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Am nächsten Morgen wacht Lian von einem Hupen auf, welches nicht aufhört. Er dreht sich noch einmal um und presst sein Kopfkissen auf sein Ohr. Als das Hupen jedoch auch dann nicht leiser wird, geschweige denn aufhört, setzt er sich in seinem Bett auf und schlurft zum Fenster hin. Dort winken ihm seine beiden Kumpels zu.
„Auch schon wach, Schlafmütze?", grinst Elio ihn an.
„Es ist-", beginnt er seinen Satz und schaut auf die Uhr, die in seinem Zimmer hängt.
„Scheiße", beginnt er dann zu fluchen. Er hatte heute Morgen ganz sicher verschlafen, denn er kann sich nicht daran erinnern, bei den Schafen gewesen zu sein.
„Fuck, Fuck, Fuck", hüpft er durch sein Zimmer, um sich dabei eine Socke über den Fuß zu ziehen.
„Das sieht ganz schön albern aus. Hast du unsere Tour heute vergessen? Wir sind verabredet gewesen. Um genau zu sein, vor zehn Minuten", lacht Stean ihn nun aus.
„Sorry, ich hab irgendwie verpennt. Mein Wecker muss ausgegangen sein", erklärt er den beiden und hebt ein Shirt vom Boden auf, um daran zu riechen. Er beschließt, dass dieses Shirt akzeptabel ist und zieht es sich über den Kopf. Danach verschwindet er im Bad, um sich die Zähne zu putzen und eine neue Unterhose anzuziehen. Dies muss immerhin nicht die gesamte Nachbarschaft mitbekommen.
„Angezogen?", fragt Elio provokant.
„Nur noch die Hose. Dann muss ich mich eben um die Schafe kümmern. Danach komme ich sofort, okay?", sagt er und rennt aus dem Haus. Einen kleinen Augenblick später rennt er wieder in sein Zimmer, um seinen Helm zu holen.
„Wir müssen nur einen Abstecher zu den Schafen machen und dann kann unsere Tour beginnen", erklärt er und holt die Maschine aus der Garage. Er hatte mit seinem Vater abgemacht, dass er seine Maschine diesen Sommer nutzen darf und vor allem für die kleinen Fahrten mit seinen Freunden. Nur Elio hatte seine eigene Maschine, Stean hingegen hatte sein eigenes Auto. Lian durfte sich die Maschine seines Vaters zum Glück immer ausleihen, wenn er ab und zu den Tank nachfüllte.
Bei den Schafen angekommen stellt Lian die Maschine ab und rennt zu den Schafen hinein.
„Es tut mir so leid, dass ihr warten musstet. Ich füttere euch gleich, ich hab verschlafen und", sagt er, als er in den Stall hinein geht und das Futter holen will, sich jedoch beinahe zu Tode erschreckt.
„Storm? Was machst du denn hier?", fragt er, sein Herz dabei haltend. Er kann froh sein, dass er nicht geschrien hat, denn dann hätten seine Freunde ihn bestimmt ausgelacht. Sie hielten ihn sowieso schon für einen Trottel, da ist er sich sicher.
„Du warst nicht da, da dachte ich, ich füttere die Schafe einfach", erklärt sie. Sie sitzt neben dem kleinen Kalb und streichelt es.
„Danke, du bist echt die Beste. Wie kann ich dir dafür nur danken?", fragt er aufgeregt.
„Ehrensache", grinst sie. „Und nun hau schon ab. Die Jungs warten", sagt sie und zeigt auf eine imaginäre Uhr auf ihrem Handgelenk. Lian läuft wieder aus dem Stall hinaus und steigt auf die Maschine.
„Können wir dann endlich?", lacht er und tritt auf das Gaspedal.
„Du bist doch die Prinzessin, auf die wir immer warten müssen", gibt Elio zurück.
Die drei fahren über die Landstraße und der Wind weht ihnen ins Gesicht. Die Landstraße ist leer, kein einziges Auto ist in Sicht. Es hatte schon seine Vorteile, auf einem Dorf zu wohnen. Niemand wollte hier her und man hatte die meiste Zeit seine Ruhe, selbst in den Sommerferien.
„Da hinten ist ein Wald. Wollen wir dort hin?", fragt Stean nach einer Weile.
„Sieht ein bisschen verwunschen aus", lacht Elio. Er hatte definitiv viel zu viel Netflix geschaut, denn er malte sich immer die seltsamsten Dinge aus. Die drei stellten die Motorräder am Rand des Waldes ab und gehen dann in den Wald hinein.
„Leute, schaut mal. Dort ist ein See. Wollen wir darin baden gehen?", fragt Elio begeistert und hatte schon das Shirt ausgezogen.
„Du kannst dort meinetwegen gerne hineingehen, aber ich fange mir keine Blutegel ein", erklärt Stean und schaut sich ein wenig weiter um.
„Es sieht hier wirklich schön aus", erklärt Lian den beiden anderen, was sie selbst auch erkennen können.
„Wir müssen noch einmal mit den Mädels herkommen", erklärt Elio und hat schon einen der beiden Füße ins Wasser gesetzt.
„Ich kann dir sagen, dass du bestimmt gleich rumjammerst", prophezeit Stean ihm. Als Lian sich das nächste Mal zu seinen beiden Freunden umdreht, ist Elio ganz im Wasser verschwunden und schwimmt seine Runden in dem kleinen See.
„Bist du dir sicher, dass der zum Schwimmen geeignet ist? Hast du nicht The Body gelesen? Da haben die am Ende Blutegel überall, weil sie mitten im Wald irgendwo schwimmen gegangen sind. Da drinnen könnte auch eine Leiche liegen. Immerhin ist dieser Wald sehr abgelegen", erklärt Stean seinem Freund lachend, denn der ist in null Komma nichts aus dem See draußen, als er das Wort Leiche hört.
„Lasst uns doch noch ein Stück weiter gehen", erklärt Lian den beiden anderen.
„Ich darf nicht zu weit in den Wald gehen. Mein Orientierungssinn ist wirklich nicht die Beste. Außerdem bin ich noch mit Marzia verabredet und darf nicht zu spät kommen.", erklärt Stean. Er schaut auf die Armbanduhr und merkt, wie spät es eigentlich schon ist.
„Scheiße, haben wir so lange hierher gebraucht?", fragt er.
„Jungs, ich bin weg", erklärt er und rennt aus dem kleinen Waldstückchen hinaus. Lian entdeckt in der nächsten Sekunde eine sehr schöne Lichtung, auf der ein Reh grast. Im nächsten Moment dreht er sich um, um seinem Freund zu sagen, dass sie auch langsam zurück sollten. Er wollte diesen Ort geheim halten. Er wollte Storm auch einen geheimen, einsamen und schönen Ort zeigen. Er nimmt sich vor, in den nächsten paar Tagen mit ihr hier her zu fahren.
„Dann hätten wir doch eben auch mit Stean gehen können", erklärt Elio ihm.
„Vielleicht holen wir ihn ja noch ein", sagt Lian schnell und quetscht sich an seinem Freund vorbei, sodass dieser gezwungen ist, ihm zu folgen, wenn er nicht mutterseelenallein hier bleiben will.
„Ich komm ja schon, aber ich bin doch noch vollkommen nass", erklärt er.
„Das trocknet beim laufen schon", scherzt Lian. „Und wenn nicht, dann eben beim Fahren"
„Ich sag's dir, ich bekomme wegen euch bestimmt eine fette Erkältung, mitten im Sommer"
„Selbst schuld, wenn du einfach so baden gehst. Außerdem ist es doch verdammt heiß, du trocknest bestimmt wirklich gleich", erwidert Lian. Sie holen Stean nicht ein, denn der ist mit seinem Motorrad schon über alle Berge. Eine tolle Tour denkt sich Elio, der sich wirklich darauf gefreut hatte, mal wieder etwas mit seinen männlichen Freunden zu unternehmen. Doch Stean hatte seit Jahren nur noch seine Freundin im Kopf und was mit Lian nun los war, konnte er sich ebenfalls nicht erklären. Mitten im Nirgendwo wollte er allerdings auch nicht alleine bleiben, weshalb er sich mit Lian zurück auf den Heimweg machte. Die beiden reden auf dem Heimweg kaum miteinander, doch dies war mit den Helmen und dem Fahrtwind auch schwer. Lian stellt Zuhause das Motorrad wieder in die Garage und widmet sich seinem Freund, der noch etwas anderes Unternehmen wollte. Seitdem sie den Abiball gemeinsam verbracht hatten, hatten die Freunde nichts mehr gemeinsam gemacht, denn sie waren immer nur einzeln zusammen gewesen.
„Wollen wir nicht noch etwas mit den anderen zusammen machen? Also wollen wir nicht noch Lenne und Storm dazu holen? Marzia und Stean sind wahrscheinlich gerade damit beschäftigt, sich gegenseitig aufzuessen, aber wir könnten doch mit den anderen in die Eisdiele gehen. Mir kommt es vor, als wenn wir schon Ewigkeiten nichts mehr gemeinsam gemacht hätten, obwohl der Abiball erst zwei Tage her ist. Ich frag mich, wie das erst werden soll, wenn wir alle auf der Welt verstreut sind", erklärt Elio ihm. Sie machen ab, dass sie die beiden Mädchen von Zuhause abholen und dann gemeinsam zur Eisdiele fahren wollen.
„Wie geht's dir?", fragt Storm Lian lächelnd, als die beiden zur Eisdiele vorgehen. Der Weg ist zu eng, als dass sie alle in einer Reihe gehen können, weshalb sie sich aufgeteilt haben.
„Sehr gut. Die Jungs und ich haben heute eine Tour gemacht und ich muss dir bald unbedingt Mal etwas zeigen", erzählt er begeistert. „Wie geht es dir denn?", fügt er danach noch hinzu. Sie kommt jedoch nicht dazu, zu antworten, denn sie sind in der Eisdiele angekommen und Luigi, der Eismann begrüßt die Freunde. Sie setzten sich an einen der Tische draußen und bestellen alle ein Eis. Nach ein paar Minuten bekommen sie alle ihre Bestellungen und beraten sich, was sie diesen Sommer noch alles erleben wollen, bevor sie in die weite Welt ziehen und alle getrennt voneinander sind.
„Wir müssen unbedingt noch ein Lagerfeuer machen, wie damals", ruft Storm begeistert in die Runde.
„Es ist doch irgendwie seltsam, dass wir alle seit unserer Kindheit hier wohnen und nun auf einmal alle in die verschiedensten Ecken der Welt gestreut werden, ohne dass wir zusammen sind", erklärt Lian.
„Ich finde es auch total seltsam. Es ist irgendwie gar nicht real, als wenn wir nach den Ferien einfach alle wieder in die Schule gehen würden", gibt auch Lenne ihren Senf dazu.
„Wir müssen nackt baden gehen", wirft Elio in die Runde.
„Nackt?", fragt Storm lachend.
„Ja, das machen die doch alle immer in Geschichten nach dem Abi", erklärt er unschuldig.
„Wir müssen noch einmal auf unser Lichterfest gehen, auf den Dom oder auf irgend ein Fest, welches in der Gegend stattfindet", gibt Lian seine nächste Idee in die Runde.
„Eine Fahrradtour", gibt Lenne dazu.
„Ganz viel Eis bei Luigi essen", mischt sich nun auch Luigi ein, der das Gespräch mitgehört hatte und am Nebentisch etwas abräumt.
„Natürlich", lachen die Freunde und sammeln weitere Vorschläge, bis sie ihr Eis aufgegessen haben und sich die Hosen aufknöpfen müssen.
Am Abend klopft es noch einmal an Lians Fenster. Er liegt schon im Bett und schaut sich die Fotos aus dem letzten Jahr an. Dann klopft es noch einmal und er steht auf, um zu schauen, welcher seiner Freunde ihn nun wieder stört. Er reißt das Fenster auf und dort steht Storm.
„Oh, entschuldige. Ich wollte dich nicht stören. Ich wusste nicht, dass du schon schläfst", sagt sie, was sie wohl aus seiner nicht vorhandenen Kleidung schließt. Er hat nur eine Boxershorts an.
„Oh, Sorry. Ich wusste nicht, dass noch jemand vorbei kommt", sagt er und bittet sie hinein. Sie klettert durch das Fenster. Er hebt schnell die Hose vom Boden auf und zieht sie sich über. Dann hebt er noch ein Shirt auf.
„Du brauchst dich nicht wegen mir extra noch einmal anziehen. Ich wollte dich auch gar nicht lange stören. Es ist nur so, der Todestag rückt immer näher und ich kann einfach nicht schlafen. Kann ich hier pennen?", fragt sie ihn unschuldig. Er wird rot und ist froh darüber, dass sie dies im Schein des Mondes nicht sehen kann.
„Ähm..also.." , fängt er an zu stammeln.
„Es ist auch okay, wenn du nein sagst. Dann frage ich Marzia oder Lenne", erklärt sie ihm.
„Nein!"
„Wieso nicht?", fragt sie verdutzt.
„Sorry, ich meine. Nein, du kannst hier schlafen. Ich wusste im ersten Moment nur nicht, wo. Aber du kannst in meinem Bett schlafen. Ich gehe aufs Sofa", sagt er.
„Ist schon okay. Wir können doch auch beide in deinem Bett schlafen. Platz genug ist dort allemal. Und ich mag es sowieso nicht, allein zu sein. Ich könnte deine Gesellschaft also gut gebrauchen", sagt sie lächelnd. Nun gibt er sich endlich geschlafen, bereut es jedoch sofort wieder, als die beiden zusammen in dem Bett liegen. Sie hat den Rücken zu ihm gedreht und hat nur ein seichtes Top an, wobei ihr der Träger des Tops über die Schulter gerutscht ist. Die Beine der beiden liegen unter einer Bettdecke, da Lian keine zweite finden konnte, was ihn nur noch atemloser macht.
„Storm? Darf ich dich etwas fragen?", fragt er in die Stille der Nacht hinein. Sie dreht sich zu ihm um und ihre Gesichter sind sich näher, als sie sein sollten. Er hofft, dass er keinen Mundgeruch hat und stellt seine Frage.
„Weshalb hast du zuerst mich gefragt?", fragt er und seine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern.
„Weil ich gerne in deiner Nähe bin und du mir Sicherheit verleihst. Du kennst mich in-und auswendig. Dir brauche ich nicht zu erklären, weshalb ich hier bin. Du nimmst mich einfach und weißt, wann ich etwas brauche", erklärt sie ihm und schaut ihm dabei in die Augen. Er könnte schwören, dass auch ihr Herz in diesem Moment schneller schlägt. Ihre Füße streifen sich und er bemerkt, dass ihre eiskalt sind.
„Soll ich dir Kuschelsocken geben?", fragt er und zerstört damit die gesamte Atmosphäre. Er hätte sich ohrfeigen können, denn seine Stimme ist lauter, als alles andere. Dies wäre vermutlich der perfekte Moment gewesen, um Storm zu küssen. Aber er ist ein Feigling.
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