Vergangenheit - 2
Juli 2016
1. Juliwoche
Ich dachte an das Treffen mit den Hwang Geschwistern und Felix. Nach dem Filmeabend, da versuchte ich mich zwei weitere Male mit der genannten Gruppe zu treffen, nur... Bemerkte ich bei jedem Mal, dass etwas nicht stimmte. Angefangen beim Filmeabend, fiel mir auf, dass Felix sich ziemlich hintergründig aufhielt, was an sich kein Problem war! Nur versuchte er es nicht einmal. Zumindest gab er mir das Gefühl... Beim zweiten Mal waren wir schick Essen. Auch da verhielt sich Felix ziemlich passiv und wollte vorerst nicht kommen. Ich musste ihn regelrecht dafür anbetteln, was ich nur tat, weil ich wollte, dass sich meine besten Freunde mit ihm verstanden. Nun... Das war ein Fehler gewesen. Beim dritten Treffen gingen wir gemeinsam bowlen. Dafür benötigte der Mensch körperliche Aktivität und Freude. Es wurde viel gelacht und gewetteifert. Doch... Felix? Felix tat gar nichts davon... Natürlich musste ich mir von Yeji dann anhören, dass Felix depressiv war und von Hyunjin konnte ich mir sagen lassen, dass er meinen Freund unsympathisch fand. Zugegeben? Während Yeji es übertrieb, konnte ich Hyunjin da nicht einmal widersprechen. Er hatte doch recht. Felix wirkte ganz einfach unsympathisch. Innerlich seufzte ich. Aber... Was sollte ich tun? Felix entschuldigte sich jedes Mal im Anschluss und begründete es mit seiner Art. Insgeheim vermutete ich aber, dass er meine besten Freunde einfach nicht sonderlich leiden konnte. Das machte mich traurig. Nur ändern konnte ich es auch nicht. Somit beließ ich es dabei. Ich sagte mir selbst, dass ich diese beiden Welten separieren musste. Felix war eine Welt, die Hwang Geschwister eine andere. So weh mir das auch tat...
„Tut mir nochmal leid, Y/N...", sprach Felix' tiefe Stimme zu mir, die mich zu ihm sehen ließ.
Ich lächelte. Unser Bowltrip fand gestern Nacht statt. Heute war wieder ein neuer Tag, wobei Felix mich zum Frühstücken bei sich zu Hause einlud. Wurd auch mal Zeit. Die ganzen Wochen über wollte ich unbedingt zu ihm nach Hause, um mir ein Bild von seinem Wohnen zu machen. Er hatte es ganz nett hier, selbst, wenn's recht klein wirkte. Eine drei Zimmer Wohnung, mit einer spärlichen Anzahl an Möbeln. Genügend für einen Studenten, dessen Familie nicht in *deiner Stadt* lebte. Felix wirkte sehr ordentlich, sowie sauber. Ich konnte nicht einen einzigen Staubkorn finden. Wäre auch ungünstig auf den weißen Möbeln, welche er mit beigen Details kombinierte. Ein gutes Händchen für die Einrichtung, den hatte er. Dafür lobte ich ihn jedoch bereits.
„Felix... Schon gut.", nickte ich versichernd.
„Wenn du das so sagst...", murmelte er, wobei er den Tisch deckte.
Er machte die Dinge gerne alleine, ohne Hilfe annehmen zu wollen. Das bemerkte ich recht früh. Aus diesem Grunde bereitete er das Frühstück alleine zu und deckte den Tisch auch selber. Felix und ich gingen nun schon einige Wochen aus. Es wäre merkwürdig, wäre es mir entgangen, nicht? Während er am arbeiten war, beobachtete ich ihn schmunzelnd. Wie konnte ein Mann nur so schön sein? Felix' Schönheit fiel mir täglich auf, wobei jedes Mal ein neues Detail in seinem Gesicht hervorstach. Er wurde nur noch hübscher. Ich verstand nicht, weshalb ihm die Mädchen nicht auf die Knie fielen. Lag es an seiner zurückhaltenden Art? Ich wusste es ja auch nicht. Aber es war gut für mich! So lagen seine Augen bloß auf mir.
„Du starrst mich schon wieder an.", lachte er rau und sah zu mir auf.
Seine grünen Augen, umrandet von den Sommersprossen, schauten in meine. Zu Beginn schämte ich mich, weil ich ihn anstarrte, doch mittlerweile? Ich durfte mir keine Chance entgehen lassen.
„Du weißt, weshalb."
„Ncnc", schüttelte er den Kopf und füllte mein Glas mit Orangensaft auf, so, wie ich es mochte. „Starren ist unhöflich. Was meinst du, wieso ich es nicht tue?"
Ich hob die Augenbrauen. Er schenkte mir ein Zwinkern, bevor er die gebratenen Spiegeleier auf den Tisch stellte. Nun stand das Frühstück.
„Also... Ich hätte nichts dagegen.", zuckte ich die Achseln, was ihn lachen ließ.
Er wirkte so sorglos, froh und unbeschwert, wenn wir zu zweit waren. Dann traute er sich auch viel mehr. So wie jetzt, an dem Zeitpunkt, an diesem er sich erhob, um zu mir rüber zu kommen. Ohne etwas zu sagen, drückte er mir einen Kuss auf die Lippen. Das hier... Das war unser dritter Kuss. Der erste fand in seinem Auto statt. Als wir uns voneinander verabschieden wollten, da küsste er mich so zärtlich, wie er es jetzt tat. Der zweite fand nach einem Restaurant-Date statt. Felix war bei jedem Kuss vorsichtig gewesen, was diese umso genüsslicher machte. Ich schloss die Augen. Ich wollte Felix nämlich riechen. Ich wollte seinen Geruch einatmen. Ich wollte ihn fühlen... Seine Lippen, seine Atmung, seine Nähe... Einfach alles an ihm... Sanft von mir abgelassen, landete mein Blick wieder in seine grünen Augen. Die, die nach mehr schrieen...
„Ich würde das Frühstück verschieben, um dich zu kosten, aber...", strich er mir flüsternd eine Strähne hinters Ohr. „Du möchtest warten. Nicht?"
Ich nickte, worauf ich lächelte. Verstand man mich nicht falsch. Ich mochte Felix sehr gerne. Er war freundlich, attraktiv und intelligent. Aber wir dateten uns nicht lange. Ich wollte gerne warten. Warten, bis es sich einhundert prozentig richtig anfühlte... Das erklärte ich ihm bereits im Auto, bei unserem ersten Kuss. Er nickte ebenfalls, bevor ein weiterer, flüchtiger Kuss auf den Lippen folgte.
„Und das werde ich respektieren. Damit sich jede Sekunde gelohnt haben wird..."
2. Juliwoche
Seine Berührung sorgte dafür, dass sich meine Nackenhaare aufstellten. Sanft umfasste er meine Wange, während unsere Lippen sich trafen. Sie bewegten sich aufeinander, als wären sie füreinander gemacht. In meiner Magengegend machte sich ein Gefühl breit, welches ich noch nie empfand. Eines, dass sich gut anfühlte. Mir zeigte, dass ich Felix mochte. Eines, dass mir bewies, wie gerne ich in seiner Nähe war. Und... Wer wusste es schon? Wären wir alleine, hätte ich vermutlich verlangend an seinen Haaren gezogen, damit er meinem Hals entlang küsste. Aber... Leider waren wir nicht alleine. Wir befanden uns in der Öffentlichkeit. In einem Park, um genau zu sein. Felix hatte ein schönes Picknick für uns arrangiert. Einfach, weil er romantisch war. Eine Sache, die ich an ihm so sehr mochte. Er schenkte mir die Aufmerksamkeit, nach der ich mich verzehrte. So, wie es noch nie jemand tat. Genau jetzt... Hier... Während des Kusses... Glaubte ich, dass ich mich in ihn verlieben könnte. In Lee Felix...
„Mhm...", ließen seine Lippen vorsichtig von meinen ab. „Dein Kuss fühlt sich heute anders an..."
Das fiel ihn auf? Ich musste lächeln, während er so über mir lag. Da ich ihm meine Gedanken über meine Gefühle aber nicht beichten wollte, zuckte ich die Achseln. Ohne etwas dazu zu sagen, küsste er meine Nasenspitze, bevor er sich aufrecht setzte.
„Lieber setzen wir uns auf, bevor Kinder vorbei kommen, richtig?", kicherte er rau. „Was magst du essen, Y/N?"
Ich setzte mich ebenfalls auf, worauf mein Blick auf all die Leckereien fiel. Felix dachte immer an alles. An Obst, Gemüse und Wasser. Er dachte aber auch an Schokolade, Kuchen und Kaffee. Er belegte Toast mit allem möglichen, wozu er Dips mitbrachte. Hinzu kamen die schönen Rosenblätter und die Räucherstäbe. Er dachte eben an alles. Würde Felix nicht neben mir sitzen, hätte ich geglaubt, er wäre nicht echt. Aber er war real. Ein Goldjunge. Das war er. Nicht weniger. Niemals...
„Weißt du eigentlich, wie toll du bist, Felix?", fragte ich, was ihn sofort zu mir sehen ließ.
„Was?", lächelte er beschämt.
„Sieh, was du ständig für uns planst! Ich schätze dich viel zu selten wert...", seufzte ich.
Aber es war egal, was ich sagte. Felix glaubte, ich kam vom Himmel. Dabei gehörte er zu den Engeln. Nicht ich.
„Hey. Du hast das verdient. Jede Mühe, die mich ein Date kostet, die verdienst du. Seit du mir auf geholfen hast..."
Ich rollte die Augen. Ständig beruhte er auf den Tag, an dem ich ihm hoch geholfen hatte, als er im Café fiel. Er sagte, es sei keine Selbstverständlichkeit gewesen so nett zu ihm zu sein. Damit hatte er recht behalten. Menschen zu helfen, das war in unserer Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit mehr geworden, aber... Mir zu sagen, dass er mich deshalb niemals loslassen würde? Etwa bloß, weil ich nett zu ihm gewesen war? Für mich war das schwer zu glauben. Doch andererseits... Es war schön zu sehen, wie eine kleine, nette Geste meinerseits dafür sorgen konnte, dass Felix mich nicht mehr vergessen wollte. Irgendwie war das süß...
„Ich wollte dir nur sagen...", kam ich auf das Thema zurück. „Dass ich dir für alles dankbar bin."
„Das weiß ich doch.", lächelte er und schob sich eine Traube in den Mund.
Gut, wenn er das wusste, dachte ich. Ohne weiter drauf zu beharren, tat ich es ihm gleich und griff nach einer Traube. Beide aßen wir daraufhin friedlich. Ich genoss mal wieder all die Leckereien, die er für uns fertig stellte. Die Atmosphäre, das Wetter und seine Anwesenheit... Wie immer. Gerade, als ich dann von meinem Wasser trank, hörte ich, wie mein Handy klingelte. Felix nahm mir fürsorglich mein Wasser ab, während ich nach meinem Handy suchte. Es brauchte eine Weile, aber dann fand ich es. Drauf gesehen, konnte ich erkennen, dass mein bester Freund anrief. Ich wollte gerade rangehen, doch Hyunjin legte auf. Für einen Moment schaute ich auf mein Handybildschirm nieder. Ich wusste nämlich, wenn ich nicht ranging, würde er mir eine Nachricht verfassen und tatsächlich. Es folgte eine.
Ich weiß, du bist mit Felix unterwegs... Aber es ist wichtig! Magst du vorbeikommen?
Das war die erste Nachricht.
Es geht um Yeji..., war die Zweite.
Tonlos ließ ich mein Handy fallen. Ohne nach zu harken, wusste ich bereits, wieso es um Yeji ging. Yeji hatte einen Freund, mit dem sie schon länger zusammen war. Sie führten eine on/off Beziehung. Vermutlich kam es ein erneutes Mal zu einem Aus zwischen den beiden, weshalb sie emotionalen Beistand benötigte. So sehr mich das Thema auch nervte... Sie brauchte mich... Ganz dringend sogar, wenn mein bester Freund mich dafür kontaktieren musste. Was fürn Mist...
„Ist das Hyunjin gewesen?", fragte Felix, ohne dabei zu mir zu sehen.
Er schlürfte an seiner Cola. Ich sah entschuldigend zu ihm. Das ließ ihn seufzend seine Cola abstellen.
„Was möchte er dieses Mal? Braucht er Hilfe bei einem Aufsatz? Bei der Auswahl seiner Kleidung? Oder, oh ne. Fiel er auf sein Gesicht?"
Meine Schultern sackten, sobald mir Felix diese rhetorischen Fragen stellte. Ich verstand schon, weshalb es ihn jedes Mal nervte, wenn mein bester Freund mich kontaktierte. Dieser sorgte nämlich gerne dafür, dass Felix und ich unsere Treffen vorher beenden mussten. Aber mal im Ernst. Ich war nun drei Stunden mit ihm unterwegs gewesen. Hinzu kam, dass wir uns allein die Woche jeden Tag trafen, während ich die Hwang Geschwister das letzte mal am Wochenende sah. Er musste mich doch verstehen...
„Ehrlich gesagt, geht es um Yeji. Ihr Freund hat Schluss gemacht.", nickte ich und griff nach meinem Cardigan.
Vom Blickwinkel erkannte ich, dass Felix geduldig ausatmete. Er versuchte seine Eifersucht nicht gewinnen zu lassen, denn ja. Eifersüchtig war er. Eifersüchtig auf meine besten Freunde...
„Richte ihr mein Mitgefühl aus.", schluckte er, was mich wieder zu ihm sehen ließ.
Ein leichtes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Er bekam sich aber jedes Mal wieder in den Griff, was mich freute. Erleichtert, drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange. Daraufhin packten wir das Essen zusammen, wonach wir noch etwas dalagen. Er hielt mich fest in seinem Arm, als wäre ich seine ganze Welt. Das genoss ich weitere Minuten, bevor ich leise ausatmete.
„Okay. Ich muss los...", küsste ich sein Kinn und stützte mich auf.
Von seiner Brust entfernt, saß ich da nun. Wie er, als er sich aufsetzte. Ich konnte in seinem Gesicht erkennen, dass er mich nicht gehen lassen wollte. Lieber hätte er den ganzen Tag noch mit mir verbracht. Nein, die ganze Woche...
„Wenn du möchtest, können wir uns heute Abend nochmal sehen, hm?", bot ich an, denn Felix wirkte plötzlich so ruhig.
Schon die ganze Zeit. Seit ich von Yeji erzählte... Ich würde gerne wissen, ob es noch immer an seiner Eifersucht lag. Aber... Ich wollte ihn nicht bedrängen...
„Sie mögen mich nicht, oder?", sprach er auf einmal.
Ich zog die Augenbrauen zusammen.
„Wie bitte?"
„Hyunjin und Yeji... Sie mögen mich nicht. Habe ich recht?", zupfte er an Grashalmen.
Unkontrolliert musste ich schlucken. Woher kamen seine Gedanken her? War er etwa deshalb ruhig gewesen? Er glaubte, die beiden mochten ihn nicht? Nun... Von Nicht-Mögen konnte nicht die Rede sein. Er war ihnen einfach nur unsympathisch... Was mir übrigens total leid tat. Würden sie Felix besser kennen, hätten sie all ihre Wörter zurückgenommen...
„Wie kommst du darauf?", fragte ich neugierig.
„Du sprichst nicht mehr über sie und... Ich werde nicht mehr eingeladen. Ich meine", sah er zu mir auf, was mich eine eiskalte Gänsehaut fühlen ließ, weil mir leid tat, worauf er zu sprechen kam. „Das ist nicht wirklich ein Problem. Ich muss nicht eingeladen werden. Nur ist mir das wichtig, dass sie mich mögen. Tun sie es nämlich nicht, werden wir beide Probleme haben."
Aus kugeligen Augen sah ich ihn an. Mit meinem Körper rückte ich ihm näher, um meine Arme um ihn zu legen. Das dachte er? Das waren seine Befürchtungen?
„Felix... Hey. Ich mag dich unabhängig von ihnen.", sagte ich ehrlich.
Denn, es war die Wahrheit. Ich liebte sie alle. Ich liebte Yeji, wie ich eine Schwester liebte. Ich liebte Hyunjin, wie ich einen Bruder liebte. Ich war auf dem Wege Felix zu lieben, wie eine Frau sich nun mal in einen Mann verliebte. Deshalb separierte ich doch erst ihre Welten voneinander. Ich wollte sie alle in meinen Leben haben, weil ich sie alle unabhängig voneinander liebte.
„Ach, ja?", drehte er sich zu mir, um mich anzusehen, was relativ grob war, sodass ich von ihm ablassen musste. „Und wieso entscheidest du dich dann jedes Mal für ein Treffen mit ihnen, wenn sie anrufen?"
Blinzelnd beobachtete ich, wie sein Körper sich anspannte. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen... Felix wurde wütend. Das erste Mal während unserer gemeinsamen Zeit...
„Ich muss meine Zeit nun mal einteilen. Sei nicht eifersüchtig. Bitte...", nahm meine Stimme einen flehenden Ton an.
Ich mochte es nicht sonderlich zu streiten. Vor allem nicht, wenn es unberechtigt war. Schließlich hatte ich doch recht? Ich musste meine Zeit wirklich einteilen. Sonst lief hier gar nichts mehr. Doch, Felix? Felix verstand es nicht. Er sah nur beleidigt weg.
„Wieso sollte ich nicht eifersüchtig sein?", zuckte er die Achseln. „Würden sie die Entscheidung zwischen uns etwa nicht gewinnen?"
Ich wich automatisch etwas von ihm, weil mir seine Art nicht gefiel. Diese wütende, beleidigte und zickige Art... Wieso stellte er mir solch eine Frage?
„Quatsch. Was redest du da überhaupt? Da sind keine Entscheidung, die es zu fällen gibt.", schüttelte ich standhaft den Kopf.
Dabei sagte mir mein Herz etwas anderes... Natürlich hätten die Hwang Geschwister gewonnen. Ich kannte sie länger. Sie waren meine Familie... Ich hatte das Gefühl, als hätte Felix gespürt, dass ich nicht die ganze Wahrheit erzählte. Er sah wieder zu mir auf. Unser Blickkontakt hielt lang, bevor er derjenige war, der den Blick wieder abwandte.
„Viel Erfolg mit Hyunjin und Yeji, Y/N."
3. Juliwoche
„Bin dann lernen!", rief ich durch das Haus.
Durch das Haus, in dem ich lebte, damit meine Familie wusste, dass ich später Heim sein würde. Keiner widersprach mir, weshalb ich entspannt aus dem Haus ging. Ein Blick auf mein Handy genügte, um zu meinen, dass Hyunjin zu unserer Lern-Session zu spät kommen würde. Er stand hier nämlich nicht. Wie immer eigentlich. Die Augen gerollt, machte ich mich auf dem Weg in das Café. Dabei wünschte ich mir innig, dass ich Felix zufällig über dem Weg laufen würde. Wir hatten uns zwei Tage nicht gesprochen. Also, seit wir uns stritten. Konnte man das eigentlich einen Streit nennen? Er war wütend auf mich. Wütend, weil ich mich um Yeji kümmern wollte. Die Arme, die so traurig über ihre Trennung war. Sie hatte mich gebraucht und ich konnte von mir meinen, dass ich immer für meine Freunde da war. Ich musste es sein. Aber das konnte Felix nicht verstehen und ich wusste nicht, wie ich ihm das am besten übermitteln sollte. Irgendwie schien alles verkehrt zu sein. Es war... Als wollte er es nicht verstehen. Den Kopf geschüttelt, fragte ich mich, wie das nun ausgehen würde. Zwang er mich etwa, mich zu entscheiden? Denn, das konnte und wollte ich nicht. Das durfte ich nicht. Ich wollte nämlich keinen von ihnen verlieren... Mit einem beklemmenden Gefühl in meiner Brust hinauf gesehen, fragte ich mich, mit wem ich drüber reden könnte. Ich dachte an meine Mutter, die mir als objektive Person in misslichen Lagen oftmals weiterhelfen konnte. Vielleicht würde sich ein Gespräch mit ihr tatsächlich lohnen. Ja... Ganz sicher. Ich schulterte meine Tasche, als mein Blick auf eine abgesperrte Straße fiel. Meine Gedanken um meine jüngsten Probleme lösten sich in Luft auf. Ich formte die Augen zu Schlitzen. Mehrere Polizeiwagen standen da, während Polizisten versuchten neugierige Menschen von einer Unfallstelle fern zu halten. Manchmal konnte ich nicht verstehen, weshalb Fremde immer so neugierig sein mussten. Das war eine Sache, über die ich mich ewig aufregen könnte. Doch... Keine Sekunde später gehörte ich zu den neugierigen Menschen, als ich sah, dass es sich bei der Abgrenzung wohl um einen großen Autounfall handelte. Ich blieb abrupt stehen. Eine Gänsehaut überkam mich, als ich das Kennzeichen des Autos erkannte. Das Kennzeichen seines Autos. Das Auto von meinem besten Freund... Mir fiel das Herz in die Hose. Eine schmerzhafte Gänsehaut überkam mich. Alles um mich herum schien wie stehen geblieben zu sein, als ich sie erkannte. Die beiden blutverschmierten Personen im Auto.
Hyunjin und Yeji...
August 2016
1. Augustwoche
Ich lag auf seiner Schulter. Er schaltete irgendeinen Film ein, dem ich gar keine Beachtung schenkte. Ich starrte bloß auf den Fernseher, war mit den Gedanken aber abwesend. Ich dachte an alles und nichts. Wie konnte ich beschreiben, was vor zwei Wochen geschah? Es war kaum in Worte zu fassen. Meine besten Freunde... Sie fanden den Tod. Durch einen Autounfall, bei dem niemand wusste, wie dieser zustande kam. Ein Mysterium, welches noch immer nicht aufgeklärt wurde. Alles in meiner Magengegend zog sich zusammen. Von Trauer konnte gar nicht mehr gesprochen werden. Ich war nicht mehr imstande dazu zu weinen. Ich hatte die letzten Wochen zu viel geweint. Ich konnte nicht mehr raus. Ich konnte nicht mehr essen. Ich konnte gar nichts mehr. Ich lag eigentlich nur noch und... Fühlte mich tot. Ich meinte es todernst, wenn ich behauptete, dass ich mich wie eine wandelnde Leiche fühlte. Ich hatte sie nämlich verloren. Meine Geschwister... Sie wurden mir einfach genommen. Von einem Moment, auf den nächsten. Ich durfte mich nicht einmal verabschieden. Sie waren einfach weg. Ich erwischte mich selbst, wie ich manchmal auf mein Handy sah, weil ich es gewohnt war eine Nachricht von ihnen zu kriegen. Doch, nein. Ich bekam keine Nachricht. Keine Nachricht, keinen Anruf, gar nichts. Denn... Sie waren tot. Beide. Wie sollte ich je darüber hinwegkommen? Felix sagte mir, das bräuchte Zeit. Wo er doch recht besaß. Er war seit der Sekunde, in der ich ihn anrief, um zu berichten, was mit meinen besten Freunden geschah, für mich da. Er zog mich aus meinem Bett. Er zwang mich zum Essen. Er ging mit mir raus. Er versuchte mich für die Universität zu motivieren. Er versuchte mich aufzubauen. Das funktionierte für zwei Tage, bevor ich wieder in ein tiefes schwarzes Loch fiel. Seither wurde Felix etwas ungeduldiger mit mir. Obwohl er behauptete, dass es Zeit bräuchte, um über den Tod meiner besten Freunde hinweg zu kommen, verlangte er indirekt, dass ich mein Leben normal weiter lebte. Wie paradox, oder? Ich konnte nicht normal weiter leben. Bedauerlicherweise... Fühlte ich mich dazu nicht mehr fähig. Die bittere Wahrheit war nämlich... Mit Hyunjin und Yeji starb ein Teil von mir. Der glücklichere Teil...
„Gehts dir gut?", strich mir Felix übers Haar.
Aber ich wollte seine Hände nicht auf mir spüren. Somit zog ich meinen Kopf zurück. Ich konnte die körperliche Nähe in letzter Zeit schwer ab. Ich wusste nicht einmal, weshalb. Das lag nicht einmal an Felix. Ich konnte die Nähe meiner Eltern oder der Eltern der Hwang Geschwister auch nicht zulassen. Ich brauchte einfach Abstand. Körperlich, sowieso emotional. Irgendwie erstickte ich unter den Menschen... Ob es daran lag, dass sie alle den Tod meiner besten Freunde einfach hinnehmen wollten? Vermutlich... Ich glaubte nämlich nicht, dass ihr Tod ein Unfall war. Dass Hyunjin und Yeji plötzlich ums Leben kamen, während sie Auto fuhren.
„Weißt du, was merkwürdig ist?", sprach ich.
Dabei bemerkte ich, wie rauchig meine Stimme war, denn ich sprach so selten in den letzten zwei Wochen...
„Hm?", sah er zu mir.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich erzählte es ihnen bereits so oft. Ich erzählte es Misses und Mister Hwang. Ich erzählte es der Polizei. Meinen Eltern. Felix... Aber ich konnte mich nur wiederholen.
„Hyunjin fuhr so selten Auto... Eigentlich stand es bloß zur Deko in seiner Garage", schluckte ich. „Er war sich immer unsicher beim Fahren, weshalb er nie fahren wollte. Ich frage mich, wieso er dann mit Yeji fuhr. Wohin wollten sie überhaupt? Er und ich waren doch verabredet...", bebte meine Unterlippe. „Er hätte mir abgesagt..."
Ich fing schon wieder an zu zittern. Wie jedes Mal, wenn ich das Thema laut ansprach. Mir wurde ständig kalt. Allmählich ertrug ich diesen Druck nicht mehr. Den Leidensdruck... Er hielt schon zu lange an.
„Es tut mir wirklich leid...", sahen Felix' grüne Augen zu mir.
Ich erwiderte seinen Blick, in der Hoffnung, sie könnten etwas in mir auslösen, doch nein. Nichts löste mehr irgendwas in mir aus. Denn, wie bereits erwähnt. Ein Teil von mir war mit Hyunjin und Yeji verstorben. Ich fühlte rein gar nichts mehr.
„Du kannst ja nichts dafür...", wandte ich den Blick ab.
Eine kurze Stille brach zwischen uns beiden aus, die mir persönlich nichts ausmachte. Von mir aus... Konnte es von nun an für immer ruhig bleiben.
„Hey. Ich habe ein Geschenk für dich.", kam es jedoch von Felix, weshalb ich wieder zu ihm sah.
Er nahm eine Tüte hervor, die sich neben seiner Couch befand. Es handelte sich hierbei um eine Geschenktüte. Unbeeindruckt nahm ich sie an. Ich öffnete sie, ohne groß zu zögern und ohne ein Danke von mir zu geben, was ziemlich untypisch war. Ich nahm den Inhalt hervor. Ich stellte früh fest, dass es sich hierbei um einen Bilderrahmen handelte. Eines, worin sich ein Foto befand. Ein Foto von mir und den Hwang Geschwistern. Für einen kurzen Augenblick machte sich ein stechender Schmerz in meiner Brust breit. Das war nämlich mein Lieblingsfoto. Ein Foto, auf dem wir drei unbeschwert lächelten. Wir befanden uns da auf einem Jahrmarkt und stiegen gerade von einem Karussell. Ich erinnerte mich noch ganz genau. Yeji bestand auf Zuckerwatte, aber ihr Bruder warnte sie davor, dass sie sich übergeben würde. Nun... Anschließend tat sie das auch, was in einer absoluten Sauerei endete! Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich hätte weinen müssen, weil ich sie vermisste. Ich hätte lachen müssen, weil mich die Erinnerung berührte. Nur geschah keines von beiden. Ich sah nur weiterhin regungslos auf das Foto.
„Freust du dich denn nicht?", fragte Felix' dunkle Stimme kleinlaut.
Das war schließlich der Moment, an dem ich den Bilderrahmen senkte, um wieder zu ihm zu sehen. Ich legte es in die Geschenktüte und nickte.
„Doch. Aber es ist schwer mich irgendwie zum Lächeln zu bringen. Gib mir etwas Zeit...", bat ich ihn leise.
Die Art, wie ich Felix abwies, passte nicht zu mir. Sie passte nicht zu meiner Art und zu den Gefühlen, die ich vorher für ihn empfand. Ich war wie ausgewechselt. Ich erkannte mich selbst kaum wieder. Hinzu kam, dass er mir das nicht unbedingt leichter machte, dadurch, dass er mir näher kommen wollte. Es war jedes Mal dasselbe...
„Wird dich auch kein Kuss zum Lächeln bringen?"
Er schmunzelte und wollte mir näher kommen. Aber ich wandte nur den Kopf ab. Das ließ ihn erfrieren. Ich erinnerte mich an das letzte Mal, an dem ich einen Kuss zuließ. Nur, heute? Heute war mir ganz einfach nicht danach. Vor allem nicht, nachdem ich mit einer bittersüßen Erinnerung konfrontiert wurde...
„Ich sagte, ich brauche Zeit.", sagte ich unterkühlt.
Daraufhin sah ich wieder zu ihm. Unsere Blicke trafen sich, wobei sich unsere Gesichter nahe standen. Wir beide starrten uns einfach nur an. Der eine ernster als der andere. Uns beiden schien etwas auf der Seele zu lasten. Seine grünen Augen konnten mich da nicht belügen. Egal, wie krampfhaft er versuchte seine Emotionen zu verstecken. Felix verbarg ein Geheimnis und das Geheimnis, das ließ ihn Qualen erleiden. Wir beide sahen uns eine ganze Weile weiterhin an. Ich konnte das Ticken der Uhr hören... Als es mir zu viel wurde, erhob ich mich einfach. Felix blieb so sitzen, wie er mich küssen wollte. Ohne etwas zu sagen, griff ich nach meiner Jacke.
„Y/N...", kam es seufzend von ihm, da er mich aufhalten wollte.
Ihn ignorierend, ging ich jedoch auf seine Tür zu. Ohne etwas zu sagen, verließ ich schließlich seine Wohnung. Denn... Wie bereits erwähnt. Ich brauchte etwas Zeit. Zeit für mich...
———
Hi 🙊
In dem Kapitel war viel los. Wir fingen ruhig an und es endete mit dem Tod der Hwang Geschwister...
Was sagt ihr dazu? 🤔
Und ich weiß... Die zeitlichen Abstände können anstrengend sein! Aber anders ließ sich die Story leider nicht formen, sonst wäre sie viel zu lange geworden...
Naja! Lasst uns das beste draus machen ☺️
Mal sehen, was uns noch so erwartet, nicht?
In love, N 🤍
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