Teil 26

"Danke fürs Bringen" rief ich meinem Dad noch zu, bevor ich aus dem Auto stieg und die Tür nicht schloss. Warum ich das tat wusste ich nicht, es war so eine Angewohnheit von mir oder so, aber ich ließ die Wagentür tatsächlich immer offen, natürlich sehr zum Leid meiner Eltern.
Mit meinem Gitarrenkoffer in der Hand lief ich auf das große Haus zu, das mir Ben schon bei unserem letzten Treffen als seinen Lieblingsort vorgestellt hatte. Beziehungsweise das Dach des Hauses, wo er anscheinend oft zum Nachdenken hinkam.
Das Gebäude stand in mitten einer Ansammlung von Protzvillen und teuer aussehenden Hochhäusern, deren Penthouse Wohnungen bestimmt einiges hermachten. Eigentlich passte es gar nicht in diese Gegend.
Meine Hand berührte das kalte Metall des Türgriffs und überraschenderweise konnte ich sie aufdrücken. Eigentlich hatte ich damit gerechnet die Tür verschlossen vorzufinden, doch ich hatte Glück.
Als ich ungefähr Zweidrittel der Stufen nach oben hinter mir hatte, bemerkte ich plötzlich einen stechenden Schmerz in meiner Brust. Ich ließ augenblicklich meinen Koffer fallen und knickte zusammen.
Ich setzte mich auf eine der Stufen und bemühte mich die Ruhe zu bewahren. Scheiß Krebs.
Tief durchatmend presste ich mir mit einer Hand gegen den Brustkorb und stützte mich mit der anderen am kalten Steinboden ab.
Etwas zu berühren half mir immer. Es erinnerte mich daran das es noch etwas anderes gab als meinen Schmerz und die Angst die ich verspürte. Ich stellte mir vor wie die Kälte der Steine durch meine zitternden Fingerspitzen meinen Arm hinauf rann und sich in meinem ganzen Körper verteilte.
Wie diese Kraft gegen den Schmerz in meinem Körper ankämpfte und ihn schließlich soweit besiegte, dass ich die Hand von der Brust nehmen konnte um mir die Tabletten aus meiner Tasche zu holen. Die Tabletten, die mich immer wieder gerettet hatten.
Immer noch zitternd öffnete ich die Dose, kippte mir zwei der kleinen Pillen auf die Handfläche und beförderte sie dann in den Mund. Erschöpft lehnte ich den Kopf nach hinten an die Wand während meine Hände immer noch krampfhaft die Medikamentendose umklammerten. Ich schloss die Augen und wartete darauf, dass die Tabletten wirkten. Tief durchatmend saß ich ungefähr noch zehn Minuten so da, bis ich plötzlich Schritte von unten kommen hörte. Schnell richtete ich mich auf und setzte mich grade hin.
Ben kam die Treppe herauf gejoggt und schaute irritiert als er mich sah.
"Liv. Was machst du denn hier? Ich dachte du wartest oben, geht's dir gut?" Fragte er mit besorgtem Unterton in der Stimme. "Ja, alles bestens" gab ich nur knapp zurück und klemmte mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Irgendwie wollte ich vor Ben nicht zugeben das ich so schwach war und stand schnell auf.
"Gehen wir?" Fragte ich und hob meinen Gitarrenkoffer wieder vom Boden auf. Arme Gitarre (übrigens heißt sie Patrick).
Er nickte nur irritiert und folgte mir dann die restlichen Treppen hoch. Es war immer noch anstrengend und ich spürte nun ein scharfes Schneiden im Hals, doch ich biss die Zähne zusammen. Ich würde das schon schaffen.
Und tatsächlich: ich erreichte das Dach und schaffte es auch die letzten Leitersprossen hochzuklettern, ohne erneut zusammenzubrechen.
Ben breitete wieder die Decke vom letzten Mal aus und wir setzten uns, er mit dem Rücken an die Betonwand gelehnt, ich gegenüber von ihm im Schneidersitz. Ich beobachtete ihn. Die dunkel braunen Haare, die ihm in genau der richtigen Länge in die Stirn fielen, die langen, dunklen Wimpern, die seine grün-braunen Augen umspielten und die hohen Wangenknochen.
Die großen, sehnigen Hände, die nun langsam in die Jackentasche seiner abgewetzten Jeansjacke glitten und ein Päckchen Zigaretten heraus holten. Die langen, schmalen Finger, die das Päckchen jetzt aufklappten, eine Zigarette herauszogen und sie langsam zwischen die vollen Lippen schoben. Und während all dessen ruhte sein Blick auf mir. Sein fester, ehrlicher und wie ich fand ein wenig verletzlicher Blick lag die ganze Zeit auf mir. Wir beobachteten uns gegenseitig, studierten die Bewegungen des anderen und schwiegen beide, doch es war diese angenehme Art Schweigen, die, die ich auch bei Kyle immer spürte. Eine Stille, von beiden gewollt und akzeptiert.

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Ich beobachtete sie ganz genau. Für diesen einen Moment war es mir völlig egal das ich sie nicht so fixieren sollte, sie hatte einen Freund, an den ich jetzt gar nicht denken wollte, weil ich mich sonst sofort wieder viel zu sehr aufregen würde, aber das war mir in diesem Moment alles egal. Ich betrachtete ihr Gesicht, die langen braunen, leicht gewellten Haare, die es einrahmten und natürlich ihre Augen. Sie hatte wunderschöne Augen. Eine Farbe die man mit Worten nicht beschreiben konnte. Ich weiß das hier klang alles als würde ich für Liv schwärmen, aber das tat ich nicht. Glaube ich. Sie war einfach ein schöner Mensch und warum sollte ich sie dann nicht auch als einen solchen betrachten?
Ich spürte wie ich lächeln musste und die Zigarette in meinem Mundwinkel auf und ab wackelte. Ich wand den Blick ab und fischte ein Feuerzeug aus der Tasche, mit dem ich sie anzündete.
Die Augen geschlossen, nahm ich einen tiefen Zug. Sofort entspannte ich mich und merkte wie der Rauch meine Lungen flutete. Es war als wäre das Rauchen eine Sache für sich. Ich weiß es klang lächerlich doch die Art wie ich zog, nicht dass es besonders gewesen wäre, war etwas individuelles, etwas das nur ich auf eben genau diese Weise tat, und das war doch wenigstens eine Sache die ich anders machte als alle anderen verdammten Menschen in dieser Stadt, diesem Land, auf diesem Planeten. Eine winzig kleine Rebellion gegen das System.
"Ist dir dein Geld nicht etwas zu schade um es jeden Tag für Zigaretten auszugeben?" Schaltete sich Liv plötzlich ein und ich öffnete die Augen. Mit Daumen und Zeigefinger nahm ich die Zigarette aus dem Mund und atmete erst einmal lange aus.
"Ehrlich gesagt nicht." Antwortete ich dann.
"Weißt du, du musst dir einfach nur klarmachen, das Geld nichts weiter als Papier ist und dann lässt es sich ganz einfach leben."
"Ja, dazu muss man aber genug von diesem sogenannten Papier haben."
"Das stimmt" gab ich ihr Recht und ging nicht weiter darauf ein. Ich zog einen zerkrumpelten zwanzig Dollar Schein aus meiner Hosentasche und dann das Feuerzeug.
"Waaaas?!" Kreischte Liv plötzlich. "Bist du irre?"
"Mh vielleicht. Jedenfalls halte ich nichts von Papier" sagte ich und mit diesen Worten entzündete ich den Schein. Liv sprang auf und wollte auf mich zulaufen, mich vermutlich erschlagen, doch ich stand ebenfalls auf und lief zum Rand des Dachs, wo ich den Schein losließ und er langsam, brennen hinabsegelte. Als er unten angekommen, und so gut wie nichts mehr von dem Geld übrig war, sah ich wieder auf und bemerkte das Liv direkt neben mir stand.
"Also soeben habe ich den Glauben an dich vollständig verloren, Benjamin Parker. Das kannst du doch nicht machen"
"Oh doch, ich kann. Ich kann genauso, wie alle diese Menschen hier, alle auf der Welt, in Geschäfte gehen können und sich mit Papier kaufen können was sie wollen. Genau so kann ich dass."

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Hello Ihr Leute.
Haha mal was anderes, hoffen es gefällt euch xx

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