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Storm raubt einem den Atem. Sie ist einfach wunderschön. So denkt jeder, der in Zomerstad wohnt. Jedes Mädchen will so sein, wie Storm und jeder Junge schwärmt davon, sie zu küssen. Storm ist einfach perfekt. Sie hat mittellange Haare, die ihr bis kurz über die Brust gehen und weiße Zähne. Sie hat blaue Augen, die wie der Himmel aussehen. Storm sieht aus, wie aus dem Märchenbuch entsprungen. Als wäre sie aus dem Märchenbuch in die reale Welt geflohen, so schön ist sie.
Die Freunde machen sich auf den Weg zu ihrem Abiball. Stean holt Elio und Lian bei den beiden Zuhause ab, um daraufhin die Mädchen bei Storm einzusammeln, denn sie wollten sich dort fertig machen. Sie hatten beschlossen, alle zusammen zu dem Ball zu gehen, obwohl Marzia und Stean seit Jahren ein Paar waren. Stean parkt vor Storms Haus und die drei Jungen steigen aus, um an der Haustür zu klingeln. Der Vater von Storm begrüßt die drei herzlich, denn sie kennen sich schon seit Jahren. Eigentlich hatten die Freunde ihre gesamte Kindheit miteinander verbracht. Sie müssen noch einen Augenblick Platz nehmen, denn die Mädchen sind noch nicht fertig geworden.
Als die Mädchen dann die Treppe hinunter kommen, sehen sie noch schöner aus, als sonst. Dass dies möglich wäre, wussten die drei Jungs nicht.
„Wow. Ihr seht alle drei unglaublich aus", erklärt Stean den Mädchen. Lian ist sprachlos. Er kann nichts mehr sagen, denn in diesem Moment, als er Storm die Treppen hinunter laufen sieht, ist es um ihn geschehen und er verliebt sich in seine beste Freundin. In seine beste Freundin, die so unerreichbar für ihn ist.
„Ihr seht unglaublich aus", schafft es auch Lian nach fünf Minuten stotternd heraus zu bringen. Storm hat ein blaues, kurzes Kleid an, welches ihr unheimlich gut steht und aussieht, als wenn es aus dem neunzehnten Jahrhundert kommen würde.
„Danke", grinsen die drei Freundinnen und nehmen nun auch die letzten Stufen, um vor den Jungs stehen zu bleiben.
„Die Dame", grinst Stean und nimmt Marzia in den Arm, um ihr erst einen leidenschaftlichen Kuss zu geben und dann seinen Arm um sie zu legen, sodass sie zum Ball können.
„Stopp", ruft auf einmal Storms Vater.
„Ich muss doch noch ein paar Bilder machen. Einen Abiball gibt's doch schließlich nur einmal im Leben", lächelt er und hat schon die Kamera heraus geholt.
„Stellt euch mal da hin", sagt er. Niemand rührt sich. „Ja, genau so", sagt er und es knipst einmal.
„Stellt euch noch einmal anders hin", sagt er und nun machen die Freunde Anstalten sich zu bewegen.
„Nein. Nicht so. Jungs, stellt euch mal neben eure Mädchen. Ja, geht doch", sagt er, als die Jungs sich jeweils neben die Mädchen gestellt haben. Danach schaut er sich die Fotos an.
„Irgendwie sind die alle verschwommen", stellt er dann fest.
„Soll ich dir helfen?", fragt Elio nun, der sich mit der Fotografie auskennt. Er stellt Storms Vater etwas ein und dann macht dieser noch einmal ein paar Fotos, die auch gut werden. Dann sollen sie sich noch einmal draußen hinstellen, denn da wäre eine schönere Kulisse. Auch dort werden noch ein paar Fotos geknipst.
„Kannst du nun auch noch ein Foto von Storm und mir machen?", fragt ihr Vater. Elio nickt und die beiden stellen sich nun vor die Kamera. Storm sieht atemberaubend aus. Die Züge muss sie von ihrem Vater geerbt haben, denn auch noch im hohen Alter sieht er wirklich gut aus. Die beiden schneiden noch eine Grimasse und es werden noch ein paar Einzelfotos gemacht, sodass sie Bilder von allen zusammen haben, zu dritt oder auch als Paar. Nach einer halben Stunde sind sie mit Bildern schießen fertig. Die Eltern der anderen würden ohne ihre Kinder kommen. Sie würden sich einfach bei dem Abiball treffen.
Die Freunde müssen mit zwei Autos fahren, da Storms Vater kein Platz mehr in Steans Auto hätte. Storms Vater und Stean fahren. Als sie bei dem Abiball ankommen ist dieser schon im vollen Gange. Die Musik läuft und viele der anderen Schüler sind schon dort. Die Eltern der anderen können die Freunde allerdings nicht entdecken. Das ist typisch in ihrer Clique. Jeder kam immer zu spät-auch ihre Eltern.
„Wollen wir tanzen?", fragt Marzia ihren Freund und schon sind die beiden auf der Tanzfläche verschwunden, die anderen stehen hilflos im Raum herum.
„Wollen wir uns da vorne hinsetzen?", fragt Storm lächelnd. Lian ist immer noch von dem Gefühl überwältigt, welches seit vorhin nicht weg geht. Er kann sich nicht in seine beste Freundin verlieben, nicht in Storm. Er hätte sich in Lenne verlieben können, das wäre okay gewesen. Seinetwegen sogar Marzia. Aber nicht in Storm.
Lian spürt die neidischen Blicke der anderen Jungs, die auch mit Storm zum Ball gehen wollten, doch Storm war eine eiskalte Herzensbrecherin. Er ist sich sicher, dass sie alle in diesem Moment Mordpläne schmiedeten. Am liebsten hätte er ein Schild hochgehalten auf dem stehen würde: Wir sind als Freunde hier. Dazu war er nicht gerade der beliebteste Junge, geschweige denn selbstbewusst. Er war eigentlich so ziemlich das Gegenteil von Storm. Damals hatte er sich schon gefragt, wie die beiden zu besten Freunden werden konnten, wo sie doch schon so unterschiedlich waren.
Lian denkt bis heute, dass es die Schafe sind, die Storms Herz damals erobert haben und sie zu besten Freunden haben werden lassen. Immerhin waren die beiden seid ihrer Kindheit befreundet. Da war es Kindern egal, wie der andere aussah oder wie er war. Man spielte einfach mit dem anderen. Man hatte keine Vorurteile. Lian fragte sich manchmal, wie es gewesen wäre, wenn die beiden nicht schon als Kinder befreundet gewesen wären. In welcher Freundesgruppe er sich nun rumtummeln würde, denn seine Freunde waren alle irgendwie ganz anders als er. Sie sahen gut aus. Er denkt, dass er zu den uncoolen Kids gehören würde. Er denkt, dass die anderen ihn seltsam finden, weil er sich um die Schafe kümmerte, weil er gerne las und immer kaputte Socken anhatte.
Als Storm und Lenne zurückkommen, werden sie von allen Seiten angestarrt. Die beiden haben Getränke in der Hand und versuchen sie zu balancieren, sodass sie nicht herunterfallen. Sie bemerken die Blicke inzwischen nicht mehr, aber jeder andere sieht, dass alle sie anschauen.
Lenne war besonders, denn sie kommt aus Finnland und hatte schon fast weiße Haare, so hell sind ihre blonden Haare, die sie gerne offen trägt, damit man sie bewundern konnte. Lenne ist genauso selbstbewusst, wie Storm. Bei dem Aussehen konnten die beiden allerdings auch selbstbewusst sein. Das einzige, was an Lenne nicht schön war, waren ihre zerkratzen Hände. Ihre Hände sind durch und durch mit Kratzern von ihren Tieren überzogen, denn Lenne ist der tierliebste Mensch, denn Lian kennt. Selbst die etwas abstehenden Ohren passten perfekt zu Lenne. Auch das Kleid, in dem Lenne steckt, macht sie schön. Doch nicht so schön, wie Storm aussieht. Lian fragt sich, wie jemand so schön sein kann. Ihm war noch nie etwas aufgefallen, was an Storm nicht schön war.
Inzwischen hatten die Kellner das Essen serviert und sie hatten alle aufgegessen. Das Essen war wirklich gut. Das musste es auch sein, denn immerhin hatten sie für ein einzelnes Ticket über sechzig Euro bezahlt. Zum Glück hatte Storm keine Geschwister, denn dann hätten sie noch mehr bezahlen müssen. So hatten sie nur zwei Tickets kaufen müssen. Lenne hatte vier Tickets kaufen müssen, denn sie hatte noch einen großen Bruder.
Bald würde der Abendeinlass sein und alle asozialen Freunde von den Mitschülern wären dann auch in dem kleinen Saal. Auf die hatte Storm jetzt schon keine Lust mehr, denn sie wusste, dass sie sie anstarren würden. So war das schon immer gewesen und wird es auch immer sein. Am liebsten wäre sie nun gegangen, aber das konnte sie ihrem Vater nicht antun. Sie hatten nicht umsonst diese 120 Euro bezahlt. Sie entschließt sich schließlich dazu mit Lian zu tanzen.
Lian ist seit sie denken kann ihr bester Freund. Dies aus einem guten Grund, denn er hatte sie noch nie angestarrt. Bei ihm fühlt sie sich einfach, wie eine normale Person und nicht, wie eine Außerirdische. Sie kann bei ihm durchatmen. Manchmal wünschte sie sich, anders auszusehen, sodass niemand sie mehr anstarren würde. Es war ja schön, ab und zu ein Kompliment zu bekommen, aber Storm hatte das Gefühl, keine Privatsphäre mehr zu haben. Sie war gerne mit Lian zusammen, weil er sie normal behandelte und nicht, wie all die anderen Jungs auf sie stand. Er hatte immerhin schon ein paar Freundinnen gehabt, bei dem sie ihn immer beraten konnte. Sie hatte noch nie eine Beziehung zugelassen, denn sie wollte niemanden an ihrer Seite haben, der vermutlich nur wegen ihres Aussehens mit ihr zusammen sein würde. Lian kannte sie seit ihrer Kindheit in - und auswendig, verurteilte sie nicht und teilte Interessen mit ihr. Er gab ihr niemals das Gefühl, seltsam zu sein.
Er fragte nie nach ihrer Mutter, sondern begleitet sie schweigend zu dem Grab, fragte sie nicht, weshalb sie tote Tiere sammelte und sie beerdigte. Er fragte sie nicht, weshalb sie sich immer zu den Schafen zurückzog, sondern setzte sich zu ihr. Er wusste genau, wann sie eine Umarmung brauchte.
Um drei Uhr nachts war der Abiball zu Ende und die Freunde lachten. Storms Vater war inzwischen schon nach Hause gefahren, denn er musste morgen früh raus und die Tiere füttern. Er musste jeden Tag arbeiten, damit Storm und er ein angenehmes Leben haben konnten. Storm lebt auf einem Bauernhof. Sie muss sich immer um die Hühner kümmern.
Lian, Stean, Elio, Marzia, Lenne und Storm stolpern lachend in die kühle Abendluft hinein. Es ist immer noch angenehm warm.
„SOMMERFERIEN", kreischen die Mädchen, denn dies war der letzte Schultag gewesen. Sie waren endlich frei, hatten ihr Abitur in der Tasche und hatten einen ganzen Sommer vor sich, denn sie zusammen verbringen würden. Zuhause, bevor sie alle in die weite Welt zogen - und sich vermutlich nie wieder sahen.
„Können wir uns eines versprechen?", fragt Storm in die Runde.
„Was denn?", fragt Lenne.
„Bitte lass uns danach noch befreundet bleiben. Lass uns, egal wohin wir gehen, jede Woche mindestens einmal facetimen und befreundet bleiben. Ich will euch nicht verlieren. Dafür seid ihr mir viel zu wichtig geworden", erklärt Storm den anderen.
„Wir kennen uns seit unserer Kindheit. Als ob uns die kleinen Meter voneinander trennen würden", scherzt Elio.
„Du gehst nach Australien", erklärt Lian.
„Na und? Sind doch nur ein paar Kilometer", lacht er.
„Versprecht ihr es?", fragt Storm unruhig.
„Versprochen", sagen sie alle im Chor. Sie stehen in einem Kreis, immer noch in ihren Kleidern und Anzügen, aber barfuß, denn die Mädchen haben es in ihren hohen Schuhen nicht mehr ausgehalten. Storms blaue Augen treffen genau auf Lians hellbraune Augen. Sie schauen sich in die Augen, als würden die beiden sich wirklich küssen wollen. Auch Marzia schaut mit ihren schokoladenfarbigen Augen in die grün-blauen Augen ihres Freundes. Lenne und Elio schauen sich ebenfalls in die blauen Augen des anderen. Dann legen sie ihre Hände alle übereinander. Lian explodiert bei diesem Bild. Ihre Hände berühren sich, so wie sie es immer getan haben. Aber auf einmal ist ein Gefühl in ihm, welches er noch nie zuvor für jemanden empfunden hat. Ein Gefühl, welches er nicht beschreiben kann. Als würde er explodieren, wenn er in Storms Augen schaut. In diesem Moment würde er alles für sie tun. Wenn sie sagen würde, dass er von der Brücke springen soll, würde er nicht zögern. Die Hände der Freunde gehen alle in die Luft und sie fangen an zu lachen.
„Versprochen", flüstert Storm noch einmal, als sie sich auf den Weg nach Hause machen. Sie alle gehen nebeneinander auf dem rauen Pflasterstein entlang. Da die Freunde in einem Dorf wohnen, ist es nicht weit und sie können nach Hause laufen. Sie alle leben auf der gleichen Ecke, weshalb es kein Problem ist, gemeinsam nach Hause zu gehen und den anderen jeweils nach Hause zu bringen.
Die anderen haben Storm und Lian schon verlassen, weil sie vor den beiden abbiegen mussten. Nun laufen die beiden schweigend nebeneinander.
„Ich wollte dir noch einmal sagen, wie wunderschön du heute aussiehst", sagt Lian leise.
„Du siehst auch gar nicht so schlecht aus, Lian", grinst sie ihn an. Seltsamerweise mochte sie es von ihm Komplimente zu bekommen. Dann sind sie an ihrer Haustür angekommen und verabschieden sich mit einer innigen Umarmung voneinander, bevor Storm die Tür zumacht und Lian noch lange auf die geschlossene Tür schaut, bevor er selbst weiter geht, um nach Hause zu kommen. Die ganze Nacht kann er nicht schlafen, da er immer an dieses Gefühl denken muss, wenn Storm und er sich nun berühren.
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