Kapitel 9
„Schon wach?"
Ich zuckte vor Schreck.
Meine Schwelgerei wurde von einer männlichen, tiefen Stimme unterbrochen.
Mein Blick wanderte zurück zum Bett. Bryan!
Schlagartig erwachte das Pochen in mir und ich erglühte.
Trau dich! Na los, frag ihn!
Mein inneres Ich schob mich wortwörtlich der Verantwortung entgegen.
Verlegen versuchte ich, die richtigen Worte zu finden.
Eine schwierige Aufgabe für mich.
"Haben wir... miteinander...".
Mit Gesten bemühte ich mich genügend auszudrücken.
„Nein, Harriet. Wir hatten keinen Sex."
Wie er dieses Wort aussprach und dazu noch so kühl und ungestüm.
Ich hätte es nie so leichtfertig über die Lippen gebracht.
„Obwohl ich zugeben muss, dass es mir wirklich schwer fällt, dir zu widerstehen. Du warst wirklich süß gestern."
Ein träumender Blick zierte sein Gesicht. Wie konnte er nur?
„Hören Sie auf."
Entsetzt sah er mich an.
„Was ist denn?"
„Was ist? Sie haben es schamlos ausgenutzt, dass ich gestern Abend betrunken war."
„Schamlos ausgenutzt? Ich habe dich in Sicherheit gebracht."
Ha! Sehr lustig. Seine Ausreden konnte er sich sparen.
„In Sicherheit gebracht?" Vorwurfsvoll schweifte mein Blick von ihm ab und ich
verdrehte die Augen.
„Du kannst dich wahrscheinlich nicht erinnern, aber einige männliche Angestellte hatten ein Auge auf dich geworfen. Du warst sturzbetrunken. Die hätten es sicher schamlos ausgenutzt."
Ich japste auf, wobei ich ihn wieder betrachtete.
Seine rabenschwarzen Haare flogen bei jeder kleinen Bewegung wild umher.
So sahen sie also ohne Gel aus.
Sein Körper sah unglaublich trainiert aus, war auch nicht anders zu erwarten. Muskeln, Sixpack, Unterwäsche von der teuersten Marke.
Ah, nein, nein, nein.
Das wollte ich gar nicht sehen.
Er erhob sich und kam auf mich zu. Mein Atem blieb stehen.
Was hatte er jetzt vor?
„Ich habe dich gestern hierher gebracht, als du wieder vor Schwindel, beziehungsweise vor Alkohol zusammengebrochen bist. Du verträgst so wenig und betrinkst dich so?"
„Das geht Sie nichts an. Außerdem, Sie waren es doch, der mich provozierte hatte."
„Provoziert? Du hast auf eigene Faust so gehandelt, weil du mir anscheinend noch unser Gespräch verübelt hattest."
Seine Worte klangen tadelnd, doch ich hatte mich schon längst auf etwas anderes fokussiert.
„Hör mal, ich kannte deine Adresse nicht und Walter hatte seinen freien Tag. Was hätte ich denn sonst tun sollen?"
Das klang leider alles ziemlich logisch. „Hörst du mir überhaupt noch zu, Harriet? Harriet!"
„Äh, ja!"
Er schmunzelte schelmisch. Impulsiv drückte er mich an sich, wobei ich seine Morgenerektion spüren konnte.
Ich keuchte auf.
Wieso konnte ich mich plötzlich nicht mehr beherrschen?
„Was? Hat es dir etwa die Sprache verschlagen?"
Ich errötete.
Mein Versuch, ihn wieder wegzudrücken, misslang mir natürlich, wie jedes Mal.
Er hatte mich vollkommen umschlungen. Bedacht strich er über meine Wangen, hinab zu meinem Hals, wo er anfing mich mit Küssen zu übersähen.
Sein heißer Atem blies mir dabei um die Ohren, was mich ziemlich anmachte.
„Nicht..."
Er reagierte nicht.
Viel zu sehr war er bereits damit beschäftigt, mich verrückt zu machen. Nein!
„Gefällt es Ihnen nicht?"
Oh, hatte er etwa gemerkt, dass es mir unangenehm war? Dieser verdammte Frauenheld, jetzt fing er auch noch an meine Körpersprache zu sprechen.
„Sir, ich möchte das eigentlich gar nicht."
„Dein Körper sagt aber etwas anderes."
Vor Scham spürte ich wie die Röte mir immer mehr ins Gesicht stieg. Auf meiner Stirn stand wohl gut leserlich geschrieben Jungfrau an Bord oder so etwas Ähnliches.
Jedenfalls deutete sein verschmitztes Grinsen darauf hin, dass ihm klar war, was vor sich ging.
Ich wollte es nicht, weil ich nicht wusste, wie es ging.
Und was meinte er mit Dein Körper sagt was anderes?
Mein Körper wusste nicht einmal, was gerade vor sich ging, weil er es noch nie erfahren hatte!
Doch er schien sich tatsächlich nicht zu wehren.
An was lag das nur?
Gefiel es mir etwa doch?
Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Bryan schaffte es, all meine Sinne zu einem Brei zu mixen und dieser Brei sorgte wiederum dafür, dass mir kein neutrales Urteilsvermögen mehr zustand.
Er stoppte kurz.
Ich sah ihn an.
Wahrscheinlich war ich gerade der verblüffteste Mensch dieser Welt, es spiegelte sich hundertprozentig in meinen Augen wieder. Verlegen warf ich den Blick in die Ferne.
„Willst du mehr?"
Sein Blick wurde immer lüsterner und wilder, seine Augen verengten sich.
Ein Kribbeln durchfuhr mich. Was hatte er gerade gesagt?
Wie meinte er das?
Er wollte doch nicht... oder etwa doch?
„Ich. Ähm..."
Na komm, reiß dich zusammen Harriet!
„Genug."
Diamonds ließ mich ruckartig los und trat von mir weg.
Ich hingegen sackte zusammen.
Das alles, seine Begierde, seine Zärtlichkeit, seine Strenge, es war mir zu viel.
Mit einem beherrschten Blick wandte er sich von mir, legte den Kopf schief, während er aus dem anderen Panoramafenster sah.
Herr Gott, alles war umgeben von Glas. Wollte er etwa dem Firmengebäude Konkurrenz machen?
Doch das war eigentlich nicht der springende Punkt.
Was hatte dieser abrupte Rückzieher seinerseits zu bedeuten?
„Mr. Diamonds, ich meine Bryan, ich meine... was soll ich denn jetzt eigentlich sagen?"
Angeheizt versuchte ich einige
Schritte auf ihn zuzumachen, doch er missachtete mich immer noch.
„Miss Stones, ich werde mich jetzt zur Arbeit begeben. Sie können heute ruhig erst später anfangen, ruhen Sie sich aus."
Warum siezte er mich wieder? Warum konnte dieser Mann nicht einfach mal aussprechen, was er dachte.
Anstatt mich mal mit Abweisung und mal mit plötzlicher Konfrontation zu überraschen, hätte er mir auch einfach zur Abwechslung mal seine ehrlichen Gedanken verraten können.
„Mr. Diamonds, danke. Bevor Sie mich so im Dunkeln stehen lassen, habe ich noch eine Bitte an Sie."
„Die wäre?"
„Seien Sie einfach ehrlich zu mir, das wäre mir viel wert."
Ich schlängelte mich an ihm mit einem tristen Lächeln vorbei und landete in seinem Wohnzimmer.
Aus irgendeinem Grund war es mir gerade egal, dass ich nur Unterwäsche trug.
„Wow!" Meine Verwunderung galt nicht der Größe, viel mehr der Ausstattung.
Ja, es gefiel mir richtig gut.
Er hatte wieder einmal Klasse und Stil bewiesen.
„Bitte, Sie sollten gar nicht hier sein."
Ich warf ihm einen schiefen Blick zu.
„Sie-", ich tippte mit meinem Finger auf seine Brust und sah ihn funkelnd an
„Sie waren es doch, der mich hierher gebracht hat. Also beschweren Sie sich nicht, wenn ich mich jetzt umsehe."
Er verdrehte die Augen. Dann drehte er sich um und kramte etwas aus einem Schrank heraus.
„Hier." Ein schwarzes T-Shirt kam mir entgegen geflogen.
„Zieh das an."
Ich folgte seinen Anweisungen und legte es an.
„Wenn ich fragen darf, warum siezen und duzen Sie mich abwechselnd. Sie verwirren mich."
Er sah mich kritisch an, fasste sich dann an die Stirn.
„Ich weiß es nicht."
„Wie meinen?"
„Ich sagte, dass ich es selbst nicht weiß."
„Das kaufe ich Ihnen nicht ab." Protestierend stütze ich die Hände in die Hüften und wartete auf eine vernünftige Erklärung.
Meine momentane Situation erlaubte mir einen koketten Auftritt, was ich ausnutzen musste.
So durch den Wind war Diamonds mir noch nie untergekommen. Sein Auftreten war irritierend, als würde ihm etwas ihm Weg stehen, mir aufrichtig zu antworten.
Doch er versuchte es.
Wirklich hart.
„Passen Sie auf, ich will Sie eigentlich duzen, aber ich bin dem nicht gewillt. Ich darf nicht, okay? Ich muss Regeln befolgen. So wie Sie und der halbe Rest der Menschheit. Denken Sie, es macht mir Spaß, noch dazu, wo ich-"
Er hielt inne.
„Wo Sie...?" Ich versuchte nachzuhaken. „Vergessen Sie's. Haben Sie jetzt genügend Informationen erhalten?"
Ganz zufrieden war ich nicht, es lag ihm immer noch etwas auf dem Herzen, ich konnte es spüren.
Aus seinen Worten schrie das Bedauern nur so heraus.
Und doch machte er es sich selbst so schwer.
Und ich gab nach.
„Ja. Vielen Dank für Ihre Ehrlichkeit."
Ich senkte den Kopf um meine Enttäuschung klein zu machen.
„Kein Problem."
Anscheinend war es ja doch ein Problem, aber ich wollte nicht mehr auf ihm herum trampeln.
Er hatte sich bereits, für seinen Geschmack, genug eingestanden. Aufgewühlt, es war klar zu beobachten, fuhr er sich durch sein wirres Haar, versuchte es zu ordnen, es zu kontrollieren.
Unmöglich.
Nicht vertretbar.
„Verdammt!", fluchte er.
Ich legte den Kopf schief, er betrachtete mich.
„Hören Sie, ich muss jetzt wirklich los. Ruhen Sie sich aus. Schlafen Sie ihren Kater aus und kommen sie mittags wieder."
„Sir, wie Sie wünschen."
Sichtlich erstaunt sah er mir entgegen. „Wie war das?"
„Ich sagte", wiederholte ich
„Wie. Sie. Wünschen." Er schmunzelte. „Was, keine Widerrede?"
„Keine Widerrede."
Lachend spazierte er wieder ins Schlafzimmer, ich folgte ihm. Anscheinend hatte ich ihn soeben unüberlegt vergnügt.
„Sie können gleich mit mir mitfahren, wenn Sie sich beeilen. Walter wartet unten."
„Darf ich denn?"
„Warum denn nicht?"
„Naja, wenn wir gesehen werden..."
Ich fuhr mir durchs Haar. Es war gekräuselt und platt gedrückt vom Kissen, doch es saß noch.
Diamonds schwieg einige Sekunden während er sich in seinen teuren Anzug begab.
Er war wirklich ein schöner Mann.
Wie?
Ich schüttelte den Kopf. Flausen, nichts als Flausen.
„Das sollte kein Problem sein. Oder
was denken Sie?"
Was ich dachte?
Eine gute Frage.
Im Moment dachte ich daran, ob mir seine definierten Muskeln durch den Anzug davor schon einmal aufgefallen waren.
Eher nicht.
Auf seinem Hemd konnte man sie gut erkennen, trainierte er etwa so oft? Und wann?
Etwa nach der Arbeit?
Herrgott.
Er musste wirklich viel Ausdauer besitzen, wenn er nach all den nervigen Pflichten, denen er nachkam, dann auch noch Zeit für körperliche Verausgabung besaß. Respekt.
„Miss?"
Seine kühle Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
„Ja. Ich meine nein."
„Haben Sie mir wieder nicht zugehört? Was hat Sie denn so abgelenkt?"
Gekonnt zog er seine Krawatte enger. „Etwa mein Anblick? Ich dachte, Sie wollen mir nicht nahe kommen."
„Will ich auch nicht."
„Das sah aber nach etwas anderem für mich aus."
Er kam ein paar Schritte auf mich zu. Seine Mimik wirkte belustigt.
„Vergessen Sie ihre Rolle nicht."
„Rolle?", piepste ich erschrocken.
Was meinte er damit? Wusste er etwas? Bitte nicht!
„Naja, Sie sind immer noch meine Assistentin. Das sagen Sie doch immer."
Ich seufzte erleichtert und dennoch melancholisch.
Was für ein Glück, er tapste im Dunkeln. Und ich hatte schon Befürchten, er wüsste von meinem... Doppelleben.
„Also darf ich mich Ihnen eigentlich nicht nähern, richtig?", hakte er nach.
Er sah mir in die Augen.
„Richtig."
Meine Antwort blieb stumpf.
Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich missgestimmt über das, was er gesagt hatte.
Ich wusste ja, dass ich es war, die immer strengstens predigte, ich sei nur seine Assistentin, doch ich wollte es nicht auf diese Weise von ihm bestätigt haben.
Auf eine solch verletzende, herabschauende Weise.
Verdrossen blickte ich in die Leere hinter ihm.
Er drehte sich um und spazierte zur Tür. Dabei warf er mir noch einmal einen Blick über die Schulter zu.
„Wenn Sie nicht gleich kommen, fahre ich ohne Sie."
Ruckartig wurde ich wieder aus meinem freudlosen dahin Schwelgen in die Realität geworfen, zog mir meine Sachen über und positionierte mich, bereit wie ein Soldat zum Antreten, an seine Seite.
„Fertig!"
Er lachte und packte meine Hand. „Aber-"
„Nun haben Sie sich nicht so, wir sind in Eile."
Hastig zog er mich aus seinem Appartement.
Der Aufzug war leer, als wir ihn betraten und eine unangenehme Stille legte sich über uns nieder.
Während Diamonds sich in unregelmäßigen Abständen räusperte, war ich hingegen durchaus genervt von dieser Atmosphäre.
„Sie wissen aber, dass Sie sich noch nicht bei mir entschuldigt haben? Oder verdrängen Sie das nur wieder?"
„Wieder?"
Er sah mich nur aus dem Augenwinkel an.
Oh.
„Naja, jedenfalls sind Sie mir noch etwas schuldig."
Er wandte sich mir zu.
„Wofür? Dafür, dass ich Sie vor den liebestollen Männern, die ihre angetrunkene Heiterkeit ausgenutzt hätten, gerettet habe? Oder dafür, dass ich sie in ihrem Zustand mit zu mir nach Hause genommen haben, damit Sie sicher sind? Ich denke, ich habe keine Entschuldigung nötig."
Ich senkte den Blick. Mit all dem hatte er selbstverständlich Recht.
Alles was ich tat, war jene Nadel im Heuhaufen zu suchen, um einen Grund zu finden, ihn nicht attraktiv oder bewundernswert zu finden.
Ich konnte es mir selbst nicht eingestehen, dass er ein höflicher und gutaussehender Mensch war.
Er hatte nichts falsch gemacht, viel mehr richtig.
Warum fühlte ich mich nur gerade so elend?
„Schon gut, Sie haben ja Recht."
Meiner Antwort war die Scham deutlich zu entnehmen.
„Hören Sie-", er schob sanft einen Finger unter mein Kinn
„Sie haben keinen Grund mir nicht zu vertrauen. Ich weiß, dass mein ständiges Wechseln an Verhaltensweisen was Sie betrifft, nicht gerade an die genialste Logik grenzt. Dennoch-"
Anmutig strich er mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
Ich bekam leichte Panik.
Er sollte keinen Verdacht schöpfen, darum nahm ich einfach seine Hand.
„Dennoch bitte ich Sie darum, mir dies zu verzeihen und die gemeinsame Zeit mit mir, so wie ich es ebenfalls tue, einfach zu genießen.
So weit Sie das können."
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