47 • Ciana

"Mir ist schlecht."
Mit den Fäusten versucht Fenix die Schmerzen in der Magengrube zu erdrücken. Sein gequältes Stöhnen erfüllt den Raum. Nachdem er vergangene Nacht mehrere Stunden wach blieb, bis er seine Augen nicht mehr offen halten konnte, war ich unter das Bett gekrabbelt und hatte ihn wieder auf seine wenigstens etwas bequemere Matratze gelegt. Auch wenn er den Vorfall erwartungsgemäß vergessen hat, setzen seine Schmerzen umso weniger aus.

"Ich komme sofort", rufe ich ihm aus der Küche zu und lasse ihn nicht aus den Augen. Er hat die Beine an seinen Bauch gezogen, um sich so klein wie nur möglich zusammenzukrümmen. Das macht er immer nur, wenn er am liebsten aus seinem eigenen Körper fliehen würde. Heute ist also einer dieser Tage, an denen er weder das Bett verlassen wird, noch ein Stück Brot für sich behalten kann. Dennoch gebe ich nicht auf - er braucht Stärkung. "Hunger?"

Keine Antwort. Ich schnappe mir die verdünnte Medizin, sein mit Marmelade bestrichenes Brot und lasse mich neben dem Bett nieder.
"Schau mal, mein Zauberer." Sein Plüschhase liegt auf dem Boden. Ich versuche ihn in die Kuhle zwischen Beinen und Oberkörper zu zwängen. Fenix reagiert nicht. Er hat die Augen geschlossen, atmet flach ein und aus.

"Wo tut es besonders weh?"
Er presst die Fäuste noch tiefer in seinen Magen. "Hier."
"Dein Bauch? Soll ich ihn massieren? Oder mal lauschen, wer darin einen Unfall gebaut hat?"

Fenix' Mundwinkel zucken kaum merklich nach oben, aber es genügt - er taucht nicht komplett in seinen Schmerzen ab. "Ich will so liegen bleiben."
"Darfst du auch gleich wieder, aber du musst deine Medizin trinken. Nur kurz aufsetzen, Fen." Da ist keinerlei Kraft in seinen Armen, als ich ihn hochziehe, das Glas an seinen Mund führe und beobachte, wie er schwerfällig schluckt. Mich überrascht es leider nur wenig, nachdem ich ihm irrtümlicherweise tagelang das falsche Medikament zubereitete. Die Ashfords wissen wahrhaftig, wie man die Sub Town ausrottet. "Das war's schon. Willst du auch etwas essen?"

"Nein."
Wie zu erwarten.
"Okay, aber heute Mittag probierst du ein paar Bissen."
Obwohl ich weiß, dass er jeden einzelnen Krümel wieder ausspucken wird, lasse ich ihm keine Wahl. Er muss zu Kräften kommen. Meine Güte, für einen Moment denke ich sogar darüber nach, Xavian und Cosmo wieder hierherzubringen, sodass Fenix auf seine Beine springt. Aber vermutlich würde er vornüber kippen, also verwerfe ich den Gedanken sofort wieder.

"Nein."
"Darüber diskutieren wir nicht, Fen. Es ist einen Versuch wert."
Zumal er sich seine Kräfte für Wichtigeres als eine lästige Diskussion einteilen sollte.

"Spucken ist so widerlich."
Nach den letzten Stunden kann ich diesen Satz protestlos unterschreiben, doch das verrate ich ihm nicht. Denn ich habe mich nicht übergeben, weil mir mein Körper keine andere Wahl lässt, sondern weil ich meinem Körper keine andere Wahl gelassen habe - das ist ein gewaltiger Unterschied. Und in diesem Moment schäme ich mich dafür, dass ich so töricht war und mit dem ganzen Alkohol meiner eigenen Gesundheit einen Schlag verpasste. Ich sollte mehr schätzen, was mir mein Körper tagtäglich gibt. Vor allem, wenn ich schon gebrochene Hände und Rippen vorzuweisen habe.

Es klopft. Zum dritten Mal an diesem Morgen. Die Männer und Frauen mit ihren Fackeln, Mistgabeln und Gewehren versuchen weitere Kräfte zu mobilisieren, bevor sie in neuer Stärke wieder in die Main Town ziehen. Zwei Mal habe ich sie mit aller Geduld weggeschickt. In Fenix' Zustand würde ich nicht einmal arbeiten gehen, aber nachdem die Bar einstürzte, ist dieses Thema sowieso vom Tisch.
"Verzieht euch!", rufe ich in Richtung der Tür. "Ich komme nicht mit!"

Die Reaktionen darauf sind ein wildes Wirrwarr. Einer tobt sich über meine Gleichgültigkeit aus, der Nächste meint, dass jede Hand zählt, und ein Anderer ist sich sicher, dass ich nur mehr Zeit brauche.
Fenix öffnet die Augen. Nur einen Spalt breit, aber ich freue mich ungemein darüber. "Was wollen sie?"

"Es gibt ein wenig Streit zwischen der Main und Sub Town", erkläre ich.
Weil die Ashfords Mama und Papa umbrachten. Ich streiche ihm eine Locke aus der Stirn. Nein, damit rücke ich nicht heraus. Fenix hat bereits genug Lasten zu tragen. Hat Xavian auch so über mich gedacht? Wollte er mich vor mir selbst schützen, weil er wusste, wie ich mit den letzten Jahren zu kämpfen hatte? Hat er womöglich nur zu meinem Wohl gelogen?

"Das geht nicht gut für uns aus."
"Mal schauen", murmele ich. Wir sind wütend. Aber Wut reicht gegen die Kräfte der Gesellschaft letztendlich nicht aus, dessen bin ich mir bewusst. "Wie wäre es damit: ich gehe kurz zu Alice, gebe ihr Bescheid, dass du heute nicht kommst, und leihe uns ein Buch bei ihr aus, ja?"
"Kannst du nicht lieber ein wenig zaubern?"

Ich blicke auf meine Hände. Die rechte ist eingegipst, bereitet mir keinerlei Schmerzen mehr, die linke hingegen schon und ist trotz des lockeren Verbandes kaum zu Bewegungen fähig. Genau das wollte ich umgehen, aber Fenix schlage ich keinen Wunsch aus, erst recht nicht dann, wenn ihn das für einen Moment ablenkt.
"Klar."

Mehrmals purzeln die Keulen auf den Boden, bis ich einen guten Rhythmus mit sparsamen Handbewegungen gefunden habe. Doch dann strahlt Fenix, als hätte ich ihm das wertvollste Geschenk besorgt. Seine grünen Augen funkeln begeistert, sein Plüschhase wird so ausgerichtet, dass dieser ebenfalls zuschauen kann, und hin und wieder gluckst er vor Vergnügen. Das macht jeden Schmerz dieser Welt wieder wett.

Als Fenix fragt, ob ich mit meinen Händen denn überhaupt noch im Zirkus auftreten kann, lüge ich nicht. Es ist nur eine vorübergehende Pause, erkläre ich ihm und hoffe, dass meine Worte wahr werden. Ich möchte zurück in die Manege. Ich möchte Kinderaugen zum Strahlen bringen und mich für einen Augenblick vom Zauber der Künste berauschen lassen können. Aber zuerst müssen wir die kommenden Tage durchstehen. Denn dass Fenix abgebaut hat, kann ich nicht verleugnen. Das Mittagessen würgt es sofort wieder hervor. Weinend verkriecht er sich in meinen Armen, weil er vor Scham im Boden versinken könnte.

Nach seiner zweiten Dosis Medizin husche ich zu Alice und informiere sie über Fenix' Zustand. Dann sprinte ich zum Markt in der Sub Town, ergattere mehrere, maßlos überteuerte Äpfel aus den auf dem Boden aufgereihten Holzkisten, die am Rand schon schimmeln. Fenix schläft bereits wieder, als ich zurückkehre.

Ich zerkleinere die Äpfel, so wie Xavian sämtliches Obst für Fenix zerlegte, verrühre es mit Wasser statt mit Milch und bin ungemein erleichtert, als er wenigstens die Vitamine in sich bewahren kann.
"Ist das Apfel?"
Xavians Getränke hat er geliebt und sich einen Spaß daraus gemacht, die Früchte zu bestimmen. Er hat zwar nicht ansatzweise alle erraten, doch gegen das fade Leitungswasser und trockene Brot überzeugt wohl alles.
"Ja, ist es. Papa hat manchmal auch welche vom Wochenmarkt in der Main Town mitgebracht."

Wie zu erwarten, erinnert sich Fenix nicht mehr daran. Er war zu jung und so leben unsere Eltern für ihn nur durch meine Worte. Es hätte anders sein sollen, aber für diese düsteren Gedanken ist gerade keine Zeit. Ich sollte ihn aufheitern, nicht noch mehr zeigen, was er verpasst hat.

"Ich muss mal", erklärt Fenix jedoch soeben und stemmt sich auf die Unterarme.
"Kannst du laufen?"
"Ich versuche es."
Mühsam setzt er einen Fuß vor den anderen, muss das Gleichgewicht wahren, doch kämpft sich bis ins Bad. Ich nutze die Zeit, um kurz zu lüften und das Glas auszuspülen. Dann warte ich. Eine Minute, dann noch eine. Tippe mit meinem Fuß ungeduldig gegen einen Holzfuß seines Bettes und lausche. Nur das Wasser am Waschbecken fließt.

"Fen? Alles in Ordnung?"
Keine Antwort. Leise nähere ich mich der Türe. Abschließen kann er sie schon lange nicht mehr. Kaum wurde Maladis bestätigt, habe ich sämtliche Schlüssel eingesackt, um im Notfall immer zu ihm kommen zu können. Mein Puls rauscht mir in den Ohren. Ist das jetzt dieser Notfall?

"Fen? Rede mit mir." Das Wasser läuft noch immer. Meine Hand liegt bereits auf dem Türgriff. "Letzte Möglichkeit, sonst komme ich rein."

Nichts. Ich zögere keine Sekunde - und bereue es umso mehr, dass ich mich so lange geduldete. Hätte das Waschbecken seinen Oberkörper nicht abgefangen, würde er auf dem Boden liegen. So jedoch baumeln die Hände noch voller Seife am Rand, die Locken wirken völlig nass auf einmal glatt und Blut ruht in seinen Mundwinkeln.

Wie von der Tarantel gestochen stürze ich vor, greife ihm unter die Arme und versuche Ruhe zu bewahren. Doch da ist nichts außer blanker Panik und so heftig zitternden Händen, dass es scheint, als würden sie ein Eigenleben führen, die mich nur noch zu einem Gedanken verleiten: Bitte nicht. Bitte nicht Fen.

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