Bruder (TW Suizid)

Gerade war Keira gekommen und das allein durch Thiagos Berührungen und seine talentierte Zunge. Wie konnte es so weit kommen? Noch vor wenigen Tagen hatte sie ihn verflucht und jetzt lag sie keuchend vor ihm. Das war alles so verrückt.

"Wow" hauchte sie leise und atmete schwer. Viel mehr brachte die junge frau auch nicht heraus, denn abgesehen davon, dass ihre Beine zitterten, spürte sie auch ein leichtes Schwindelgefühl. Keira machte sich also gar nicht erst die Mühe sich aufzusetzen, sondern blieb erschöpft auf dem Sofa liegen, während Thiago sich aufsetzte. Sein Blick war undefinierbar. Es war, als wäre er selbst überrascht davon, was gerade passiert war und dennoch konnte sie ein leichtes Grinsen auf seinen Lippen erkennen. Er war wohl sehr stolz auf seine Leistung.

Keira hatte erwartet, dass er nun gehen würde, doch stattdessen begann er sanft über ihre Oberschenkel zu streichen. Etwas überrascht sah sie den Engländer an, doch dieser hatte bloß einen liebevollen Ausdruck in den Augen, als das zarte Streicheln zu einem sanften Massieren wurde. Vermutlich war es die Erschöpfung, die dafür sorgte, dass Keira erleichtert seufzte und sich sogleich begann zu entspannen. Zugegeben, es tat gut, wie er ihre Beine massierte und es war auch nichts sexuelles daran. Es war einfach nur liebevoll, was ihr nach den letzten Wochen unglaublich gut tat.

"Wieso machst du das?" fragte Keira nach einigen Minuten der Stille. "Wieso kommst du mir immer wieder so nah und verdrehst mir den Kopf?" fuhr sie fort und blickte ihn erwartungsvoll an. Die beiden hatten seit Tagen eine unangenehme Spannung zwischen sich, weshalb die junge Frau einfach herausfinden musste, was in Thiago vorging.

"Soll ich damit aufhören Prinzessin?" entgegnete der Engländer mit sanftem Blick. Alles an ihm war so anders als sonst. Da war nicht mehr dieser kalte Killer, sondern ein Mann, der wirkte, als würde er alles für Keira tun und dieses Gefühl gefiel ihr. Der Gedanke, dass sie wusste... nein eher hoffte, dass er für sie die Welt brennen lassen würde, wenn er das musste.

Einige Sekunden zögerte Keira, doch dann schüttelte sie den Kopf. "Nein, du sollst damit nicht aufhören" begann sie zögerlich und beobachtete ihn genau. "Irgendwie fühlt sich das gut an, was du machst" hauchte sie leise und spürte eine zarte Röte auf ihren Wangen. Man war das peinlich. Sie wusste nicht genau, warum aber aus irgendeinem Grund machte Thiago sie nervös und das schien er genau zu wissen.

„Entspann dich" hauchte er leise und sah sie mit ruhigem Blick an. Ihre Frage hatte er zwar immer noch nicht beantwortet, doch Keira folgte seiner Antwort trotzdem und entspannte sich. Auch wenn sie noch nackt war, störte sie das nicht so sehr, wie sie vielleicht vorher gedacht hatte. Ob es daran lag, dass diese Situation mit Thiago nicht mehr sexuell war oder einfach weil sie zu müde war sich zu schämen, dass wusste sie nicht und eigentlich war es ihr auch egal. Hauptsache entspannen.

Einige Zeit saßen die beiden einfach nur da und genossen die Anwesenheit des anderen, doch dann erhob Thiago plötzlich das Wort. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, dennoch sprach er direkt mit ihr. „Wie hast du das nur gemacht Keira? Weißt du, mein Plan war es gewesen deinen Bruder zu entführen, Rache an diesen Mistkerlen zu nehmen und dann aus diesem Land zu fliehen. Ich hatte hier nichts mehr. Keine Familie, keine Freunde oder etwas Ähnliches, was ich vermissen könnte. Ich hätte dich einfach vergessen und ein neues Leben begonnen" meinte er, begleitet von einem etwas theatralischen Seufzen. Das war sein plan gewesen?

„Du wollest mich hier zurücklassen? Du wolltest einfach weglaufen vor der Verantwortung für deine Taten und das für Rache? Du hättest mich vergessen? Vergessen, dass ich einfach zerbrochen wäre, nachdem was passiert ist? Dass ich den Rest des Lebens mit diesen Schuldgefühlen hätte leben müssen, die du mir aufgezwungen hast?" fragte Keira und richtete sich etwas auf. Da war sie wieder, die Wut. Vielleicht war sie nicht mehr wütend, über das was er getan hatte aber das... er hätte sie einfach alleine gelassen damit.

Thiago blickte sie fast etwas überrascht an. „Schuldgefühle? Sie haben dich jahrelang gemobbt!" erwiderte er fassungslos und es war offensichtlich, dass er nicht verstehen konnte, wieso sie das so aufwühlte.

„Trotzdem waren sie Menschen! Ich habe Menschen getötet. Menschen mit Familie, Menschen die sich vielleicht geändert haben! Ich habe jemandem den Vater weggenommen, eine Mutter hat ihren Sohn verloren und irgendeine verdammte Frau weint jede Nacht um ihren Ehemann! Wie kann dir das so egal sein!" warf sie ihm vor und durch ihre Rage hatte Keira nicht bemerkt, wie sie sich mittlerweile ganz aufgesetzt hatte und eine Decke über ihre Beine gezogen hatte.

„Sie haben ein kleines Mädchen in den Suizid getrieben! Sie haben sie umgebracht! Sie haben Isabell getötet!" schrie er ihr schon fast entgegen und sie bemerkte, wie Thiagos Atem schneller ging. Gerade wollte sie etwas erwidern, da sagte er einen Satz, der sie komplett aus der Bahn warf. Dich hätten sie doch auch beinahe umgebracht". Bam. Der traf sie direkt dort wo es weh tat und ihre Gesichtszüge entgleisten. Erst war es Überforderung, die sich in Fassungslosigkeit, Wut und Trauer umwandelte. Woher wusste er das? Wie konnte er das wissen?

„Woher....?" War alles was sie herausbrachte bevor sie ganz die Sprache verlor. Auch Thiago schien zu realisieren, was er da gerade gesagt hatte und ließ sie sofort los. Er wusste von diesem Vorfall? Woher? Wie konnte das sein? Man hatte ihr versprochen, dass man das nirgends erwähnen würde...

„Keira ich..." begann der Engländer, doch sie unterbrach ihn sofort. Woher weißt du davon?" hauchte sie und sah ihn noch immer fassungslos an. Er durfte das nicht wissen. Niemand durfte davon wissen.

„Ich wollte mehr über dich herausfinden, also habe ich einen alten Freund angerufen. Er ist eine Art Hacker und hat mir Infos über dich besorgt, unter anderem auch deine Krankenakte... darin hab ich dann gelesen, dass du..." einige Sekunden zögerte er, doch dann sprach er weiter. das war der Grund wieso ich dich ausgewählt habe" fügte er hinzu. Deshalb hatte sie das alles machen müssen? Weil sie sich damals hatte umbringen wollen?

„Aber ich habe nie die Geschichte gehört. Alles was ich wusste, war dass du es versucht hast, doch... Es tut mir leid, dass du das durchmachen musstest" meinte er sanfter als vorhin. Ob das an den Schuldgefühlen oder ihrem Fassungslosen Blick lag, dass war ihr eigentlich völlig egal. Keira musste all das erstmal verarbeiten. Er hatte es all die Zeit gewusst.

Nach einigen Minuten der Stille begann Keira dann doch wieder zu reden, auch wenn sie unsicher war, wie viel sie ihm davon erzählen sollte. Das Thema war schwierig für sie und so ganz hatte die junge Frau mit ihrem Suizidversuch nie abgeschlossen.

„Es hörte nie auf. Egal, wie oft ich mit Lehrern sprach oder sie weinend anflehte aufzuhören. Es war ihnen und auch allen anderen egal. Hauptsache man wurde selbst nicht zum Opfer. Mein Bruder war im Ausland und studierte dort  für ein Jahr, weshalb ich ihn immer raus gehalten habe. Er sollte sich aufs Studium konzentrieren und meine Mutter war immer am Arbeiten. Ständig war ich alleine mit dem blauen Flecken, den nassen Klamotten und den Selbstzweifeln" erklärte Keira dem Engländer, doch sah ihn nicht an. Dafür schämte sie sich zu sehr. Diese Zeit ihres Lebens war schlimm gewesen und ihm überhaupt davon zu erzählen kostete sie bereits so viel Überwindung.

„Eines Abends war ich wieder alleine zuhause, meine Mutter musste mal wieder Überstunden machen und meinen Bruder hatte ich schon ewig nicht gesehen. Es war einer dieser Tage an denen es ganz schlimm war..." erzählte Keira weiter und spürte dabei Thiagos Blick auf sich. Was gerade in ihm vorging wusste sie nicht, doch es war offensichtlich, dass selbst ihn das nicht kalt ließ.

"Naja, den Rest kennst du ja wahrscheinlich" würgte sie das Thema daraufhin ab. Keira wollte nicht darüber sprechen, was sie an diesem Abend getan hatte. Sie hatte schon so oft darüber reden müssen, mit Therapeuten, Ärzten, ihrer Familie. Immer kamen die gleichen, mitleidigen Blicke und Bemerkungen. "Es tut mir sehr leid für dich" oder "So etwas ist wirklich schrecklich", doch am besten war ja noch das "Hätten wir es nur früher gemerkt". All das wollte sie nicht schon wieder hören.

Eigentlich wollte Keira aufstehen, doch dann sah sie den Ausdruck in Thiagos Augen. Zum ersten Mal seit sie sich trafen, konnte sie Emotionen in seinen wunderschönen Augen sehen. Natürlich, auch im Keller war er emotional gewesen, doch das hier... Er sah sie nicht mitleidig an, sondern als könnte er nicht verstehen, wie man ihr so etwas antun konnte. Ihr, dem Mädchen, dass er selbst in einen Abgrund gezogen hatte.

Einige Sekunden lang sagte er nichts, doch dann legte sich eine seiner starken Hände an Keiras Wange. Kurz zuckte sie zurück, doch dann ließ sie die Berührung zu. So ganz wusste sie nicht, wie sie sein Verhalten einschätzen sollte, weshalb sie einfach abwartete.

"Prinzessin..." begann Thiago und schien sich unsicher zu sein, wie er weitermachen sollte. "Du... du verdienst das alles hier nicht. Niemals hätte dir so etwas passieren dürfen und ich schwöre dir, wenn ich könnte, dann würde ich das alles rückgängig machen. Ich würde dich... Du verdienst das nicht" wiederholte er seinen ersten Satz mit einem Ausdruck, den Keira noch immer nicht deuten konnte. Eigentlich wollte sie das gerade auch gar nicht. Alles was gerade wichtig war, waren Thiagos Worte. Sie konnten ihren Schmerz vielleicht nicht lindern und ganz sicher nicht ändern was passiert war, doch immerhin wusste sie nun, dass auch Thiago tief im inneren nicht so böse war, wie sie anfangs geglaubt hatte.

"Du kannst es aber nicht rückgängig machen" hauchte Keira und sah ihm einen Moment lang nur in die Augen. "Aber du kannst meinen Bruder zurückholen. Du kannst mir helfen ihn wiederzufinden" meinte sie und blickte ihn erwartungsvoll an. Sie musste ihren Bruder einfach wiedersehen und Thiago war der einzige, der ihr dabei helfen konnte. Er wusste, wie Dario tickte und wie sie ihren Bruder zurückholen konnte, dabei musste er ihr einfach helfen.

"Deinen Bruder zurückholen?" fragte Thiago und musterte sie kurz. Vermutlich hatte er in dieser Situation nicht erwartet, dass sie so etwas sagte, doch Keira musste ihn einfach dazu bringen ihr zu helfen. "Ich will dir helfen Keira aber das wird alles andere als einfach. Dario ist... er ist ein Genie in Sachen Taktik. Er ist genauso gut ausgebildet wie ich und hat seit Jahren seine Rache an mir geplant. Ich kann dir nicht versprechen, dass das funktioniert" warnte er sie und sein Blick wurde ernster.

Doch Keira war sich sicher.

Sie wollte ihren Bruder finden.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top