73 • Ciana

A/N: Tut mir leid für das lange Warten. Ich habe es einfach nicht früher geschafft.

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Von der Dachterrasse eines Cafés nahe der Sub Town beobachten wir das Treiben rund um das Feuer. Hunderte Menschen haben sich versammelt, entzünden ihre Fackeln und sind bereit, die Main Town zu stürmen. Als wäre die Armee schon über alle Berge. Als wäre das eine gute Lösung.

Ungefragt legt mir Xavian seine Jacke über die Schulter. Am liebsten hätte ich mich in seinem Duft und der Wärme verkrochen, würde uns nicht ein weiterer, eiskalter Windhauch einfangen. Diesem frostigen Winter kann niemand nur in einem Pullover trotzen.
"Du brauchst sie selbst", wehre ich ab.
Sein Atem kitzelt an meinem Nacken. "Du brauchst sie mehr."

Er lugt über die eingerissenen Ziegel hinweg. Der erste Protest der Sub Town ist an den Gebäuden hier direkt an der Grenze nur zu deutlich zu spüren. Das Café war sicherlich mal ein traumhaft schöner Ort für gesellige Abende - nicht dass ich jemals diese Erfahrung mit meiner Familie oder Freunden gemacht hätte. Nun ist es eine verwahrloste Ruine, umzingelt von weiteren baufälligen Restaurants und Bars, wenn sie denn überhaupt noch stehen.
"Was ist dein Plan?"
"Dieses blöde Feuer ausmachen. Und danach?" Ich zucke mit den Schultern. Ein Gespräch könnte nicht schaden. "Hoffen, dass sie mehr Einsicht zeigen, um zu verhindern, dass es wieder eskaliert."

Janus hier zu haben, wäre jetzt sicherlich von Vorteil. Er hat die Meute selbst dann zum Schweigen gebracht, als sie den Verhandlungen keinen Glauben schenken wollten.
"Komm." Xavian streicht mir über die Arme und platziert einen Kuss auf meinem Scheitel. "Wir sollten uns beeilen."

Ich seufze müde. Erschöpft. Am Ende meiner Kräfte. Ich möchte mich nicht beeilen, sondern in Xavians Umarmung schlüpfen, seinem Herzschlag lauschen und ihm zuhören, wenn er mir ermutigende Worte zuflüstert. Ich möchte nicht nur mit ihm über eine gemeinsame Zukunft fantasieren, sondern sie erleben. Wir sind so nah dran wie noch nie und dennoch hängt alles von dieser wütenden Meute am Grenzbereich ab. Sie haben das Schicksal Snow Creeks in ihren Händen. Das lasse ich mir nicht mehr nehmen, nur weil mein Körper seit Stunden streikt.

"Xavian."
Er hört die Anspannung in meiner Stimme nur zu genau heraus. Augenblicklich stoppt er in seiner Bewegung und schlingt stattdessen seine Arme fest um mich.
"Es wird alles gut werden, Cinderella." Seine Finger tangieren die gebrochene Rippe, suchen nach meiner Hand. Wir verweben unsere Finger ineinander, als könnten wir die Main und Sub Town damit zueinander treiben.

"Wir hätten diese Akten niemals veröffentlichen dürfen", flüstere ich. Das hat nicht einmal mit Fenix zu tun. Die Sub Town wäre nicht wütend, die Armee nicht vor den Toren Snow Creeks, nichts würde in diesem Teufelskreis feststecken, der zu eskalieren droht. Keine Seite gibt nach. Weil die Abgründe zwischen den Stadtteilen zu tief sind, um die Brücken dazwischen wahrzunehmen.

"Wir hätten euch niemals ausbeuten und misshandeln dürfen, nur weil wir die Macht dazu haben", bedenkt Xavian. "Aber dafür ist es schon zu spät. Jetzt müssen wir das retten, was noch übrig ist."
Er legt mir einen Daumen ans Kinn, dreht mein Gesicht zu sich herum und gibt mir einen sanften Kuss. Ich lehne mich gegen ihn und koste den kurzen Moment der Stabilität aus, bevor der endlose Hass wieder von Unruhe begleitet wird.

Viel zu früh löst er sich von mir und macht auf dem Absatz kehrt. Ich atme tief durch, sammle meine letzte Energie und folge ihm durch die verlassenen Gassen. Bis zur Quelle des Feuers schaffen wir es dennoch nicht unbemerkt - Xavian zieht den Hass auf sich, als trage er ein Schild auf dem Adler geschrieben steht. Gut, seine Kleidung genügt bereits, um ihn von der restlichen Masse abzugrenzen.

"Scheiß Adler!", faucht ein Mann und schleudert uns seine Fackel entgegen. Xavian wirbelt mich zur Seite, sodass die Flammen meine Haare nicht in einen Scheiterhaufen verwandeln. "Ihr wollt uns ausrotten!"
Ich habe keine Lust auf Spiele. Auf Hass und keinerlei Einsicht. Entschlossen hole ich das Gewehr von der Schulter und dränge mich vor Xavian. "Lass uns durch."

Er spuckt mir vor die Stiefel. Ich zucke keinen Schritt zurück. "Er hat dich ja wunderbar um seinen Finger gewickelt. Oder um seine Augen."
"Ich bin nicht manipuliert", entgegne ich, doch ohne Beweise könnten diese Worte ebenso von einer manipulierten Version meiner selbst stammen. Der Zorn des Mannes ist mir nur allzu vertraut. Meine Güte, vor wenigen Wochen habe ich auch nur das Schlechte in ihm gesehen, weil es so viel leichter ist, die Unterschiede zu hassen als die Gemeinsamkeiten zu lieben.

"Bist wohl seine persönliche Hure, was?"
Xavian macht abrupt einen Satz nach vorne, dass ich glaube, er will dem Mann eigenhändig den Kopf abreißen. Und ich weiß nicht, wie ich ihn davon abhalten könnte, würde sich nicht eine mir bekannte Stimme von der Seite einschalten.
"Lass die beiden durch." Ich lasse das Gewehr sinken, so ungestüm überrumpelt mich die Freude sie lebend wiederzusehen. "Ashford wird niemandem ein Haar krümmen."
Es sei denn, man bezeichnet mich als Hure. Die Warnung kommt an. Der Mann zieht sich so schnell in den Schatten der Nacht zurück, wie er erschien, da presse ich Alice schon in einer von reiner Freude getriebenen Umarmung die Luft aus den Lungen.

"Ich dachte, du hättest Snow Creek verlassen", japse ich, das Gewehr fällt in den Schnee neben uns. "Wir hatten bei dir geklopft, aber du warst nicht da."
"Ich habe den Kranken geholfen. Auch du wurdest zwischenzeitlich eingeliefert, aber du warst schon wieder weg, als ich nach dir schauen wollte", erklärt sie.

Die Verhandlung, der Schuss in den Rücken - ein Beginn einer turbulenten Reise, von der ich nicht dachte, dass sie damit endet, Xavian stärkend hinter mir zu wissen. Alice schlängelt sich aus meinem Griff und nimmt mich forschend in den Blick. Ich versuche den Schmerz wegzulächeln. Nach jahrelanger Übung ist es das, was ich am besten beherrsche. Zumindest bei den meisten - ein Mann bestätigt die Ausnahme.
"Es ist so schön, dich wiederzusehen", verlagere ich das Thema schleunigst von mir.
"Du nimmst mir die Worte aus dem Mund", stimmt sie mir zu. "Wie geht es denn Fenix?"

Für diesen Schmerz kann ich mich nicht wappnen. Und so stochere ich schon wieder im Salat der unverständlichen Laute herum, bis Alice mir eine Hand auf die Schultern legt.
"Ich verstehe, Liebes." Ihr Blick zuckt kurz zu Xavian, dann beugt sie sich näher zu mir. "Fenix würde ihn gutheißen, ganz bestimmt. Bringt es zu Ende. Ihr beide könnt das beste Exempel statuieren."

Wenn selbst Alice, nach ihrer eindrücklichen Warnung vor ihm, zu dieser Erkenntnis kommt, ist die Hoffnung vielleicht doch nicht gestorben - auch wenn es sich falsch anfühlt, etwas so Aufrichtiges und Intimes als Exempel zu gebrauchen. Ich schnappe nach Xavians Hand und zerre ihn weiter. Schnell, bevor die Masse aufbricht und sich in ihre eigenes Verderben stürzen kann. Die Gewehre haben wir fortlaufend schützend vor uns und vollziehen damit ein Wunder. Keiner versperrt uns den Weg. Im Gegenteil, die Menge teilt sich, gibt Blick frei auf die Feuerstelle - und auf den Mann, der soeben auf eine Mauer klettert, um ziemlich sicher sein Gift zu verstreuen.
"Das kann doch nicht wahr sein", spricht Xavian aus, was mir durch den Kopf schießt.

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