputt, so verwahrlost, aber die Zeiger der Uhr bewegten sich.
Und dann, ganz plötzlich, blieben sie stehen. Wie eingefroren.
„Batterie alle oder was?", scherzte Drew.
„Lasst uns gehen.", sagte Stanley alarmiert.
„Was?! Wa-"
„Wirklich, wir sollten verschwinden!", meinte auch ich angespannt.
„Nein."
„Wer war das?"
„Was meinst du, wer war das?! Entweder Caroline oder Drew."
„Nope. Ich nicht."
„Ich auch nicht.", sagte auch Caroline zögernd.
„Hier."
Ich konnte den Schrei nicht unterdrücken, aber man hörte ihn trotzdem nicht: Ich wurde von den anderen übertönt, am lautesten brüllte Drew.
Denn vor uns stand ein Mädchen. Ein kleines, circa zehn Jahre altes Mädchen, mit gräulicher Haut, in einem weißen, hübschen Kleid.
Ihre Haare waren ordentlich zu einem Zopf geflochten und sie lächelte uns zu. Es wäre ein so freundliches Lächeln gewesen – wären da nicht ihre Augen.
Sie fehlten.
Statt ihrer Augen waren da zwei schwarze Löcher. Man sah kein Blut auf ihren Wangen, also waren sie wohl nicht vor kurzem gewaltsam entfernt worden, trotzdem waren sie nicht da.
Wir sahen nur die schwarzen Augenhöhlen.
„Wer bist du?", flüsterte Stanley, der, wahrscheinlich ohne es direkt zu merken, einen Arm um mich gelegt hatte.
„Mein Name ist Sophia. Ich habe meine Cousine umgebracht."
Drew fing wieder an zu kreischen, dieses mal eine Tonlage höher.
„Sie ist ein Geist.", erzählte Sophia, als wären wir kleine Kinder, denen sie eine Gute-Nacht-Geschichte erzählte. Ich konnte spüren, dass Stanley genauso stark zitterte wie ich.
„O-okay. Warum?", fragte Stanley, der wahrscheinlich als einziger noch einen klaren Gedanken fassen konnte.
„Es hat Spaß gemacht.", antwortete Sophia, noch breiter lächelnd als zuvor, Stanley drückte mich enger an sich.
„Aber jetzt ist mir wieder langweilig. Weil, sie lebt irgendwie noch. Aber ich kann sie nicht mehr töten.", meinte sie traurig.
„Wie schade. Sie ist hier, oder?", flüsterte ich, Sophia nickte: „Ja. Aber niemand wird sie sehen. Weil, niemand besucht uns!"
„Wir müssen auch wieder los!", meldete sich Caroline unsicher.
Sophia legte den Kopf schief: „Nein."
„Aber-"
„NEIN!", wiederholte sie lauter und kam näher auf uns zu, Stanley flüsterte etwas, aber ich konnte nicht verstehen, was es war.
Sie ignorierte uns alle – bis auf Drew, der sie mit schreckgeweiteten Augen ansah.
„Komm mit.", sagte sie und hielt ihm ihre kleine Kinderhand hin. Drew starrte sie an.
„KOMM MIT!", kreischte sie aufgebracht, blieb aber äußerlich ruhig. Ganz langsam legte Drew seine Hand in ihre, folgte ihr aus dem Raum.
„Ich komme wieder, keine Sorge!", sagte Sophia, bevor sie den Raum verließen. Sie blieb in der Tür noch einmal kurz stehen und sah uns an. „Aber er nicht."
„NEIN!", schrie Caroline und stürzte nach vorne, aber die Tür krachte zu. Ich atmete zitternd aus, merkte erst in diesem Moment, dass ich immer wieder die Luft angehalten hatte.
„Drew!", schluchzte Caroline und versuchte die Tür aufzubrechen. Vergeblich.
„Wir müssen hier raus.", sagte Stanley leise und nahm seinen Arm von meiner Schulter, ich nickte ihm zu und wir traten an das Fenster.
Die Straße sah anders aus, aber ich dachte mir nichts dabei.
„1950."
„Was ist, Caroline?!"
„Ich hab nichts gesagt!"
Erschrocken fuhr ich herum.
Ein Geist.
Genauso, wie man ihn sich vorstellte – ein graues Tuch. Allerdings sah man wieder diese Augen – genauer gesagt sah man wieder, dass die Augen fehlten. Denn das Tuch lag so eng an wie eine Maske aus Silikon.
Der Körper schien zylinderförmig zu sein, Füße und Arme konnte ich nicht erkennen.
„Ihr fragt gar nicht wer ich bin. Wie unhöflich! Ich bin Cousine."
„Das ist dein Name?", fragte Caroline zitternd.
„Glaubst du mir etwa nicht?!", entgegnete der Geist, klang dabei gleichzeitig entrüstet und belustigt. Ich griff unbewusst nach Stanleys Hand.
„Doch doch.", sagte Caroline eilig, ihr Blick flackerte immer wieder zu der Tür, durch die Drew und Sophia verschwunden waren.
„Ich bin nicht böse. Habt keine Angst. Ich meine, habt keine Angst VOR MIR!", lachte Cousine.
„Okay. Okay. Okay.", flüsterte Caroline, ihr stand der Schweiß auf der Stirn, was dazu führte, dass die kurzen roten Haare ihr im Gesicht klebten. Ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen.
Ich muss in diesem Moment genauso verschreckt ausgesehen haben.
„Ihr könnt nicht raus.", sagte Cousine, ihre Stimme klang verträumt. Ich bemühte mich, ihr nicht in die schwarzen Augenhöhlen zu gucken.
„Da draußen ist 1950."
„Was?", fragte Stanley. „Kannst du das ... erklären?"
Cousine seufzte theatralisch, fing aber an zu reden: „Wenn die Uhr nicht mehr tickt, reisen wir zurück in unser erstes Jahr hier. In das Jahr 1950. Ich erinnere mich nicht gerne daran.
Damals war dieses Haus eine Villa. Prachtvoll, absolut wunderschön! Ich habe bei meiner Cousine Sophia übernachtet – sie hat mich ermordet. Das Leben wich aus mir.
Und das nur, weil sie sich gelangweilt hat.
Sie ist ein verwöhntes kleines Mädchen, nichts macht ihr Spaß, außer das Morden. Was sie nicht wusste, was wir alle nicht wussten, war, dass mein Tod das Ende für dieses Haus werden würde. Sophias Familie verließ Gloom und somit auch dieses Haus im Oktober 1950, kurz vor Halloween. Doch Sophia kehrte zurück und fand die Uhr. Sie spielte damit herum und landete, ohne es zu wollen, in eurer Zeit. Wir lebten von nun an in 2023.
Wir können das Haus nicht verlassen, denn die Leute hier würden uns nur umbringen. Das heißt, Sophia würde vielleicht ermordet werden. Und ich würde mit ihr sterben."
„Ähm ... aber hat sie dich nicht schon ... getötet?", fragte Stanley vorsichtig.
„Doch doch.", murmelte Cousine und pustete etwas Staub von dem Geländer. „Aber aus irgendeinem Grund waren wir aneinander gebunden. Wir reisen gemeinsam durch die Zeit, das heißt, wir fallen immer wieder nach 1950 zurück, wenn die Uhr aufhört zu ticken. Dann holt Sophia ihren Schlüssel und bringt sie wieder zum Laufen und wir kehren zurück in diese Zeit. Sie findet das aufregend. 1950 langweilt sie. Aber sie langweilt sich mittlerweile auch hier: Ihr seid genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen!"
„Und ... nehmen wir mal an wir verlassen jetzt das Haus ...", fange ich an, Cousine unterbricht mich: „Dann seid ihr gefangen. Gefangen in 1950. Für immer."
„Das heißt wir kommen hier nie wieder raus?", flüsterte Caroline, ihre Beine gaben unter ihr nach. Ich wollte ihr hochhelfen, aber ich wollte Stanley nicht loslassen. In diesem Moment war er für mich mein Anker – und ich wollte nicht ertrinken.
„Doch, natürlich. Aber nur in eurer Zeit."
„Und wie kommen wir wieder in unsere Zeit?"
„Ihr braucht den Schlüssel, dann könnt ihr die Uhr aufziehen und aus diesem Haus flüchten. Vor Sophia flüchten."
In diesem Moment ertönten die Schreie. Es war Drew, der so schrie. Schmerzerfüllt, voller Angst – Caroline fing ebenfalls an zu schreien. Das Schlimmste war aber das Lachen – Sophia lachte. Sie lachte, ein unbeschwertes, glückliches Kinderlachen.
Es war abartig, ich fiel ebenfalls zu Boden, jetzt saßen wir alle auf den staubigen Dielen.
Dann hörte das Schreien auf, das Lachen allerdings nicht.
Cousine wandte sich wieder uns zu: „Ihr müsst hier raus! Sophia hat den Schlüssel, er ist an ihrer Halskette. Aber sie ... sie kann euch kontrollieren wie ihre Puppen. Ich weiß nicht wie und ich weiß nicht warum! Aber ich kann es nicht ändern.
Ihr müsst in eure Zeit zurück, bevor Sophia euren Freund beerdigt hat."
Caroline schrie. Sie haute um sich, Tränen liefen ihre Wangen hinunter.
„Drew!", schluchzte sie. „DREW!"
„Es tut mir leid, aber ihr dürft keine Zeit verlieren. Ich kann euch nicht weiter helfen."
Und dann verschwand Cousine, so plötzlich, wie sie gekommen war.
Sie hatte uns gesagt, was wir zu tun hatten. Wie wir rauskommen würden.
Die Zeit lief.
***
Wir hatten keinen Plan, aber wir hatten uns versteckt. Caroline stand hinter den mit Spinnenweben überzogenen Gardinen, Stanley und ich standen rechts und links an der Treppe.
Wir waren zu dritt. Sophia war alleine.
Wir hatten eine Chance gegen diese psychopathische Killerin.
In diesen Momenten hatte ich noch nicht realisiert, dass einer meiner besten Freunde tot war. Natürlich hatte ich mitbekommen, dass seine Schreie gestoppt hatten und alles, aber es war ... unwirklich.
Und diese Gedankensperre hat mir vermutlich das Leben gerettet, denn so blieb ich einigermaßen bei Verstand.
Die Tür unten ging auf und Sophia kam heraus. Ich verspürte nicht nur Angst, ich verspürte Hass.
Ich hasste sie, ich wollte sie töten. Denn sie kam heraus, rieb sich fröhlich lächelnd die Hände und spielte mit ihrem Zopf.
„Wo seid ihr? Oh, spielen wir verstecken?!". Jetzt kicherte sie und drehte sich fröhlich im Kreis.
Ich sah nervös zu Stanley. Wie gesagt, wir hatten keinen Plan.
Er lächelte mir beruhigend zu. Sein Lächeln sah nicht einmal ein bisschen zittrig aus. Obwohl er höchstens einen Meter entfernt von mir stand, vermisste ich ihn. Vermisste seine direkte Nähe.
„Eins zwei drei, ich komme!", verkündete Sophia. „Mäuschen mach mal Piep!"
Stanley trat vor, in seinen Händen lag eine abgerissene Gardine. Er wollte sie vermutlich überwältigen.
Und dann trat Caroline hinter der Gardine hervor, das Gesicht wutverzerrt: „ICH HASSE DICH!"
„Was?", machte Sophia und trat einen Schritt näher.
„Du hast Drew getötet. Du bist eine MÖRDERIN! Ich HASSE dich!", schrie Caroline und spuckte auf den Boden.
„Hab keine Angst!", sagte Sophia sanft kichernd und hielt ihr ihre Hand hin. Ich konnte es nicht genau erkennen, aber ich vermute stark, dass Blut auf der Hand zu sehen war.
„Ist das Drews Blut?", fragte Caroline nämlich, als sie auf die kleine Hand starrte.
„Nein. Er war ganz gemein. Er hat mir in die Hand gebissen!", sagte Sophia empört. „Er war böse!"
„Nein. DU BIST ES!"; kreischte Caroline und hob irgendeine Stange hoch, die auf dem Boden gelegen hatte. Aber Sophia war schneller. Blitzschnell hatte sie ihre Hände um den schmalen Hals meiner besten Freundin gelegt.
„Nein.", flüsterte ich leise und stürmte los, die Treppe hinunter. Sophia ignorierte mich, fing langsam an zu drücken.
Ich schubste sie zur Seite, sie fiel nicht auf den Boden. Als wäre sie eine Sprungfeder, oder als wäre sie aus Stahl.
Und dann sah ich ihn: Sie trug eine silberne Kette und daran hing der Schlüssel. Wir mussten die Uhr aufziehen!
Ohne nachzudenken riss ich an der Kette. Der Verschluss ging auf – anscheinend war hier nicht alles so unzerstörbar. Aber Sophie hob nur die Hand, legte sie an die Kette und riss sie mir aus den Händen: „Das ist nicht nett."
„Du bist auch nicht nett.", sagte ich. Sie hielt mir lächelnd ihre Hand hin: „Komm mit."
Und dann tat ich das, was man bei Kinder nicht machen sollen. Wir hatten sie beschimpft, wir hatten sie geschubst. Und ich schlug sie. Mitten ins Gesicht.
Sie zuckte erschrocken zurück, Caroline schlang sofort ihre Arme um den Hals der Mörderin.
Stanley kam von oben, riss die Kette von dem Hals des Mädchens, das zu weinen anfing: „Ich mag euch nicht."
„Wir dich auch nicht.", meinte Caroline und nahm Stanley die Kette ab. „Lasst uns die Uhr zum Laufen bringen."
Ich nickte und wir liefen zum Eingang. Caroline steckte den Schlüssel in die Uhr hinein und wollte ihn umdrehen – als jemand laut aufkeuchte.
Sophia stand vor uns, mit einem Fuß auf Stanleys Hals.
Wieder ohne nachzudenken lief ich zurück, kniete mich neben Stanley und versuchte den Schuh von seinem Hals zu heben. Er sah mich mit Tränen in den Augen an: „Rennt!"
„Nein.", sagte ich entschlossen.
„RENNT!"
„Nein.", wiederholte ich und schubste Sophia zur Seite. Sie stolperte tatsächlich und legte kurz darauf die Hände um meinen Hals. Dieses mal wartete sie nicht, sondern drückte direkt kräftig zu.
Ich konnte nur noch ein einziges Wort denken. „Oh".
Man kann sich nicht vorstellen, wie es ist, gewürgt zu werden.
Ich möchte es nicht beschreiben, denn allein daran zu denken sorgt dafür, dass ich mich verstecken und weinen möchte. Zusammenbrechen möchte.
Aber ich lebe.
Caroline hat den Schlüssel umgedreht, Stanley hat mich irgendwie gerettet.
Ich hatte zu lange nicht geatmet, als wir aus dem Fenster stolperten und Caroline und Stanley hatten mich schubsen müssen. Das hatten sie mir später erzählt.
Jetzt stehe ich also hier und gucke auf das Haus. Da drin unter den Dielen liegt Drew. Tot. Ich will nicht wissen, wie er gestorben ist.
Aber wie gesagt, ich lebe.
Ich kann nur hoffen, dass sich alle anderen an die „Keep-out" Schilder halten.
Ich kann nur hoffen, dass Sophia im Haus bleibt und sich nicht traut ans Sonnenlicht zu kommen.
Ich will nicht wissen, was passiert wäre, wenn diese Cousine uns nicht geholfen hätte.
Ich will das alles nur vergessen.
Aber ich kann es nicht.
Und das Schlimmste ist, dass ich weiß, dass wir es nicht beendet haben.
Wir sind entkommen – aber Sophia ist nur ein paar Meter entfernt vor mir in diesem Haus.
Und sie lebt, genau wie ich.
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