Teil 80

Kiana

Total verängstigt und mit Schmerzen in der Brust versuchte, ich mit Cal Schritt zu halten. Immer wieder brüllte er mir Befehle zu und ich tat, was er verlangte. Zum ersten Mal tat ich genau das, was man von mir verlangte. Kein Gemotze, kein Gezicke, keine Widerrede. Stumm folgte ich Cals Anweisungen und wünschte, ich würde diese ganzen Schüssen nicht hören müssen.

Mein Kopf fuhr herum, ich sah zu dem Eingang, der uns vorhin noch in den Raum brachte, in dem Roberto und seine Männer standen.

Kein Rune.

Wieso kam er nicht nach?

Was tat er dIch zuckte zusammen, als wieder Schüsse fielen.

Meine Augen flogen zu Cal hoch, der neben mir lief und Louis stützte.

Wir rannten nicht, liefen aber dennoch schnell.

»Was«, setzte ich an und bemerkte, dass ich viel zu leise sprach. Gott, ich zitterte so und die Schmerzen in meiner Brust. Ich drückte meine Hand drauf und biss die Zähne zusammen.

Ich wurde angeschossen.

Und hätte ich diese Weste von Rune nicht bekommen, wäre ich jetzt tot.

Ein Schauer durchfuhr mich.

Doch ich schob den gruseligen Gedanken meines Todes beiseite und öffnete wieder meine Lippen: »Was ist mit Rune!? Wir müssen auf ihn warten«, sagte ich nun lauter und zuckte wieder zusammen, als Schüsse zu hören waren.

Cal hievte Louis, der immer wieder das Bewusstsein verlor, auf seiner Schulter zurecht, und stützte mich mit seiner Waffenhand. »Wir können nicht warten«, zischte er. »Ich weiß nicht, ob Roberto ein Backup an Männern hatte, die nachkommen. Rune ... Rune kommt sicher noch.« Cal schluckte. »Er hat gesagt, ich soll dich rausschaffen. Also komm.«

Ich starrte Cal unsicher an. »Was....wenn er nicht kommt?« Meine Augen wanderten zu der Waffe. »Soll...Soll ich nicht auch lieber eine Waffe haben? Ich bin dir doch nur ein Klotz am Bein!«, rief ich und wir liefen die Treppen runter.

»Komm einfach mit. Wir müssen hier raus«, brummte er und mied jede Antwort bezüglich Rune. »Wenn du eine Waffe hättest, müsste ich mir nur sorgen machen, das du dich selbst abknallst. Komm schon, noch zwei Stockwerke.«

»Aber-« setzte ich an und hielt inne, als Louis auf Cals Arm zuckte und er dadurch das Gleichgewicht verlor. Er ließ mich los und fiel ein paar Stufen mit meinem Bruder im Arm runter.

Geschockt sah ich zu den beiden runter und verringerte schnell den Abstand zwischen uns.

Ich hockte mich hin. »Geht es? Wie kann ich helfen?« Während der Frage zuckte ich wieder zusammen. Schüsse und Gebrüll waren in der Nähe zu hören.

»Ja, es geht. Ich ...« Cal rieb sich das Haar und dann fasste er sich ins Gesicht. »Was zum Teufel ...«

Er wischte sich die Träne weg und ich starrte ihn geschockt an. Mein Herz fing an noch schneller zu schlagen. Mir tat alles weh, ich war erschöpft und am liebsten würde ich meine Augen schließen und aus diesem Albtraum aufwachen. Doch ... leider war das kein Traum.

»Cal...«, hauchte ich nur und nahm sein Gesicht in meine Hände. Sah ihm tief in die Augen und erkannte die Trauer darin. Ich verstand erst nicht warum, bis sich meine Augen weiteten.

Rune.

Mein Kopf fuhr herum, die Treppen hoch und man hörte ein paar Männer direkt in der Nähe. Ich konnte deren Stimmen nicht zuordnen. Waren das unsere Leute oder deren?

Aber das war mir egal, ich musste da wieder hoch. Ich erhob mich und setzte mich in Bewegung.

»Er ist gefallen, Kiana«, rief Cal und versuchte, mich zum Stoppen zu bringen. Er schluckte und immer mehr verdammte Tränen rollten seine Wangen hinab. »Kiana, sie haben ihn mehrfach angeschossen und er ... ist gefallen. Rune ist nicht da oben und er kommt auch nicht nach. Er ... Er ist tot.«

Ich blieb stehen und stand wie eine verdammte Eisstatur dar.

Tot?

Wer?

Rune?

Nein....

Ich lachte verzweifelt.

Nein.

Mein Lachen verschwand und Tränen stiegen mir in die Augen.

NEIN!

»DU LÜGST!«, fuhr ich Cal an und wie auch ihm, kamen mir immer mehr die Tränen.

Er konnte nicht tot sein!

Das ging nicht!

Das war unmöglich.

»Rune ist nicht tot! Er ist da oben und ich muss ihm helfen!« schrie ich ihn verzweifelt an.

Mein Herz zerbrach gerade in zwei Teile.

»ER ist nicht da oben!« Sie haben ihm in die verdammte Brust geschossen, bevor er gefallen ist. Ich hab es gesehen!«, schrie sein Cousin zurück. »Sieben Stockwerke. Selbst wenn er den Schuss irgendwie hätte überleben können ... Sieben Stockwerke, Kiana. SIEBEN.«

Mit weit aufgerissenen Augen sah ich runter zu Cal und Louis. Ich schüttelte unkontrolliert meinen Kopf.

»Nein.« sagte ich und wiederholte mich mehrmals. »Nein«

Meine Atmung ging stoßweise und schmerzte höllisch in meiner Brust.

Ich verzog das Gesicht, beugte mich runter und half Cal mit meinem Bruder auf. »Raus.... Wir...wir müssen raus«, sagte ich nur und lief mit ihnen weiter.

Rune lebte! Ich wusste, dass er lebt. Er lebte!

Ich schluckte hart und sagte immer wieder, dass der Mann, den ich heiraten wollte, lebt.

Er lebte.

Er war draußen und lebte. Er würde da sein.

Er konnte mich nicht verlassen.

Cal sah mich an, wischte sich noch mal über das Gesicht und packte dann meinen Bruder. Wir rannten und stolperten die letzten Stockwerke hinab und Gott sei Dank, war es hier draußen still. Scheinbar hatten die Leute nicht mitbekommen, was über ihren Köpfen in dem Haus passiert war. Er wandte den Kopf ab und ... Eine Traube an Menschen, hatte sich versammelt und Cal schien zu wissen warum. Er sackte erst zusammen, bevor er sich aufrappelte, Louis absetzte und in die Menschenmasse stürzte.

Ich folgte Cal mit meinem Blick und erstarrte als ich Rune halbwegs durch die Menschenmassen erblickte. Er war genau auf das Dach gestürzt, das dem kleinen Laden gehörte. Doch das Stoffteil war gerissen und nun lag er auf dem Boden.

Alles voller Blut. Rune bewegungslos.

Ich sah zu Louis runter. Strich ihm sanft über die Wange. Er atmete noch. Langsam erhob ich mich und rannte Cal nach. Ich schubste einige Menschen beiseite und blieb neben ihm stehen.

In dem Moment, in dem ich Rune vor mir liegen sah, hörte ich regelrecht auf zu atmen.

»Wir...Krankenwagen...«, sagte ich tonlos und ging die letzten Schritte auf Rune zu. Ich fiel auf die Knie und hielt die Hände hoch, als wollte ich ihn überall berühren, aber traute mich nicht. »Wach auf! Du...Du musst aufwachen, hörst du?«, fragte ich mit zerbrechlicher Stimme. Die Tränen rollten mir wieder über die Wangen und tropften auf sein Gesicht. »Krankenwagen! Wir brauchen ein Krankenwagen!«, wurde ich nun lauter und beugte mich vor. Ich drückte mein Gesicht auf seine Brust und weinte.

Ich Ertrag das nicht.

Bitte! Lebe!

»Der Rettungsdienst ist unterwegs«, sagte eine Fremde Frau. »Er müsste gleich da sein.«

Die Sirenen erklangen und alle Leute machten Platz, als der Krankenwagen ankam und die Drei Sanitäter herausstürmten. Sie schoben die Leute beiseite und auch mich.

»Aus dem Weg, Madrina.«

Überrumpelt sah ich Giuseppe an und rutschte beiseite. Meine Augen flogen zu Cal, während die Ärzte anfingen Rune für den Transport vorzubereiten.

Meine Augen weiteten sich, Cal sah gar nicht überrascht aus, dass Giuseppe plötzlich hier aufgetaucht ist. War das etwa von ihm und Rune geplant? Wussten sie, dass so was passieren würde? Haben sie das mit Absicht vor mir geheim gehalten, weil ich sonst Theater gemacht hätte?!

Verdammt!

Mein Blick ging wieder zu Giuseppe. »Ich...ich muss«, begann ich und sah ihn intensiv mit meinen blauen Augen an. »mitkommen! Ich muss«, bestand ich.

»Mehrere Schussverletzungen«, zählte Guiseppe auf, ohne auf mich zu achten. »Hoher Blutverlust. Puls 30 zu 50 und abfallend. Wahrscheinlich diverse Frakturen und innere Blutungen. Sein Abdomen ist hart.« Nun sah er mich endlich an und setzte Rune eine Sauerstoffmaske auf. »In den Krankenwagen, Jetzt. Nox muss sofort in einen OP. Sein Herz gibt auf. LOS!«

Schnell nickte ich, erhob mich und ging zu Cal. »Ich geh...damit! Sein Herz... wir schaffen das ... er ... er wird leben , okay?« sagte ich hektisch und drehte Cals Kopf zu mir. Er sah selbst so erschöpft und verunsichert aus. Dass war das erste Mal, das ich ihn so sah. Er liebte seinen Cousin. »Bitte kümmere dich um Louis. Tue das ....bitte für mich, Cal«, bat ich ihn.

Cal sah mir entgegen und nickte dann stumm.

Im selben Moment reagierte auch Giuseppe und schickte einen der Sanitäter mit Cal mit, damit auch Louis die notwendige ärztliche Hilfe bekam.

Beide würden es schaffen.

»Los, in den Krankenwagen. Er braucht eine Bluttransfusion und ich muss mir die Schusswunden ansehen. Ich muss alles ansehen«, sagte Giuseppe und schob, mit seinem Assistenten den Rollwagen mit Nox darauf in den Krankenwagen und ich stieg mit ein. Wir fuhren los und sofort begann er seine Untersuchungen. Nachdem er ihm einen Beutel Blut angehängt hatte, schnitt er seine Kleider auf. Hemd und Hose.

»Schusswunde in der Brust, der Schulter und im unteren Bauchraum rechts«, sagte Giuseppe zu seinem Assistenten und untersuchte alles genau. »Prellungen und drei, nein vier gebrochene Rippen. Linker Arm gebrochen. Rechte Schulter ausgekugelt. Streifschuss im Gesicht. Platzwunde von guten zehn Zentimetern am Hinterkopf.« Er ging seinen Körper ab. »Schusswunde im Oberschenkel rechts, und gebrochenes Bein Links.« Er verkabelte ihn mit diversen Geräten die allesamt anfingen zu piepen und zu Summen.

Ich saß neben Rune, sodass ich die beiden Ärzte nicht störte. Es waren so viele Verletzungen, ich kam gar nicht hinterher.

Er hatte das für mich getan, für Louis!

Am liebsten würde ich seine Hand nehmen und sie ganz festdrücken. Aber ich saß zu weit unten an seinen Füßen. »Wird er es scha-«

»Scheiße, sein Blutdruck fällt rabiat und ....«

PIIIIIIIIIIIEEEEEP

Ich kannte dieses Geräusch und hatte es in Filmen schon ganz oft gehört, aber das hier war die scheiß Realität und auf dem Tisch lag nicht irgendein Schauspieler, sondern mein Verlobter.

»Stirbt er?!«, wurde ich laut und meine Hände zitterten wie verrückt. Meine Augen flogen zu Runes blassem Gesicht, dann zu Giuseppe, dann zum Assistenten und dann wieder zu Rune. »Bitte! Er darf nicht sterben!«, flehte ich verzweifelt.

Der Arzt unseres Vertrauens schmiss sich auf Rune und begann die Herzdruckmassage. »Adrenalin und den Devi bereitmachen! LOS« Er drückte fest auf seine Brust und aus der Schusswunde sprudelte Blut. »Scheiße, scheiße, Scheiße!«

Giuseppe drückte in stetigem Rhythmus fest seine Brust nach unten. »Fuck, ich bekomme keine Linie, die wir schocken können.« Druck, druck, druck. »Das Adrenalin. Sofort!« Der Assistent gab ihm die Spritze und er hörte kurz mit der Massage auf. Er tastete mit den Fingern nach dem Punkt und stieß die Nadel direkt in sein Herz und injizierte das Zeug. Danach schmiss Giuseppe das Ding weg und belebte Rune wieder. Zehn verdammte Minuten, bis ein Schockbarere Rhythmus einsetzte. »JA! Devi, jetzt!«

Er nahm alles entgegen, kletterte von im runter und setzte die Schutz-Kleber und dann die Paddle auf. »Aufladen! Alle weg!« Er sah mich an. »Nicht anfassen!«

Ich drückte mich weg und starrte auf Rune.

Er ist tot? Nein.

Oh mein Gott!

»Ihr müsst ihn retten! Ich flehe euch an! Bitte!!!«, flehte ich wieder. »Rune! Bitte lebe. Ich liebe dich doch!« rief ich ihm zu.

Das Herz muss schlagen.

Er muss überleben.

Bitte, wenn es einen Gott gibt, dann bitte lass ihn leben.

»Jetzt!« Der Devi schickte einen Stromschlag in Rune und er bäumte sich auf und zuckte. PIIIIIIIIIIIIIIIIIEEEEEEP. »Mehr! Aufladen! Jetzt!« Diesmal zuckte er heftiger. PIIIIIIIIIIIIIIIIIEEEEEEP .... »Nochmal. Mehr! Aufladen, Jetzt!« Sein Rücken bog sich durch und er verkrampfte. PIIIIIIIIIIIIIIIIIEEEEEEP ....

Piep .... Piep ...

»Wir haben einen Herzschlag. Und jetzt nichts wie ins Krankenhaus!«, sagte Giuseppe und wischte sich über die schweißnasse Stirn.

Ich dagegen heulte los, als Runes Herz wieder anfing zu schlagen. Aus Freude, aus Angst, aus Verzweiflung. Das war eindeutig zu viel.

Aber er lebte.

Nur das zählte erst einmal.

Und als wir endlich am Krankenhaus ankamen, wurde er sofort in den OP-Saal transportiert. Dort durfte ich selbstverständlich nicht mit rein und wurde stattdessen mit Papierkram abgelenkt.

Sie hatten mich gefragt, wie ich zu dem Mann stand. Hier konnten wir ihn nicht länger als Nox Costello vorstellen. Sie brauchten seinen echten Namen. Und nachdem ich ihnen mitgeteilt hatte, dass ich seine Verlobte war, musste ich einige Angaben über ihn machen. Dabei fiel mir auf, dass ich vieles gar nicht über ihn wusste. Wie zum Beispiel: Allergien? Ob er schon einmal operiert wurde, ob er Krankheiten besaß. Solche Kleinigkeiten wusste ich einfach nicht.

Statt so viel zu vögeln, hätten wir uns lieber mal besser kennenlernen sollen. Rune hatte das natürlich nicht so nötig wie ich, er hat allein durch seine Recherche alles über mich herausgefunden. Ich seufzte und rieb mir die Stirn. Ich war müde, mein Brustkorb tat weh.

Stimmt.

Ich wurde ja angeschossen.

Das hatte ich total vergessen. Nur Rune war in meinem Kopf.

Ich ordnete die Papiere zusammen und erhob mich. An der Rezeption gab ich alles ab. Dann erklärte ich noch, dass ich auch angeschossen wurde, aber eine Weste anhatte und ob mich jemand ebenfalls kontrollieren konnte.

Nachdem die Schwester sich alles ansah und mich und Rune ins System aufnahm, erklärte sie mir: »Der Doktor hat uns bereits mitgeteilt, dass Sie in das VIP-Zimmer in den 5. Stock kommen. Ich werde gleich jemanden zu Ihnen schicken, der sie kontrolliert und schon in das Zimmer bringt.«

Ich sah sie verwirrt an.

Meinte sie mit Doktor Giuseppe?

Doch ich stellte keine Fragen und nickte nur.

Es dauerte nicht lange und sofort wurde ich von einem anderen Arzt abgeholt. Ich sah mich um und wenn man bedachte, dass hier viele Menschen saßen und das schon länger als ich, fragte ich mich, ob es wohl etwas mit Runes Status zu tun hatte, dass ich sofort drankam.

War mir auch egal.

Ich folgte dem Arzt, ließ mich untersuchen. Danach wurde mir mitgeteilt, dass ich durch die Kugel 3 gebrochene Rippen hatte. Ich bekam eine Spritze gegen die Schmerzen und dann wurde ich ins Zimmer gebracht. Es standen zwei Betten drinnen, eine Couch mit einem Fernseher und mehrere große Fenster erstreckten sich um das halbe Zimmer. Der Blick anscheinend auf einen Park. Ich konnte das bei der Dunkelheit nicht richtig erkennen. Ein eigenes Badezimmer hatten wir ebenfalls und sogar eine Regendusche.

Ich setzte mich auf das Bett und sah die Schwester an. Sie legte mir Sachen hin zum Schlafen und nahm dann das Bett von Rune mit.

»Bringen sie ihn jetzt her? Meinen Verlobten?«, fragte ich ängstlich.

Sie schüttelte den Kopf. »Die Operation ist doch schwieriger als vermutet, der Doktor musste Mister Costello noch zwei Mal wiederbeleben. Hoffen wir auf das Beste, Miss Silver«, antwortete sie und schob das Bett zu Tür. Bevor sie aber gänzlich verschwand, fügte sie noch hinzu: »Mister Costello ist sehr schwer verletzt, die Operation ziemlich komplex. Er wird demnach nicht hierhergebracht, sondern erst einmal auf die Intensivstation. Ich werde zu ihnen kommen, sobald es neue Informationen gibt.«

Ich nickte ihr nur zu und die Tür fiel ins Schloss.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top