Donnerstag morgen wache ich auf, habe mir extra meinen Wecker gestellt, denn heute ist mein Termin mit diesem Nepomuk.
Ich blicke mit müden Augen auf mein Handy und die Hoffnung die ich hegte, ist dahin.
Ich hatte wirklich gedacht, Bryan meldet sich vielleicht bei mir, doch dem ist nicht so.
Aber warum sollte er sich auch melden.

Wie das wohl gestern mit Eric ausgegangen ist?

Ich stehe auf, begebe mich ins Bad und mache mich fertig.

Etwas gestresst komme ich bei BMK-Records an, denn ich habe noch ein wenig Zeit vertrödelt, doch gerade noch rechtzeitig, betrete ich die Büroräume des berühmten Labels.
"Lorenzo, hey.", begrüßt mich Cordelia und grinst mich an.
"Hallo. Ich hab um zehn einen Termin bei Nepomuk.", antworte ich und Cordelia kommt hinter dem Empfang hervor.
"Komm ich bring dich zu ihm.", sagt sie und läuft zum Fahrstuhl.

"Wie geht es dir? Ich meine das war doch bestimmt gestern ein Schreck für dich, als dieser Eric dich zu Boden geschubst hat.", sage ich und hoffe das sie vielleicht ein wenig mehr weiß, was gestern noch passiert ist.
"Das kann ich dir sagen. Dieser Kerl macht mich wahnsinnig. Der denkt auch er kann machen was er will.", antwortet sie und der Fahrstuhl öffnet seine Türen.

Wir steigen ein und Cordelia drückt die Taste für den Keller des Gebäudes, als ich meine: "Macht der das öfter?"
"Naja, du hast beide Male mitbekommen. Ich weiß auch nicht warum Eric gerade so durchdreht. Eigentlich kam er mir immer so normal vor. Aber naja, so kann man sich täuschen."
"Und Bryan?", frage ich vorsichtig und der Fahrstuhl hält.
"Was soll mit Bryan sein?", fragt sie und steigt, gemeinsam mit mir aus dem Aufzug.
"Was hält er davon?", führe ich meinen Satz zu Ende.
"Ach der, der hat alles im Griff. Ich denke er weiß genau wie er Eric zu nehmen hat.", sagt sie und ich frage mich, ob Cordelia weiß wie zweideutig ihr Satz klingt.

"Ist Bryan heute auch hier?", frage ich, denn ich weiß nicht, ob ich ihm heute unter die Augen treten kann.
Ich habe die Nacht nochmals alles hin und her gewälzt, all das was gestern passiert ist, was gesagt wurde und das mir klar geworden ist, dass ich ihn brauche, so wie ich ihn schon immer gebraucht habe.
Auch wenn ich es wollte und meine Gefühle für ihn in eine Kiste packe, sie verschließe und vergesse, so kann ich es doch nicht.

"Nein, Bryan ist eine Woche geschäftlich unterwegs. Er hat mir nur eine Nachricht geschrieben.", antwortet sie und ich nicke.
Eine Woche geschäftlich unterwegs, einfach so? Warum hat er das gestern nicht erwähnt?
Innerlich haue ich mir meine flache Hand vor die Stirn, denn die Antwort auf die Frage, kann ich mir auch selbst geben.
Er ist mir keinerlei Rechenschaft schuldig und wann genau hätte Bryan das auch erwähnen sollen.

"Hm, das ist ja komisch.", höre ich Cordelia sagen und schaue sie fragend an.
"Nepomuk ist gar nicht da.", meint sie weiter, blickt mich an und sagt: "Komm, lass uns wieder hoch, dann ruf ich ihn mal an."

Als wir wieder oben sind, will Cordelia gerade zum Telefon greifen als jemand sagt: "Du suchst sicherlich mich."
Cordelia schaut auf und nickt, dann wendet sie sich zu mir und meint: "Lorenzo, dass hier ist Nepomuk."
Ich blicke den Typen an und ich muss sagen, dass er sympatisch aussieht.

"Nepomuk, Hi.", sagt der Typ mit den dunkelblonden Haaren und reicht mir die Hand.
Ich nehme sie entgegen und antworte: "Hallo ich bin Lorenzo."
"Na dann lass uns mal starten.", entgegnet er mir und betätigt erneut den Fahrstuhl.
"Wunder dich nicht, aber ich sitze am liebsten im Tonstudio, da kann ich besser denken.", erklärt er und die Türen das Aufzugs gehen auf.

Ich will gerade los laufen, da sehe ich, dass dort jemand drin steht und aussteigt.
Sofort erkenne ich ihn wieder und hauche: "Wyatt."
Wyatt, mein bester Freund aus der Schulzeit, steht vor mir.
Fünf Jahre habe ich ihn nicht gesehen, denn auch ihn habe ich nach meinem Sportunfall vergrault.

"Nee, das ist jetzt nicht wahr. Lorenzo!?", antwortet er und schneller als ich schauen kann, hat er mich in seine Arme gezogen.
"Ihr kennt euch?", fragt Nepomuk und Wyatt antwortet, nachdem er mich los gelassen hat: "Ja schon seit Ewigkeiten. Lorenzo und ich waren zusammen auf der Highschool."
"Aha. Ich will das hier ja nicht unterbrechen, aber wir sollten langsam anfangen.", sagt der Produzent und drückt erneut den Fahrstuhlknopf.

"Wyatt, was machst du denn hier?", höre ich Cordelia sagen und auch wie der Angesprochene antwortet: "Ich suche Knox, der geht nicht an sein Telefon."
"Der ist mit Bryan eine Woche unterwegs. Kann ich dir helfen?", entgegnet ihm Cordelia und Wyatt schüttelt mit dem Kopf, bevor er sagt: "Nee, leider nicht. So eine Scheiße."
"Was ist denn los?", frage ich und erneut öffnen sich die Fahrstuhltüren.

"Wollen wir uns heute Nachmittag treffen, dann haben wir mehr Zeit.", meint Wyatt und ich nicke.
"Gut dann treffen wir uns um fünfzehn Uhr.", sagt er weiter und ich frage: "Wo?"
"Am Spielfeldrand des Lacrossefeldes.", sagt er noch, doch ich kann nicht mehr antworten, denn die Tür geht zu und ich schlucke.
Ausgerechnet dort, will er sich mit mir treffen.
Na das kann ja heiter werden. Ob er mir dann auch erzählt warum er seinen Bruder sucht? Muss ja wichtig sein, wenn er schon persönlich vorbei kommt.
Apropos Knox. Der ist also mit Bryan weg. Wo die beiden wohl hin sind? Was sie wohl zu erledigen haben?

"Du denkst ganz schön viel nach.", dringt die Stimme Nepomuks in mein Ohr und reißt mich damit aus meinen Gedanken.
Wir steigen gerade aus dem Fahrstuhl und laufen zum Tonstudio.
"So bin ich halt.", antworte ich und schiebe hinterher:  "Wie lange arbeitest du schon hier?"

Ich weiß das Bryan mir gesagt hat, der Typ hier neben mir, hat alles von ihm gelernt, aber es schadet ja auch nicht, das nochmal selbst von dem Kerl zu hören.
"Seit drei Jahren. Bryan hat mir den Job hier verschafft und sich für mich eingesetzt. Ohne ihn wäre ich heute nicht das was ich bin.", antwortet er und ich verstehe es nicht ganz.
"Wie meinst du das?", schiebe ich deshalb hinter her.
"Naja, ich bin jetzt Einunddreißig. Ich habe Bryan kurz vor der Eröffnung seines Labels kennengelernt. Ich hatte gerade meinen Job verloren, wusste weder ein noch aus. Meine Frau war zu dem Zeitpunkt mit unserem zweiten Kind schwanger und die Rechnungen stapelten sich bei uns Zuhause."

Wir betreten das Studio und ich blicke mich kurz um, doch höre weiter zu, wie Nepomuk erzählt: "Wir standen kurz davor unser Zuhause zu verlieren, weil wir die Miete nicht mehr zahlen konnten. Ich war dann bei der Bank und habe am Schalter einen Aufstand gemacht, habe dort rum geschrien und als das nicht geholfen hat, gejammert und gebettelt, dass ich Geld brauche, eben für die Miete und auch für das damals Ungeborene."

Nepomuk setzt sich auf ein kleines Sofa und ich tue es ihm gleich, setze mich auf einen Sessel und lasse ihn weiter reden: "Bryan hat das in der Bank mitbekommen und sprach mich dann an. Er hat vor der Bank auf mich gewartet und fragte mich was ich beruflich gemacht habe. Ich sagte ihm, dass ich Tontechniker war."
"Aber wieso hat er dich dann unter seine Fittiche genommen?", frage ich, denn das wird mir nicht ganz schlüssig, außerdem finde ich es erstaunlich wie offen Nepomuk über seine Vergangenheit spricht.
"Bryan erklärte mir damals, dass er noch einen Tontechniker für sein Label bräuchte und bot mir den Job an. Was ich aber nicht verstanden habe ist, warum er extra auf mich gewartet hatte, denn ich hatte ja nicht auf meiner Stirn stehen, dass ich ein arbeitsloser Tontechniker war.", sagt er weiter und ich entgegne ihm: "Hast du Bryan das mal gefragt?"

Nepomuk grinst mich an und meint: "Na klar. Seine Antwort hat mich umgeworfen. Er hat vor der Bank auf mich gewartet und mich angesprochen, weil ich ein Shirt vom Cherry Creek Lacrosseteam an hatte. Er sagte dann auch, er hätte zu dem Sport eine tiefe Verbindung, da sein bester Freund mal für das Team gespielt hat. Ich mochte die Mannschaft in der du mitgespielt hast Lorenzo."
Sein Blick ruht auf mir und ich spüre wie mein Herz ein wenig schneller schlägt.
"Du weiß wer ich bin?", frage ich leise.
"Ja, das weiß ich. Du hast das Highschoolteam damals wieder auf Kurs und unter die Top Five des Lacrosse-Highschoolsports gebracht. Ich verfolge das Team schon ewig. Das liegt aber daran, das ich selbst mal Lacrosse gespielt habe, aber das ist lange her. Es ist schade das du die Saison damals nicht beenden konntest. Ich war bei dem Spiel dabei als dir dein Unfall passiert ist."

"Können wir bitte über was anderes reden.", sage ich und lenke vom Thema ab: "Wo hast du gespielt?"
"Na auch für die Cherry Creek Highschool, aber lange vor deiner Zeit.", meint er, blickt mich an, klatscht in seine Hände und sagt: "So genug geplaudert, wir sehen uns ja ab heute öfter. Also lass uns anfangen deine Stimme auf den Markt zu bringen."

Ich nicke, denn jetzt geht er endlich los, mein neuer Lebensabschnitt.
Auch wenn ich immer noch nicht weiß wie Nepomuk Produzent geworden ist, freue ich mich ein wenig auf die Zusammenarbeit und er hat ja recht, mit dem, dass wir uns öfter sehen. Dann kann ich immer noch hinterfragen, wie aus einem Tontechniker ein Musikproduzent geworden ist.