Teil6

Henry war bereit jeden Moment einzugreifen, falls ich vorhatte, etwas Dummes zu tun. Natürlich hatte ich das nicht. Ich dachte nicht daran, Sandra zu beschimpfen oder sie gar anzugreifen und allein die Tatsache, dass Henry das für möglich hielt, fand ich beleidigend. Verdenken konnte ich es ihm nicht, denn meine Akte kannte er ganz genau und auch mein impulsives Verhalten hatte er schon selber miterlebt. Trotzdem hatte ich eigentlich gedacht, dass er mich gut genug kannte, um zu wissen, dass ich nicht von alleine eine andere Person nach so billigen Provokationen angreifen würde, ich hatte mich nur verteidigt. Als ob ich mich von so einer Sozialarbeiterschlampe beleidigen lassen würde.

Wahrscheinlich würde sie nach der Sitzung zu ihren naiven Sozialarbeiterkollegen laufen, um ihnen ihr gespieltes Mitleid über "die arme Knastjugend" vorzuheucheln, damit sie ihnen unsere tragischen Geschichten erzählen kann und dann als Retter des sozialen Abschaums dastehen würde. Ich kannte solche Scheinheiligen wie sie und ich hatte wirklich keine Lust, mich dreimal pro Woche mit so einer Art von Mensch abzugeben und mir ihr besserwisserisches Gelaber anzuhören. Warum sollte ich mir von Menschen, die überhaupt keine Ahnung von meiner Situation haben anhören lassen, wie ich zu reagieren habe? Ich gehe auch nicht zum Kantinenkoch und sage ihm ,wie er die Suppe zu salzen hat, obwohl ich noch nie einen Kochlöffel in der Hand hatte. Eigentlich sollte das mal jemand tun, denn die Suppe in der Kantine schmeckte zum Kotzen.

Der Rest der Sitzung verlief relativ friedlich. Ein anderer Häftling weigerte sich, sich vorzustellen ohne mit einem Anwalt gesprochen zu haben, woraufhin Sandra die Sitzung für beendet erklärte. Beim Hinausgehen beäugten mich einige der Häftlinge neugierig und als ich einem, der Maxim hieß, ein bisschen provokant zuzwinkerte, zögerte er nicht und setzte sich auf den Stuhl neben mir, da ich noch auf Henry warten musste, der sich in der Ecke des Raumes mit Sandra unterhielt. "Hi." sagte er und lächelte mich freundlich an. Ich wollte ihn abwimmeln, da ich damit beschäftigt war Sandra und Henry bei ihrer Unterhaltung zu beobachten. Kannten die beiden sich etwa? "Wieso bist du hier?" unterbrach Maxim meine Gedanken. "Hm?" fragte ich. "Du bist ein Mädchen und das ist ein Männergefängnis." bemerkte er und verschränkte die Arme, offensichtlich gekränkt davon, dass ich ihm nicht so viel Aufmerksamkeit schenkte, wie er gerne hätte. "Nein." sagte ich. Er schien nicht zu verstehen, was ich meinte. "Das ist ein Jugendgefängnis für männliche Insassen von 16 bis 25." korrigierte ich ihn. "Ja, wenn dir das besser gefällt. Also, warum bist du hier?" wiederholte er. Ich sagte ihm kurz und knapp die Wahrheit. "Weil ich zu Beginn meiner Haftstrafe in ein Jugendgefängnis für Mädchen gesteckt wurde, ich einige.. unglückliche Missverständnisse mit den Wärtern hatte und die Gefängnisleitung schließlich der Meinung war, hier wären besser ausgebildete Ordnungshüter, die mich besser im Griff hätten. Dann haben sie mich abgeschoben." ich lächelte kurz angebunden. "Und das geht so einfach? Ich.. ich meine, eigentlich ist es doch streng verboten, in Gefängnissen weibliche und männliche Insassen unterzubringen. Naja.. also soweit ich weiß. Ich frage mich nur, ob das legal ist." sagte er. Dieses Gespräch war sinnlos, er sah doch mit eigenen Augen, dass es möglich war. "Was interessiert es dich?" antwortete ich, doch er schien nicht locker zu lassen. Mit seinen tiefbraunen Augen fixierte er mich. Ich hatte ihn vorher noch nie gesehen. Henry und Sandra unterhielten sich angeregt, ich war mir nicht sicher ob es ein gutes oder ein schlechtes Gespräch war. "Jeden hier interessiert das." konterte Maxim und seine Augen verengten sich. "Ja, wie du siehst ist es legal. Jedenfalls, ausnahmehalber. Und falls du meinst, ich würde hier in einem Risiko leben vergewaltigt zu werden, hast du noch nicht gemerkt, dass ich nie alleine bin." gab ich zurück und schwenkte mit dem Blick wieder zu Henry. Maxim folgte meinem Blick und nickte. "Ah, ja. Das habe ich mitbekommen. Und den Vorfall mit Aaron auch, viele reden darüber in unserem Gemeinschaftsraum." erzählte er. "Moment..du kennst Aaron?" schnaubte ich verächtlich. "Naja, ich hab mal bei ihm Gras gekauft und ne Weile mit ihm und seiner Gang abgehangen, aber bevor.. bevor er sich verändert hat." sagte er und schien ein bisschen in Erinnerung zu schwelgen. Warum wunderte ich mich eigentlich, jeder kannte Aaron.


Bevor ich Zeit hatte zu antworten, hatten Sandra und Henry ihr Gespräch beendet. Henry kam auf mich zu, sein Gesicht war errötet und angespannt, aus welchem Grund auch immer. Mit großen hektischen Schritten kam er zu mir, packte mein Handgelenk und schloss die Handschelle darum, die andere Seite wieder um sein eigenes. Dieses Mal war er derjenige, der daran zerrte, sodass mein Arm nach oben schnellte und er mich mit einem Ruck auf die Beine zog. "Zeit zu gehen." zischte er, wich meinem verwirrten Blick aus und zerrte mich auf den Gang. Schweigend, mit schnellen und und lauten Schritten gingen wir durch den B-Trakt, in Richtung Zelle.

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