(1) Über den Wolken

„Liana! Komm runter! Du darfst dein Flug nicht verpassen!"
Liana, wie sie diesen Namen hasste! Doch es half nichts.
Liana! Ihre Pflegemutter war von diesem Namen nicht abzubringen! Sonst war sie eigentlich sehr herzlich und nett, doch von diesem Namen hielt sie fest!
Eigentlich wurde Liana nur Lia genannt, denn jeden, der sie anders nannte, fauchte sie an.
Liana, dieser Name erinnerte sich an ihre Eltern.
Ihre richtigen Eltern, die sie beide nie kennenlernen durfte.
Ihre Eltern, nach denen sie gefühlt ihr ganzes Leben gesucht hatte.
Ihre Eltern, die Lia trotz nächtlicher Recherche nicht gefunden hatte.
Ihre Eltern, die sie wahrscheinlich nicht wollten, und Lia einfach, mit einem kleinen Zettel, auf dem Liana stand, ins Waisenhaus gebracht hatten.
Liana! Dieser Name schmerzte noch mehr, als all die unbeantworteten Fragen.

Schon tausendmal hatte sich Lia die Geschichte ihrer Pflegemutter schon angehört.
Wie sie sich schon immer ein Kind gewünscht hatte.
Wie sie Lia im Waisenhaus gesehen hatte.
Wie Lia sie angelächelt hatte.
Wie sie sich sofort in das kleine Baby verleibt hatte.
Wie sie es unbedingt mitnehmen musste.
Schon tausendmal hatte Lia sich den kleinen Zettel mit der schnörkeligen Schrift angesehen.
Schon tausendmal hatte sie die einzelnen Buchstaben nachgefahren: L I A N A.
Schon tausendmal hatte Lia sich vorgenommen nicht zu weinen.
Und schon tausendmal hatte sie es nicht geschafft.

Doch damit war jetzt Schluss! Sie wollte einen klaren Schlussstrich ziehen und neu anfangen!
An der Dance Dream Academy in New York!

„Liana! Los jetzt!"
„Ich komme ja schon! Außerdem heiße ich LIA!"

Schnell schnappte sie sich ihre Reisetasche, steckte ihre Zahnbürste in den Mund und versuchte ihre kurzen braunen Haare zu bändigen, was ihr nicht gelang.

„Dein Flug ist in zwanzig Minuten!"

Vor Schreck übersprang Lia die letzte Stufe der Treppe und landete schmerzhaft auf dem Po.

„Zwanschig Miuten? Wie oll isch dasch dnn schaffn?"
„Beeil dich halt! Hier ist dein Frühstück. Und nimm die Zahnbürste aus dem Mund! Wie sehen eigentlich deine Haare aus?!"

Mütter...

Mit ihrer Reisetasche und ihrem Fahrrad (das Brot, welches provisorisch als Frühstück galt, wurde leider allein auf dem Küchentisch zurückgelassen...) machte sich Lia auf den Weg.
Wie sollte sie es bitte in zwanzig Minuten bis zum Flughafen schaffen?
Der Kiesweg war dabei auch nicht wirklich hilfreich...
Wann schaffte sich diese Stadt in Luxemburg endlich Fahrradwege an?

Noch zehn Minuten laut der Flughafenuhr. Würde Lia das noch schaffen? Sie konnte doch nicht wegen diesem kleinen Missgeschick ihr Traum aufgeben!
Achtlos warf sie ihr klappriges Fahrrad auf den Parkplatz, sodass sie viele fassungslos anstarrten.
Doch das war Lia jetzt egal. Sie musste diesen Flug bekommen!

Check in, Gepäckabgabe, Boarding.
Sie hatte es geschafft! Ihr Flugzeug hatte tatsächlich auf sie gewartet!
Im Flugzeug hörte man ein angenehmes Brummen, welches Lia wohl den den ganzen Flug, also elf Stunden und 31 Minuten um genau zu sein, begleiten würde.
Schnell quetschte sie sich zwischen den Reihen durch und fand schließlich ihren Platz am Fenster.
Sie schaute sich um. Rechts neben ihr saß ein Mann mit stattlicher Breite. Er trug ein ausgeleiertes Hawaii-T-Shirt und eine Jogginghose. Seine Glatze versuchte er erfolglos unter einem Strohhut zu verbergen. Was der wohl in New York wollte? Sicherlich hatte er nichts Geschäftliches zu erledigen!
Vor ihr saß eine Mutter mittleren Alters, und versuchte gerade drei quengelnde Kleinkinder zu beruhigen. Was ihr genauso wenig gelang, wie so zu tun, als wäre alles super. Ihr gestelltes Lächeln würde sogar ein Blinder entlarven.
Gleich darauf ertönte aus den Flugzeuglautsprechern die Stimme des Pilots: „Willkommen auf dem Flug von Luxemburg nach new York! Ich wünsche Ihnen viel Spaß!"

Langsam kam Lia zur Ruhe und ihr Herz hörte auf - wegen der ganzen Strapazen der letzten Minuten - zu rasen.
Sie schaute aus dem Fenster.
Wie es sich auf die Landebahn begab.
Wie es sich startfertig machte um dann Gas zu geben.
Wie es abhob.
Und wie es langsam über die Wolken flog.

Lia liebte diesen Anblick. Nur der blaue Himmel und sonst nichts weiter. Sie mochte diese Ruhe.
Eigentlich war Lias Leben nicht viel anders, als dieser Flug!
Ihre Eltern hatte sie im Stich gelassen und sie drohte zu fallen.
Doch ihre Pflegemutter hatte sie aufgefangen und langsam war sie wieder bereit sich ins Ungewisse zu begeben. Zu Fliegen!
Und irgendwann wäre auch sie über den Wolken und glücklich.
Und das würde sich Lia erkämpfen, bis sie es erreicht hatte! Und die Dance Dream Academy war der beste Anfang, um ganz nach oben zu kommen! Ihren Traum zu erfüllen! Zu tanzen!

Schon als Kind hatte Lia von diesem Augenblick geträumt!
Schon immer wollte sie tanzen und das mit der ganzen Welt teilen!
Egal ob Ballet, Hip Hop oder Modern Dance. Es half ihr nicht an ihre Eltern zu denken und daraus wurde dann ihre große Leidenschaft.

Und jetzt war sie hier! Auf den Weg zu ihrem Traum, welcher in wenigen Stunden in Erfüllung gehen würde.
Die Dance Dream Academy war ein Internat, in welchem man zwar auch richtige Fächer unterrichtete, wie zum Beispiel Mathe oder Deutsch, doch das Hauptfach war das Tanzen!
Alles drehte sich ums Tanzen! Die besten Tänzer der Welt wurden an dieser Schule ausgebildet!
Und dies erhöhten die Chancen, das Lia zu diesen Tänzern in ein paar Jahren gehörte!

Doch für diesen Traum musste sie vieles aufgeben! Ihre Pflegemutter, die sie dreizehn Jahre wie ihr richtiges Kind behandelt hatte war jetzt 6.045 Kilometer entfernt!
Auch ihren anderen Hobbys kamen wegen dem Internat etwas zu kurz.
Lia liebte es zu singen und zu malen! Außerdem liebte sie Tiere! Zwar durfte sie bei ihrer Pflegemutter keine Haustiere haben, doch sie hatte nich aufgehört zu hoffen, dass sie doch eines Tages mit einem Hund nach hause kam!
Doch an der Dance Dream Academy war dies natürlich undenkbar!

„Liebe Passagiere! Wir landen in Kürze in New York City! Bitte schnallen Sie sich an!

Lias Herz begann von neuem an zu rasen! Sie war in Kürze in New York!
Einige Minuten später setzte das Flugzeug zu einer etwas holprigen Landung an. Sie war da!
Vor Aufregung sprang sie aus ihrem Sitzt, und war die Erste, die das Flugzeug verließ.

An der Gepäckabgabe war ihre Tasche die Erste, denn Lia hatte sie als Letzte aufgegeben.
Umso naher sie sich zum Ausgang begab, umso mehr fing ihr Herz an zu rasen!

„New York ich komme!", schrie sie, sobald sie unter freiem Himmel war.
Erst jetzt merkte sie, das sie ihren Gedanken laut ausgesprochen hatte und sie empörte Menschen anstarrten.
Nur einer schmunzelte: „Hallo! Du musst Lia sein! Deine Pflegemutter hat schon viel von der erzählt! Ich war zusammen mit ihr in der Schule und soll die zur Dance Dream Academy fahren!"
Ein freundlicher Mann im Alter ihrer Pflegemutter kam auf sie zu.
„Komm, ich nehme deine Tasche!"
„Danke! Ja, ich bin Lia. Und vielen Dank, dass Sie mich zur Akademie fahren!"
Lia hatte schon als sie noch klein war eingebleut bekommen, das sie immer höflich sein sollte.
„Du kannst mich Will nennen!", saget der freundliche Mann und zwinkerte ihr zu.

Im silbernen Van war es im Gegensatz zu der schwülen New Yorker Luft angenehm kühl.
Das Radio war zwar leise gedreht, doch Lia erkannte trotzdem ihren Lieblingssong Together von SIA.
Die Fahrt war kurz und ein angenehmes Schweigen lag die Atmosphäre.
Will wusste wohl, dass Lia zu aufgeregt war, um zu reden.
Und schon nach ein paar Minuten bogen sie in ein Kiesweg ein. Und da sah sie sie.

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