Teil 5
Als Henry und ich den Gruppenraum betraten, saßen einige bereits in einem kleinen Stuhlkreis. Es gab ein großes Fenster, das den kleinen Raum mit Tageslicht versorgte. Jedoch regnete es und durch die rostigen Gitterstäbe, die von außen angebracht waren, konnte ich den mit Wolken bedeckten Himmel erkennen.
In dem Stuhlkreis saßen hauptsächlich Häftlinge aus dem B - Trakt, also Kleinkriminelle, die vielleicht mal eine Schlägerei angezettelt oder einen Tankstellenwart mit einem Küchenmesser bedroht hatten. Die Häftlinge in meinem Trakt waren eine ganz andere Liga.
Auf einem der hölzernen Stühle saß eine blonde Frau mit schwarz gerahmter Brille, vielleicht Mitte 30, höchstens 38. Henry nahm mir die Handschelle ab, gab mir zu verstehen, dass ich mich hinsetzen soll und stellte sich ans Fenster. Die Frau mit der Brille schaute kurz zu mir auf und verharrte, als sie mich erkannte. "Ah! Deine Akte habe ich als erste gelesen." sagte sie schrill und ich war nicht die einzige, die zusammenzuckte. "Schön, dass du mitmachst. Ich habe ja schon einiges von dir gehört, mein Kind." plapperte sie fröhlich weiter und lächelte mich ein wenig unsicher an. Gequält lächelte ich zurück, denn ich wusste schon, warum ich hier nicht mitmachen wollte. Reflexartig blickte ich zu Henry, der jedoch mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein schien. Die anderen Häftlinge beäugten mich mit skeptischer Miene. Es schien ihnen nicht zu gefallen, dass ich so viel Aufmerksamkeit auf mich zog, obwohl ich nichts dafür konnte. Nach und nach trafen auch die letzten Teilnehmer ein und die Frau mit der Brille eröffnete die erste Gruppensitzung. "Es ist mir eine Freude, Sie alle hier begrüßen zu dürfen." trällerte sie mit einem aufgesetzten Lächeln. Ich mochte sie jetzt schon nicht. "Mein Name ist Sandra Kremer, aber natürlich dürfen Sie mich auch gerne beim Vornamen nennen. Da wir ja jetzt einige Stunden in der Woche gemeinsam verbringen werden, möchte ich erstmal eine kleine Vorstellungsrunde machen, da ich Sie ja noch nicht persönlich kennengelernt habe." fuhr sie fort und grinste von Minute zu Minute mehr, ein Wunder dass sie keinen Krampf davon bekam. Sie hatte einen Dialekt, österreichisch, glaube ich.
Sie kramte hinter ihrem Stuhl herum und hielt plötzlich einen kleinen, blauen Ball in der Hand. "Wer diesen Ball hat, darf sprechen. Wenn man fertig ist, wirft man ihn der nächsten Person zu. Verstanden?" fragte sie in die Runde, doch niemand antwortete. "Schön." bemerkte sie und hielt den Ball noch immer in der Hand. "Dann fange ich an. Ich heiße Sandra, ich bin 28 Jahre jung und bin hier, weil es mein Job ist." erklärte sie und lachte so laut und schallend, dass ich befürchtete, das Fenster würde in Tausend Splitter zerbersten. Scheiße. Ich befürchtete, dass ich nach diesen Gruppensitzungen wahrscheinlich aggressiver sein würde als vorher.
Sandra gab den Ball an mich weiter. "Ich heiße Cat. Ich bin 19 Jahre alt und.. bin hier, wegen einigen Dingen, die ich in meiner Vergangenheit gemacht habe." stellte ich mich vor und wollte den Ball weitergeben, aber Sandra stoppte mich. "Ist das dein richtiger Name? Cat?" fragte sie. "Nein." antwortete ich knapp. Aus dem Augenwinkel sah ich Henry, wie er mir durch Gestik subtil zu verstehen gab, mir etwas mehr Mühe zu geben. "Es.. ist mein Spitzname. Mein richtiger Name ist Kathrin." fügte ich hinzu und lächelte gezwungen. Danke Henry. "Und würdest du uns erläutern, was genau das für Dinge waren, wegen denen du hier bist Cat?" stocherte sie weiter. So war das aber nicht abgemacht. Jetzt war ich genervt. Ich zögerte und blickte durch die Runde, alle Augen waren auf mich und Sandra gerichtet. "Was soll die Frage? Ich dachte, ich soll mich nur kurz vorstellen?" beschwerte ich mich gereizt. "Oh, ja natürlich. Aber das Ziel hier ist es ja auch, sich ein bisschen zu öffnen und - naja - den anderen zu zeigen, wer man ist." versuchte sie mir mit ihrem zuckersüßen Dauergrinsen und ihrer quengeligen Stimme zu erklären. "Ja das ist ja auch wundervoll, aber meine Vergangenheit ist nicht alles was mich ausmacht. Außerdem dachte ich, es geht darum, seine Aggression zu kontrollieren, aber wenn ich mal wieder auf meine Vergangenheit reduziert werde von jemandem der keinen Schimmer davon hat, wie es in mir - oder in einem der anderen - wirklich aussieht, dann tut es mir Leid, aber dann wird das nichts mit uns beiden und der Anti- Aggression." sagte ich bestimmt. Die anderen Häftlinge verkniffen sich ein Lachen. In meinem Trakt hätte schon längst jemand lauthals gelacht oder versucht ihr eine Schelle zu verpassen. Nervös blickte Sandra zu Henry. Sie wagte es nicht ihn da mit reinzuziehen.
Aber anscheinend war das schon ein Zeichen gewesen, denn Henry ging langsam um den Stuhlkreis herum und stellte sich demonstrativ hinter mich. Was ging hier eigentlich ab? Sandra beachtete meine Antwort nicht weiter und nahm mir den Ball aus der Hand. Auch gut.
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