Kapitel 2

"Du brauchst dich wirklich nicht wundern, warum deine frühere Sekretärin gekündigt hat".

Es war Bryan Diamonds.

„Sie hat nicht deshalb gekündigt, sondern weil sie dich angebaggert hat, das weißt du!", versuchte sich Danvens zu verteidigen.

„Wie du auch meinst und jetzt geh bitte wieder den Tätigkeiten nach, für die du auch bezahlt wirst."

Verärgert strich sich Diamonds durch sein schwarzes, zurückgegeltes Haar, wobei er sich ein spottendes „Tss" nicht verkneifen konnte.
Um ehrlich zu sein war ich sichtlich froh, dass er gekommen war, dieser Louis schien mir von Anfang an etwas suspekt und unprofessionell zu sein.

„Wie es scheint, muss ich mich wieder an die Arbeit machen, es hat mich sehr gefreut Mrs. Stones", übermittelte mir Louis noch bevor er endlich in den Glaskorridor verschwand.

Als ich mich gerade entschuldigen wollte, kam mir Mr. Diamonds zuvor.

„Es tut mir wirklich Leid, dass Sie an Ihrem ersten Tag schon so einen Stress durchmachen mussten, es war sicher nicht leicht Louis' wirres Gerede anzuhören. Er kann einem wirklich enorm auf die Nerven gehen", versicherte er mir mit einem lockeren Lächeln auf dem Gesicht.

Jetzt musste ich auch lächeln. Allein die Tatsache, dass auch er Louis als Quälgeist empfand, machte ihn mir doch gleich ein Stück sympathischer.

„Sie dürfen ihm aber nicht unbedingt alles glauben, allerdings ist er auch nicht der Typ für Büro-Affären", meinte dieser.

Ich legte meinen Kopf etwas schief. „Und sind Sie es denn?", hackte ich nach.

Auch wenn diese Frage mehr als nur gewagt und unangebracht war, vor allem am ersten Tag, so musste ich doch noch mehr über diesen jungen Chef, den mein Vater damals über alle Maße gelobt, ja fast schon gepriesen hatte, herausfinden. Er warf mir ein skeptisches Lächeln entgegen.

„Ich denke nicht, dass das zu ihren Aufgaben gehört, auch wenn Schlagfertigkeit sicher kein schlechtes Attribut abgibt".

Hatte ich ihn nun verärgert oder verwundert, ich konnte seine Aussage nicht wirklich deuten. Das einzige was ich wusste, war, dass er gekonnt dieser unangenehmen Thematik ausgewichen war, guter Schachzug, Bryan.

„Wenn Sie wollen kann ich Ihnen noch den Rest erklären, da Sie Probleme mit dem Rechner zu scheinen haben", meinte er und kam zu mir auf die andere Seite des Tisches.

„Eigentlich wollte ich mich nur über die grundlegenden Aufgaben meiner Arbeit informieren, aber es scheint keine Aufzeichnungen oder Ordner mit einer kurzen Zusammenfassung zu geben", berichtete ich ihm und hoffte, dass er nicht die deutlich erkennbare Ähnlichkeit zwischen mir und meinem Vater feststellte, der immer noch den Hintergrund zierte.

„Na, dann erkläre ich Ihnen einfach was Sie wann tun müssen".
Er zeigte auf einen Ordner mit dem Titel Nummern.
„In diesem Ordner befinden sich alle wichtigen Kontaktdaten, sollten Sie irgendjemanden zurückrufen müssen. Dort befindet sich auch meine Privatnummer, sowie meine Büronummer, aber ich denke diese 3 Meter Distanz erfordern keinen Anruf", erläuterte er und lächelte mich dabei an.

Er schien ja doch auch nette Seiten an sich zu haben, obwohl sich die strenge Seite definitiv besser zu seinem Auftreten anglich.
Er klickte auf einen anderen Ordner der mit Projekte betitelt war.

„Darin stehen alle Projekte der letzten, sowie der kommenden Jahre, damit Sie auch jederzeit den Überblick über die Leute haben, die Sie anrufen oder die meine Anwesenheit verlangen. Das war alles Wichtige für den technischen Teil Ihres Ressorts, jetzt erkläre ich noch kurz den Rest mündlich, schreiben Sie einfach mit."

Schnell griff ich zu Stift und Papier, das ich auch schon vorher benutzt hatte und schrieb weiter, wo ich aufgehört hatte.

„Sie müssen um 8:00 anfangen und arbeiten im Normalfall bis 18:00 Uhr. Es kann aber durchaus vorkommen, dass ich Ihre Hilfe länger benötige, also stellen Sie sich darauf ein, dass Sie mindestens einmal pro Woche meine Anwesenheit länger ertragen müssen", fuhr er fort, während er erneut lachte.

War er nun etwa doch wieder für Scherze aufgelegt?

„Ich denke, das halte ich aus", entgegnete ich und wurde dieses Mal nicht mit einem schiefen Blick gemustert, sonder weiterhing angelächelt, gut so.

„Außerdem müssen Sie bei den ein oder anderen Meetings dabei sein und Protokoll führen, damit ich aus den Antworten meiner Verhandlungspartner schlüssige Entscheidungen treffen kann, ohne dabei etwas auszulassen".

Ich nickte nebenbei immer wieder, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich alles notiert hatte.

„Gut, das war eigentlich alles Wichtige kurz zusammengefasst, jedenfalls sollte es für den Anfang reichen", versicherte Diamonds mir und strich sich erneut durchs Haar.

Es glänzte rabenschwarz und schien, trotz des gehörigen Anteils an Gel darin, von Natur aus glatt zu sein.

„Ah, da fällt mir gerade noch etwas ein", kündigte Bryan an und warf mir einen charmanten Blick zu.

„Wenn Sie Lust und Zeit haben, ich würde jetzt noch gerne etwas Essen gehen, würden Sie mich denn begleiten wollen? Dann kann ich auch zusätzlich mehr über Sie erfahren, schließlich müssen wir uns in diesem Job gegenseitig zur Hilfe stehen".

Ich merkte auf.
Was war das denn nun für eine schräge Idee?
Natürlich wäre es mir nur von Vorteil, wenn ich so auch noch mehr über ihn erfahren konnte, aber am ersten Tag, ich war völlig überfordert! Noch dazu hatte ich keine passenden Antworten auf Lager, ich musste mir meine Fake-Identität noch genauer aufbauen. Würde ich jetzt mit ihm Essen gehen und er würde mich über mein Leben ausfragen, würde er bestimmt Verdacht schöpfen aufgrund meiner drucksenden, stotternden Versuchen zu antworten.
Ich musste also einen anderen Termin finden, sodass ich zwar das Essen bejahen konnte, aber mir noch konkretere, ausführlichere Lebensinhalte meines vorgespielten Daseins zurechtlegen konnte.
Zumal ich eigentlich nicht gerne Konversationen über mich führte, schon gar nicht, wenn ich mir dann auch noch Unwahrheiten aus meinem Leben als Harriet Stones einfallen lassen musste. Wie sollte ich dies nun herüberbringen ohne mich auch noch gleichzeitig bloßzustellen? Ich gab mir innerlich einen Ruck.

„Mr. Diamonds, das freut mich, aber könnten wir das eventuell auf einen anderen Tag verlegen, ich bin wirklich sehr müde von dem heutigen Tag und würde mich liebend gerne ausruhen".

Er zupfte seine Krawatte zu Recht.
„Nun, dann verschieben wir es doch auf morgen, was halten Sie davon?".

Sein Blick schweifte von seiner Krawatte hoch direkt in meine Augen und für einen kurzen Moment schien es, als hätte seine kristallblaue Iris gefunkelt. Wahrlich, er war attraktiv, aber um das ging es mir bei der ganzen Sache nicht. Ich will nur deinen Charakter näher betrachten, nicht deinen Körper, Bryan Diamonds, dachte ich für mich und setzte ein freches Lächeln auf.

„Gerne, das hört sich gut an", erwiderte ich ihm und es schien sich Zufriedenheit auf seinem Gesicht auszubreiten.

„Das freut mich. Sie haben bestimmt auch noch viele Fragen an mich, die ich Ihnen natürlich aufs Ausführlichste klarzulegen versuchen werde".

Seine Stimme klang erfreut, also ging ich davon aus, dass er es nur gut zu meinen schien. Das hoffte ich immerhin.

„Ach, was ich nicht vergessen darf, Ihnen noch mitzuteilen, dieses Büro hat einen extra Aufzug, hier drüben", er zeigte mit seiner Hand auf einen, zu meinem Erstaunen aus Metall gefertigten, grau-blau schimmernden Aufzug, der sich ein paar Meter neben der Eingangstür zum wichtigsten Büro des Gebäudes befand. Wow, wie konnte mir dieser davor nicht aufgefallen sein und wo zur Hölle musste ich dann im Foyer einsteigen, um auch wirklich in diesem Metallkäfig in dieses Luxusbüro innerhalb von Sekunden zu gelangen? Diamonds schien meinen fragenden Blick deuten zu können und fuhr fachmännisch fort.

„Sie finden diesen Fahrstuhl, wenn sie im Eingangsbereich nicht zu den üblichen Fahrstühlen, sondern noch einmal um die Ecke biegen, er führt nur in dieses Büro. Fragen Sie mich nur bitte nicht, was sich der vorherige Filialleiter dabei gedacht hatte, auch wenn ich ihn wirklich schätze", meinte Bryan.

Langsam Freundchen, wag es nicht die Entscheidungen meines Vaters in Frage zu stellen, auch wenn ich mir diesen Aspekt selbst nicht logisch erklären konnte. Wahrscheinlich war Henry Tibet nur genervt von den üblichen, stets bis zum kleinsten Raum ausgenutzten Glasfahrstühlen, wo man am Ende die übrigen Abdrücke verschiedenster Körperteile deuten konnte. Nun erschien mir dieser Aufzug wieder etwas sinnvoller, auch wenn nur ein wenig.

„Vielen Dank für diese Information Mr. Diamonds, dann kann ich Ihnen morgens noch schneller zur Seite stehen."

Ich legte ein scherzendes Lächeln auf, was er erwiderte.
Dieser Mann schien irgendwie weit aus mehr zu verbergen, als ich es mir zu erdenken gewagt hatte. Schnell ließ ich den Gedanken wieder los, es war Konzentration gefragt.

„Nun ja, ich denke ich lasse Sie jetzt in Ruhe Ihren Feierabend genießen, es war sicher ein harter erster Tag für Sie". Bryan Diamonds klang fast entspannt, als er diese Worte ausgesprochen hatte und ich stellte mir vor, wie er seinen Feierabend genießen würde.
Würde er oberkörperfrei, nur mit einem Handtuch um die Lende bedeckt aus der Dusche kommen?
Er hatte bestimmt ein Sixpack.
Moment, was hatte ich mir da gerade gedacht, verdammt. Mein innerer Instinkt schien wohl eingesetzt zu haben, was mir nur noch mehr verdeutlichte, wie dringend ich jetzt mein gemütliches Bett und einen erholsamen Schlaf benötigte.

„Oh, ah, ja vielen Dank nochmal".

Ich war zu sehr in Gedanken längst woanders, mein Hirn spielte nicht mehr mit und meine Sätze wurden zu wirrem Geschwafel.
Ich bediente mich gleich des Luxusfahrstuhls und musste feststellen, dass er von innen erneut mit Glas bestückt war. Herr Gott, Henry, das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen! Während die Tür sich schloss drehte ich mich um, konnte im letzten Augenwinkel noch ein attraktives Lächeln auf Diamonds Gesicht erkennen, der den Blick anscheinend nicht von mir lösen wollte. Kurzzeitig lief es mir etwas kalt den Rücken hinunter, sein Lachen war beinahe schon durchdringend und seine Augen leuchteten schon wieder so intensiv.
Lag das an der Beleuchtung oder was zum Teufel war das?! Als sich endlich die Türen vollständig geschlossen hatten und ich dem Aufzug beim Hinunter sausen aus dem 41. Stock lauschen konnte, atmete ich völlig erschöpft und tief aus. So hatte ich mir das Ganze wirklich nicht im Geringsten vorgestellt! Es schien eine enorme Menge an Arbeit auf mich zuzukommen, ich sah es schon vor mir.
Eine riesige Lawine, bestehend aus Akten, überschüttete mich persönliche Assistentin und ich würde mich mit all meiner Kraft daran versuchen, mich durch zu wühlen wie eine kleine Maus aus einem Haufen Stroh.
Wie sollte ich es nur schaffen diesem manierlichen jungen Mann mit dem diebischen Lächeln derartig nahe zu stehen und sein Vertrauen zu gewinnen, ja, es schien schier unmöglich. Nachdem ich alle Stockwerke hinter mir ließ und endlich unten im Foyer ausstieg, schienen die Blicke aller Empfangsdamen nur auf mich gerichtet. Ich empfand es als sehr unangenehm, bis eine der vier dann mit ihren Stöckelschuhen auf mich zulief, es sah wirklich lustig aus.

„Entschuldigen Sie, aber haben Sie den neuen CEO getroffen? Wie ist er so, sieht er noch besser von Nahem aus? Haben Sie mit ihm geredet, er ist bestimmt charmant, oder?".

Uhhhg, Fragen über Fragen, warum genau haben sie mich als ihr Opfer ausgewählt, alles was ich wollte war, in Ruhe nach Hause zu fahren und mich entspannen zu können. Mir blieb nichts anderes übrig, als diesen gierigen Elstern meine Antwort wie Silberbesteck vorzuwerfen, sie schienen mich ja bereits umzingelt zu haben.

„Ja, ich habe mit ihm geredet, er ist sehr höflich und..."

„Ja, das habe ich mir gedacht, und riecht er denn auch gut? Er trägt bestimmt das neueste Bleu de Chanel".

Meine Güte, als ob es mich auch nur im Geringsten interessiert hätte, was er für eine Marke Parfum er trägt, solange er nicht nach intensivem Schweiß roch, war mir alles recht.

„Äh, ja er hat gut gerochen, glaube ich, und er ist auch attraktiv, keine Frage. Darf ich denn nun gehen, es war wirklich anstrengend, ihm den ganzen Tag konzentriert zuzuhören und dies und das."

Als ich diese Aussage getätigt hatte tauschten die nett wirkenden Damen ihre verträumte Miene gegen einen feurigen Blick des Todes. Was hatte ich auch schon groß erwartet, sie hatten ihr „Konkurrenzverhalten" aufgrund meiner Antwort aktiviert und der Ausdruck ihrer Augen fauchte mich regelrecht an, sodass man es mit der Angst zutun bekommen hätte können. Wie rigoros!

„Ach, und Sie arbeiten mit seiner Assistentin zusammen oder?".

Ein herablassendes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht von Empfangsdame Annie, ich las ihren Namen von ihrem Schildchen ab, aus und alle anderen Frauen des Rudels amten ihr nach. Ich konnte nicht anders, auf so eine Art und Weise mit mir zu sprechen, ließ ich mich nicht ein.

„Nein, das haben Sie falsch verstanden, ich arbeite nicht mit seiner Assistentin zusammen, ich BIN seine Assistentin", erwiderte ich und belächelte sie mit dem allerliebsten Schmunzeln, das ich wohl jemals getätigt hatte.
Natürlich verzog sie abrupt ihr Gesicht.

„Wenn Sie mich nun entschuldigen, ich habe seit zehn Minuten Feierabend, bis morgen dann".

Ich verabschiedete mich höflich und glitt dann mit einem enthusiastischen Schwung an ihr vorbei, während ich noch einmal, ohne mich umzudrehen, winkte.
Ihre Blicke waren mir jetzt egal, ich wusste, dass ich sie alle verblüfft hatte und sie mich morgen früh sicher nicht grüßen würden, aber das ließ mich genauso kalt wie der Parfumduft von Mr.
Diamonds.
Als ich nun endlich nach gefühlten hundert Stunden wieder einen Schritt in mein Appartement setzen konnte, war ich mehr als nur glücklich und froh. Schnurstracks riss ich die neuen hohen Schuhe von meinen mit Blasen übersäten Füßen, zog mir bequeme Kleidung an, nahm meine Perücke endlich ab, füllte mein Glas auf mit Rum und ließ mich in mein grau-silbernes Boxspringbett fallen. Doch für Träumerein war noch keine Zeit.
Ich musste leider realistisch bleiben, versuchte mir im Klaren darüber zu werden, wie ich wohl am besten den fassettenreichen Bryan überzeugen konnte, dass die „erfundene" Harriet Stones ein äußerst vertrauenswürdiger Mensch sei, mit dem man jedes Geheimnis teilen konnte, ohne dass man ausgenutzt wurde.

Das würde dann unter den Aufgabenbereich der echten Harriet fallen, dafür zu sorgen, sollte Diamonds nichts taugen, dass er so schnell wie er sich an den Chefsessel gewöhnt hatte, diesem auch wieder Ciao sagen dürfte. Meine Vorgehensweise war, sogar ziemlich wahrscheinlich, nicht die aufrichtige und tugendhafte feine Art, die man von einer Frau wie mir erwartete, aber das Wohl um diese Firma war mir wichtiger, denn es war auch das Wohl meiner Familie.
Ich wälzte mich in meinem Bett hin und her, überlegte, was ich tun könnte, als ich plötzlich aufsprang.
Mein Handy klingelte! Unbekannt, zeigte es mir an.
Normalerweise würde ich dabei nicht ans Telefon gehen, doch ich hatte so ein Gefühl.
Um auf Nummer sicher zu gehen, drückte ich auf den grünen Button, doch nannte meinen Namen nicht.

Ja bitte?".

„Hier ist Bryan Diamonds", tönte es aus dem Hörer.
Kurzes Zögern und ein Räuspern war zu hören.

„Haben Sie meine Nummer etwa nicht eingespeichert?".

Bingo! 

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