5 - John

Lord Holmes war ein ehrenhafter Mann. Wenn er etwas schwor, brach der Schwur nicht; Wenn er etwas zusagte, kam keine Absage. Wenn er etwas versprach, so setzte er alles daran dieses Versprechen einzuhalten. Doch ... er konnte es nicht. Dieses Mal konnte er sein Versprechen nicht halten.

Er war nach England gereist, einige Zeit nach Rosies letztem Brief. Er hat ihre Söhne und Töchter ausfindig gemacht, um sein Versprechen einzugehen. Doch als er sah wie erzogen die Kinder waren, wurde ihm klar, wie viel von seiner Lady in ihnen verloren gegangen war.

Mit jeder Generation würden mehr Merkmale verschwinden, und taten es. Der Lord versuchte trotzdem sein Wort zu halten und achtete darauf unbemerkt zwielichte Schläger aus den Gassen zu vertreiben, in denen sich die Nachkommen herumtrieben, sorgte für eine zufällige Spende in Notsituationen und beseitigte Naturgefahren so unauffällig und sorgsam wie nur möglich.

Doch je länger er mit ansah wie die goldenen Locken zu braunen Bärten und blaue Kristalle zu dunklen oder gar grünen Kämpfer-Augen wurden, desto mehr verließ ihn die Kraft, sein Versprechen einzuhalten.

Es war erst die dritte Generation, doch Holmes hielt dem Druck der mittlerweile weit verstreuten Kindeskinder-Wache nicht mehr stand. Er hatte nicht einmal mehr ein Gefühl für diese nun so fremden Menschen und beschloss sich zurück zu ziehen.

Er hatte sein Bestes gegeben, Rosie würde ihm verzeihen. Ein letztes Mal gab er den Angehörigen Hilfe, um für eine gesteigerte Sicherheit zu sorgen.

Dann verschwand er, für eine sehr lange Zeit.

444 Jahre später

Schottland, Herbst 2018

John streckte sich und drückte seinen Rücken durch. Jetzt war er den ganzen Weg aus London hergekommen und musste sein Gepäck alleine schleppen. Die ganzen Unterlagen und sein Schlafzeug haben nicht zusammen in den Rucksack gepasst und den kleinen Koffer hatte seine Schwester einmal ausgeliehen, aber nie zurück gegeben.

Also schleppte er einen Rucksack mit Verpflegung und Kleidung, eine Tüte mit Decken und eine mit den ganzen Kaufverträgen, Testamenten und Familienurkunden. Er fragte sich wozu er das alles mitschleppen musste, schließlich lebten sie im21. Jahrhundert und es gab so etwas wie Internet.

Der Bus hinter ihm fuhrdröhnend davon. John stöhnt genervt auf. Jetzt durfte er den ganzen Weg zu Fußlaufen. Bis auf den Hügel fuhr kein Bus und Taxis schien es hier nicht zugeben. Er packte die zwei Taschen und machte sich daran den kleinen Hügel zu erklimmen, der nicht so klein war, wie es schien. Zu beiden Seiten tat sich ein dunkler Mischwald auf mit mächtigen dunklen Bäumen, deren Äste über den Kiesweg hingen. Eine Zeit lang war es so dunkel, dass sich John überlegte eineTaschelampe heraus zu kramen. Bei dem Gedanken den Rucksack zu durchwühlen und dann auch noch wohlmöglich jemandem zu begegnen der ihn mitten am Tag mit Taschenlampe herumlaufen sah, brachte ihn schnell davon ab.

Langsam wurde es heller und der Weg breiter. Er erkannte eine kleine Biegung, an der der Wald zu seiner Rechten aufhörte. Das war hoffentlich ein Zeichen dafür, dass er gleich da sein würde und nicht dass er jetzt mitten in der Pampas stand. Er duckte sich unter einem tief hängendem Ast und trat auf die große freie Fläche, in deren Mitte eine wunderschöne kleine Burg stand.

Erleichtert seufzte John. "Gar nicht mal so übel."

Je näher er dem Gebäude kam desto größer sah es aus, bis der junge Mann den Kopf in den Nacken legen musste, um die Zinnen zu sehen. Eigentlich war er eher der Technik-Freak als ein Geschichts-Liebhaber, doch die Burg machte einen netten Eindruck mit dem leichten rosa Schimmer der Ziegel. Abgesehen davon war es großer Klotz, mit ein paar Erkern und Türmen die kuriose Positionen hatten. Von Vorne sah man drei Stück, einer in der Mitte und zwei daneben, jeweils getrennt von einer Wand mit Fenstern. Es sah aus als hätte man versucht alles was man hatte auf den begrenzten Platz zu quetschen. Aber es überraschte John, dass sich Glasscheiben in den Fenster, die sich unsymmetrisch an der Fassade verteilten, befanden. Wurde das Schloss nicht vor 1400 oder so gebaut? Naja, Geschichte war eben nicht seine Stärke.

Im Inneren erstreckte sich eine große Halle, die ganz und gar nicht zum Äußeren passte. Von der Halle führten zwei Torbögen zu beiden Seiten weiter in die Burg hinein. Einen dritten Ausgang bot das Holztor ganz am Ende. John stellte die Taschen ab und sah sich etwas genauer um. Jeder seiner Schritte hallte auf dem Steinboden, wodurch er sich fühlte wie in einem Horrorfilm. Besonders da ihn die Ritterstatuen an den Wänden anstarrten. Zumindest bildete er sich das ein.

Die Wände sahen ziemlich bröckelig aus, auch die Decke sah nicht gerade vertrauenswürdig aus. Der ganze Raum roch etwas modrig und irgendwie tot. Also beeilte sich John lieber die weiteren Räume zu erkundschaften. Er fing damit an die große Holztür zu öffnen, was sich als nicht so einfach herausstellte. Nach langem an der Klinke ziehen bewegte sie sich endlich laut knarzend ein kleines Stück.

Was ihn im nächsten Raum erwartete brachte den jungem Mann zum Erschaudern. Ein riesen großer Saal, lichtdurchflutet, mit einer ewig langen Tafel in der Mitte. Die Staubschicht auf den alten Stühlen und dem Tisch funkelte bedrohlich in der Sonne, die durch die großen Fenster fiel. Im Gegensatz zur Vorderseite der Burg hatten die Fenster eine sinnvolle Anordnung.

Was hatte sich der Architekt nur gedacht?

Kopfschütteln lief John durch den Saal und sah sich die verblassten Wandmalereien an, die man nicht im Entferntesten erkennen konnte. Also zog er quietschend einen der Stühle unterm Tisch hervor, was sich nicht als einfach herausstellte, da sie weitaus schwerer waren als sie aussahen. Als er dann den Staub wegpustete - was auch eine ziemlich dumme Idee war - wurde ihm die Burg immer unsympathischer. Hustend ließ er sich auf den Stuhl fallen, der auch noch äußert ungemütlich war.

"Warum habe ich nicht einfach nein gesagt?" fragte er sich selbst. Obwohl er die Antwort genau wusste. Wer würde schon ablehnen, wenn er eine Burg vererbt bekam? Ok, seine Eltern, seine Schwester und all seine Vorfahren. Wieso das so war, würde er auch noch irgendwann herausfinden, aber nicht jetzt. Jetzt wollte er einfach nur in diesem ungemütlichen Stuhl inmitten einer Staubwolke sitzen und den Kopf auf die Tischplatte hauen.

Noch bevor er damit beginnen konnte sich selbst dafür zu strafen sein altes Leben für diese Burg aufgegeben zu haben, schrillte etwas durch den Raum. Sofort zuckte er hoch. War das eine ... Klingel? Die Burg hatte eine Klingel??

Als es ein zweites Mal schief schrillte lief John durch den Saal, schlitterte durch die Halle und kam außer Atem an der Tür an.

"Bitte nicht noch einmal Klingeln!" Rief er, während er das Tor aufriss.

Ein großer blasser Mann stand vor ihm, einen Arm zur Seite gestreckt. Er hatte einen guten schwarzen Anzug an, mit weißen Hemd. Mit der schlanken hohen Statur sah er dadurch fast wie ein Pengwing [Pinguin] aus. Abgesehen von den wirren Locken sah der Mann aus wie ein Firmencheff oder jemand sehr seriöses. John musste den Kopf heben um ihm in die Augen zu sehen. Starre blau-grüne Kristalle durchbohrten ihn. Es schauderte ihn. Trotzdem rang er sich ein überzeugendes Lächeln ab. "Und sie sind?" fragte er freundlich, dem Mann die Hand hinhalten. Der Fremde mit dem bleichen Gesicht und den hervorstehenden Wangenknochen bewegte sich nicht, sondern starrte John einfach nur an.

John räusperte sich voller Unbehagen. Der Blick des Mannes ging ihm unter die Haut. Und er wusste nicht, ob das gut oder schlecht war. Auf einmal schnaufte der Frmede ein und wand seinen Blick ab.

"Mein Name ist Holmes." Er löste seinen Arm aus der Klingel-Position und reichte sie John. Im Gegensatz zu seiner tiefen starken Stimme hatte er eiskalte Hände. Er hörte wie der Mann die Luft anhielt bei ihrer Berührung. Vielleicht täuschte sich John, aber er hatte einen roten Funken den grün-blauen Augen gesehen. Schnell ließ der Fremde seine Hand wieder los. Er verhielt sich schon seltsam.

"Haben sie ... Asperga?" fragte John so neutral wie möglich.

Der Mann blinzelte verwirrt. John wartete ab, doch der große Mann sah nur auf seine Füße, dann die Burgwann entlang und sagte. "Eine schöne Burg.".

John enschied sich dafür es dabei zu belassen. "Ein wenig seltsam. Der Architekt muss betrunken gewesen sein, wenn sie mich fragen." Er grinste, doch anstatt das Eis zu brechen sah der Fremde ihn entrüstet an. John wollte sich auf die Zunge beißen, mit dem war wohl nicht zu spaßen.

"Sie sind der neue Besitzer?" fragte Mr. Holmes, anstatt ihn weiter strafend anzusehen.

John wusste nicht, ob es eine Frage, oder eine Aussage sein sollte.

"Ich war selbst überrascht. Da ist man auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch und plötzlich steht da ein Mann im Anzug und erzählt einem, man hat eine Burg geerbt." meinte John vorsichtig lachend.

Doch der Fremde betrachtete nur die Burgtürme ohne etwas zu sagen. John kam sich komsich vor, also versuchte er das Gespräch wieder aufzunehmen. "Und was führt Sie zu mir?"

Jetzt lenkte der Mann seinen Blick wieder auf John. "Ich bin ein Freund der Familie." sagte er langsam. John hob erstsaunt die Augenbrauen. Holmes fuhr fort. "Seit über 500 Jahren stehen die Familien von Craigievar Castle und meiner in Verbindung. Ich habe sehr viel über die Erneuerungen gehört, da musste ich vorbei kommen und es mir selbst ansehen."

"Erneuerungen?" John dachte an die brüchige Wand. "Sind sie Ahnenforscher oder so was?" fragte er schief. Das war ja unheimlich, dass der Fremde mehr über seine Familie wusste als er selbst. Außerdem, was wollte er? Denn wenn das mit den Erneuerungen wirklich stimmte wollte John nicht wissen, wie es vorher aussah.

Ein kleines Lächeln huschte über das bleiche Gesicht. Das war das erste Mal dass dieser Mann aus seiner Starrheit kam. Es war wirklich ein Huschen, denn zwei Sekunden später sah er wieder so versteinert wie vorher aus.

Mr. Holmes war anscheinden sehr verschwiegen, also lud ihn John ein sich die Burg von Innen an zu sehen. Sollte er ihm doch zeigen wie erneuert es war.

Der Mann ging mit großen Schritten durch die Halle. Dabei sah er sich so flüchtig um, als würde er alles bis ins kleinste Detail sowieso schon kennen. Schweigend lief John dem Herrn hinterher, bis dieser vor der schweren Holztür stehen blieb. Vorsichtig berührte er das dunkle Material und lächelte. John beobachtete wie seine Augen funkelten, und sein Lächeln in einen traurigen Ausdruck wich, dann wieder frech grinste und wieder verschwand. "Genau wie früher." hauchte er.

"Was?" Es rutsche John ganz automatisch heraus. Ihm fiel auf, wie er den Blick die letzten Minuten auf Holmes Gesicht geheftet hatte. Peinlich berührt sah er auf den Boden. Der Mann richtete sich auf und betrat nach kurzem Zögern den großen Saal. Wieder schritt er wortlos herum, bis John etwas sagte. Er wollte etwas mehr Klartext, im Moment verstand er nur Bahnhof. "Ich bin kein Wissenschaftler, aber wenn etwas erneuert wurde, dürfte doch kaum so viel Staub überall sein?"

Der bleiche Mann richtete seine leuchtenden Augen auf den Jungen. "Was sind Sie dann?"

Überrascht von der Gegenfrage begann John zu stottern. "Ein Stud... Absolvent .. Medizin."

Ein verschmitztes Lächeln stahl sich auf das hohe Gesicht, was John einen leichten Schauer durch den Magen jagte. "Nun, ist Medizin denn keine Wissenschaft?"

Verwirrt blinzelte John. Ja, doch, schon? Als ihm auffiele, dass Mr. Holmes ihm nur Gegenfragen gestellt hatte, anstatt ihm irgendetwas zu erzählen, war dieser auch schon an ihm vorbei zurück in die Eingangshalle gelaufen.

"Mr. Holmes? Mr ...?" Wo war er hin? Die Halle war leer. Suchend lief John zum Ausgang, bis er im Augenwinkel etwas wahrnahm. Der Mann stand in einem der Torbögen und starrte die Wand an. Als John fast bei ihm war, erkannte er, was die Blicke von Mr. Holmes auf sich zog. Neben dem Aufgang der großen Treppe, die wahrscheinlich in die privaten Räume führte, hing ein menschengroßes Gemälde.

Eingestaubt und kaum erkennbar waren drei Menschen abgebildet. Ein Mann und eine Frau, die etwa gleich groß waren und eine dritte Person in der Mitte, ein, zwei Köpfe kleiner.

"Wer ist das?" Fragte John, näher an das Bild herantretend. Vielleicht konnte er den Dreck weg wischen ...

"Ich muss jetzt gehen."

Erstaunt wand sich der junge Mann Mr. Holmes zu. Bevor er fragen konnte wieso, war der Fremde auch schon in der Eingangshalle verschwunden. "Ha- Halt, warten Sie!" John versuchte ihm hinterher zu hechten.

Abrupt blieb Mr. Holmes stehen. John wäre fast in ihn hineingeprallt. Traurige Augen sahen ihn an. Der große Mann wirkte noch blasser als zuvor. "Danke für ihre Gastfreundschaft, Mr. Watson." Damit drehte er sich um und verschwand nach draußen.

Verwirrt stand John in der Halle. "Aber ... was?" Das war mit Abstand die seltsamste Begegnung, die er in seinem Leben hatte. Und woher wusste dieser Herr seinen Namen? War er wirklich ein Freund der Familie? Wieso hat er dann heute zum ersten Mal von ihm gehört? Bevor noch mehr Fragen durch seinen Kopf rasten, fielen John die Taschen auf, die auf dem Boden flackten. Seufzend schnappte er sich eine nach der anderen, lief durch die Halle und ließ sie wieder fallen. Wo hatte er nur seinen Kopf gelassen? Die Reise war eindeutig zu lange gewesen. Er wusste noch nicht einmal was ihn am Ende der Treppe erwartete, also warum sollte er sein ganzes Gepäck kreuz und quer herumschleppen?

Nun doch neugierig machte sich John auf den Weg die Wendeltreppe hoch zu laufen. Kaum hatte er die ersten Stufen erklommen schrillte es durch die ganze Burg. Nicht schon wieder. "Ich komme!" rufend hetzte er zurück zur Eingangshalle. Sport hatte er heute genug gemacht, fand John und öffnete Erwartungsvoll das Tor.

Doch es stand nicht Mr. Holmes vor ihm, sondern eine kleine Frau, mit freundlichem Lächeln.

"Hallo, Mr. Watson, ich bin ihre Haushälterin."

"Meine was?"

"Dachten Sie Sie könnten eine Burg alleine beherbergen? Mein lieber, Sie brauchen Hilfe." Die schon ältere Frau quetschte sich an John vorbei, mitsamt einer Rolltasche. "Ach du meine Güte, hier sieht es ja schlimm aus." Gab sie von sich, während sie alles inspizierte. "Man hat mich ja gewarnt, aber dass es so schlimm aussieht ... Naja, da lässt sich schon was machen, das kriegen wir schon hin, machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden sich wie zu Hause fühlen."

John wollte nicht unhöflich sein und ihren Redefluss unterbrechen, aber er wusste nichts von einer Haushälterin. "Ich weiß nichts davon, dass mir eine Haushälterin zu geteilt wurde, Mrs...?"

"Hudson, Mrs. Hudson." Sie drehte sich zu John. "Schätzchen, das steht alles in Ihrem Vertrag. Haben Sie den nicht gelesen?"

Doch. Nein, das wäre gelogen. Die Zugfahrt war zu kurz und die Beiblätter des Vertrags zu langweilig gewesen.

"Sagen Sie bittet nicht, dass Sie eine Freundin der Familie sind." Stieß er aus.

"Wo denken Sie hin, mein Lieber?" Mrs. Hudson lachte und rollte mit ihrem Wagen in den großen Saal.

Kopfschüttelnd schloss John das Tor und lief seiner neuen Haushälterin hinterher.

Zusammen erkundeten sie die Küchenräume, den Lagerraum für Lebensmittel und ein paar Ratten, Spinnen und weiteres Geziefer, dass Mrs. Hudson sofort entfernen wollte. John hingegen interessierte der Rest der Burg mehr, als das Töten von Ratten, also machte er sich auf den Weg die oberen Stockwerke anzusehen.

Wenn man die linke Treppe hinauflief, also dort wo das Gemälde hing, kam man in eine Etage mit fünf Räumen. Einer war ein großes Schlafzimmer, indem modrige Kisten und ein halb zerfallenes Himmelbett standen. Ein zweiter beinhaltete einen große Bottich. Wenn das das Badezimmer war, wollte er sich nicht vorstellen, wie selten die Leute gebadet haben - um zu baden musste man ja das ganze Wasser die Treppen nach oben schleppen! Die anderen Räume waren leer, oder mit Rüstungen vollgestellt. In einem Raum war sogar nicht einmal ein Fenster, was der seltsamen Architektur zu verdanken war. Die Zimmer waren insgesamt relativ klein im Gegensatz zu den Schlossräumen, die John von den Schulausflügen kannte.

Die, vom Eingangstor gesehen, rechte Treppe war eigentlich keine Treppe. Die Ziegel der Wand standen nur so schief, dass es nach Stufen aussah. In Wirklichkeit war es ein langer Gang, der zu einem weiter Saal führte. Dieser war kleiner als der Speisesaal, aber dennoch groß genug um eine Party zu schmeißen. Ein alter Kamin ragte aus der Wand und dunkelrote vorhänge hingen vor den Fenstern, wenn man das noch 'Vorhänge' nennen konnte. John ging zu einem löchrigen Stofffetzen und zog ihn zur Seite. Es folgte ein reißendes Geräusch und der Vorhang fiel auf seinen Kopf. Widerlicher Geruch, Staub und andere Dinge von denen John gar nicht wissen wollte was es war hingen in seinem Gesicht, als er versuchte sich aus dem alten Laken zu befreien.

Er japste nach Luft, warf den kaputten Stoff zur Seite und widmete sich dem Fenster. Aha! Frischer Putz und ein Plastikrahmen bewiesen, dass die Glasscheiben neu eingesetzt wurden. Waren das die Neuerungen von denen Mr. Holmes gesprochen hatte? Seine Nackenhaare stellten sich auf, wenn er an die durchdringenden Augen des seltsamen Mannes dachte.

Gerade als sich der Blondschopf Gedanken darüber machte, welches Zimmer er beziehen wollte, entdeckte er einen Spalt in der Wand. Der Erker an der rechten Seite der Eingangshalle schimmerte mysteriös in der untergehenden Sonne, und gab so den Blick auf den Spalt in der Wand frei. Und tatsächlich, da war eine Treppe! Doch das Einzige was am Ende der Treppe war, war ein Zimmer. Und ganz oben ein Fenster. Er suchte im anderen Erker nach demselben Aufgang, aber dort war alles normal, kein Spalt in der Wand.

Dafür entdeckte John eine weitere Treppe im ersten Stock. Sie führte zu einem Schlafraum, und noch weiter nach oben aus dem Turm heraus in dem er sich befand, auf einen anderen Turm, der allerdings viereckig und nicht mehr rund war. Am Ende dieser Treppe war eine Tür, die sich nicht öffnen ließ. Vielleicht konnte man dadurch auf das Dach gelangen?

Es wurde immer dunkler draußen und Hunger machte sich in Johns Magen breit. Also gesellte er sich zu Mrs. Hudson in die Küche. Sie begrüßte ihn mit einem Gemecker über die alten Öfen und dass man dringend renovieren müsste. Trotzdem hatte sie es geschafft einen gut riechenden Gemüseauflauf zu kreieren.

"Mrs. Hudson, könnten sie das große Gemälde neben der Treppe sauber machen?" Fragte der junge Mann, während er sich die volle Gabel in den Mund schob.

"Sicher. Ich werde sehen, was sich machen lässt. Eine Unverschämtheit, dass hier alles voller Staub und Dreck ist!" Und Mrs. Hudson begann von all den Mängeln zu wettern, die ihr in der Burg aufgefallen waren. John fand das zwar nervend, aber es war immer noch besser, als alleine sein zu müssen, an diesem fremden Ort. Obwohl er sich mittlerweile irgendwie wohl fühlte, in diesem Labyrinth aus Asymmetrie. Es hatte etwas lebhaftes, es hatte Geschichten zu erzählen.

"Können Sie mir etwas über die Burg sagen? Irgendwelche Geschichten? Legenden?" Unterbrach John.

Mrs. Hudson sah ihn erstaunt an. "Haben Sie sich überhaupt nichts dabei gedacht, hier ein zu ziehen? Wissen Sie denn überhaupt warum die Burg Jahrhunderte leer stand?"

Bedrückt sah John auf seinen fast leeren Teller. Er war viel zu überrumpelt davon gewesen, ein Schloss zu besitzen. Er konnte aus der gewohnten Umgebung raus, es war abenteuerlich, er konnte Räume vermieten oder Geld durch Tourismus erwirtschaften. Das waren zumindest seine Gedanken gewesen. Er hat nur ein paar Tage gehabt sich zu entscheiden, denn ein Käufer stand schon vor der Tür. Aber der Preis, den er geboten hatet, wäre der Burg nicht wert, hatte man gesagt. Also hat er kurzum beschlossen die Burg zu beanspruchen und nun hatte er den Salat. Sollte er hier Empfang haben, würde er sich gleich nach dem Essen ans recherchieren machen.

"Es gibt in der Tat Sachen, die man sich erzählt."

Interessiert horchte John auf.

"Ich lebe schon mein ganzes Leben hier in der Gegend, wissen Sie? Als wir Kinder waren, erzählte man uns vom Craigievar Castle." sie senkte verschwörerisch ihre Stimme. "Ein Schloss, in dem ein so fürchterliches Verbrechen geschehen ist, dass keine Mensch mehr darin leben kann. Jeder der sich ihm näherte würde in den Bann des Todes gezogen werden, wenn er nicht schon vorher von den Monster gefressen wurde, die im Wald nur auf Beute lauerten."

Gebannt starrte er Mrs. Hudson an. "Warum sind Sie dann hier?"

Die alte Frau lachte. "Mein Lieber, das sind alles nur Geschichten." John grinste verlegen. "Ja, natürlich, aber ... trotzdem ..." Schweigend aß er den Rest des Auflaufs.

"Doch, es gibt etwas, das schon besonders seltsam ist."

"Was?" John war sofort wieder bei der Sache.

Mrs. Hudson druckste herum, bis Sie schließlich ganz leise erzählte: "Es gibt die Sage von einem Lord, der unsterblich ist! Er soll ruhelos durch die Welt streifen, auf der Suche nach dem Mörder seiner Geliebten. Bei diesem Verbrechen, damals, ist nämlich eine Frau umgekommen. Sie wurde ermordet." Unsicher sah sich Mrs. Hudson um, als befürchtete jemand könnte sie belauschen. "Die Männer heutzutage geben nicht viel auf Geschichten. Sie jagen in diesem Wald, und verschwinden. Einer nach dem anderen. Wenn einer doch zurück kommt, erzählt er von ... blutroten Augen ...!" Ein Schauer breitete sich auf Johns Rücken aus. Sofort kamen ihm die Augen von Mr. Holmes in den Kopf.

"Wann ist das denn passiert?" John merkte wie seine Stimme auch gesenkt war, als würde er ein Geheimnis erzählen.

"An einem Abend, im tiefsten Winter, hat der Herr der Burg eine Feier gegeben. Doch unter den Gästen befand sich ein Betrüger. Als er mit der Frau alleine war, hat er sie kaltblütig ermordet! Er hat ihr das Herz herausgerissen ... Der Lord kam zu spät um sie zu retten, doch er hat ihren Mörder noch fliehen sehen. Nun ist er auf der Suche nach ihm und wird erst zur Ruhe kommen, wenn er ihn gefunden hat."

Mrs. Hudson sah aus als wäre sie noch nicht fertig mit erzählen. Kurz bevor John daran erstickte vor Spannung die Luft an zu halten, sagte sie es. "Das seltsame daran ist, dass der Burgherr von damals, niemand anderes war als ... Lord ... Watson."

Johns Herz blieb stehen.Also waren es wirklich seine Vorfahren gewesen auf dieser Burg? Wollte deshalb niemand einziehen? Aber ... das war doch alles nur eine Geschichte ... oder?

"Wenn ... wenn der Mörder, auf der Feier war, dann hätte man ihn doch finden können, indem man die Gästeliste überprüft?"

"Mein Lieber, das war vor 500 Jahren, wie denken sie konnte man es kontrollieren, dass sich niemand über die Mauern geschlichen hat?"

Trotzdem. Wäre John der Burgherr gewesen, hätte er es so gemacht. So leicht konnte doch niemand verschwinden...

"Wie doch diese Geschichten einen immer mitnehmen, nicht wahr?" Unterbrach Mrs. Hudson seine Gedanken. Vielleicht war das alles niemals passiert, nur Altweibergeschwätz. Aber vielleicht, war es doch passiert.

Mit allem was er heute erfahren hatte legte sich John auf ein provisorisches Bett aus Vorhängen und seinem Rucksack als Kissen. Von der Begegnung mit Mr. Holmes, bis zu dem vermutlichen Grund, weshalb niemand hier einziehen wollte, geisterte alle sin seinem Kopf herum, bis er schließlich unruhig einschlief.


Ganz im Gegensatz zu Mr. Holmes. Seit Stunden saß er zwischen den Bäumen vor der Burg. Seine langen Finger umschlossen ein goldenes Medaillon, dass an einer ebenso goldenen Kette um seinen Hals hing. Vor einigen Wochen hat er in einer Wirtschaft die Worte "Verkaufen" und "Craigievar Castle" in Bezug auf Monster gehört. Dass man die Burg der Watsons nun so nannte lag wohl daran, dass die Menschen einen Einfallslosen Namen für "Fels" finden mussten, "der in Mar steht". Trotz, dass das Internet behauptete, es sei eine Commitee Area war es eher eine normale kleine Stadt. Da musste er sich den neuen Besitzer einfach ansehen.

Es hat nicht lange gedauert, bis sich der Lord an diese Zeit angepasst hatte. Die Kleidung war nicht weniger kompliziert, aber er sah aus wie ein Pengwing in diesem Anzug. Die neue Art zu sprechen, der Akzent und die Art des Umgangs waren schnell gelernt. Die neuen Erfindungen waren alle höchst interessant, aber gleichzeitig gefährlich. Doch das Beste wahr: Die Menschen heut zu Tage glaubten nicht mehr an Märchen-Geschichten von Monstern. Zumindest die meisten.

Holmes lachte, als er daran dachte was er erwartet hatte. Irgendeinen geldgeilen hochnäsigen Trottel, der seinen Reichtum zeigen musste, indem er noch eine Burg mehr besaß. Doch als er in diese blauen Augen gesehen hatte war ihm das Blut gefroren. Verträumt sah er in die Baumwipfel. Er konnte es nicht glauben, aber es konnte nicht anders sein. Kristallklare Augen, gold-blondes Haar, eineinhalb Köpfe kleiner und ein Grinsen, dass einem den Verstand raubte. Der junge Mann sah aus wie Rosie, nur eben als Mann, und ein paar Jahre älter. Er wusste, dass das nicht sinnvoll war, aber er musste den Jungen kennen lernen. Er musste wissen, wie er war.

-

Ein Schrillen wie ein technisch gestörter Feueralarm riss John aus seinem Schlaf. Es dauerte kurz bis ihm einfiel wo er war, und da klingelte es erneut. Hastig rannte er die Treppen hinunter, um nicht noch einmal an die Biologie Vorlesungen erinnert zu werden, in denen der Professor so wundervoll mit der Kreide die Tafel entlang geschlittert war.

Außer Atem riss er das Tor auf. "Ja?" stieß er aus.

"Guten Tag, mein N... " Der Mann vor ihm sah ihn von oben nach unten an, wieder nach oben und stellte sich derweil zögerlich vor. "...Name ist Greg Lestrade."

Da fiel John auf, weshalb der Mann ihn so seltsam betrachtete. In Schlafklamotten und ohne Socken stand er in der Türschwelle. "Äh ... "

"Oh, machen Sie sich deswegen keine Sorgen, meine Mitarbeiter finde ich öfters so vor nach einem nächtlichen Einsatz." Jetzt grinste Greg Lestrade.

"John Watson." lächelte John dankbar zurück.

"Sie werden sich sicher wundern, was ich hier tue. Ich bin Polizei-Chef und Mitglied im Stadtrat. Neue Mitglieder zu begrüßen ist dieses Jahr meine Aufgabe. Wette verloren." Das letzte versuchte er mit einem vorgetäuschten Husten zu vertuschen. John grinste, der Mann war ihm sympathisch.

"Willkommen in unserer Gemeinde zu Mar, John Watson, neuer Besitzer des Craigievar Castles."

John rümpfte die Nase. "Werde ich jetzt jedes Mal so angesprochen?"

Greg lachte. "Nein, ich kann sie auch einfach John nennen."

Der Blondschopf nickte dankbar. Greg strich sich verlegen durch die kurzen Haare, die leicht graue Ansätze vorwiesen. "Ähm, dürfte ich mir die Turmburg einmal von innen ansehen?" fragte er unsicher.

"Ja klar, warum nicht?"

John trat zur Seite und ließ seinen Gast eintreten. "Wissen Sie John, diese Burg ist mit einer Legende verknüpft. Ich wollte schon immer sehen wie es ist, in der großen Halle zu stehen. Es war verboten die Burg zu betreten, bis ein neuer Besitzer kommt, oder sie saniert wurde. Angeblich würde alles zerfallen und so weiter."

"Das tut es jetzt auch noch." Meinte John und schloss das Tor. "Ich werde mich mal umziehen gehen, sehen Sie sich ruhig um." Damit verschwand er nach oben.

Da er nun sowieso wach war, erklärte sich John bereit in der Stadt Lebensmittel und Küchentücher für Mrs. Hudson zu besorgen, während Greg die Burg inspizieren durfte.


Es dauerte fast eine Stunde, bis der Bus kam und ihn schließlich in die Stadt gebracht hatte.

Die Stadt war niedlich, ganz das Gegenteil von London. Manchmal war sogar der breite Fluss zu hören, der an Mar vorbei lief.

Nach guten 30 Minuten hatte er zwar total niedliche Häuser gesehen und die Stadt liebgewonnen, aber ein Supermarkt war nicht zu sehen. Außerdem machte sich sein Magen mit einem lauten Knurren bemerkbar.

Da entdeckte der Neuling ein Hängeschild am Ende der Straße. Es stellte sich als der Name eines Cafés heraus. Verzierungen waren über der hölzernen Tür angebracht und mit Blumensträuchern ausgeschmückt. Es machte einen überaus sympathischen Eindruck, also ging John hinein.

Einige ältere Herren saßen zusammen beim Kartenspielen, oder an der Bar. Ein allgemeiner Rauch war im ganzen Café ausgebreitet, was John nicht gerade gefiel, aber er hatte zu großen Hunger, als noch weiter zu suchen. Er quetschte sich zwischen den Tischen hindurch, bis zur Theke. Enttäuscht suchte er nach einer Kellnerin, doch der Tresen war Menschenleer, abgesehen von den unmotivierten Männern um ihn herum. Etwas gruselig war es schon, darum rief er laut "Hallo?".

Um ihn herum brummte es genervt, aber nach kurzer Zeit kam eine junge Frau aus einem Hinterzimmer getrippelt. Gerade als John bestellen wollte erschreckte ihn jemand von hinten.

"Mr. Watson." John fuhr bei der tiefen Stimme herum und landete mit der Nase in Lord Holmes Brust. Dieser ging entschuldigend einen Schritt zurück, während der Blondschopf noch geschockt war wie der Mann aus dem Nichts gekommen war.

"Setzten Sie sich zu mir?"

John konnte wieder nicht sagen, ob es eine Frage oder Aufforderung war. Um dem durchdringenden Blick zu entgehen schlich er an den großen Mann vorbei, zu dem einzigen freien Tisch am Fenster.

"Zwei Minuten, Molly." Sagte Mr. Holmes zu der Kellnerin, dann folgte er John.

Einerseits wollte John diesen seltsamen Mann fragen was denn los gewesen ist, warum er einfach verschwunden war, andererseits traute er sich unter dem forschenden Blick kein Wort zu sagen. Es faszinierte ihn fas wie er ihn anstarrte, als könnte er aus ihm lesen wie aus einem Buch ...

"Ist das hier immer so?" Unterbrach John, bevor es zu verrückt wurde. Es war abgedreht genug, dass Mr. Holmes seine Familie kannte, er aber noch nie von ihm gehört hat. Und dann war er auch noch ohne ein Wort der Erklärung aus dem Schloss gestürmt. Da ging dem Blondschopf ein Licht auf. Das Gemälde, es musste etwas mit dem Gemälde zu tun haben!

"Mr. Watson?"

"Hm?"

Mr. Holmes sah zur Seite und da entdeckte er die Kellnerin neben sich. "Oh äh, ja, ich nehme ..." John versuchte auf der Karte irgendetwas zu entdecken, er hatte nicht einmal darauf geschaut, seit dieser Mr. Holmes vor ihm saß. "...Haggis? Das nehm ich." Freundlich grinste John Molly an und wand sich dem skeptisch drein blickenden Mr. Holmes zu.

"Sie wissen nicht was das ist."

Schon wieder so eine Frage-Aussage von ihm.

"Egal, was es ist ich esse es. Das nennt sich Hunger." antwortete John mit leicht schnippischem Unterton.

"Ich hätte nicht gedacht, dass Sie der Typ für Innereien sind." konterte Holmes.

John verschluckte sich fast an dem Wasser dass Molly gebracht hatte. Als er wieder zu sich kam sah er in das triumphierende Gesicht von Mr. Holmes. Nicht dass er grinste, aber John konnte es ihm hundert prozentig ansehen.

Dafür bekam er eine provokante Frage vom Jüngeren. "Was denken Sie denn bin ich für ein Typ?

Plötzlich änderte sich der Ausdruck auf seinem Gesicht. Holmes schien für einen Augenblick ernsthaft nach zu denken, keine Antwort parat zu haben! Da öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, doch ließ es.

Jetzt wurde John ungeduldig. "Kann man mit Ihnen keine normale Konversation führen? Erst verschwinden Sie plötzlich und jetzt antworten Sie auf einmal nicht mehr? Am Ende haben Sie nicht einmal was mit meine Familie zu tun und wollen mich nur loswerden."

"Nein."

Die Antwort kam so schnell und überzeugt, dass John überrascht innehielt. Die Augen des dunkelhaarigen funkelten.

"Ok..." Versuchte John sie zu beruhigen. "Können Sie mir dann vielleicht etwas mehr über die Burg erzählen?" fragte er vorsichtig. Er wollte es nicht ruinieren, dass Mr. Holmes ihm gegenüber ehrlich war. Wahrscheinlich verhielt er sich nur so verschlossen, weil er John nicht vertraute. Das galt es zu ändern, meinte John.

Als sich sein Gegenüber wieder beruhigt hatte, hakte der Jüngere nach. "Haben Sie schon von einem Geisterreiter gehört? Es ist albern danach zu fragen, da es ja nur ein ..."

"Mythos. ... Ein Mythos ist." Beendete Holmes.

"Also Sie haben ... schon davon gehört." Stellte John fest. Er war stolz auch eine Art halb Frage halb Aussage gestellt zu haben.

Schock spiegelte sich in den klaren grün-blauen Augen wieder. Doch Mr. Holmes lächelte ertappt und nahm das Gespräch auf.

"In der Tat." John wartete gespannt während Holmes überlegte, was er sagen konnte. Es gefiel ihm, wie neugierig ihn der junge Mann ansah.

"Geisterreiter, Schwarzer Mann, Monster von Mar, es ist alles das gleiche. Die Leute lieben es sich das Maul darüber zu zerreißen wer für das Verschwinden von Menschen schuldig ist. Ich nehme an, ihre Haushälterin hat ihnen davon erzählt?"

Verlegen sah John auf sein unbenutztes Gedeck. Es war ihm auf einmal peinlich, dass er irgendwo doch an den Mythos glaubte, und dass der mysteriöse Mann das herausfinden würde.

"Aber ... Es gab dieses Verbrechen, vor ein paar Hundert Jahren, deshalb war die Burg all die Zeit unbewohnt." verteidigte John den Geisterreiter.

"Was wissen Sie über dieses Verbrechen?" Jetzt war es Holmes, der den Kleineren neugierig, wenn nicht auch etwas besorgt, ansah.

Bevor John etwas sagen konnte, kam Molly mit dem Essen. Ein scharfer Geruch stach John in die Nase als sein "Haggis" vor ihm stand. "Essen Sie nichts?" meinte John mit gerümpfter Nase, als Molly sie verlassen hatte. Holmes grinste. "Ich sehe ihnen lieber beim Essen zu. Guten Appetit." Dass das Sarkasmus war, roch John sogar über den üblen Schafsgeruch hinweg. "Der Hunger siegt." meinte er als er die erste Gabel von den Tiergedärmen in den Mund schob.

Mr. Holmes lief das Wasser im Mund zusammen, als er John so essen sah. Es hatte das Gefühl die Kaumuskeln seines Gegenüber arbeiten zu hören, wie das Blut angestrengt durch den Organismus gepumt wurde ... Um sich zu beruhigen starrte er immer wieder auf den gleichen Punkt, die blauen Augen, diese einzigen blauen Augen, die ihn unter Kontrolle hatten.

"Eine Frau wurde ermordet, auf der Burg. Bei einer Feier, die anscheinend meine Vorfahren veranstaltet haben. Und die Frau hatten einen Mann, der der Geisterreiter ist. Weil er den Mörder von ihr sucht, den niemand kennt. Und er kann erst sterben wenn er den Mörder gefunden hat, der aber wahrscheinlich schon seit Jahrhunderten tot ist." John sah zu seinem Gegenüber. "Das war total verwirrend, sorry, ich bin nicht gut in Geschichten erzählen ..."

Es dauerte etwas bis Holmes sich regte, doch dann entfaltete er seine Hände und sagte belustigt "Ich habe alles verstanden."

"Sie glauben mir kein Wort."

Holmes lachte und sah John skeptisch an. Dann lachten sie beide.

"Was ist dann ihre Erklärung für das lange Leerstehen der Burg? Und die tote Frau?"

Holmes Blick wanderte von John auf sein Essen. "Sie scheinen keinen Hunger mehr zu haben, gehen wir raus?"

"Ja, bitte!" erleichtert legte John die Gabel weg.

Sie schnappten sich ihre Jacken und verließen das neblige Café.

Die ersten Straßen durchquerten sie schweigend, die frische kühle Luft genießend. Dann waren sie auch schon an der Bushaltestelle angekommen.

John wartete sehnsüchtig, dass sein Begleiter etwas sagte, aber er wollte nicht schon wieder das Gespräch beenden müssen, weil er nicht antwortete. Obwohl das Gespräch eigentlich schon zu Ende war, fiel ihm auf.

"Es war die Tochter."

"Was?" John sah den Mann perplex an. Meinte er der Mörder war die Tochter seiner Vorfahren? Also seine Ururur ... irgendwas Oma?

"Wäre ein Gast gestorben, wäre die Burg nicht verlassen worden, nicht für so lange Zeit." Auf einmal trat der schlanke Mann zur Seite und stand nun direkt vor John. John hatte das Gefühl dass kein Papier mehr zwischen sie gepasst hätte. Warm schlug ihm der Atem von Holmes entgegen, er traute sich nicht auf zu sehen. Seine so nahe Anwesenheit hatte etwas gruseliges und gleichzeitig vertrautes, was es noch seltsamer machte. Als er anfing zu sprechen kribbelte es auf Johns gesamtem Körper.

"Welchen Grund hat der Jäger sein Opfer zu suchen, wenn es schon längst tot ist, Mr. Watson?"

Plötzlich ging Holmes zurück und wand sich ab. Er war schon ein paar Meter entfernt, als der Bus kam. John stand wie begossen da und konnte sich nicht rühren. Erst als der Fahrer etwas Unverständliches rief, konnte er sich in den Bus bewegen. Als er aus dem Fenster sah, funkelten ihn grün-rote Augen an. Erschrocken blinzelte er, und dann war der sonderbare Mann nicht mehr zu sehen.


Lektion 1: Eine Jahre lang verlassene Burg ist arschkalt.

Lektion 2: Die Menschen um eine alte verlassene Burg sind seltsam.

Lektion 3: Ein Mann wie Mr. Holmes ist verrückt und hat Geheimnisse.

Lektion 4: Bewohne niemals - niemals! - eine Burg wenn es Winter wird, sie jahrelang verlassen war, in einem Wald steht, von Mythen umgeben ist oder sie niemand betreten durfte für hunderte von Jahren.

Den letzten Punkt strich John wieder. Eigentlich war es ja ganz spannend und er hätte sich zugegeben nächstes Mal genauso entschieden.

Seufzend legte er sein Notizbuch zu Seite und machte sich auf den Weg zu Mrs. Hudson und Greg in die Küche. Er musste den ganzen Weg noch einmal in die Stadt gehen weil er durch den Besuch im Café und Mr. Holmes den Einkaufmarkt komplett vergessen hatte.

John hatte wenig Lust sich am Gespräch zu beteiligen, seine Gedanken hingen noch alle an der Begegnung mit diesem mysteriösen Mann. Er hatte eine nahezu hypnotisierende Wirkung auf ihn gehabt. Was den Engländer aber am meisten beschäftigte, war, dass dieser Mann viel mehr über die Burg wusste und dieses Verbrechen, als er zugab. Und John hatte nicht die geringste Ahnung, wie er es aus ihm herausbekommen konnte.

John wurde aus den Gedanken gerissen, als er bemerkte, dass die beiden anderen am Tisch über das Gemälde im linken Flügel sprachen.

"Finden Sie nicht auch?" fragte Mrs Hudson, John anblickend.

"Hm?"

"Ja, da haben Sie recht, Mrs. Hudson." antwortete Greg statt ihm, kopfnickend.

John war verwirrt. "Worum geht's?"


Er wusste nicht was er sagen sollte. Sie standen zu dritt vor dem frisch geputzten Gemälde, und man konnte nun die drei abgebildeten Personen deutlich erkennen.

John brauchte nicht zu raten, um zu merken, dass es die Watson sein sollten, oder waren ... wahrscheinlich war dieses Gemälde auch noch aus dem 14. Jahrhundert. Ein etwas korpulenterer Mann mit blondem Haar und Bart, in ein edles Gewand gekleidet, kaum größer als die ebenso blonde Frau neben ihm. Sie sah trotz des wunderschönen Kleides ein wenig wie eine Kämpferin aus, fand John. Ihre warmen aber wachen Augen waren ihm sofort sympathisch. Und sie hatte eine goldene Kette um den Hals, genauso wie die dritte Person zwischen ihnen. John kannte diese Kette. Irgendwo hatte er sie schon gesehen, nur wo?

"Wie aus dem Gesicht geschnitten." Murmelte Mrs. Hudson, als könnte sie es nicht fassen.

"Sie hat sogar seinen Blick." Meinte Greg halb lachend, halb verblüfft.

"Wer ist das?" fragte John, auf die Person in der Mitte zeigend.

Die dritte Person auf dem Gemälde, etwa einen Kopf kleiner als das Paar dahinter, war ein Mädchen. John würde sie auf etwa 10 bis 15 Jahre alt schätzen. Aber das war es nicht, was sonderbar war. Die blauen Augen, das goldene Haar, das runde Gesicht ... er hatte das Gefühl in einen Geschlechtsumwandlungs-Spiegel zu sehen.

"Deine Urururururururururgroßmutter" sagte Greg, sich halb die Zunge verrenkend bei all den 'Urs'.

John starrte immer noch fassungslos auf das Mädchen mit den goldenen Locken. "Wie hieß sie?" meinte er zögerlich.

"Rose Watson oder so. Zumindest schreibt das mein Urururururururururgroßvater in seinem Tagebuch."

Jetzt wurde John hellhörig. "Dein Ururur ... dein Vorfahr kannte meine Vorfahrin?"

"Also zumindest behauptet das sein Buch." meinte Greg schulterzuckend. "Aber es sagt auch es gäbe hier eine Galerie mit Portraits und Bildern von einigen wichtigen Freunden und Gästen der Feiern. Wissen Sie, er war davon überzeugt dass er den Mörder finden würde, von dem Verbrechen damals."

"Er berichtet also, dass es einen Mord gab?" fragte John aufgeregt.

Greg schien es zu freuen, dass sich jemand für seinen Geschichte interessierte. "Ich bringe ihnen das Buch morgen mit, ich kann noch vor der Arbeit herkommen." Bot er bereitwillig an.

"Kommen Sie doch zum Frühstück!" lug Mrs. Hudson ein und es war beschlossen. Morgen würde er endlich mehr erfahren. John konnte es kaum erwarten.


Es brannte keine Kerze, wie in jener Nacht. Und Holmes würde den Fehler nicht wiederholen sich zu zeigen. Noch nicht. Der Junge hatte etwas Magisches an sich, eine neue Art, die Holmes nicht kannte. Doch etwas in ihm begann diese Art lieb zu gewinnen. Wie er auch versuchte etwas aus ihm herauszubekommen, mit allen Mittel, wobei er ihn gleichzeitig nicht verschrecken wollte. Der Lord grinste in sich hinein. Er war schon süß.

Gleichzeitig ärgerte er sich dass er John Watson so nahe gekommen war. An einen Baum gelehnt dachte Holmes über die Szene vor der Bushaltestelle nach. Er hatte eigentlich kein Gefühl für den kleinen blonden Erben gehabt, außer seinen Tötungsinstinkt. Aber als er so direkt vor ihm stand, war etwas in ihm, dass ihn den Jungen nie im Leben hätte umbringen lassen. Es war so wie bei Rosie, nur ... stärker. Holmes hatte noch keine Erklärung dafür und das machte ihn verrückt. Er musste dem auf den Grund gehen. Ihm musste nur noch ein Grund einfallen, die Burg aufzusuchen ...

-

"Wonach genau suchen wir?"

John hing mit dem Kopf in einer großen Holztruhe, die mit Staub, Krabbeltieren und zerfallenem Stoff voll war.

"Eigentlich nach einem Raum." Ächzte Greg, der hinter einem Regal stöberte. Er rappelte sich auf und schlug das vergilbte Taschenbuch auf. "Tagebuch von Gavin Lestrade. Bevor ich beginne, notiere: Die Burg der Familie Watson ist ausgestattet mit einer Galerie. In ihr sind alle wichtigen Persönlichkeiten verewigt. Jede Antwort wird sich als Erstes in diesem Raum finden."

Greg sah John skeptisch an. "Fragen Sie mich nicht, was genau er damit gemeint hat. Aber es scheint sehr wichtig zu sein."

John ging die ganze Burg noch einmal durch. Die Wände hatten überall Risse und Löcher, also keine Angabe darüber ob ein Gemälde dort gehangen war oder nicht. "Vielleicht finden wir noch irgendwo etwas in den Räumen mit den ganzen Rüstungen und so?"

Greg stimmte zu und sie verließen den Turm.

"Greg, meinen Sie nicht, dass die Watsons alle Gemälde mitgenommen haben? Schließlich waren es Ihre?"

"Wenn einer Ihrer Gäste ein Mörder ist, würden Sie dann sein Gemälde aufheben? Die Watsons wussten laut dem Buch nicht wer es war, also haben sie vermutlich vorsichtshalber keines mitgenommen."

Sofort schoss John wieder in den Kopf was Mr. Holmes gesagt hatte. Wenn also die Tochter das Opfer war, dann wäre seine Ururur ... wie auch immer gestorben, als sie noch ganz jung war, dem Gemälde entsprechend. Wie hätte sie dann Kinder haben können? Und was hat das alles mit der Geliebten des Lords zu tun?

"Das sieht doch viel versprechend aus." Seufzte der Ältere, als sie in den ersten Raum traten. Für John sah es wie eine Müllhalde aus, aber Greg schien in allem eine Geschichte zu sehen, er erzählte John alles Mögliche über die Burg und die Feiern, was zu der Zeit normal war, wie die Gesellschaft sich verhielt und so weiter. Währenddessen schmissen sie Helme und verbogene Schilde durch die Gegend, zogen sich Spaßeshalber ein Kettenhemd an und führten sich albern auf, um wenigstens etwas Freude in die anstrengende Suche zu bringen. Im Zweiten Raum fiel John auf einmal etwa sin die Hände, das wie ein Rahmen aussah. Er rief Greg zu sich und sie versuchten das staubige Ding unter all dem Gerümpel heraus zu ziehen.

Nach gefühlten 30 Minuten des Hustens und nach Luft Ringens hatten sie es ausgebgraben und tatsächlich: Es war ein Gemälde.

"Ich wusste es!" rief Greg triumphierend. " ... Wer zur Hölle ist das?"

Beide mussten sie lachen. Nun, ein besonders toller Fund schien das ja nicht zu sein. "Also auf den passt keine Beschreibung aus dem Buch." stellte Greg enttäuscht fest.

"Jetzt sind wir sowieso schon voll Dreck, also lass uns weiter machen, vielleicht finden wir ja noch welche." Munterte John auf. Er hatte sowieso nichts zu tun außer Formalitäten, aber die konnten warten, bei dem Gedanken ein Verbrechen aufzudecken.

Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis sie das Nächste fanden. Diesmal machten sie es aber nicht zuerst sauber sondern stellten es auf den Gang und suchten weiter. Einerseits um nicht am Dreck zu ersticken, bevor sie nicht fertig waren mit der Aktion. Andererseits war es motivierender zu hoffen, dass es das richtige Gemälde war und nicht ein Unbedeutendes.

Am Ende hatten sie acht Gemälde in verschiedenen Größen gefunden. Zwei davon waren durchlöchert und zerrissen, eines komplett ausgebleicht und um ehrlich zu sein, war bei manchen nicht mehr erkennbar, ob das überhaupt ein Mensch war, der abgebildet wurde. Greg begann die Portraits zu mustern und mit seinem Buch abzugleichen. "Hier stehen nicht mehr viele Namen auf der Liste." Meinte er demotiviert. "Einen kleinen, korpulenten mit braunem Haar und Grinsen, allerdings steht hinter seinem Namen ein Fragezeichen."

"Wahrscheinlich weil er immer so nett aussieht." Scherzte John, und betrachtete die Gemälde das erste Mal genauer. "Hey, Greg, gucken Sie mal. Wenn das kein Schmutz ist, dann grinst der Typ hier doch ziemlich, findest du nicht?"

Der Inspektor musterte den Mann auf dem Bild und grinste dann selbst. "Da haben wir dich ja, Sir Stamford!"

Wieder voll motiviert las er die Liste weiter vor, während John die anderen Gemälde genauer betrachtete.

Doch weder einen Sir Magnussen mit Begleiterin Lady Smalwood noch einen Sir Smith oder Lord Culverton konnte er finden.

"Wow, sieh dir das an!" Greg kniete vor einem der zerrissenen Gemälde, das Buch zwischen die Beine geklemmt. Er versuchte mit beiden Armen die Fetzen aneinander zu halten.

John half ihm, das Bild wieder herzustellen, während der Ältere seinen Fund erklärte.

"Das ist der letzte auf der Liste, er hat sogar ein fettes Ausrufezeichen hinter dem Namen! Groß, schlank, pechschwarzes Haar, undurchdringlicher Blick, wirkt unsympathisch, Liebling der Watsons." Greg pausierte um John das Bild betrachten zu lassen. Der Mann darauf passte zu der Beschreibung, soweit John das kopfüber und mit seinem Armen im Weg beurteilen konnte.

Aufgeregt fuhr Greg fort. "Lady Adler wollte vor ihrem Tod mit ihm in Kontakt treten!" Beide sahen sich gespannt an. Lady Adler war demnach das Opfer gewesen?

"Wie ist der Name?" fragte John ungeduldig. "Ich .. . Ich weiß nicht, ... hier steht nicht ... da steht nichts mehr!"

"Irgendwo zwischen den Zeilen? Gib mal her!" John nahm Greg das Buch aus der Hand. Die schwarze Tinte war ziemlich gekritzelt und in einer schrecklich unlesbaren alten Schrift. Trotzdem fand der Blonde einige Kommentare auf der Seite davor, die durchgestrichen waren. "Warte, hier ist was!" rief er aufgeregt. "Bn ... Br ... Nein, ara ... irgendwas mit - arrogant! Arrogant, hero ... herablassend! Arrogant, herablassend, ... Das sieht aus wie drei u's hintereinander?"

"Zeig her!" wollte Greg sein Buch zurückfordern, doch da ging es John auf. "Arrogant, herablassend, unverkennbar Lord H ..." Er stockte.

Das konnte nicht wahr sein.

"Was??" Greg flippte fast aus.

"Ich kann es nicht lesen." Log John und gab dem anderen Mann das Buch zurück.

Ungläubig betrachtete der Blondschopf das zerrissene Portrait. Er versuchte die Fetzen aufrecht zu halten und sah in ein ihm nur zu bekanntes Gesicht.

"Halwes? Halmes? Holwes?"

"Holmes." John hatte es nur gehaucht, unabsichtlich, aber Greg musste es gehört haben.

"Holmes! Es heißt bestimmt Holmes! ... Den Namen habe ich noch nie gehört."

Was? John drehte sich zu Greg. "Ihr habt keinen Holmes in der Gemeinde? Du hast noch nie von einem Holmes gehört?"

Greg zuckte resigniert die Schultern. "Nö, noch nie. Und an so jemand hätte ich mich erinnert, markanter geht es ja kaum." Stöhnend stand er vom Boden auf. "Damit haben wir schonmal zwei Namen und eindeutige Gesichter."

John war mit Gedanken ganz wo anders. Es gab keinen Mr. Holmes in der Stadt, Greg hatte noch nie von ihm gehört, geschweige denn ihn gesehen. Und nun war er auf einem Jahrhunderte alten Gemälde abgebildet. Ok, es war etwas unscharf und er hatte keine wilden Locken, aber diese Wangenknochen, die bleiche Haut, dieser Blick ... Es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter. Etwas war mit diesem Mann ganz und gar nicht in Ordnung. Und er musste herausfinden was es war.


Gefühlte zehn Stunden starrte John das Gemälde an, bevor das schreckliche Schrillen losging. Er stürmte gedankenverloren zum Tor und riss es auf. Sein Herz blieb stehen, als er auf der Türschwelle stand.

"Hallo Mr. Watson."

Hatte er ihn so erschreckt, oder warum stand der Blonde da wie eine Salzsäule? Holmes bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. "Ist alles in Ordnung bei ihnen?"

Nein. Nein, definitiv nicht. Vor John stand ein Mann, der auf einem Hunderte Jahre alten Gemälde abgebildet war und ihn mit diesem undurchdringlichen Blick ansah, als würde er ihn im nächsten Moment verschlingen.

"Brauchen Sie einen Arzt?"

"Ich - bin - Arzt." brachte John zu Stande.

"Nun denn, darf ich eintreten?"

John antwortete nicht, sondern starrte den Mann nur unschlüssig an.

"Ich dachte, dass ich die Besichtigung fortführen könnte, da ich ja so plötzlich ..." Holmes schoss Rosies Abbild in den Kopf. "...gehen musste."

"Sie mussten plötzlich gehen." wiederholte John wie ein Papagei.

"Soll ich Sie untersuchen?" Bot Holmes an, was John aus seiner Starre löste.

Alles nur das nicht! Aber gleichzeitig musste er das Rätsel lösen. Hin und her gerissen trat John zur Seite.

"Mr. Watson, Sie sind sowieso schon nicht der größte, Sie brauchen sich nicht auch noch zu ducken." Meinte der schlanke Mann und schritt an John vorbei.

Zwar war dem Blondschopf nicht aufgefallen, dass er sich instinktiv geduckt hatte, aber ihm fiel auf, dass es wirklich ein Schreiten war. Der perfekt gerade Rücken, der erhobene, leicht überhebliche Blick, die langen Beine, die in gleichgroßen Schritten die Halle entlang liefen. Nur diese wirren Locken entsprachen nicht dem Bild, und John lächelte. Der Makel am perfekten Mr. Holmes, seine pechschwarzen Locken. Als John das dachte zuckte er zusammen. Er musste an die Beschreibung in Gregs Tagebuch denken.

"Warum ..." Doch Holmes hörte John nicht, er war bereits unter dem Tor des rechten Flügels verschwunden und John stand immer noch an der Eingangstür.

Als John ihn im Zimmer mit dem Kamin erreichte, war Holmes gerade dabei den Vorhang vom Boden aufzuheben. "Warum mussten Sie so plötzlich weg?"

Doch Holmes stellte ihm statt einer Antwort eine Gegenfrage: "Sie?"

"Was?" verwirrt sah er den Mann ihn, der den Stofffetzten vielsagend hochhob. "Ja." John sah ertappt zu Boden.

"Das hätten sie auch erneuern können." meinte Holmes und schritt auf John zu. Dieser hielt die Luft an. Würde Holmes jetzt nicht stoppen würde er ihn über den Haufen laufen. John war wie hypnotisiert von dem Anblick des eventuell hunderte Jahre alten Mannes. Für einen Moment stellte er sich sogar vor Holmes würde wie ein Geist schweben, aber dann stand dieser auch schon vor ihm.

"Laden Sie mich zum Essen ein, Watson? Beim Essen kann ich am besten reden."

John war noch zu sehr damit beschäftigt den warmen Atem auf seiner Haut zu spüren, die hauchende dunkle Stimme in den Ohren zu hören ... natürlich weil er Angst hatte dass dieser Mann vielleicht doch ein Geist war. Warum denn sonst...? Ein Schauer jagte John den Rücken hinunter.

Er lief dem Herrn hinterher, in den anderen Flügel. Da erfasste den Jungen Panik. Die Gemälde. Sie standen immer noch im Gang.

"Halt!" Sehr intelligent, John. Jetzt war sein Verdacht geweckt. Tatsächlich betrachtete Mr. Holmes den jungen Mann misstrauisch.

"Ich ... ähm ... ich habe jetzt Hunger, essen Sie mit mir, jetzt?" John war überrascht die Lüge so überzeugend rausgebracht zu haben, dass Holmes zufrieden nickte und ihm in den Speisesaal folgte.

John eilte zu Mr. Hudson in die Küche und bat sie Greg zu holen. Wenn Greg ihn identifizieren konnte oder ihm zustimmte .... Oder eben nicht, hatte er einen Anhaltspunkt.


Holmes hatte ein ungutes Gefühl. Dieser Raum war nicht von besonders guten Erinnerungen geprägt. Abgesehen von den Gesprächen mit Rosie. Vielleicht würde er ja auch mit John reden.

Trotz der kleinen Statur war John ziemlich trainiert, was wohl nicht von seinem Medizinstudium herrührte. Aber dieser alte Pullover war der Abschuss. Der Lord überlegte sich, ob er wirklich das richtige Jahrzehnt nachgeforscht hatte, denn die Haushälterin sah genauso retro aus, wie er bald später feststellte.


John wusste nicht wie er das Fragen-Chaos in seinem Hirn ordnen sollte ohne etwas zu sagen, was verraten könnte, was er von Holms wusste. Beziehungsweise wusste, dass er nicht war.

Da kam ihm Holmes entgegen. "Ich habe gelogen." gestand er. "Unsere Familien sind seit langem nicht mehr befreundet. Deshalb bin ich gegangen. Das Gemälde hat mich an den Konflikt erinnert."

"Aha" Mehr brachte der Blonde nicht zu Stande unter dem treuen Blick sines Gegenüber. Er wollte ihm alles glauben, was er sagte. Nachdenklich fragte er: "Welcher Konflikt?"

Holmes lachte und wand sich ab.

"Nein, nein, das machen Sie nicht noch einmal!" John war dabei innerlich auszurasten "Sie werden nicht ausweichen oder über das Wetter reden, Sie schulden mir eine Antwort! Jetzt sofort!"

Doch Holmes Blick war nicht ertappt. Es sah ganz ruhig zu seinem Gastgeber, als wartete er, dass er endlich fertig war um reden zu können. "Mr. Watson, aber das wissen Sie doch schon lange - die Feier, seitdem die Burg verlassen steht."

Verblüfft ließ sich John zurück fallen. "Also hat Lady Adler mit den Holmes zu tun oder war aber die Tochter weil sie ja das Opfer war ..." Er murmelte es mehr als das er mit Holmes darüber sprach. Der bleiche Mann beobachtete John aufmerksam. Die Falten auf seiner Stirn wurden immer tiefer, je weiter er nachdachte. Er überlegte sich, ob er es dem Jungen erzählen sollte, oder ihm Vorlügen, was er sich selbst währedn dem Murmeln ausdachte. Der Junge hatte recherchiert oder auf jeden Fall etwas Neues herausgefunden, sonst wäre er nicht so verängstigt.

John hing sich an einem Gedanken auf, war es nicht genau das was Holmes gesagt hatte? "Welchen Grund hat der Jäger sein Opfer zu suchen, wenn es längst tot ist?" sagte er nun laut. Die Blicke der beiden Männer trafen sich. Für einen Moment waren sie darin verloren, bis der große Mann blinzelte und zur Seite sah. Er durfte sich nicht darauf einlassen.

"Gar keinen." Ging es dem Blondschopf plötzlich auf.

"Offensichtlich." kam es von seinem Gegenüber.

Jetzt schien wenigstens etwas einen Sinn zu geben. Auch wenn John traurig war, dass die Reiter-Legende wohl nicht wahr war. "Was wenn der Mord auf der Feier der Mord am Mörder war?!"

Dem skeptischen Blick Holmes zu Folge wohl eher nicht. Der bleiche Mann konnte seinen Gesichtsausdruck nicht schnell genug wechseln, also wusste John nun, dass dieser mehr darüber wusste. Viel mehr. Er brauchte nur eine Taktik es aus ihm rauszubekommen.

"Es gab also zwei Morde. Der eine war an Lady Adler, und der zweite an der Tochter!" John war selbst überrascht von der Erkenntnis. Aber dann musste die Tochter ja die Mörderin sein weil sie dann aus Rache von dem Geliebten umgebracht wurde ... Es ergab alles keinen Sinn.

Holmes' tiefes Lachen riss John aus seinen Gedanken. "Also nur ein Mord?" fragte er unsicher.

Doch Holmes lachte nur weiter, er hatte durchschaut was der Junge versuchte, und war amüsiert wie er sich ausdachte, was passiert war. Da knarzte die Tür und jemand trat ein.

"Hey John, sorry, ich war gerade noch in einem Meeting ... " Begann Greg, da entdeckte er den dritten Mann im Raum.

Um zu tarnen, dass er aus alter Manie aufgestanden war, kam Mr. Holmes dem Neuankömmling entgegen und reichte ihm die Hand. "Holmes."

Da bekam Greg große Augen. "Was für ein Zufall! Wissen Sie, es gab mal einen Holmes auf der Burg der Watsons und zu der gleichen Zeit lebte ein Lestrade dort!" Er grinste breit in die geschockten Gesichter der beiden anderen Männer. "Das ist schon ein echt krasser Zufall! Vielleicht können Sie uns helfen Mr. Holmes, wir versuchen ein Verbrechen aufzuklären! John hat ihnen bestimmt davon erzählt?"

Halt die Klappe Greg. John hätte ihm am liebsten den Mund zu getaped.

"Weshalb wolltest du mich so dringend sprechen?" fragte Greg als er an Johns Platz angekommen war.

"Nicht jetzt!" Zischte John zurück, auf Mr. Holmes blickend.

So in Panik-Gedanken gefangen, hörte es Holmes nicht. Er ging nur schweigend zu seinem Platz zurück. Gegenüber von Watson und neben dem Nachfahren Lestrade.

John sah unsicher zu dem großen schlanken Mann, der sich wieder setzte. Seine Miene war nun wie versteinert.

Greg schien überhaupt nichts aufzufallen, denn er redete munter weiter. "Wir haben schon ein paar Namen und auch Beschreibungen zu den Gästen von damals." Während er redete wurde sein Gesichtsausdruck nachdenklicher und er fixierte den Fremden. "Können Sie mal die Haare nach hinten streifen? So?" Greg fuhr sich mit der Hand demonstrativ über die kurzen Haare.

Als er von Holmes nur einen entrüsteten Blick erntete schluckte er kurz entschuldigend. "Sie sehen nämlich fast so aus, wie auf diesem Gemälde."

Für diesem Kommentar hätte John ihn erwürgen können. Er spürte den Blick von Mr. Holmes, traute sich aber nicht in diese forschenden Augen zu sehen.

Das war es also, weshalb der Junge Watson nicht in den linken Flügel gehen wollte, ging es dem Lockenkopf auf. Es war riskant, aber John dachte nun er sei der Mann auf dem Bild, wie es den Anschein hatte, also musste er die beiden überlisten. Und vom Gegenteil überzeugen.

Holmes lachte gekonnt. "Ist das so? Das muss ich mir unbedingt ansehen, jemanden wie mich habe ich noch nie vorher gesehen."

Greg atmete erleichtert aus. "Wo kommen Sie denn her, ich meine, haben Sie nichts mit dem Lord Holmes von damals zu tun?"

"Ich bin kein Ahnenforscher, tut mir Leid. Die letzten Jahre meines Lebens habe ich im Süden Europas verbracht, ich habe erst neulich von dieser Burg gehört."

"Kenne Sie dann die Legende gar nicht? Oh das wird ihnen gefallen!"

Greg begann von der ganzen Story zu erzählen während Holmes aufmerksam nickte und Kommentare abgab, John im Boden versank und Mrs. Hudson das Essen brachte.

"Da wir nichts anderes da haben, muss es dieser Auflauf tun." Sagte die ältere Dame mit strafendem Blick auf John gerichtet. Holmes musste grinsen, John war wohl so von ihm verwirrt gewesen dass er vergessen hatte einzukaufen. Doch etwas anderes zog Holmes Laune in die tiefe. Er hatte Hunger. Seit Tagen hatte er keinen Menschen mehr verspeist und nun pochten gleich drei Herzen um ihn herum.

"Essen Sie Holmes, sonst denken wir noch sie sind ein Vampir!" Lachte Greg, da der dürre Mann sein Essen nicht anrührte. Beißender Knoblauch und Wolfswurz stieg ihm in die Nase.

"Sie denken doch nicht ich sei ein Werwolf?" Holmes lachte schief, dann schob er den Teller zur Seite.

"Höchstens ein Geist." rutschte es John heraus. Die nun tief grünen Augen waren fest auf den Blondschof geheftet.

"Beweisen Sie uns dass Sie kein Vampir sind!" Greg schien Gefallen daran zu finden einen Spaß daraus zu machen. Er schnitt sich leicht in den Arm und hielt es dem Südländer unter die Nase.

"Spinnst du Greg!"

"Hast du Angst?" Greg lachte nur, doch John fand das gar nicht lustig. Ebenso wenig wie Mr. Holmes.

Die Blutstropfen quollen wie in Zeitlupe aus der Wunde, der Eisengeruch schlich sich in sein Gehirn, die Stimmen wurden immer verschwommener. Jahrzehnte lang hatte er sich nicht mehr beherrschen müssen, er hätte nicht gedacht aus der Übung gekommen zu sein. Doch es war so. Die Zähne kämpften sich einen Weg in seinem Mundraum und wenn er jetzt die Augen öffnete wären sie rot wie glühende Kohlen.

Weit weg drangen Stimmen zu ihm hindurch, wurden lauter und auf einmal war die Realität um ihn herum wieder da.

"Holmes? Mr. Holmes!"

Er schlug die Augen auf. John war direkt vor ihm und erschrak im ersten Moment, als er wieder diesen roten Funken in mitten des Ozeans verschwinden sah.

"Alles in Ordnung bei Ihnen?" hakte Greg verunsichert nach.

"Ja, Ich ... Ich kann kein Blut sehen." krächzte der große Mann. Er griff nach dem Becher, den Blick entschuldigend auf die beiden jungen Männer gerichtet. Er musste den Blut Geschmack loswerden, doch das Gesöff war kein Wasser sondern etwas Bitteres, das ihm irgendwie bekannt vorkam.

Greg lachte wieder. "Na dann sind Sie sicher kein Monster!"

Doch anstatt beruhigt zu sein war John nur noch mehr verunsichert von Holmes nachdenklichem Blick.

Diesem gefror in diesem Moment das Blut in dem Moment, da er den Geschmack erkannte. Ohne dass er etwas tun konnte, entleerte sich der blutige Inhalt seines Mund und Rachens vor ihm auf dem Tisch. Sofort drehte sich die Welt und er sah Sternchen, wie beim Ersten Mal vor über einem halben Jahrtausend.

"Joh ..." Der Mann krümmte sich am Boden, das Einzige was er dachte, war, die blauen Augen in Sicherheit zu bringen. "John! Verschwinde!" Ob jemand das hörte konnte er nicht wahrnehmen.

Doch John hörte es. Seinen Namen rufend lag der dürre Mann am Boden, spuckte Blut und Schwarztee und versuchte sich aufzurichten. Glühend rot funkelten die Augen durch den Raum, knirschten Krallen über den Boden und knackende Geräusche wie brechende Knochen hallten durch den Saal. John wollte seine Kenntnisse einsetzten, er wollte diesem Menschen sofort helfen, trotz dieser unmenschlichen Erscheinung musst er ihm aufhelfen. Da klickte es und er sah zu Greg hinüber, der mit geladener Pistole auf Mr. Holmes zielte. "Raus hier!" rief nun auch er zu seinem Gastgeber.

John sah zwischen dem verstörten Blick von Greg und dem hungrigen von Mr. Holmes her.

Für eine Sekunde wurde alles still, und der Mann am Boden sah John nur flehend an.

Dann knallte es und der Schuss ging los, traf Holmes und er schrie, wie ein Tier.

Der Junge Watson sprintete los, auf der Suche nach einem Telefon. Er rannte Mrs. Hudson über den Haufen, die er mit sich zog, vom Speisesaal weg. Da ertönte ein weiterer Schuss, und noch einer. John versuchte es zu überhören, bis sie endlich sein Handy erreicht hatten. Er drückte die Notruf Taste und begann zu wählen, als es auf einmal totenstill war. Selbst Mrs. Hudson neben ihm hatte aufgehört hysterisch zu schreien. Das Handy glitt aus Johns Hand.

Jeder seiner Schritte hallte laut in der ganzen Burg, bis er vorsichtig in den Speisesaal trat.

Er war leer.

Fensterscherben lagen in einer rötlichen Pfütze, gemischt mit Staub, Kleidung, Gregs Pistole ...

Vorsichtig hob John sie hoch.

"Was war das?" kickste die alte Dame hinter ihm aufgebracht zittrig.

Verloren sah John durch die zersplitterte Fensterscheibe in den nebligen Wald.

"Keine Ahnung ..."

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