Teil 39
Als ich die Einfahrt zu unserem Haus hochfuhr und den Motor abstellte, klang diese plötzliche Stille sonderbar.
Der ganze Morgen war gefüllt gewesen mit Geräuschen. Der starke Wind, der einem die Haare ins Gesicht wehte, das Meeresrauschen, die laute Musik im Auto, meine Stimme, Bens Stimme. Jetzt hörte ich ihn nur leise neben mir atmen, hörte mein eigenes Herz, wie es nun schon seit fast 18 Jahren im gleichen Takt gegen meine Brust hämmerte.
Die Stille ließ mich die Magie noch einmal mehr fühlen, ich hatte das Gefühl sie ergreifen zu können, sie einzuatmen. Ich sah zu Ben rüber, sah wie sich das immer noch orangene Morgenlicht in seinen langen dunklen Wimpern verfing, und seine Augen leuchten ließ. Er drehte den Kopf und sah mich nun direkt an. Blau traf auf Braun-Grün, Kälte auf Wärme, Energie auf Energie. Seine Lippen verzogen sich zu einem sanften Lächeln und seine rechte Hand fuhr sich durch die Haare. Ich erwiderte das Lächeln. "Danke."
"Wofür?" fragte er leicht verwirrt zurück.
"Für diesen Morgen."
Er schwieg einen Moment, dann stahl sich das Lächeln wieder auf seine Lippen und er stupste mit dem Finger gegen meine Nasenspitze. "Da muss ich mich eher bei dir bedanken, Prinzessin."
Ich grinste zurück und musste unwillkürlich an seine kleine gestrige Gesangseinlage denken. Ich griff zu der Tüte zu Bens Füßen, in der das Frühstück für meine Eltern war, und öffnete die Autotür. Ben tat es mir nach und gemeinsam betraten wir das Haus.
Wie ich erwartet hatte lag Dad noch im Bett und Mom stand unter der Dusche. Ben und ich begannen den Tisch zu decken und ich stellte einen Sender im Radio ein, der die besten Hits der 70er, 80er und 90er spielte. Wir tanzten und sangen schräg, während wir Teller und Besteck auf dem Tisch verteilten, der in der Mitte unseres gemütlichen Wohnzimmers stand. Lange war ein Morgen nicht mehr so voll mit Glück und Lebensfreude gewesen.
Morgenlicht fiel durch die großen Fenster, die zur hinteren Veranda und raus in den Garten führten, der Geruch von frischem Kaffee füllte die Luft und die Pfannkuchen dufteten wunderbar. Plötzlich stand Dad in der Tür und grinste uns an. Ich bemerkte ihn gleich, doch Ben war immer noch am Erdbeeren schneiden und sang währenddessen laut und schief zu "Breakfast At Tiffany's". Dad unterdrückte ein lautes Lachen und auch ich musste mir auf die Lippe beißen. Als Ben schließlich aufsah und bemerkte, dass wir über ihn gelacht hatten, grinste er und sah erst mich und dann meinen Dad an. "Oh hi, Mr. Black" sagte er lachend, wischte sich die Hand an der Hose ab und trat auf Dad zu um ihm die Hand zu geben. "Ich bin Ben." stellte er sich immer noch grinsend vor.
"Hi" erwiderte Dad freundlich und sah mich fragend an. "Wir haben ein paar Kurse zusammen und ich hab ihn eben zufällig beim Frühstückholen getroffen und dachte mir ich lade ihn mal ein." log ich gekonnt. Meine Eltern wären nicht begeistert wenn sie wüssten, dass ein 'fremder' 18 jähriger hier gestern Nacht betrunken Steine an mein Fenster geworfen hatte und ich ihn dann auch noch bei mir übernachten ließ...
"Außerdem müssen wir dieses blöde Projekt zusammen machen, das Mr. Smith uns gegeben hat."
"Ja ich erinnere mich, deine Mutter hat mir davon erzählt." antwortete Dad.
"Ich hab Pfannkuchen für euch" sagte ich verführerisch. "Ich sehe, unsere Erziehung ist doch nicht vollkommen gescheitert." erwiderte er grinsend und nahm sich eine Tasse Kaffee. "Also Ben, findest du dieses Projekt genauso blöd wie meine Tochter oder kannst du einen Sinn darin erkennen?"
Ben überlegte kurz während er die Schale mit Erdbeeren auf den Tisch stellte. "Also um ehrlich zu sein, finde ich es genauso blöd wie Liv." er grinste mich an und ich grinste zurück. Verbündete.
"Wisst ihr was ich denke? Ich denke Mr. Smith will eure sozialen Kompetenzen fördern und euch anregen Zeit mit Leuten zu verbringen, mit denen ihr sonst nichts unternommen hättet. Ihr zum Beispiel: hättet ihr euch jemals befreundet wenn es dieses Projekt nicht gäbe?"
Die Art wie Dad es formulierte ließ mich kurz innehalten. Er hatte Recht. Ben und ich waren mittlerweile befreundet, so komisch es auch klang wenn man auf unsere Vergangenheit zurücksah.
"Mhm, nun ja..."
"Seht ihr." gab Dad zurück. "Er will euch beibringen, dass man sich manchmal wohl oder übel mit Personen auseinandersetzen muss, mit denen man glaubt nicht zurechtkommen zu können. Manchmal muss man sich eben zusammenreißen und auf Leute zugehen."
"Okay, genügend Lifelessons für heute, Dad" sagte ich und holte die Pancakes aus der Mikrowelle.
"Darf ich fragen was Sie beruflich machen?" fragte Ben.
"Ich unterrichte Literatur an der UC San Diego."
"Oh wow" antwortete Ben, grade als meine Mom hereinkam. Mit einem Handtuch auf dem Kopf sah sie erst zu Ben, dann zu mir und dann zu Dad. "Das ist Liv's Freund." erklärte er kurz. Mom's Augen weiteten sich. "Oh dann musst du also Kyle sein!" Oh mein Gott, peinlicher konnte es nicht werden. Sie trat auf Ben zu und wollte ihm die Hand geben. Wow, war das unangenehm. Ich wusste Ben konnte Kyle aus irgendeinem Grund nicht leiden und dann noch mit ihm verwechselt zu werden...
"Ähm, nein, ich bin Ben." gab dieser nur kurz zurück.
"Mom, Ben ist ein Freund."
"Ooohh...okay. Hi, Ben. Tut mir leid." sie setzte sich schnell auf den leeren Platz neben Dad und nahm einen großen Schluck Kaffee. "Oh wow, Schätzchen, du hast uns ja Pancakes geholt." sagte Sie um das unangenehme Schweigen zu durchbrechen.
Nach dem, zu anfangs ziemlich unangenehmen, doch später recht amüsanten Frühstück bot ich Ben an ihn heimzufahren, da ich sowieso vorhatte Em mal wieder zu besuchen. In letzter Zeit hatten wir viel zu wenig miteinander gemacht, dies lag vermutlich daran, dass wir beide nun ein einigermaßen aufregendes Liebesleben besaßen. Hehe.
Ben verabschiedete sich höflich von meinen Eltern, während er meinem Dad die Hand gab, zog Mom ihn in eine überraschende Umarmung. Ben war zu Anfang ziemlich steif, vermutlich durch den Schock, doch erwiderte die Umarmung nach einigen Sekunden.
"Ich hoffe wir haben dich nicht verschreckt und du kommst uns bald wieder besuchen!" sagte Mom und lächelte Ben an. Ben grinste sein typisches Grinsen und nachdem er sich nochmal bedankt hatte, gingen wir aus dem Haus.
Im Auto ging Ben erneut die Kassetten meines Dads durch und entschied sich diesmal für Jimmy Hendrix. Lachend und singend fuhren wir davon. Mit keinem machte Autofahren so viel Spaß wie mit Ben, ich glaube das wird unser Ding. Einfach in der Gegend rumfahren, mit guter Musik und einem Lächeln auf den Lippen. Unsere Heimat hinter uns und das Unbekannte vor uns.
Ben dirigierte mich in die Richtung seines Zuhauses und mir wurde bewusst, dass ich keine Ahnung hatte wo Ben wohnte. Irgendwann bestand Ben darauf, dass ich ihn am Rand der Straße rausließ. Auch wenn mir das nicht ganz recht war, da ich wissen wollte wo er wohnte, lies ich ihn an der gewünschten Stelle raus. Mit einem Grinsen bedankte er sich und stieg singend aus dem Auto. Als ich losfuhr sah ich ihn noch im Rückspiegel winken und musste schmunzeln.
Mit einem mir unbekannten guten Gefühl im Bauch kam ich bei Em an, pfeifend lief ich zu ihrer Tür und klingelte gar nicht erst, sondern ging einfach rein. Auf dem Weg zu Ems Zimmer nahm ich mir in der Küche eine Tüte Chips und sagte Ems Mom, Karen, Hallo, dann schlenderte ich weiter zu Em. Doch hatte ich noch eine Hürde zu überwinden. Jake. Em's älterer Bruder. Er war 19 und das größte Arschloch ever.
"Jo Alter, letztens hab ich so ne 30 jährige geknallt, ich glaube die hat sogar schon Kinder!" hörte ich Jake sagen, als ich die letzte Treppenstufe erreicht hatte. Natürlich jubelten und beglückwünschten ihn alle seiner so genannten 'bros' als hätte er ein Mittel gegen Alzheimer gefunden.
"Glückwunsch, wenn dich halt sonst keine nimmt." sagte ich, mit verschränkten Armen im Türrahmen stehend. Auf mein Kommentar hin 'ohh'ten' alle seine Freunde und ich grinste.
"Danke, danke. Vielen dank meine Fans!" sagte ich während ich mich verbeugte und mich dann weiter auf den Weg zu Ems Zimmer machte.
"Jo, Babe, warte doch mal!" rief mir Jake hinterher und ich rannte so schnell ich konnte ein Stockwerk hoch zu Ems Zimmer. Ich hörte das mir Jake dicht auf den Fersen war und riss die Zimmertür auf, schmiss mich rein und schloss hinter mir ab. Dann lies ich mich an ihr zu Boden sinken und meinen Kopf gegen die Tür fallen. Ich hörte wie Jake hinter ihr fluchte und lachte.
Auf eimal hörte ich ein Räuspern und riss die Augen auf. Oh shit. Em, Ridion ohne Oberteil, Bett und miteinander verschlungene Körper. Jep, mein Timing war schon immer so perfekt. "Arg!! Meine Augen!!" schrie ich und drehte mich schnell wieder um. Ich hob ich die Chipstüte, die ich unten hatte mitgehen lassen und sagte: "Mädelsabend?".
Ich hörte Em lachen und Ridion wie er aufstand. Als ich sicher war, dass er wieder vollständig bekleidet war, drehte ich mich vorsichtig um. Immer noch lachend und Kopf schüttelnd stand er vor mir und hob die Hände. "Oh man! Okay, okay ich geh ja schon!" Er drehte sich nochmal um und gab Em einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie kicherte. Fast hätte ich ge-awwt, doch dann erinnerte ich mich daran das ich so etwas ja nicht tue und verdrehte stattdessen die Augen. Ich erhob mich vom Boden, sodass Ridion rausgehen konnte. Im Vorbeigehen wuschelte er mir durch die Haare und sagte "Bye, Livie!"
Als er Draußen war drehte ich mich zu Em, welche schon vom Bett aufgestanden war und wir vielen uns kreischend und lachend in die Arme. Mir war nicht bewusst wie sehr ich das hier vermisst hatte.
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