Rache (TW Suizid)

Sobald die beiden zuhause angekommen waren, hatte Keira vorgehabt ihn zu konfrontieren, doch Thiago war einfach verschwunden, nach dem er ihr gesagt hatte, er bräuchte seine Ruhe. Natürlich war das eine ach so schreckliche Situation für ihn, doch dachte er auch nur eine Sekunde an sie? Dachte er nur eine Sekunde daran, dass Keira keine Ahnung hatte wo ihr Bruder war geschweige denn, dass sie den Grund kannte, warum das alles passierte. Dennoch war sie Thiago nicht nachgelaufen. Stattdessen war sie in ihr Zimmer verschwunden und versuchte all das zu verarbeiten.

"Zeit für eine Dusche" murmelte die Braunhaarige und war kurz später auch schon im Bad verschwunden. Nachdem sie sich ausgezogen hatte, warf sie einen Blick in den Spiegel. Sie hatte tiefe Augenringe und war blasser als früher. Ihre Augen wirkten leer und längst nicht mehr so fröhlich wie früher. Sie hatte sich verändert. Jeder ihrer Freunde, der sie so sehen könnte, würde wahrscheinlich in tiefste Sorge verfallen, doch sie hatte momentan einfach keine Zeit für irgendwas. Es war zu viel passiert und noch viel mehr würde passieren, dass wusste sie.

Nach etwa einer Dreiviertelstunde war Keira endlich fertig mit Duschen und entschied sich auf den Weg zu machen um Thiago zu suchen. Sie musste mit ihm reden und er hatte nun wirklich genug Ruhe gehabt. Sie streunte also durchs ganze Haus, auf der Suche nach dem Engländer, doch sie konnte ihn nirgends finden. Er war weder in seinem Zimmer, noch im Bad, im Wohnzimmer oder in einem der anderen Zimmer. Auch die Küche, in der sie grade stand, wies keinerlei Spuren auf. Wo war er nur? Er hatte das Haus doch wohl nicht verlassen? Während sie duschen war, hätte sie es nicht mitgekriegt, doch ohne ihr Bescheid zu sagen? Das sah ihm eigentlich nicht ähnlich.

Verwirrt und auch etwas verärgert setzte sie sich also an den Küchentisch. Wo war er nur? Genervt fuhr sie sich durch ihre langes, braunes Haar, was wohl wirklich mal wieder geschnitten werden musste. So viel vom Leben verpasste sie und wofür? Schmerz, Angst und jede Menge Blut. Was hatte sie getan um sowas zu verdienen?

Während Keira dabei war in Selbstmitleid zu versinken, bemerkte sie auf einmal einen Teil der Wand, der irgendwie anders aussah. Sie war anders geschnitten, als normale Wände. Dieser Teil war höchsten einen Meter breit und wenn man genauer hinsah, konnte man auf dem Boden davor kleine Kratzer sehen. Das war doch wohl nicht... War das etwa das, was Keira dachte? Eine geheime Tür?

Nun war ihre Neugier geweckt und sie stand auf. Vorsichtig ging sie die paar Schritte auf die Tür zu und begann daran herumzutasten. Wie öffnete man diese Tür? Plötzlich begann die Tür sich ein wenig zu drehen, als die Braunhaarige dagegen drückte. Ein leises quietschen war zu hören, als sie fester gegen die Tür drückte und diese schlussendlich ganz aufging. Sofort stieg Keira ein etwas rustikaler Geruch in die Nase. Vor ihr lag ein dunkler Gang, der nach rechts führte. War Thiago dort unten? Oder war das ein geheimer Keller?

Mit leisen Schritten tastete Keira sich vor und entdeckte keinen Meter im Gang eine Treppe. Sie wusste, dass ihr in diesem Haus eigentlich nichts passieren konnte, trotzdem schlug ihr Herz etwas schneller, als sie die knarrenden Treppen hinunterstieg. Die junge Frau hatte einen dunklen Keller erwartet, doch stattdessen erblickte sie einen kleinen Raum, welcher durch eine Glühbirne schwach beleuchtet war. Was sie jedoch am meisten überraschte war weder der Schrank voller Waffen, noch die angeranzte Couch, sondern Thiago, der an einer Wand lehnte, in der Hand eine Flasche, die vermutlich mit Alkohol gefüllt war. Was tat er hier?

"Thiago?" fragte Keira und ihre Stimme war dabei längst nicht so sicher wie sonst. Der Engländer schreckte hoch und sah sie unsicher an. Er hatte Augenringe und seine Haut wirkte blass. Er sah schrecklich aus, wie er da so an der Wand lehnte und sich selbst zu bemitleiden zu schien.

"Was machst du hier?" erwiderte er und fuhr sich durch die Haare. "D-du solltest nicht hier sein, ich hab gesagt du sollst mich in ruhe lassen" meinte Thiago und man konnte ihm anmerken, dass er mit den Nerven vollkommen am Ende war. Keira roch den Schnaps schon als sie auf ihn zukam, doch es wurde schlimmer, als sie sich dann vor ihn hockte. Sie musterte ihn eine Weile. Irgendwas an seinem Anblick sorgte bei ihr dafür, dass ihr Herz etwas weicher wurde. Er sah aus wie ein Häufchen Elend.

"Wieso sitzt du hier unten?" fragte sie und musterte Thiago weiterhin. Machte ihn diese Situation wirklich mehr fertig als sie gedacht hatte? Er hatte auf Keira immer so kalt und emotionslos gewirkt, doch vielleicht war das ja gar nicht der Fall. Vielleicht war er ja eigentlich doch nicht so ein kaltherziger Killer, wie sie immer gedacht hatte.

"Keira... geh bitte" meinte Thiago leise und sah sie mit flehendem Blick an. Er wollte offensichtlich nicht, dass sie ihn so sah und das war wohl auch irgendwie verständlich. Dennoch weigerte Keira sich zu gehen. Einerseits brauchte sie antworten auf ihre ganzen offenen Fragen und andererseits wollte sie ihn nicht so  alleine lassen. Niemand hatte das verdient. Nicht einmal Thiago.

"Nein ich gehe nicht" meinte sie und ihre Stimme klang ungewöhnlich sanft. Vorsichtig griff sie nach seiner Alkoholflasche und achtete dabei gar nicht auf Thiagos überraschten Blick. Vermutlich war er es nicht gewohnt, dass jemand sich weigerte ihn alleine zu lassen. Nun, Keira hatte eben ein gutes Herz und Thiago hatte eben auch Antworten auf ihre Fragen.

"Nicht wegnehmen" murrte er und versuchte die Flasche festzuhalten, doch der Alkohol hatte wohl schon seine Wirkung getan, denn Keira konnte sie ihm ganz leicht wegnehmen. "Na komm schon, genug Schnaps für heute" meinte sie und legte die Flasche ein Stück weg. Dann setzte sie sich im Schneidersitz vor den Engländer und betrachtete ihn eine Weile. Wie sollte sie das Gespräch anfangen?

"Na los, frag schon Prinzessin" meinte Thiago und lehnte den Hinterkopf an die Wand. Er schloss die Augen und schien auf die Frage zu warten, die sie dann kurz später auch stellte. "Wer ist Dario" fing Keira an. Isabell schien ein ernstes Thema für ihn zu sein, also sollte sie wohl langsam anfangen.

"Dario? Hauptberuflich Arschloch würde ich sagen" brummte er und begann zu grinsen. "Naja, wir waren damals gemeinsam beim Militär. Als ich 18 wurde ging ich nach Afghanistan als Sniper. Er war zwar nur Soldat, doch er war mindestens so gut wie ich in solchen Dingen. Oft gab er mir Deckung und wir wurden ein spitzen Duo. Nichts konnte uns trennen, geschweige denn, dass jemand uns hätte aufhalten können. Wir waren gefürchtet und bald waren wir auch außerhalb des Dienstes Beste Freunde. Ich vertraute ihm mit meinem leben und dann..." er hatte einfach so drauf los geredet und ihr mit einem mal so viel von sich erzählt, doch trotzdem schien es ihm an diesem Punkt schwerzufallen. Er war also mal Sniper beim Militär. Das erklärte zumindest sein Verhalten und sein Können.

"Dann was?" fragte Keira und ihre Hand legte sich vorsichtig auf sein Knie. Die beiden waren vielleicht nicht auf die normale Art vertraut miteinander, doch trotzdem schien diese Geste ihm zu helfen, denn er atmete einmal tief durch und nickte dann. Irgendwie sorgte das bei der Braunhaarigen dafür, dass sie sich besser fühlte. Ihm fiel das schwer und so konnte sie ihm vielleicht helfen.

"Ich habe ihn im Stich gelassen. Es war eine streng geheime Mission und ich sollte ihm Deckung geben. Ich wollte ihm Rückendeckung geben, doch ich habe versagt. Ich hätte auf ihn aufpassen sollen, doch plötzlich war da diese Gruppe von feindlichen Angreifern, die den Konvoy überfielen. Ich musste mich entscheiden zwischen ihm und den anderen Soldaten. Ich hab die falsche Wahl getroffen, was ihn beinahe das Leben gekostet hat. Seit dem versucht er es mir heimzuzahlen, weil er weiß... was ich wegen Isabell geplant habe" beendete Thiago seine Erzählungen. Wow, dass hätte sie wirklich nicht erwartet. Für einige Sekunden sagte keiner von beiden etwas, sie sahen sich einfach nur an. Sollte Keira etwas sagen? Ihn nach Isabell fragen?

"Isabell ist... meine kleine Schwester gewesen. Sie ist der Grund für all das hier Keira. Sie ist der Grund für deinen Schmerz" meinte er leise und sah die Braunhaarige schmerzerfüllt an. "Es tut mir leid. Mir tut alles hier so leid. Du verdienst das nicht" führte er fort und schien auf Keiras Reaktion zu warten. Wie sollte sie darauf antworten? Es waren so viele Informationen auf einmal und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte.

"Wer ist Isabell? Thiago ich musste durch die Hölle gehen und ich weiß noch immer nicht wieso. Du schuldest mir eine Erklärung. Was hat deine Schwester mit dem ganzen zu tun und was ist mit ihr passiert?" forderte Keira und blickte ihn ernst an. Er musste es ihr erklären.

Kurz seufzte Thiago, bevor er sich erneut durch die Haare strich. "Isabell hat sich... umgebracht. Sie war 15 und ich war 17. Sie war ein wundervolles Mädchen und wunderschön. Sie... Sie wurde jahrelang gemobbt. Es war ganz im geheimen, ich wusste nichts davon. Ich schwöre hätte ich es gewusst, dann..." seine Hand ballte sich zu einer Faust und es war offensichtlich, dass er sich zusammenreißen musste  ruhig zu bleiben. Die Geschichte war wirklich heftig und sie wusste nicht wie was sie sagen sollte. Seine Schwester hatte sich umgebracht als sie 15 war? Ein viel zu junges Alter...

Vorsichtig griff Keira nach seiner Hand und strich mit dem Daumen über seinen Handrücken. Thiago zuckte kurz, doch ließ diese Berührung zu, während er sie ansah. "Prinzessin..." hauchte er leise und sie erwiderte seinen Blick. "Erzähl es mir. Ich..." sie musste einmal tief durchatmen um diesen Satz zu beenden. Es fiel ihr nicht leicht aber es stimmte. "Ich werde dich nicht verurteilen. Ich will es nur verstehen" erklärte sie ihm sanft. Thiago schien etwas erstaunt, doch dann nickte er.

"Sie wurde gemobbt von den selben Typen, die auch dich damals gemobbt haben. Ich habe mir Rache geschworen weil sie es waren, die meiner Schwester das Leben zur Hölle gemacht haben. Ich wollte sie Tod sehen und als ich mehr über sie herausfand, stieß ich auf dich. Auf dich und deine Geschichte und da naja..." er schien zu viel Angst zu haben diesen Satz zu beenden, also tat sie es. "da hast du dich entschieden mich zu benutzten" führte Keira den Satz zu ende. Sie hatte es zwar geahnt, doch trotzdem brach es ihr das Herz es auszusprechen. Sie war für einen Racheplan benutzt worden. Einfach benutzt von ihm.

"Dir war egal, dass du mein Leben zerstören würdest und das alles für Rache an den Mobbern deiner kleinen Schwester?" stellte sie fest. So war es also. Nun kannte sie den Grund für all das hier. Der Grund für all ihre Schmerzen und ihr Leiden war ein kleines Mädchen, welches sich das leben genommen hatte. Das war etwas, was sie erstmal verdauen musste. Sie hatte nie gewusst, wie sie sein Verhalten und all das hier erklären sollte, doch jetzt wusste sie es. Jetzt wusste Keira, wieso man sie zur Mörderin gemacht hatte.

"Keira ich... Ich hätte dich nie mit reinziehen dürfen, doch du bist es nun, durch meine Hand, das bedeutet, dass ich alles tun werde um dich zu beschützten" versprach Thiago ihr und plötzlich realisierte Keira, dass sie nicht mehr zurückkonnte. Sie war nun ein Teil dieses verkorksten Spieles und selbst wenn sie ihren Bruder irgendwann zurückbekam... Nie wieder könnte sie zurück in die normale Welt und ihr Leben leben. Sie war für immer ein Teil von Thiagos Rache. Denn eins durfte sie wohl niemals vergessen:

Keira war eine Mörderin.

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