Wie jedes Jahr / Kapitel 1

Cara's POV:

"Cara, ich will da nicht raus...", sagte meine Mom mit erstickter Stimme. Sie war wieder kurz vor einem Heulkrampf. Auch das spielte sich genauso ab, wie all die Jahre zuvor. "Ich auch nicht...", sagte ich ehrlich. Ich wollte da wirklich nicht raus. Aber wir mussten es tun. "Aber komm', wir müssen es tun. Für sie.", versuchte ich uns beiden Mut zuzusprechen.

"Du hast Recht.", sie griff nach meiner Hand. Wir saßen in unserer kleinen Schrottkiste namens Auto und wollten beide nicht aussteigen. Noch dazu war das Wetter auch nicht das Beste und es regnete in Strömen. Einen Regenschirm hatten wir natürlich nicht dabei...

Doch schließlich konnten wir uns aufraffen und gingen Hand in Hand durch das kleine Tor, welches uns Einlass, in eine stille Welt, voller Trauer, verschaffte. Bald standen wir vor dem blühenden Kirschbaum und musterten das kleine Beet davor. "Jemand hat unserem kleinen Schatz Blumen gebracht, Cara. Siehst du?", diese Geste brachte ihr nun endgültig einen erneuten Heulkrampf. Stumm nickte ich und nahm sie dann in meine Arme. "Sie wird immer bei uns sein, Mom. Das hast du mir damals selbst gesagt. Weißt du noch?", sagte ich sanft und strich ihr über ihre schokobraunen, schulterlangen Harre.

Mit einem Schluchzen nickt sie. "Lea wird immer bei uns sein und auf uns aufpassen, Mom."

Eine Zeit lang standen wir nur so da und sahen uns das kleine Mädchen auf dem Bild an, welches vor dem Kirschbaum im Beet stand. "Zwei... sie war noch so jung...", hörte ich auf einmal meine Mom sagen. "Ja, das war sie...", stimmte ich ihr zu. "Viel zu jung."

Zuhause angekommen fingen wir, wie jedes Jahr, an, Lea's Geburtstagskuchen zu backen. Heute war ihr fünfter Geburtstag. Schon seit drei Jahren, war sie nicht mehr bei uns. Aber wir würden die Tradition, ihr einen Geburtstagskuchen zu backen, nie aufgeben.

Lea war von Anfang an nicht gesund gewesen. Aber sie war eine kleine Kämpferin gewesen. Schon, als Mom mit meiner kleinen Schwester schwanger war, war Lea eine Kämpferin gewesen. Aber mit zärtlichen zwei Jahren, hatte die kleine Maus den Kampf gegen Leukämie verloren.

"Gibst du mir mal das Mehl?", auch dieses Jahr, ging Marie in ihrer Aufgabe, Lea's Geburtstagskuchen zu backen, vollkommen auf. Sie lächelte wieder und freute sich jedes Mal, wenn er fertig und dampfend vor uns auf dem Tisch stand und wir ihn essen konnten. Sie sagte jedes Mal, dass sie ihr wenigstens einen schönen Geburtstag bescheren konnte, wenn sie einen Kuchen buk.

Ich reichte ihr das Mehl und machte mich daran, wie jedes Jahr, die Zahl und ihren Namen aus Marzipanmasse zu formen, welche wir dann auf den Kuchen legten. "Letztes Jahr hattest du schon Lila... wollen wir nicht mal orange nehmen?", fragte Marie mich mit einem breiten Lächeln. "Die Farbe hatten wir noch nicht...", fügte sie an und wandte sich wieder dem Teig zu. Ich stimmte ihr zu und begann mit meiner Aufgabe.

"Jetzt ist sie schon fünf...", überlegte meine Mom, als sie den fertigen Kuchen begutachtete. "Herzlichen Glückwunsch, meine kleine."

Das Kuchenessen machten wir immer allein. Eigentlich sollte man meinen, dass die Großeltern dafür auch kamen, doch seit Lea nicht mehr lebte, ließen wir dies nicht zu. Wir wollten unsere Trauer für uns behalten und mit Lea allein sein.

Wir hatten sogar jedem verboten, der davon wusste, an diesem Tag bei uns anzurufen. Und das hielten sie alle ein. Doch wenn ich darüber nachdachte, war es gemein, denn wir ließen die anderen mit ihrer Trauer ebenfalls allein.

Abends lagen wir beide in Marie's Schlafzimmer, im Bett. Keiner von uns wollte in dieser Nacht allein sein. Sogar Bob hatte sich zu uns gelegt. Tiere merken ja bekanntlich, wenn es uns Menschen nicht gut ging und so kam es, dass er jedes Jahr mit im Bett lag.

Lea war meine Halbschwester, doch ich sah sie als meine "ganze" Schwester an und nannte sie auch nie Halbschwester. Ihr Vater war nach ihrem Tod gegangen und hatte uns somit verlassen. Marie schien einfach kein Glück mit Männern zu haben. Denn jeder ließ uns irgendwann allein. Wir hatten uns aber schon länger daran gewöhnt, dass wir allein wohnten. Und es gefiel uns sogar ganz gut.

Es war ein Freitag gewesen, dieses Jahr, an dem Leachen Geburtstag hatte, was bedeutete, dass wir ausschlafen konnten. Obwohl man sich denken konnte, dass wir eben nicht schlafen konnten.

Die ganze Nacht waren wir wach, aber sprachen kein Wort. Es könnte ja jemanden von uns abhalten, doch noch einzuschlafen. Das war allerdings nur bei meiner Mom der Fall.

Um acht Uhr stand ich also schließlich auf und machte uns Frühstück. Kurz danach kam meine Mom die Treppe herunter. "Morgen, Schatz.", sie sah müde aus. "Konntest du etwas schlafen?", fragte ich sie mit einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen. "Wie immer...", mit dieser Aussage wusste ich, dass sie wieder Alpträume hatte. Auch das war wie jedes Jahr, seitdem Lea nicht mehr lebte.

Mom und ich waren mal bei einem Psychologen gewesen, wegen der Geschichte. Doch der war kalt und emotionslos gewesen. Wenn wir von Lea's Lebzeiten gesprochen hatten, hatte er immer wieder wiederholt, dass "es eben jetzt nicht mehr so war und unsere Tochter und Schwester Lea Pauline jetzt tot war und nie wieder zurück kommen würde."

Danach waren wir tränenüberströmt aus der Praxis gestürmt und hatten uns dort nie wieder blicken lassen. Zusätzlich waren wir seitdem auch nie wieder bei einem anderen, weil wir Panik davor hatten. Und genau davon träumte Mom immer wieder, in der Nacht von Lea's Geburtstag und in der Nacht von ihrem Todestag, welcher zwei Monate und eine Woche nach ihrem zweiten Geburtstag war.

Lea war fast immer im Krankenhaus gewesen. Wenn man es zusammenrechnete, war meine kleine Schwester bloß acht Monate ihres Lebens bei uns Zuhause gewesen, doch diese acht Monate waren die schönste Zeit. Wir haben viel mit ihr unternommen, damit wir wenigstens ein paar Fotos aus schönen Zeiten hatten. Diese Fotos schauten wir uns manchmal gemeinsam an.

Nun saßen wir schweigend am Tisch und aßen. "Willst du dir eine Freundin einladen? Um dich abzulenken?" Ich schüttelte den Kopf. "Ich habe nur eine Freundin aus der alten Schule. Montag beginnt das College. Weißt du noch?" Sie lächelte. "Natürlich weiß ich das noch. Aber was hindert dich daran deine Freundin aus der alten Schule einzuladen?", da hatte sie eigentlich Recht. Was hinderte mich daran, Mona zu fragen, ob sie her kommen möchte?

"Okay, du hast Recht." Wieder lächelte sie. Ein echtes Lächeln, welches ich seit Stunden nicht mehr gesehen hatte. Ich zückte also mein Handy.

"Hey Mona, magst du vorbeikommen?:)", tippte ich ein.

Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Mona kannte meine Vergangenheit. Sie war immer für mich da und sie wusste, was sie tun musste, um mich zum Lachen zu bringen. Umgekehrt war es genauso. Ich sah sie wie eine Schwester an und sie mich auch.

"Cara Schatz. Natürlich komme ich. Ablenkung gefällig?"
Sie hatte es also nicht vergessen. Obwohl wir uns länger nicht gesehen hatten, da wir vor nicht allzu langer Zeit die Realschulzeit abgeschlossen hatten.

"Ja, du kennst mich einfach zu gut...", schrieb ich zurück und schaute meiner Mom mit einem Lächeln ins Gesicht. "Sie kommt." Sie nickte und biss ein letztes Mal von ihrem Brötchen ab.

Zusammen räumten wir den Tisch ab und danach klingelte es auch schon. "Cara!", rief Mona lächelnd und warf sich regelrecht in meine Arme. Ich erwiederte die Umarmung und merkte, wie sehr ich sie vermisst hatte. "Mona.", lächelnd begrüßte Marie meine beste Freundin. "Hallo, Misses George.", Mona erwiederte das ehrliche Lächeln meiner Mom.

"Mensch, Kind! Wie lange kennen wir uns nun schon? Zehn Jahre? Ich habe dir schon immer gesagt, du sollst mich duzen.", lachte sie. "Ja, gefühlt zehn Jahre.", sagten Mona und ich wie aus einem Mund. "Hallo, Marie!", lachte Mona nun.

Somit schlossen wir die Haustür und setzten uns an den Tisch. Das war eine Art Ritual, wenn Mona da war. Meine Mom machte uns allen eine heiße Schokolade und stellte Kekse auf den Tisch. Dann redeten wir über alles und nichts und manchmal spielten wir dann noch ein Brettspiel. Auch heute. Das Brettspiel und das reden über alles und nichts half auch Marie und war eine Ablenkung für sie.

Hey!:) Ich werde versuchen, jedes Kapitel so lang zu schreiben, wie dieses:) 1371 Wörter :D

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top