Teil 75

Rune

»Nein, du bist nicht dumm«, sagte ich und blieb, wo ich war. Sah sie nur an. Die Frau, die dachte, ich würde das tun.

Ja, ich hatte darüber nachgedacht. Und Fuck ja, wenn es wer anderes wäre ...

Aber sie war meine Verlobte und er mein zukünftiger Schwager. Glaubte sie, ich würde ihn sterben lassen? Glaubte sie, ich würde IHR das antun?

Ich räusperte mich und zwang Kälte in meine Stimme. Sie wollte das Arschloch sehen? Den Mafiaboss. Fein.

»Du denkst tatsächlich, dass du meine Geschäfte abtreten könntest? Ohne mich? Ohne meine Einverständnis? Hinter meinem Rücken?« Ich lachte auf und schüttelte den Kopf. »WEIL DU MIR NICHT VERTRAUST?«

Ich biss die Zähne zusammen. Schmerz loderte in meiner Brust und das Kokain, das immer noch in meinem System umherwanderte, verstärkte alles nur. »Du verstehst einen Scheiß darüber, so zu handeln wie ich. Noch immer bist du viel zu naiv. Was man daran sieht, was du eben gemacht hast. Du vertraust mir nicht? Du denkst, ich lasse den Bruder meiner Verlobten sterben, nur weil du gehört hast, wie ich meine Gedanken ausspreche? Weil du einen kleinen Ausschnitt von Möglichkeiten in meinem Kopf mitbekommen hast? Fein, dann sieh ihn mir den Arsch, der ich für dich noch immer bin, und verpiss dich.« Ich sah sie von oben herab an. »Du bist meine Verlobte, ich ... ich liebe dich verdammt noch mal und du? Du ... Fuck, geh einfach ins Schlafzimmer. Ich ertrag es gerade nicht, dich anzusehen. Ich werde auf der Couch schlafen, nachdem ich mit Cal alles Nötige erledigt habe.« Ich lief zu ihrem Handy und hob es auf. Es ging noch, trotzt des Risses. »Ich nehm das, denn ab jetzt werde ich mit ihnen Reden müssen, da du doch so leichthin alles abgegeben hast, was mich ausmacht.«

»Du kannst mich nicht einfach wegsperren! Ich bin keine verdammte Puppe«, rief sie und schlug mit den Fäusten auf das Wasser ein. »Wieso redest du überhaupt mit Cal allein und schließt mich aus?! Du hättest doch auch mit mir reden können?«

»Nein, ich kann dich nicht wegsperren, du hast recht. Du bist ja meine Verlobte, hm? Schlaf wo du verdammt noch mal willst. Ich such mir was, nachdem ich alles, was ich geplant habe, umwerfe und deinen Mist wieder geradebiege«, fauchte ich und packte das Smartphone unnötig fest. Beschissenes Koks. »Du willst wissen, warum ich erst mit Cal geredet habe? Weil ich verdammt noch mal erst einen Weg finden wollte, den ich dir zumuten kann und die zweihundert Optionen, in denen dein Bruder sterben könnte, ausklammern wollte, damit du keine Angst mehr haben musst! Ich wollte dir einen Weg zeigen können, der sicher ist. Ich wollte dich schützen!« Mein Blick traf ihren und ich ließ sie sehen, wie enttäuscht ich war.

Kiana stieg aus dem Pool und Wasser triefte und tropfte auf dem Boden.

Während sie meinen Blick erwiderte, sagte Kiana: »Das ... das wusste ich nicht. Ich ... Ich dachte das Leben von meinem Bruder wäre dir egal.« Sie senkte den Blick. »Von meinem Vater war dir das Leben doch auch egal.«

Ich lachte tonlos. »Dein Vater war ein Säufer, der dich liebend gerne für 100.000 an mich hatte verkaufen wollen, als er mich noch nicht mal kannte. Nur weil er eine Knarre am Kopf hatte. Also ja, sein Tod war mir ziemlich egal. Sorry, Kitty, aber ich weine keinen Wichser hinterher, der dich vergewaltigen wollte. Aber dein Bruder ist ein guter Mann. Er liebt dich. Es wäre das leichteste ihn sterben zu lassen, das streite ich nicht ab und auch das ich dran gedacht habe. So bin ich nun mal. Es heißt allerdings nicht, dass ich es tue und du solltest das wissen. Gerade DU müsstest mittlerweile doch wissen, dass ich dir die verdammte Welt zu Füßen lege. Auf meine Weise. Aber scheinbar habe ich mich geirrt.«

Überfordert zog Kiana die Brauen zusammen und verarbeitete, was ich ihr hier vor den Latz geknallt hatte.

»Was?!«, fragte sie mit offenem Mund, sah vom Boden hoch und mir direkt in die Augen. »Mein Vater wollte mich verkaufen? Und ... du hast ihn hinter meinem Rücken bedroht?« Sie stieß geschockt Luft aus und hielt sich den Kopf. »Deswegen war er von einem Tag zum nächsten so anders! Deswegen hat er mich anders behandelt! Und wahrscheinlich-«, setzte sie an und lief auf mich zu, »hat er Schluss endlich auch deswegen so gehandelt! Er musste sich wie viele Wochen zusammenreißen? Huh? Wie viele Wochen musste er sich zusammenreißen, weil er Angst vor dir hatte! Und dann ist er komplett irre geworden und wollte mich verdammt nochmal vergewaltigen!« Kiana stieß wieder laut Luft aus. »Das ist alles nicht wahr! Was hast du noch hinter meinem Rücken gemacht? Du sagst, mein Bruder ist ein guter Mann und weil er mich liebt, hat er in deinen Augen anscheinend verdient zu leben. Aber mein Vater nicht? Weil er krank war?! Egal was mein Vater gemacht hat, er war mein Vater. Er war mein einziger Elternteil.« Sie brach in Tränen aus. »Während ich um ihn geweint habe, mir Vorwürfe für alles gemacht habe, hast du dich gefreut, dass er endlich verreckt ist!«, hielt sie mir heulend vor.

Kiana stampfte klitschnass an mir vorbei in die Wohnung.

Fuck was?!

Gab sie mir die Schuld daran, dass ihr Vater sie im Vollsuff vergewaltigen wollte?

Oh, nein. Sicher nicht!

Ich lief ihr nach und fand sie im Schlafzimmer. Ich trat quasi die Tür ein und brüllte: »Dein FUCKING ernst? Du gibst mir die Schuld dafür, der er dich ficken wollte? MIR? Wegen MEINER Drohung hat der Motherfucker es doch wenigsten mal geschafft, sich nicht jeden Tag einen hinter die Birne zu kippen! Wegen MIR hat er dich wochenlang nicht geschlagen, angebrüllt und belogen! ICH bin nicht schuld an seinem Fehlverhalten! Dein Vater war nicht krank, Kiana. Er war ein Arschloch, der nicht verarbeiten konnte, das seine Frau abgehauen ist und statt stark zu sein und sich am Riemen zu reißen, all seinen Frust an seiner Tochter ausgelassen hat. Der einzigen Person, die er hätte beschützen müssen. Nein, Kiana, dass er ein schwacher Mann war, ist nicht meine Schuld. DAS lasse ich mir nicht vorwerfen. Aber weißt du was«, fragte ich und stellte mich vor sie, packte sie am Kinn und zwang sie, mich anzusehen. »Mit einer Sache hast du recht. Dein Vater hat es nicht verdient zu leben. Er hatte es nicht verdient, dass du dir jeden Tag den Arsch aufgerissen hast, um das wieder gerade zu biegen, was er vermasselt hat. Er hat es nicht verdient, dass du auf Essen verzichtest, nur damit er sich dafür Alk kaufen konnte. Ja, ich bin FROH, dass er tot ist.«

Kiana schluchzte und mein Herz setzte einen Schlag aus.

Ich hasste es, sie weinen zu sehen.

»Ich habe nicht gesagt«, begann sie, »dass es deine Schuld ist! Aber ich könnte mir vorstellen, dass das zu dem geführt hat, was schlussendlich passiert ist.« Sie presste die Lippen zusammen und sah mich an. Noch mehr Tränen rollten über ihrer Wagen. »Mein Vater war kein guter Mensch, aber ... aber früher schon. Ich ... Ich habe trotz allem ihn geliebt, als meinen Dad.« Ihre Unterlippe zitterte und meine Finger zuckten. »Deswegen kann ich meinen großen Bruder nicht auf noch verlieren. Doch ... Dich will ich auch nicht verlieren. Ich will nicht, dass du irgendetwas für mich opferst! Ich will nicht, dass diese Schweine gewinnen! Ich will das alles nicht.«

Ich seufzte innerlich und zog Kiana an mich.

»Wir holen Louis zurück«, sagte ich und strich ihr über den Rücken. »Und du verlierst mich nicht. Ich gehe nicht weg und lasse dich nicht gehen. Das weißt du. Der einzige weg«, ich zwang sie, mich anzusehen, »mich von dir zu trennen, ist eine Kugel in meinem Kopf. Mi amore, ti amo. Mehr als mein Leben.«

»I...ich l...liebe d...dich a...auch. Für I...immer.«

Kiana stotterte erbärmlich und ich begann, sie langsam auf den nassen Kleidern zu pellen. Ich warf alles in den Korb, legte Kiana ins Bett, und deckte sie zu. Dann lief ich aus dem Zimmer, ging in die Küche, schmiss den Wasserkocher an und füllte eine Wärmflasche, die ich ihr dann brachte und unter die Decke schob.

Ich sah sie an und nickte. »Ich geh und überleg mir was. Du schläfst.«

Kiana nickte nur und schloss flatternd die Augen. Ihre Wimpern waren feucht und klebten zusammen vom Chlor und den Tränen.

Ich würde diese Wichser umbringen. Allesamt. Hierfür.

Erst als sie eingeschlafen war, verließ ich das Schlafzimmer und ging zu Cal, der sicherlich wieder alles zwischen uns mitbekommen hatte.

Ich nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank und seufzte fluchend. »So ein verfickter Scheiß.«

Cal nahm sich ebenfalls ein Bier und trank es in einem Zug aus. »Was jetzt?«

Ja, was jetzt?

»Uns bleibt nicht mehr viel, als so zu tun als ob.«

Genau wie es Kiana vorhin vorgeschlagen hatte.

Fuck, es war dennoch das Letzte, was ich machen wollte, denn diesen Plan hatte ich nicht umsonst schon beim ersten Gedanken verworfen.

»Das wird eine Menge Leute das Leben kosten, Rune.«

»Denkst du, mir ist das nicht klar?! Aber was bleibt uns nach dem verdammten Telefonat noch? Wenn wir jetzt was anderes machen, bringen sie ihren Bruder gleich um.«

Cal nickte. »Fein, dann also zustimmen, hingehen und was? Alles abknallen was nicht bei drei auf dem Baum ist?«

Mein Kiefer wackelte hin und her – eine Nebenwirkung der Drogen. »Oldschool.«

Cal schnaubte. »›Oldschool‹ heißt viele Tote.«

Nun knurrte ich dunkel: »Ich weiß es.«

Er hob die Hand. »Ich will nur sichergehen, dass du dir im Klaren darüber bist, was das bedeutet.«

»Es bedeutet eine Möglichkeit, die Lombardos auszuschalten, oder zumindest Roberto und so viele Leute, dass es sich jeder seiner Anhänger es zwei Mal überlegen wird, sich jemals wieder gegen mich zu wenden. Das heißt es.«

Cal sah mich an. Ich sah Cal an.

Dann nickte er. »Gut, dann trommle ich jetzt eine kleine Armee zusammen, die für dich in den wahrscheinlichen Tod rennt.«

Er nahm sein Handy, zog sich seine Jacke an und ging raus in den Außenbereich.

Ich rieb mir das Haar und dann über das Gesicht und das Kinn, auf dem langsam Stoppeln wuchsen. Völlig unnötig, lief ich erst leise ins Schlafzimmer, holte meinen Kran, ging dann ins Gästebadezimmer und begann, mich zu rasieren. Ich pinselte mir Schaum ins Gesicht und setzte die Rasierklinge an. Als das kalte Metall auf meiner Wange schabte, bekam ich langsam wieder einen klareren Kopf.

Wir bräuchten einen Plan.

Einen, der möglichst wenige Leute meinerseits opferte.

Ich rasierte mich fertig und ging viele Szenarien durch, wie das Enden könnte. Manche waren gut, andere weniger. Und je nachdem kam es darauf an, wie geschickt ich dir ›Übergabe‹ handhabte. Ich musste gewisse Voraussetzungen schaffen.

Erstens und zugleich auch das, was ich am wenigsten haben wollte: Kiana musste mit. Wenn sie dabei war, dachte Roberto bestimmt, ich würde keine Massenschießerei anfangen – aus Angst ihr geschehe etwas.

Punkt eins führte zu zwei: Roberto Lombardo musste dabei sein. Ansonsten würde ich ihn ja nicht abknallen können.Punkt drei: Irgendwie musste ich es schaffen, einen Arsch voll Männer unbemerkt dahin zu bringen, wo das Treffen dann stattfinden würde.

Punkt vier – und der unwahrscheinlichste Fall: Irgendwie musste ich es verdammt noch mal schaffen, dass zumindest Cal, Louis und Kiana es heil raus schafften. Ich wäre ein guter Bonus. Denn egal was sie Kiana möglicherweise versprochen hatten und egal, was Roberto damals sagte, er würde mich niemals lebend gehen lassen. No Chance.

Ich wusch mir mein Gesicht und sah in den Spiegel. Meine Pupillen waren noch geweitet und ich sah müde aus. Erschöpft.

»Fuck«, fluchte ich und rieb mir mein Gesicht mit der Creme ein, die nach Orange und Sandelholz roch. Die Sachen ließ ich im Bad stehen und tappte wieder ins Schlafzimmer. Ich lehnte am Türrahmen und sah Kiana einen Moment beim Schlafen zu, ehe ich zu Cal ging.

»Und?«

»Die Männer sind allesamt auf Abruf bereit.«

»Wie viele?«

»Fünfzehn.«

Ich nickte und zog dann das Handy raus. Ich wählte Louis Nummer und stellte auf Lautsprecher.»Madrina, drei mal in so kurzer Abfolge? Wie ich sehe, liegt ihnen tatsächlich etwas an ihrem Bruder.«

Ich biss die Zähne zusammen. »Folgendes. Roberto Lombardo ist bei der Übergabe dabei. Nachdem alles abgehandelt ist, wird er selbst für die Sicherheit meiner Männer sorgen.« Ich machte nicht die Mühe, mich mit einzuschließen, denn ich hielt nichts von Heucheleien. Sein Mann wusste bestimmt, dass sein Chef mich niemals gehen ließ.

»Don Costello, welche Ehre.«

»Halts Maul, Wichser. Steht das?«, fragte ich lässig und nahm mir die Kippe, die Cal mir hinhielt.

»Madrina Silver wird ebenfalls kommen.«

Ich schnaubte innerlich, blieb nach außen aber ruhig. Es war klar, dass sie das forderten. Aber es passte ja zu meinen Überlegungen. Dennoch musste ich ein Spiel spielen, also ...

»Nein.«

»Ohne sie, kein Deal.«

»Warum muss sie dabei sein.«

Es herrschte kurz Stille und ich hörte jemand anderen im Hintergrund reden. Motherfucking Roberto selbst.

»Nenn es eine Absicherung, damit alles gut und sauber läuft.«

Oh, es wird nichts sauber bleiben, dachte ich. Euer Blut wird bis an die verdammte Decke spritzen.

»Dann muss dein ›Don‹ auch ihre Sicherheit gewährleisten.«

Stille, Gerede, dann ...

»Wir sind uns also einig. Nur du und das Mädchen kommen.«

Cal sah mich an und schüttelte den Kopf, doch ich sagte: »Ja. Wann und wo?«

»Wir melden uns.«

Der Wichser legte auf und ich biss die Zähne zusammen.

»Ich komme mit.«

Ich dehnte meinen Nacken. »Natürlich. Nur wirst du dort sein, wo ich dich brauchen kann. In den Schatten mit einem Scharfschützengewehr im Anschlag.«

»Oh, sicher nicht. Ich wird dem Wichser schön aus nächster Nähe in seine Visage ballern.«

»Sie werden uns nicht mit Waffen reinlassen. Das heißt, wenn du das machen willst, musst du dennoch bei den Männern bleiben, die dann den Raum stürmen.«

»Stürmen?«

Ich zog an der Kippe. »Leise, wie verdammte Ninjas.«

Cals Augen funkelten. »Du hast einen Plan, richtig?«

Ich nickte. »Nennen wir es lieber eine machbare Idee. Denn für einen ausgeklügelten Plan halte ich es nicht.«

»Schieß los.«

»Kurz und knapp?« Cal nickte. »Oldschool, wie gesagt. Ich und Kiana gehen rein, versuchen möglichst viel zeit zu schinden und du und die Männer räumen derweil leise und sauber alle Männer aus dem Weg, bevor ihr zu uns kommt und uns rausholt.«

Cal hob eine Braue. »Klingt unausgereift.«

»Ja, das ist es auch.«

Mein Cousin lief an mir vorbei und schlug mir auf die Schulter. »Ich steh auf Oldschool. Das ist so schön gefährlich.«

Trotz der Lage musste ich schmunzeln. »Du bist ein Arschloch.«

»Du auch«, gab er zurück und tippte in seinem Handy rum. »Ich sag den Männern Bescheid, dass sie schon mal die Schalldämpfer und Messer zücken sollen.«

Ich nickte und sah auf den Aschenbecher und die halb ausgedrückte Kippe.

»Ja, mach das.«

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