2 - Rosie
Schottland, Herbst 1421
Es war seltsam nach all den Jahren wieder diesen Pfad hinauf zu reiten. Zwar war es für ihn nur eine kurze Zeit gewesen, doch von der Heimat entfernt zu sein fühlte sich immer länger an.
Lord Holmes empfand es nun wieder als ungefährlich das Anwesen der Watson zu betreten. Vielleicht wollte er aber auch wieder das Schloss sehen, den leicht modrigen Geruch einsaugen und von den Turmzimmern aus auf die Weiten Schottlands sehen.
Vertraut wucherten die Tannen über den Steinweg. Wie hatte er doch den winterlichen Geruch nach Fichtennadeln vermisst. Eine seiner liebsten Beschäftigungen war es gewesen die Nadeln zu sammeln und als Medizin zu verkaufen – beziehungsweis einzutauschen. Lange war es her ...
Da fiel ihm wieder ein weshalb er überhaupt abwesend gewesen war. Er hatte nun einige Zeit gehabt sich eine plausible Geschichte einfallen zu lassen über seine imaginierte Familie. Genau nachfragen würde sowieso niemand, doch ein kleiner Fehler konnte schon zu ungewollten Fragen führen. Auf den letzten Minuten ging er die ganze Narration noch einmal durch. Von krankem Vater über die verlorene Arbeitsstelle, dass er selbst eine Arbeit als Verwalter annehmen musste bis der Neffe alt genug war die restliche Familie zu versorgen. Die Schwestern wurden auch krank weshalb er nicht weg konnte. Dass die Mutter schon gestorben war passte noch als Krönung obendrauf. Das Ganze klang doch recht plausibel.
Schon blitzte das matte Rosa-beige der Burgtürme auf. Wie ihn die Watsons wohl begrüßen werden? Hatte die kleine Rosie ihn vergessen oder doch etwas den Eltern verraten? Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihm breit, so wie seine echte Familie wollte er nicht enden. Außerdem spielte ihm der erdrückende Gedanke im Hinterkopf, dass er der letzte war, denn bis jetzt hatte er niemanden wie sich gefunden. Und er kannte fast die ganze Welt. Der Lord wünschte seine Eltern hätten es verraten. Wenigstens einem von ihnen. Dann wüsste er nun, ob die Suche überhaupt einen Sinn machte. Seit er ihn Schottland seine wirklichen Geschwister verloren hatte hielt ihn der Ort fest und er würde immer dorthin zurückkehren. Es war ihr Ort gewesen über so viele Jahrhunderte hinweg, niemand würde ihn je endgültig von hier vertreiben können. Dafür war zu viel von seiner Familie hier, dies war der einzige Ort an dem er sich fühlte wie ... zu Hause.
Mit gemischten Gefühlen zog Lord Holmes die Zügel zurück. Sträubend blieb das dunkle Tier unter ihm stehen und machte die Wachen auf sich aufmerksam. Sie waren noch die gleichen wie bei seiner Abreise.
„Lord Holmes, welche Überraschung." Rief einer der Wächter überrascht und verbeugte sich unterwürfig. Der Fürst musste lächeln, als er auf den Wachmann hinunter blickte, der deutliche Falten um die Augen und auf der Stirn aufwies. Er war alt geworden. Grübelnd ritt er durch das Tor, in den Innenhof und zum Stall. Unter tuschelnden und verwunderten Arbeitern gab er sein Pferd einem Jungen, den er nicht kannte. Eindeutig der Stalljunge mit der Schürze, in der ein Hufeisenauskratzer hing, die Haare voller Heu. Er erinnerte ihn an den kleinen Jungen auf dem letzten Ball in der Burg. Da kam ein junger Mann zum Vorschein, der dem jungen brüderlich etwas zu rief. Es brauchte einen Moment bis er den Stalljungen von früher erkannte, jetzt voll ausgewachsen und vom Schmiedeeisen gezeichnet, stark gebaut, verrußt und mit einer Schürze, dieselbe wie sein kleiner Bruder, der gerade die Zügel des stolzen Hengstes hielt.
War wirklich so viel Zeit vergangen? Hatte er die paar Jahre so sehr unterschätzt?
Die großen Tore schwangen auf und er trat ein. Der wohlbekannte Geruch schlug ihm entgegen, das Klacken seiner Schritte auf dem Boden, das Sonnenlicht welches Schattenmuster auf die Wände warf, alles machte ihm bewusst, wie sehr er diesen Ort vermisst hatte.
Ungläubig kam ein Mann mittleren Alters mit leichten grauen Striemen in Bart und Haar die Treppe hinunter gelaufen.
„Ich hab es nicht glauben können!" Kopfschüttelnd blieb er stehen. Dann breitete der Burgherr die Arme aus und kam freudestrahlend auf den Fürsten zu.
„Lord Holmes, es ist eine Freude Sie zu sehen!" Freundlich nahm er ihn in die Arme, ließ los und betrachtete seinen unangekündigten Gast.
„Sie haben sich kaum verändert! Sehen sie mich an – alt und aufgegangen wie eine Pastete." Unzufrieden aber lachend blickte der Herr an sich selbst hinunter.
Lord Holmes rang sich ein höfliches Lächeln ab. „Ich fühle mich geehrt."
„Sagen Sie, was führt sie wieder zu uns?"
„Ich erhoffe mir eine Unterkunft für ein paar Tage oder Wochen, bis mein altes Anwesen wieder aufgebaut ist."
Der Burgherr schien immer fröhlicher zu werden. „Bleiben sie gerne länger, Lord Holmes, Sie sind uns immer ein willkommener Gast."
Wenn er wüsste. Lord Holmes lächelte dankbar, dann ließ er sich unter Willkommensgerede zu einem Zimmer führen auf dem seine Reisetaschen - die größtenteils leer waren - schon aufgereiht standen.
In wenigen Stunden war das Essen fertig. Anscheinend hatte das junge Watson-Mädchen ihn nicht mit den roten Augen im Wald assoziiert, oder Stillschweigen bewahrt. Er würde es bald erfahren.
Es dauerte nich lang bis einige edle schwarze Klamotten den hölzernen Schrank schmückten. Die restlichen Taschen mit einer notdürftigen Wegzehrung für ein paar Tage, die aus den letzten Matrosen und einem Handelsmann bestand, sowie seine Kräutersammlungen verstaute er bedeckt unter Wintermänteln.
Schließlich entschied er sich für ein schlichtes und doch vornehmes Gewandt mit winzigen blauen Stickereien – ein Stück, dass seine Schwester angefertigt hatte. Es bestand aus purer Seide, sowie Samtbesetzungen, und im Kontrast glänzend blauen Abbildungen von Tannen und - wenn man genau hinsah - einem Wolf mit Flügeln, umschlungen von wunderschönen Dornenranken. Ob es zu dieser Zeit passte, war ihm egal. Die Begründung ‚Im Süden trägt man das' zieht immer, bei Leuten die nicht viel um die Welt gekommen sind.
Normalerweise gehörte Nervösität nicht zu den Zuständen die der Fürst oft hatte. Doch aus irgendeinem Grund hatte er die Sorge, in eine Falle zu laufen.
Die Holztüren schwangen auf, der Raum war leer. Unsicher ging er auf den gedeckten Tisch zu. Gedeckt für vier Leute. Alle lebten noch und waren soweit gesund, dass man sie an den Esstisch ließ. Das Gedeck sah bei allen gleich aus, Rosie wurde also nun wie eine Erwachsene behandelt. Wie alt war sie mittlerweile? Etwa 15 Jahre müssten es sein. Doch da für vier gedeckt war, die Watsons aber keinen weiteren Gast oder gar noch ein Kind haben konnten, hieße das das die Tochter noch ledig war. Unüblich zu dieser Zeit. Wenn sie in den nächsten zwei Jahren nicht die Burg wechselte oder ein Herr hier einzog, würde das Erbe wohl nicht weiter geführt werden.
Auf seinen Reisen war er Träumern begegnet, weit ihrer Zeit nachhängend oder voraus, das konnte er noch nicht sagen. Ein Traum der Regelosigkeit, vielleicht waren die Watsons die Vorreiter davon?
Da unterbrach Lord Watson seinen Gedankenfluss.
„Lord Holmes, meine Frau und Tochter, sie erinnern sich doch noch an Rosie?"
Lord Holmes' Blick schnellte zu der Familie. Lord Watson, ordentlich, doch wirklich älter und breiter als zuvor. Er sah müde aber glücklich aus. Ebenso Lady Watson. Die ersten bezeichnenden Altersfurchen zogen sich durch das aufmerksame Gesicht. Das geschmeidige Gewand in rosa Tönen mit goldener Ausschmückung schmeichelte sowohl der Figur als auch der gesamten Erscheinung.
Daneben, fast genauso groß wie die Eltern stand ein Mädchen mit langem goldenen Haar. Die zierlichen Locken waren hochgesteckt und trotzdem lag die Hälfte protestierend auf den knochigen Schultern. Das himmelblaue Kleid betonte die strahlenden und ebenso blauen Augen, die das runde Gesicht ausschmückten, wie Krondiamanten. Anders als ihre Mutter hatte sie eine zierliche dürre Statur, doch die breiten Schultern waren ihr vererbt, was sie kämpferisch wirken ließ. Die Blessur am rechten Unterarm verriet, genauso wie die kleinen Kratzer, die sie versuchte unter den zu kurzen berüschten Ärmeln zu verbergen, dass ihre freie Zeit nicht aus Bücher lesen bestand.
Als sie ihn erkannte funkelten die blauen Augen kurz auf. Lord Holmes konnte dies nicht deuten, so sehr sein Kopf auch die Möglichkeiten durcheinander warf.
Mit wenigen Schritten stand er vor ihnen. Höflich nahm er Lady Watsons Hand, küsste sie mit einem Lächeln. „Lady Watson, Sie sehen so schön aus wie an dem Tag als ich abgereist bin."
Sie lachte, was den Fürsten ebenfalls zu einem breiteren Lächeln brachte. Dann musste er sich der jüngsten Watson zu wenden. Zärtlich nahm er auch ihre Hand. Als er sich hinunter beugte, war das Gesicht nicht wie früher immer noch unter ihm, sondern sah nun auf ihn hinab. „Junge Lady, Sie werden jedes Mal anmutiger, wenn ich die Ehre habe ihnen zu begegnen."
Dass das Mädchen rot anlief, hatte er nicht beabsichtigt. Sie wahrte jedoch ihren erhobenen Blick, doch die Watsons strahlten vor Stolz. Genauso sicherte man sich seine Kontakte. Es konnte nicht besser laufen.
Zwei schöne Kälber wurden serviert, gebraten und gewürzt, ausgeschmückt mit Salaten, verschiedenem Gemüse und sogar einer Soße, dessen Geruch ihm fremd vorkam.
Die junge Lady Watson saß abermals neben ihm, sodass er ihre Blicke nicht sah, doch spürte er sie genau.
„Nun erzählen sie, was haben sie in den Jahren erlebt?"
„Wie geht es Ihrer Familie?"
„Und wie geht es der Burg?
„Unsere Tochter sieht sich nicht dazu ersehen zu heiraten." Formulierte Lady Watson möglichst indirekt drängend.
Jetzt meldete sie sich das erste Mal selbst zu Wort. „Ich sehe keinen Sinn darin, den Rest meines Lebens mit einem Mann zu verbringen, den ich nicht einmal kenne."
„Lord Stamford kennst du sehr wohl." Protestierte ihr Vater.
„Du kennst ihn, Vater."
„Sieh mein Kind, du wirst ihn kennen lernen."
„Aber was, wenn ich das gar nicht will? Denen geht es doch gar nicht um mich! Einzig wichtig ist was für die Familie gut ist, aber auf die einzelnen Mitglieder wird nicht geachtet!" Wütend warf sie das Besteck hin und stand auf.
„Junge Lady, führ dich nicht so auf!" erhob Lord Watson die Stimme. Doch Rosie schnaubte durch die Nase und verließ stürmisch das Zimmer.
„Das tut mir Leid, ihr Benehmen ist normalerweise nicht so ..."
Lord Holmes nickte nachgiebig. Es entstand eine kurze Pause in der Lord Watson einen Einfall hatte, der dem Fürsten nicht sehr behagen sollte.
„Mein Freund, sie hatten doch einen so guten Draht zu ihr. Könnten sie nicht ein Wort mit ihr sprechen?" Der flehende Blick und die Tatsache, dass sie ihm schon wieder einen Gefallen taten machten die Entscheidung schwer. Ein 'Nein' war nicht in Ordnung, also lächelte Holmes. „Ich werde sehen, was ich tun kann."
Dankbar atmete der Burgherr aus. Auch Lady Watson lächelte, doch etwa sin ihrem Blick ließ auf Zweifel schließen. Eventuell auch Besorgnis.
Nach dem Essen verließ er den Speisesaal, während die Watsons noch sitzen blieben. Diese Treppe war er noch nie hoch gegangen. Schöne Steinstufen führten spiralförmig den Turm hinauf. Mit jeder Stufe kam es ihm lächerlicher vor. Was sollte er schon sagen? Vielleicht fand er nun heraus, ob sie ihn damals erkannt hatte.
Der Klang des Klopfens auf der schweren Holztür hallte in den Steinwänden. Es dauerte nicht lange, bis die Tür aufgezogen wurde und der ärgerliche Blick der jungen Dame zu einem verwunderten bis ängstlichen Aufschauen wurde.
„Lady Watson, darf ich eintreten?"
Schüchtern zog sie die Tür auf.
„Was wollen Sie, Lord Holmes?"
Der schlanke Mann schritt durch das ausgefüllte Turmzimmer. Ein großes Himmelbett, genauso wie in dem alten Raum damals vor acht Jahren, stand in der Mitte von Tischen, Kommoden und großen Kisten die an Schatztruhen erinnerten – was es wohl auch waren. Nur waren sie nicht mit Gold gefüllt. Aus einer hingen Stofffetzen und eine rostige Stricknadel, sowie ein halb fertiger Teppich. Weitere Kleider und Papiere lagen verstreut auf den Möbeln herum und er meinte sogar etwas metallig aufglänzen zu sehen.
Das rebellische Auftreten brachte ihn zum Schmunzeln. „Um ehrlich zu sein, Ihre Eltern schicken mich." Am Fenster angekommen verschränkte er die Arme hinterm Rücken und sah starr auf den Burghof hinaus. Drängend schlich sich regelmäßiges Pochen in seinem Kopf, dass der Lord mit aller Kraft zu überhören versuchte. Es krachte laut und er drehte sich abrupt um, da merkte er, dass es die Tür gewesen war die von Rosie leise zugedrückt wurde.
Leidend sah ihn das Mädchen an. Als sich ihr Puls beschleunigte tat es auch der des Fürsten. Er konnte es sich nicht leisten jetzt den Trieben nachzugeben. So gut es ging versuchte er sich an das gerade gegessene Mahl zu erinnern und zu schmecken wie satt er doch eigentlich sein sollte.
„Heiraten ist notwendig, ich bin schon alt, wenn ich jetzt nicht den Lord Schönling oder Herr Reichtum nehme, ende ich als ewige Jungfer allein in einem kleinen Haus und muss betteln gehen. Meine Zukunft ist für immer ruiniert und ein Mann an der Seite wäre doch so schön! Jemand der dein Haus schützt, die Kinder schenkt, was will man mehr?" Sie redete überschwänglich mit Gesten und als sie fertig war sah sie ihn genervt an. „Haben Sie etwas das ich hinzufügen kann, Lord Holmes?" Als ihr auffiel, wie respektlos das war, senkte sie den Kopf und murmelte eine Entschuldigung.
Doch der Lord grinste nur amüsiert. Nach einer kurzen Pause sagte er ruhig „Du erinnerst mich an jemanden, den ich im Süden kennen gelernt habe. Jeanne d'Arc, auch ein Mädchen, dass sich gerne den Regeln wiedersetzt."
Es dauerte einen Moment, bis Rosie sich wieder traute sich zu öffnen.
„Was ist aus ihr geworden?"
Lord Holmes wanderte vorsichtig über den blanken Boden, bis zu einer geschlossenen Truhe auf die er sich setzte. „Das weiß ich nicht, sie ist noch ein Kind. Aber ich bin mir sicher, sie wird Großes vollbringen."
Rosie löste sich aus ihrer Starre und setzte sich ebenfalls auf eine der Truhen; die vor dem Bett und genau gegenüber von ihrem Gast. „Ich will keinen dieser Freunde von Vater heiraten." Sagte sie schließlich. Sie griff zu der goldenen Kette um ihren Hals, fuhr mit den Fingern über die Öffnung des Medaillions, ließ es aber geschlossen.
Etwas mitfühlendes, ein fast schon weicher Ausdruck legte sich auf das Gesicht des Fürsten. „Nicht ein einziger entspricht Ihren Vorlieben?"
Das Mädchen wand den Blick ab. Etwas verschwieg sie.
Lord Holmes versuchte es aus ihr heraus zu kriegen, langsam und unscheinbar.
„Wie viele haben sie dir vorgestellt?" Absichtlich ging er persönlich zum Du. Er wollte die Wirkung erzielen, dass sie sich sicher fühlte, wie bei einem Märchenonkel dem man alles erzählen konnte. Es schien zu funktionieren.
„Mindestens ein Duzend."
Der Mann versuchte einen spielerischen Ton anzunehmen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass zu dieser Zeit kein Einziger akzeptabler Jüngling zu haben ist."
Sofort wollte er sich auf die Zunge beißen. Denn Rosies Kopf schnellte nach oben. Sie schien seine Erschrockenheit zu bemerken, denn sie haderte mit sich etwas zu fragen, ließ es aber. Stattdessen gab sie ihm eine Antwort.
„Doch." Begann sie langsam. Bevor der Fürst zu einem Gegenargument ansetzten konnte, klärte sie ihn auf, wie sie es meinte. „Es gibt jemanden."
Verwundert runzelte er die Stirn. „Wo liegt dann das Problem?"
Jetzt erhob sie sich und ging zum Fenster, dort wo der Lord vorher gestanden war. Für eine Weile füllte nur Stille den Raum, und das Lärmen auf dem Burghof weit unter ihnen. Doch während Rosie schwieg rief sich der Lord alles was er auf dem Hof gesehen hatte vors innere Auge um zu verstehen, worauf die Lady hinaus wollte. Wie ein Buch schlug er Seite für Seite um, nur dass die Seiten Personen waren. Das Kapitel Wachen war schnell abgehakt, zu alt, verheiratet, nicht ihrem Wunschbild entsprechend. Er durfte nicht normal sein, unter der Fassade wilder als jeder normale Adelige – er würde sie sonst langweilen. Vital, stark, mysteriös, anders.
Natürlich wären Bedienstete eine Option, besonders weil eine Burgdame das niemals verraten durfte, eine solche Beziehung würde nie zu Stande kommen und wäre höchst unzüchtig. Köche, nein, Dienstboten konnte man auch ausschließen, viel zu jung oder schüchtern, sie wollte kein Haustier sondern einen Lebensinhalt zum lieben, oder wenigstens eine Hassliebe, aber etwas Aufregendes.
Da blieben seine Gedanken bei den beiden Brüdern hängen. Die Stallburschen. Beziehungsweise der Ältere der nun ein Schmied geworden war. Alles schien zu passen. Lord Holmes schlug die Augen auf.
„Lord Watson hat ihn nicht vorgestellt."
Rosie drehte sich mit traurigem Blick zu ihm. „Vater hat es getan ohne zu wissen, dass er es getan hat."
Woher dieser Gedanke kam wusste er nicht, aber Lord Holmes wünschte sich das arme Mädchen in eine andere Zeit mit zu nehmen, in eine Zeit wo man sich noch seinen Lebenspartner aussuchen durfte, oder wenigstens in die Zeit wo man den Mann vergiften konnte, wenn man keine Lust mehr auf ihn hatte, ohne das es auffiel. Das ganze Gift dass er verkaufen konnte um mit anzusehen wie die Männer reihenweise krepierten während er den Frauen die versprochene Nacht schenkte, in der sie allerdings eine tödliche Überraschung erleben mussten, lag nun nutzlos zwischen all den anderen Kräutern in einem Koffer.
„Es hat keinen Sinn zu rebellieren, Rosie." Das erste Mal dass er ihren Namen wieder aussprach hatte etwas Komisches. Es gehörte sich wahrscheinlich nicht, außerdem saß ihm der Gedanke im Nacken, dass sie wusste wer – was – er war. „Wenn du dir ein gutes Leben sichern willst musst du einen der Burgherren nehmen, auch wenn das erstmal ein langweiliges Leben verspricht, doch schließlich geht der Herr auch aus und ist abwesend. Diese Zeit wirst du nutzen können, glaube mir." Er zwinkerte freundlich und eindringlich, doch sie sah nur merkwürdig zurück, als hätte er etwas nicht verstanden.
„Er ist nicht von hier."
Also hatte sie nicht auf den Hof sondern in die Ferne gesehen?
„Aber er war es einmal." fügte sie hinzu.
Lord Holmes ging jeden Jungen und Mann durch, der darauf zutraf, doch er endete unwissend, obwohl sich ein Gedanke auftat, der ihm aber zu absurd vorkam, als dass es wahr sein konnte.
Der Fürst wartete auf die Auflösung. Doch das Mädchen posaunte es nicht gerade heraus.
Nervös tippte Rosie mit den Fingern auf die kalte Steinwand. „Er würde es nicht eingehen."
„Wie kannst du dir da sicher sein?"
„Er hat Angst mir weh zu tun." Damit sah sie ihn schüchtern an.
Der Lord hätte weiter reden können, sie vom Gegenteil überzeugen und letzendlich dahinter kommen können wer es war. Doch er wusste es bereits. Der wissende Blick, den Rosie dem Fürsten zuwarf, schmetterte ihm die Wahrheit entgegen.
Sie wusste es die ganze Zeit – die ganze Zeit über hatte sie es gewusst, all die Jahre.
Und kein Wort gesagt.
Die Stille knisterte beängstigend im Raum. Es war so still, dass Rosies Herzschlag so laut wie eine Trommel in seinem Kopf hämmerte. Ja, er hatte Angst. Angst dem Verlangen nach zu gehen und ihr junges Leben auszulöschen. Er hatte Angst um sein eigenes Leben. Er stellte es in Frage. Er stellte alles in Frage.
„Wieso...?" war das einzige was der Lord herausbrachte. Wollte sie ihn hier umbringen – alleine? Meinte sie es ernst? Nie hatte er darauf angesetzt sie zu verführen. Wie war es zu ihrem Interesse gekommen? Lord Holmes verstand es nicht.
„Sie sind anders, Lord Holmes." IhreStimme floss ruhig und warm wie Honig durch den Raum.
„Ich bin ein MONSTER!" schrie er dem fassungslos entgegen.
Zögerlich stieß sie sich von der Wand ab. „An dem Abend vor acht Wintern haben Sie etwas zu mir gesagt. Das es ein Monster gibt, und es jagt. Aber als Sie vor meinen Turm waren, haben Sie sich versteckt. Ein wahres Monster verkriecht sich nicht und flieht vor seinen Opfern. Sie sind nicht bösartig."
„Du hast ... keine Ahnung ... wozu ich fähig bin." Zischte er, durch seine Handflächen hindurch, die er abwehrend vors Gesicht hielt.
Rosie schüttelte den Kopf. „Es zählt nicht was du getan hast, sondern was du nicht tun wirst." Versuchte sie ihm beschwichtigend näher zu bringen. Liebevoll sah sie ihn an. „Du wirst mir nicht wehtun."
„Ich kann es nicht kontrollieren!" Der Mann sprang auf und lief zur Tür. Er konnte es nicht länger in ihrer Nähe aushalten. Noch nie war ihm jemand begegnet, der nicht schreiend davon gelaufen war. Abgesehen von seinen Geschwistern, und die hatten sich geliebt. Sie konnten sich gegenseitig kontrollieren. Aber wie sollte er es bei ihr schaffen?
Das goldene Haar, die blauen strahlenden Augen mit dem intelligenten, rebellischen Blick, ihr Auftreten, ihr Gang, alles, alles war eine Gradwanderung zwischen zu schön und schön genug zum Essen. Wenn er das liebevolle Blau in ihren Augen erlöschen sehen würde könnte er sich niemals mehr verzeihen.
„Du hast mir nichts getan." Argumentierte sie sanft dagegen.
„Noch nicht." Stieß Lord Holmes aus, der mit der Hand hinterm Rücken verzweifelt das Türschloss suchte.
Rosie trat näher an ihn heran. Sie standen nur wenige Schritte voneinander entfernt. Ihr unruhiges Blut rauschte immer lauter unter dem hellblauen Stoff, der ihre Figur umspielte.
Jetzt stand sie direkt vor ihm und sah mit sicherem Blick zu dem großen Mann mit dem kantigen Gesicht auf. „Niemals."
Seine Finger rutschten über die Tür, bis er endlich das kühle Schloss darunter zuspüren bekam. „Ich bringe nur Tod und Leichen." Der Schlüssel steckte.
„Tu das was du seit Ewig für meine Familie und diese Burg tust." Rosie ließ ihn nicht aus ihrem Blick fliehen. Jede Faser in seinem Körper wollte sich auf sich stürzen und bis auf den letzten Rest zerfleischen.
„Sei mein Beschützer."
Endlich klackte der Schlüssel unter seinen langen Fingern, er zog die schwere Holztür auf und zwang sich so schnell er konnte hindurch um die Treppenstufen in Windeseile hinunter zu fliegen.
In Gedanken verloren stürmte der Lord durch die Eingangshalle, bis ihn die Stimme von seinem Gastgeber durchzuckte.
„Lord Holmes, ist alles in Ordnung? Sie rennen ja wie vom Teufel besessen!" Lord Watson lachte, aber erwartete eine Antwort.
Holmes verlangsamte den Schritt und drehte sich entschuldigend um. „Der Schwung der letzten Stufe muss mich ermutigt haben, schnelleren Schrittes zu gehen."
Lord Watson sah leicht amüsiert halb skeptisch zurück. Als Lord Holmes merkte dass der Herr nicht verstanden hatte ergänzte er: „Es ist mir peinlich, ich habe mich noch nicht an die neuen Schuhe gewöhnt. Das was für Sie wie eine Flucht aussah, war der Versuch mein ungeschicktes Fallen zu überspielen."
Jetzt wusste der Kleinere nicht ob er lachen sollte, oder höflich davon absehen. Er entschied sich für Zweiteres, konnte jedoch einen schmunzelnden Blick auf die dunklen Schuhe des großen Mannes nicht unterdrücken. Sie waren tatsächlich nahezu schmutzfrei und ungetragen glänzend.
Erleichtert seufzte Lord Holmes in sich hinein. „Ich werde mich nun zurückziehen, danke sehr für das Abendmahl und ihre Gastfreundschaft." Damit verbeugte er sich und floh unscheinbar die Treppen zu seinem Gemach hinauf, bevor sein 'Freund' ihn über seine Tochter ausfragen konnte.
Es dauerte bis zum nächsten Morgen bis sich Lord Holmes beruhigt hatte. Gerade rechtzeitig, denn die Watsons erwarteten ihn im Speisesaal. Er würde der jungen Watson begegnen, als wäre gestern nichts geschehen. Was auch immer sie den Eltern erzählt hatte oder auch nicht, er müsste spontan reagieren und mitspielen, doch er hatte sich dafür entschieden zu bleiben. Er würde Rosie in den Griff bekommen. Ihm schwebte vor ihr indirekt Angst zu machen, was allerdings wenig Wirkung haben würde, also könnte er die Kavalier Strategie ausprobieren. Wenn das Mädchen einen Beschützer haben wollte, würde er mitspielen. So lange bis er die Watsons von einem der Bewerber überzeugen konnte und der das Kind auf sein eigenes Schloss mitnahm. Aus irgendeinem Grund gefiel ihm der Gedanke nicht so gut wie er erhofft hatte. Schließlich lag ihm ja etwas an dem blauäugigen Problem, sie war eine Watson.
Es lief alles friedlich ab. Smal-Talk, Essen, Pläne. Holmes erzählte von seinem Vorhaben auszureiten, nicht nur um einen Tag Pause zu haben, sondern auch um auf eine kleine Jagd zu gehen um den menschlichen Geruch aus dem Hals zu bekommen.
„Das habe ich ihnen noch gar nicht erzählt, wir bekommen Besuch." Erwähnte Lord Watson nebenbei. Lord Holmes ließ sich nicht stören. Die Manie der jetzigen Gesellschaft konnte er schlecht an den Watsons ablesen; vielleicht brachten die Gäste neue schottische Sitten mit.
„Wie war gleich sein Name, Schatz?"
Lady Watson lächelte ihren Gemahl freundlich an. „Sir James Moriarty."
Lord Holmes verschluckte sich lautstark an dem Wein, der jetzt in seiner Lunge hing. Hustend drehte er sich ab, bis die rote Flüssigkeit aus seinen Luftröhren in das Tuch spritzte, dass er gerade noch vor den Mund halten konnte.
Sorgenvoll sahen ihn die Watsons an, doch er beruhigte sie. „Verzeiht, der Durst war zu groß."
Lady Watson schien davon nicht ganz überzeugt und auch die Blicke rechts neben ihm waren deutlich zu spüren. Es kostete ihn alle Mühe nicht Rosies forschenden Blick zu erwidern.
„Kennen sie Sir Moriarty?" kam die Frage von dem blonden Teufelsengel. Jetzt wand er den Kopf, um die junge Dame an zu sehen. Sollte er es aufdecken oder ahnungslos tun? Da Ersteres als auch Zweites auffliegen könnte, entschied er sich für die Halbwahrheit. „Ich habe bereits von ihm gehört." So ruhig wie möglich nahm er einen weiteren Schluck Wein. „Mir kam zu Ohren, er sei ein ausgesprochen guter Jäger, sowie ein Magier, als auch ein Adeliger der Mordfälle aufklärt, um nur ein paar der Gerüchte zu nennen."
Lord Watsons lachte auf. „Da wissen Sie schon mehr als ich! Sir Lestrade hat ihn mir empfohlen, wegen dem Vorfall einige Jahre zuvor." Seine Stimme senkte sich. „Sie erinnern sich bestimmt noch an den tragischen Verlust von Lady Adler." Lord Holmes nickte nachdenklich zustimmend. „Es heißt er sei ein Meister in diesem Gebiet."
„Ich verstehe nicht, wieso er jetzt nach all der Zeit kommt. Seit dem ist nichts mehr geschehen." Mischte sich Lady Watson ein.
Verdammt. Er musste vorsichtig sein. Sehr vorsichtig.
Was Sir Moriarty genau wollte wusste keiner von ihnen, doch Lord Holmes konnte es sich nur zu gut ausmalen. Der große Mann erhob sich vom Stuhl, um sich auf den Ausritt vorzubereiten, und auf ihn.
Dass es schon dunkel geworden war, war beabsichtigt. Lord Holmes hatte die Hoffnung dem neuen Gast nicht zu begegnen. Doch warum er sich dort befand wo er sich gerade befand konnte er sich nicht erklären. Der kühle Stein drückte sich in die dunkle Hose und er spürte wie ihm kalt wurde. Gejagt hatte er nämlich nicht. Die Gefahr, etwas Auffälliges zu hinterlassen war zu groß, besonders mit einem Mann wie ihm im Haus. Scharf sog er die Nachtluft ein während er den Blick über den Wald um die Burg herum schweifen ließ. Er könnte einfach wieder zurück aufs Dach klettern, hinüber zu seinem Zimmer laufen und seine Vorräte aufbrauchen. Solange sie da waren konnte er sowieso nicht schlafen, beziehungsweise brauchte es nicht.
Schläfriges Stöhnen ließ seinen Kopf herum schnellen. Vorsichtig rutschte er vom Fenstersims ab und landete leise neben dem Himmelbett. Sanft schwang der dünne Vorhang im Sommerwind, die Sicht auf das junge Gesicht zwischen den großen Kissen freigebend.
Friedlich atmend lag Rosie unter Decken auf weißen und blauen gemusterten Laken, die goldenen Locken um sie herum platziert, wobei sie durch den Schlaf ihr hübsches Gesicht umspielten.
Fasziniert betrachtete der Lord das schlafende Mädchen.
Es musste eine Ewigkeit vergangen sein, doch plötzlich schlug sie die Augen auf.
Nichts passierte. Niemand von ihnen wagte es auch nur zu atmen. Die junge Lady Watson schrie nicht, sondern funkelte ihn nur mit den blauen Kristallen ihrer Augen an. Es dauerte eine Weile bis sich der Lord aus ihrem Blick lösen konnte und richtete sich etwas verwirrt auf, sich selbst ärgernd. Wenn er jetzt verschwand würde sie es alles nur für einen Traum halten. Und so bemühte er sich durch das Loch in der Wand zu klettern, sich im Sims zu verkrallen und ... zu spät.
„Was tust du hier?"
Rosies Worte ketteten ihn an den Stein und er konnte nicht fliehen, es ging einfach nicht. Ohne sich umzudrehen stand er mit einer Hand schon am Stein, den Blick auf den dusteren Wald gerichtet und versuchte die Gedanken in irgendeine sinnvolle Ordnung zu bringen. Was konnte er sagen, um sie dazu zu bringen, wieder einzuschlafen?
Langsam aber bestimmt drehte er den Kopf. „Dich beschützen." Das war es sicher nicht, was sie beruhigte. Ein Monster das versuchte sie vor sich selbst zu schützen. Aber wollte sie nicht genau das?
Jetzt stand er ganz vor ihr, über zwei Köpfe größer und sah hinab auf das lächelnde Mädchen.
„Du willst also doch mein Beschützer sein?"
Zögerlich nickte Holmes. Er wollte sie beruhigen und wieder zum Schlafen bringen. Besonders schlau war seine Antwort jedoch nicht gewesen. Genau das war es was das Mädchen wollte, genauso schaffte sie es ihn zu verwirren. Warum verdammt nochmal konnte sie ihn so gut durchschauen?
Jetzt schlang Rosie ihre Arme um seine Hüften, ein „Danke" in sein Hemd murmelnd, in das sie nun ihr Gesicht vergrub. Der Lord hielt die Luft an. Er wagte es keinen Muskel zu rühren als die schmalen Arme auf seinen Knochen lagen. Er kam sich vor wie eine der unbeweglichen Ritterstatuen in der Eingangshalle, bemüht nichts durch seine Rüstung hindurch zu lassen. Ihr Herzschlag stach durch das dünne Leinen des Hemdes. Da fiel ihm auf, dass er außer dem weißen Stück Stoff und dem offenen Mantel nichts drüber gezogen hatte. Ihr Puls hämmerte doppelt so schnell wie sein eigener gegen seinen Bauch, sein Lymphsystem, seine Blutbahn. Rosie spürte sein Unbehagen und ließ von ihm ab. Unüberhörbar atmete der Mann die ganze angehaltene Luft stoßweise aus. Rosie legte den Kopf schief und kicherte, was dem Fürsten sonderbar erschien. Mit zusammengekniffenen Augenbrauen blitzte er sie an.
„Du hast mehr Angst vor mir als ich vor dem Monster in dir."
Ihr Lächeln wurde sanfter, als sie seinen leicht geschockten Ausdruck wahrnahm. Sie hatte fast Mitleid mit dem wundersamen Mann vor ihr, der so eine Bürde zu tragen hatte. Doch etwas an diesem Monster das in ihm schlummerte war anziehend. Sie war neugierig, aber gleichzeitig war sie sich sicher dass der große schlanke Fürst mit den schwarzen Haaren und diesen unglaublichen grün schimmernden Augen eine gute Seite hatte. Seit diesem Mahl vor acht Wintern war es ihr Ziel gewesen dahinter zu kommen, ob er ein Wesen des Teufels war, oder ein Engel, der vom Weg abgekommen war. Es war nur ein Spiel gewesen, all die Zeit, aber jetzt ... jetzt ist es mehr als das. Sie wollte all ihre Liebe, Freude und Güte mit ihm teilen. Sie wollte seine Anwesenheit spüren, wenn er bei ihr war, dieses Geheimnisvolle, Verschlossene und doch wissend und Mächtige, das in seiner Ausstrahlung lag, einfach alles an ihm, ja sogar das Monster.
Und sie wollte ihm helfen; teils um sein-, teils um ihretwillen.
Der Lord hatte noch immer einen seltsamen Gesichtsausdruck. Rosie trat zurück und setzte sich wieder auf ihr Bett. Sie wartete kurz bis sie ihn ansprach.
„Du kennst Sir Moriarty, nicht wahr? Mehr als du es eingestanden hast."
Er war sich unsicher, ob die Wahrheit besser wäre, oder sie einfach glauben zu lassen, dass nichts weiter dabei war. Langsam gewann er seine Sicherheit wieder und wollte nicht über ihn sprechen, schon gar nicht jetzt und hier. „Wir sind uns nie persönlich begegnet." Das war sogar die Wahrheit.
Das Mädchen sah zu Boden, es verstand, dass er nichts erzählen wollte. Der Mann strich sich seufzend die Haare glatt. Ob es Erleichterung, Anspannung, zerrissene Nerven oder einfach ohne Grund war konnte er nicht definieren. Das hübsche Mädchen vor ihm saß da, die goldenen Locken über die Schultern in den Schoß des weißen Kleides fallend, die langen Wimpern schwangen sanft über den leicht geröteten Wangen, die Hände an den Ärmelzipfeln spielend. Es beunruhigte ihn was dieses Bild mit ihm machte, wie es ihn ... verzauberte.
Es war das erste Mal seit er sich erinnern konnte – und das war schon sehr lange – dass er nicht darauf aus war sie umzubringen, um das schöne Bild vor seinen Augen nicht zu zerstören. Es war als hätte er sich an das hüpfende Herz in ihrer Brust gewöhnt, als würde es mit seinem zusammen schlagen.
Die junge Lady blickte ihn wieder liebevoll an.
„Verzeih mir." Es war Holmes der das sagte. Ein kleiner Funken von Furcht huschte über Rosies Gesicht. Würde er sich jetzt auf sie stürzen? Er wusste es selbst nicht.
„Alles ist in Ordnung. Wir brauchen nicht darüber zu reden." sagte sie, und sclhuckte die Zwiefel weg.
Dankbar lächelte er sie an. Nicht nur weil er nicht darüber reden wollte, sondern auch weil seine Sympathie für das junge Mädchen stieg, was bedeutete ihr etwas zu Leide zu tun war ein Stück schwerer.
Ohne Vorwarnung stand sie auf und begab sich neben ihn ans Fenster. Unschlüssig drehte er sich um, damit sie nebeneinander in die Nacht sehen konnten. Er begann Rosie nicht mehr als eine Bedrohung zu sehen. Ihn verraten wollte sie anscheinend wirklich nicht, sie wollte ihn nur an ihrer Seite haben. Wenn das der Preis war um friedlich in seiner Heimat zu leben würde er ihn zahlen. Obwohl sich der Lord nicht sicher war wie weit er gehen wollte, schließlich musste er früher oder später zu ihr stehen und womöglich eine feste Bindung eingehen, wenn er nicht vorher jemanden fand mit dem er sie verkuppeln konnte, bevor das mit ihnen beiden ausartete. Wie die junge Lady so auf dem Stein lehnte und ihr Haar im Wind wehte, war er sich gar nicht mehr so sicher, was von beidem er wollte.
Der Gedanke all ihre unwirschen und brutalen Ehemänner zu verzehren, wenn sie sie nicht mehr leiden konnte, kam ihm auf einmal in den Sinn. Er hätte eine Absicherung und Rosie konnte ihn regelmäßig in ihrer Nähe wissen. Aber die vielen Morde würden auffallen, egal wie geschickt er es anstellte.
Ein warmer Wind flog die Turmwand hinauf und ihre Blicke trafen sich, glänzendes blau auf leuchtendes Grün.
Holmes war sich sicher ein leicht rötlicher Schimmer hatte sich über seine Augen gelegt, doch Rosie ignorierte es. Vielleicht wollte sie ihn sogar provozieren. Kurz darauf spürte er ihre Finger auf seinen Armen, dort wo das Hemd einen Spalt breit offen war. Der Puls pochte nun direkt in ihn hinein. Eine weitere Stelle begann zu kribbeln, Rosies zweite Hand wanderte seine Brust hinauf.
Der Fürst zuckte zwischen ihren Händen hin und her, natürlich wusste er, was sie da tat, doch sein Gehirn wollte nichts Sinnvolles daraufhin ausspucken.
Ihre zierlichen Hände strichen seine Arme entlang, fuhren zärtlich über die aufgestellten Härchen, die Gänsehaut und strichen beruhigend über die knochigen Finger, durch die Krallen drückten, bis das Blut auf ihr Schlafkleid tropfte.
„Schhh." Sanft strich sie ihm über die herausragenden Wangenknochen.
Der sonst so sichere Mann begann zu zittern. Schweiß rann ihm die Stirn herunter, bis Rosies kleine Hände durch sein Haar fuhren. Der weiche Stoff ihres Kleides spielte um seine tropfenden Finger und er hielt es nicht mehr aus.
Mit einem Satz sprang er auf die Steinmauer und ließ sich fallen.
-
Da saß er. Die schwarzen Haare glänzend nach hinten gestriffen, eine gute und trotzdem schon oft benutzte Jacke über dem nahezu perfekten Hemd – abgesehen von einem abstehenden Faden.
Lord Holmes entging kein Detail, als er ihn analysierte. Er hasst es ihn ansehen zu müssen, aber jede Schwäche die er fand war eine Genugtuung.
„Sagen Sie Lord Holmes, haben sie einen Schmutzfleck auf meiner Kleidung gefunden?"
Der Lord schnellte hoch und die eiskalten Blicke trafen sich klirrend. Neugierde leuchtete in den Augen des zweiten Jägers am Tisch auf. Sir Moriarty spielte ein Lächeln um die Lippen, doch nur so scheinbar, dass es keiner bemerkte außer Holmes.
„Oh, ich wunderte mich nur, wie Sie es schaffen sich eine solche Aufmachung zu leisten, wenn sie doch keinen festen Beruf haben." Genauso desinteressiert wie Sir Moriarty tat, gab sich der Lord aus.
Das ganze Essen lang provozierten sie sich mit Blicken und Gestik, doch das war nun ihr erstes Gespräch. Holmes sah wie seine Zunge den Kampf annehmend über die Zähne fuhr.
Der Jäger neigte sich zu dem großen Mann über den Tisch. „Die Leute zahlen viel, um sich sicher zu fühlen." Seine Stimme war leise und sanft, doch der Lord hörte den angreifenden Unterton heraus. Er war nicht ohne Grund hierhergekommen. Das einzige was Holmes beruhigte war, dass sie sich vorher noch nie begegnet waren. Gott sei Dank sah er seinen Geschwistern nicht zu ähnlich.
„Sir Moriarty jagt Dinge, die man sich nicht vorstellen kann. Und deckt den Schwindel auf, der dahinter steckt." Verteidigte Lord Watson, der anscheinend viel von seinem neuen Gast hielt.
„Und was führt sie hierher?" fragte der Fürst beiläufig, mit ungläubigem Unterton. „Ein Monster werden sie hier nicht finden."
Moriarty fixierte ihn. „Ich erhoffe etwas auf zu decken." Damit nahm er seinen Becher und trank langsam, den Blick nicht vom großen Lord abwendend.
Lord Holmes hielt ihm Stand, richtete sich noch ein Stück auf und trank ebenfalls.
Die Watsons schienen von dem Zweikampf wenig mit zu bekommen, sie unterhielten sich so normal wie zuvor. Nur Rosie, die wieder neben dem Lord saß, war schweigsam und schlug sich nie auf Sir Moriartys' Seite.
Das restliche Essen verlief ähnlich, bis er schließlich damit heraus rückte etwas gefunden zu haben. Etwas weshalb er sich dieser Burg angenommen hatte. Was es war wollte er allerdings nicht verraten, er musste es den Watsons persönlich zeigen. Lord Holmes kam langsam dahinter, was er vorhatte. Es war eine Falle.
Ohne viele Bedenken willigten der Burgherr und seine Gemahlin ein, während Rosie dazu bestimmt wurde derweil auf der Burg zu bleiben. Dass der Vorschlag von Moriarty kam, schien keinem aufzufallen.
Erst als sich Moriarty zurückgezogen hatte, kam die Burgherrin auf ihn zu.
„Lord Holmes, darf ich sie um einen Gefallen bitten?" Sie sah ihn flehend an. „Mir ist nicht ganz wohl Rosemund alleine in der Burg lassen. Es wäre mir sehr viel wohler, wenn ich jemanden an ihrer Seite wüsste."
„Ich habe schon verstanden, sie können auf mich zählen, der jungen Lady wird nichts passieren." Erklärte sich der Lord bereit. Er wollte sowieso ein Auge auf sie haben, schließlich sollte sie Moriartys Opfer sein. Nur dummerweise hatte dieser noch nicht durchschaut dass sein Monster welches er so inbrünstig suchte, direkt vor seiner Nase war und seinen Köder nicht fressen sondern bewachen würde. Lord Holmes lachte in sich hinein, bei dem Gedanken Moriarty für immer abziehen zu sehen, doch er wusste, dieses Monster würde niemals aufgeben. Und er war ein Monster, auch wenn er sich nicht verwandeln konnte.
Erleichtert dankte ihm Lady Watson und begab sich ebenfalls auf ihr Zimmer. Es dauerte nicht lange bis alle aufbruchsbereit waren und die Watsons mit dem angepriesenen Jäger die Burg verließen, ohne Holmes.
Einige Stunden vergingen in denen sowohl der Lord als auch die junge Lady in ihren Türmen verweilten. Als die Sonne untergegangen war, machte sich Holmes auf den Weg in einen der kleineren Säle, welche nur für private Winterfeiern angelegt waren. Dass es Sommer war, störte den Lord keineswegs. Durch den Mangel an Schlaf und Frischfleisch war ihm dauerhaft kalt. Also brach er die knarzenden Holztüren zu dem Kaminraum auf. Graue Staubwolken kamen ihm entgegen, sodass er Husten musste. Er machte ein paar Schritte in den dunklen Raum. Das Licht vom Flur brachte kaum Helligkeit hinein, doch mit seinen Augen sah er problemlos durch den Raum. Er sammelte das letzte Holz das herum lag zusammen und warf es in den Kamin. Schöner Backstein, mit Glasur verziert, ragte aus der Wand hervor und bildete eine leichte Wölbung, die dem Ganzen ein warmes Gefühl gab. Kaum hatte er das Feuer entfacht glomm das Zimmer in flackerndem rot-orange.
Eine Weile starrte er nur in das Knisternde Feuer. Es half ihm an nichts zu denken und sich einfach nur zu wärmen.
Irgendwann wurden die friedlichen Flammen von leisen Schritten unterbrochen. Langsam tapste jemand den Gang entlang auf die Lichtquelle zu.
Rosie setzte sich ruhig neben den Lord, der keinerlei Regung zeigte. Zusammen sahen sie ins Feuer, bis die Lady sagte was sie beschäftigte.
„Wieso kannst du Sir Moriarty nicht leiden?"
Der Lord schluckte schwer, wand den Blick aber nicht aus der Glut.
Rosie wartete geduldig, bis der Mann neben ihr etwas sagte.
Als er endlich anfing zu reden, war seine Stimme brüchig und voller Hass und Trauer.
„Ich hatte Familie." Jetzt wand er sich ihr zu. Die schwere Decke über seinen Schultern fühlte sich auf einmal an, als wolle sie ihn erdrücken. Das Mädchen saß mit einer warmen Abendrobe auf den dunklen staubigen Teppich, doch es schien sie nicht zu stören.
„Leute wie ich – verstehst du? ... Monster." Er spürte wie sich Tränen in den Augen bildeten, doch er wollte sie verdrängen, so wie immer. Nie hatte er darüber gesprochen, mit niemandem. Er hatte ja niemanden gehabt, dem er es hätte erzählen können.
„Wir waren Kinder, wir haben nicht ... darauf geachtet, ob wir Spuren hinterlassen." Ein tiefer zittriger Seufzer entfuhr ihm. „Sie haben uns immer gewarnt, ... meine Eltern. Und dann ... kamen sie nicht mehr zurück." Krampfhaft hielt er das Wasser in den Augenlidern. Rosie sah ihn ruhig an und wartete, bis er fertig erzählt hatte.
Ein weiteres Seufzen entfuhr dem Lord, bevor er weitersprach.
„Aber das ist schon so ... so lange her." Ein letztes Mal holte er tief Luft und blinzelte alles weg. Wachsam beobachteten ihn die blauen Augen, er hatte ihre Frage noch nicht beantwortet. Er senkte den Blick. „Doch das ist es nicht, was ich sagen will.
Wir waren zu dritt. Mein Bruder ... meine Schwester ... und ich." Der sonst so aufrechte Fürst saß zusammengekrümmt vorm Kamin, während das Licht sein bleiches Gesicht rötlich erhellte. „Viele Jahrzehnte haben wir zusammen gelebt, ... gejagt ... und sind geflohen. Wir wurden immer ... aufgenommen. Das perfekte Trio. Niemand hat etwas bemerkt oder hinterfragt, bis ... bis ... er kam." Holmes spürte wie der übergroße Knoten in seinem Bauch zu einem dicken Klos im Hals wurde. „Spuren sammeln, Leute befragen, es erschien uns alles so harmlos. Keiner hätte etwas anderes erwartet. Und dann war er da. Ohne Vorwarnung, ist er eingebrochen, in das Haus, in das Haus in dem mein Bruder war." Schon wieder bahnten sich Tränen an, aber diesmal war es ihm egal. „Er hat ihn erwischt, gerade als Myc - ... als mein Bruder sie gerissen hat. Er war zu schnell, Myke konnte nicht entkommen, er hatte keine Chance ..." Der Lord schniefte, als er an seinen verstorbenen Bruder dachte. „Er war immer schon der langsamste von uns gewesen, er hat immer die Pläne gemacht und wir die Durchführung." Da rollte die erste Träne über seine hohen Wangen. Er versuchte sie wegzuwischen, doch mit der dicken Decke war das gar nicht so einfach.
Rosie sparte sich das ‚es tut mir leid', Lord Holmes war noch nicht fertig mit erzählen. „Was ist mit deiner Schwester?" fragte sie stattdessen vorsichtig.
Holmes lachte spöttisch auf und die nächsten Tränen hinterließen glänzende Striemen auf seiner perfekt glatten Haut. „Wir sind geflohen. Nachdem wir beobachtet haben, was er mit meinem Bruder getan hat. Ich habe ihn noch schreien gehört. Wie er wollte dass wir laufen und ihnen nicht folgen. Er hat uns verraten um uns zu retten, ist das nicht ironisch? " Erneut lachte er auf. „Er hat sie trotzdem gefunden. Wir haben uns versprochen, wenn einer geholt wird, dann flieht der andere und sucht Hilfe. Wir haben unser halbes Leben damit verbracht Hilfe zu suchen. Und dann hat er sie geholt. Und ich konnte nichts dagegen tun." Jetzt begann er zu schluchzen, sodass die Decke von seinen Schultern glitt. „Ich konnte nichts tun! Ich hatte es versprochen! Ich hätte ihn umbringen sollen!"
Die verzweifelten Schreie erfüllten den gesamten Raum und hallten die Halle entlang, bis sie stumm in der Nacht verklangen.
Als Lord Holmes auf sah, war Rosie bei ihm. Sie hielt ihm die dicke Decke auf den Rücken, wodurch sie ihn zugleich umarmte. Er schluckte die Tränen weg, doch sie kam ihm zuvor und strich sanft die Feuchtigkeit von seinen Wangen. Er spürte die Berührung intensiv. Ihr Herzschlag klang direkt an sein Gehirn, doch er war langsamer als sein eigener, was eine seltsam beruhigende Wirkung hatte. Sie hatte es geschafft mit dem weinroten dicken Kleid über die Decke zu klettern, sodass sie nun vor ihm saß und sein Gesicht in den Händen hielt. Als sie merkte, dass er wieder die Luft anhielt, ließ sie von ihm ab und sah ihn nur verständnisvoll an.
Einige Minuten sahen sie sich an und genossen das Knistern im Kamin, bis der Lord wieder stabiler wirkte. Rosie schmiegte sich einen Weg durch die Decke bis zu seinen Händen, die sie mit ihren ergriff. Es dauerte kurz, aber der Fürst begann diesmal wieder zu atmen. Nachdem sich eine regelmäßige Atmung eingestellt hatte, stand sie langsam auf und zog den großen Mann mit sich.
„Komm mit." Ihr liebevoll auffordernder Blick ließ den Lord sich erheben und ihr durch die halbe Burg bis zu ihrem Gemach folgen.
Er musste eine gefühlte Ewigkeit überlegen, bis er schließlich das Denken ausschaltete. Vorsichtig knöpfte er das mantelartige Kleid auf. Der überaus weiche Stoff glitt durch seine Finger auf den Boden, neben sein eigenes Hemd. Der weiße Unterrock wehte leicht um die zierliche Gestalt vor ihm, als sie ihre Haarspangen löste und die goldenen Locken über Arme, Brust und Rücken flossen, wie Honig. Das letzte Stück Stoff auf seiner eigenen Haut überdeckte die Narben, Furchen und Erinnerungen an 221 frühere Leben. Doch die junge Watson wollte diese sehen, ihn kennen lernen. Ihre warmen Finger tasteten sich unter den Stoff, dass sein Herz begann zu rasen. Der Hunger und die Furcht führten einen Kampf der jedes Mal mit einem Unentschieden gefochten wurde, ohne dass er einen Einfluss darauf hatte. Er wusste nur, dass die samtigen Hände gerade seine Haut berührten, als wäre es ihre eigene. Er spürte das Rasen des Blutes in ihren Adern, ihren pochenden Körper, das Verlangen sie auch zu berühren, sie in den Händen zu halten und das zierliche Wesen mit jeder Faser seines Körpers zu spüren, ohne sie zu verinnerlichen. Wie er das anstellen sollte, wusste er selbst noch nicht, aber er wusste, er würde – er dürfte und könnte – sie nicht fressen.
Das Unterhemd glitt über seinen Kopf und ruinierte die Frisur, die nun begann sich in Form von Locken selbstständig zu machen, was Rosie zum Lachen brachte. Ihr Lachen war so schön, er legte ohne nachzudenken seine Finger an ihren Hals, um die Vibration ihrer Stimme zu spüren. Der direkte Kontakt durchschoss ihn wie ein Blitz. Jede Zelle die sich unter seinen Fingern berührte spürte er. Und das Blut ... dieses verdammt gut riechende –
Weiter kam er nicht, denn Rosie hatte ihn zu sich hinunter gezogen und ehe er zu Ende denken konnte, spürte er ihre Lippen auf seinen.
Es war eine kurze weiche zarte Berührung, doch Holmes Kopf war ein brodelndes Nichts. Das Einzige was in seinem Hirn herum schwamm war das Versprechen ihr nichts an zu tun und selbst das ertrank in dem Gefühlschaos. Er merkte kaum wie sich seine zweite Hand um ihre Taille legte, sie an sich heran drückte, mit der anderen in ihren Nacken grub, an ihren Haaren zog, und so die Stelle ihrer Pulsader frei legte. Seine Nase streifte ihr Kinn, ihr Ohr und der heiße Atem kochte zwischen ihrer Haut und seinem Mund. Der erste Blutstropfen landete auf dem hellen Stoff und da zwang er sich die Zähne nicht ausbrechen zu lassen.
Atemlos hielt er sie immer noch in seinen Händen, doch sie schien den Vorfall nicht ernst zu nehmen. Zärtlich strich Rosie die Blutspur von seiner vollen Unterlippe, woraufhin sich ihre Blicke trafen.
Der Lord fand kein Anzeichen von Furcht oder Reue in ihren Augen, nur pure, reine Zuneigung. Er verstand es nicht, er konnte es nicht verstehen. Dieses Mädchen war ein unlösbares Rätsel, aber genau das faszinierte ihn immer mehr an dem Teufelsengel in seinen Armen.
Lord Holmes wagte es nicht sich das verschmierte Blut von den Lippen zu lecken. Er starrte sie an, und beobachtete nur wie sie die rote Spur aus seinem Gesicht wischte. Ihre warmen Finger strichen über seinen Adamsapfel, über das Kinn und schließlich den Mund. Es dauerte kurz, bis sie sich traute etwas Druck aus zu üben um die Lippen zu öffnen. Ein Finger drückte sich bis zu seinen Zähnen, die hinauszuspringen drohten. Der Lord spürte wie die scharfen Zähne erneut durch das Zahnfleisch bohren wollten. Das junge Fleisch, schob sich zwischen den Zähnen hindurch, unter einem Schwall von Blut und Spucke, die sich in seinem Mund bildeten. Mit beiden Händen krallte er sich in den dünnen Stoff von Rosies Schlafhemd und schlang endlich seine Zunge um ihre dünnen Finger. Ohne dass er es verhindern konnte, stachen die Krallen durch ihre Haut und sie zog ihre Hand zurück. Die Finger tropften vor klebrigem Blut, doch sie nahm ihre andere Hand, um sein Gesicht darin zu halten. Sie signalisierte ihm zur Ruhe zu kommen, das Unmögliche möglich zu machen. Und doch zogen sich – langsam, sehr langsam und wiederwillig – die scharfen Krallen ein. Schwer schluckend leerte er seinen Mund von Blut und auch die Zähne verankerten sich wieder im Oberkiefer. Diesmal versuchte er sich zurück zu halten, er ließ Rosie machen. Der ganze Raum pochte im Rhythmus ihrer Herzschläge, doch wenn die junge Lady ihre Hand mal über seine Wange, seinen Hals, mal seine Brust, seine Schulterblätter führte, war es wie ein Trommelwirbel. Er versuchte das nicht als eine Plage zu sehen, die er so schnell wie möglich beenden wollte. Sein Ziel bestand darin es als etwas Schönes anzusehen, was –erstaunlicherweise - ... funktionierte. Als wäre es ein Gesang der die Luft erfüllte, lauschte er ihrem Klang, bis er halb ohnmächtig war.
Er merkte kaum die weichen Kissen unter seinem nackten Rücken, bis er realisierte, dass er Rosies Gesicht über sich in den Händen hielt. Liebevoll funkelten die blauen Augen zu ihm hinunter. Was hatte sie nur mit ihm gemacht? Diese Frage würde er sich wohl noch öfters stellen.
Er wollte den Blick nicht abwenden, also strich er mit den Händen über die zarte Haut, von Hals bis zu den zerbrechlichen Schulterblättern und den hervorstehenden Rückgrat. Wirbel für Wirbel tastete er ab, um feststellen zu müssen, dass ihr seidenes Nachthemd nicht mehr an ihrem Körper war. Ob auch er seine restliche Bekleidung verloren hatte, wagte der Lord nicht nachzuprüfen. Noch nie war er ohne eine schützende Bedeckung vor andere Leute getreten, geschwiege denn in einer solchen Situation gewesen. All seine Narben und Furchen, Zeichen der vergangenen Jahrtausende zierten seine Haut. Kein Mensch hätte eine solche Schindung überleben können.
Rosie beugte sich zu ihm hinunter und ließ ihre Lippen erneut aufeinander treffen. Diesmal küssten sie sich inniger, bis ein Kampf aus Leidenschaft entbrannte. Die Hände des schlanken Mannes schlangen sich um den zerbrechlichen Körper, der Versuchung wiederstehend, ihre Haut mit den Fingerkuppen zu durchbrechen. Er spürte erneutes Blut in seinem Mund. Doch diesmal war es nicht seines, es war das von Rosie. Warm flossen einzelneTropfen von ihrer Zunge auf Seine. Obgleich er sie erneut beißen würde, sie ließ nicht von ihm ab. Das betörende Pochen wurde von irreführendem Kribbeln begleitet, was den Lord seinen Verstand verlieren ließ.
Er nahm nichts mehr wahr, außer Watson.
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