Teil 6
6 - Kiana
Ich starrte die Tür an, hinter der er verschwand und brach zusammen. Meine Hände zitterten wie verrückt und meine Atmung war schnell und unregelmäßig.
Ich hatte versucht, entspannt zu wirken, mir nichts anmerken zu lassen. Aber...
»So eine Scheiße!«, zischte ich unsicher und sauer.
Wieso musste gerade er mein Chef sein!
Und was hatte das alles mit diesen Männern in dem Raum zu tun.
Gott! Der eine hätte mich fast erschossen.
Krank!
Ich atmete tief ein und wieder aus.
Ich musste mich beruhigen.
Das alles ging mich nichts an.
Und als andere Angestellte die Umkleide betraten, erhob ich mich schnell und ließ mir meine Angst und Verwirrung nicht anmerken. Ich zog mir meinen Hoodie, meine Jeans und meine Sneaker an, nahm meine Tasche und verschwand aus diesem gottverdammten Club.
***
Die nächsten Tage vergingen ruhig und ich tat meine Arbeit. Ich sammelte fleißig Trinkgeld und war froh, diesen Nox nicht sehen zu müssen. Der Vorfall mit den Waffen hing mir immer noch nach, aber ich versuchte, es zu ignorieren und in meinem Inneren wegzuschließen.
Ich musste arbeiten.
Arbeiten.
Arbeiten.
Nur das zählte.
Die Schulden zählten.
Ja.
Mit einem Lächeln sah ich auf den Bildschirm am Bankautomaten.
Mein Gehalt war auf dem Konto. Ich hob die Summe ab, die ich monatlich an die Geldeintreiber zahlen musste, und schob den Batzen Scheine in einen Umschlag.
Erleichtert, dass wenigstens das gut voranging, traf ich mich mit den üblichen Gestalten am Treffpunkt.
»Kleine Lou, na, alles paletti?«
Ich sah Jonny, einen der Geldeintreiber, an.
Ich bezahlte nun schon seit 3 Jahren die Schulden meines Vaters ab, seitdem ich 17 war. Natürlich kannten mich die Schuldeneintreiber schon und sprachen mich daher auch so locker an. Doch ich ignorierte es. Ich wollte einfach nur die Schulden abbezahlen und dann endlich mein eigenes Leben beginnen.
»Sprich mich nicht so an«, meinte ich wie immer genervt und schmiss ihm den Umschlag auf den Schoß, während ich an das Auto lehnte und durchs Fenster Jonny und Chris ansah. Beide ungefähr Mitte 30 und eigentlich ganz nette Typen. Aber ich wusste, dass sie auch anders konnten, und würde ich die Schulden nicht zahlen, würden sie meinen Vater wieder halb zu Tode prügeln. Diesen Anblick ertrug ich kein zweites Mal.
»Ach, hab dich doch nicht so, du süße Maus«, zwinkerte mir Chris zu.
Ich verdrehte die Augen.
Wie die mich nervten.
Jonny zählte das Geld nach und nickte Chris zu.
»Passt, kleine Lou, dann sehen wir uns im nächsten Monat wieder hier, ja«, meinte er und Chris startete den Motor ihres schwarzen Mercedes.
Ich sah ihnen nach.
Nur noch ein bisschen, dann hatte ich es endlich geschafft.
Dann sah ich auf meine Uhr und lief los zu meinem zweiten Job - in einem Strandkaffee.
Ich musste rennen, um noch pünktlich zu meiner Vormittagsschicht anzukommen. Außer Atem betrat ich das Café und begrüßte kurz meine Chefin, bevor ich die Treppe runterging. Schnell zog ich die Uniform an, bestehend aus einem kurzen engen Strandkleid mit Blumen drauf, und eine Blume ins Haar, sowie es sich meine Chefin wünschte.
Fertig umgezogen ging ich hoch und nahm die ersten Bestellungen an. Durch das schöne warme Wetter war viel los. Das bedeutete wiederum auch wieder viel Trinkgeld.
Ein paar schöne Blicke dort, ein paar Berührungen hier, natürlich nur von meiner Seite. Ich lass mich nicht gerne ungewollt anfassen, aber ich wusste, dass Männer es liebten, wenn man SIE anfasste und ihnen näherkam.
Und so vergingen die Stunden und die Sonnen ging langsam unter.
»Kiana, heute hast du wieder alles gegeben. Woher nimmst du nur die Energie?«, fragte meine Chefin, während sie die Abrechnung durchführte.
Ich lachte und wusch die letzten Tassen ab.
»Ich habe ein Ziel, ich denke, das füttert meine Motivation«, erklärte ich und trocknete meine Hände ab.
Meine Chefin war eine wirklich nette Dame, sie war geschieden und hatte eine kleine Tochter. Daher ließ sie den Laden auch immer nur bis 16 Uhr auf, weil sie danach ihre Tochter aus dem Kindergarten abholen musste.
»Stimmt, du hast mal erwähnt, dass du gerne studieren gehen würdest, nicht wahr?«, fragte sie und schloss die Kasse.
»Ja, genau«, lächelte ich nun doch etwas müde.
Ich hatte heute Abend noch mal Schicht im Club. Ich hatte noch kein Auge zugemacht. Aber ich brauchte das Geld.
»Du bist wirklich fleißig. Sei stolz darauf«, lächelte sie mich an.
Ich lächelte zurück. »Danke.«
***
Ich gähnte und streckte meine Glieder, als ich meine Tasche schulterte und mich auf eine Bank setzte. Wartend ich auf den Bus wartete, sah ich auf mein Handy und scrollte durch Instagram. Meine Augen fielen zu, immer wieder.
Nein nicht einschlafen.
Nicht ... einschlafen.
Nicht ...
Das Hupen eines Autos ließ mich aufzucken. Ich sah mich kurz verwirrt um, bis ich einen dunkelgrauen Mercedes erblickte.
Das Fenster ging runter und ein »Steig ein« ertönte.
Ich starrte denjenigen an und erkannte Nox, der weiterhin geradeaus sah und den Rauch seiner Kippe ausblies.
Ich blinzelte mehrfach und sah auf mein Handy. Dann rieb ich mir die Augen und sah wieder auf.
Scheiße bin ich eingepennt?!
»Sag mal, stalkst du mich?!«, fragte ich genervt.
Nox schnaubte und schob seine Sonnenbrille etwas hinab. »Ich hab Besseres zu tun. Und jetzt steig ein, Kiki.«
Als er mich mit demselben Spitznamen ansprach, wie mein Halbbruder, spannte sich mein Körper an. Ich sah wieder auf mein Handy.
Verdammt, ich hatte den Bus verpasst und würde zu spät kommen, wenn ich auf den nächsten Bus wartete.
Ich sah wieder zu Nox.
Ich hatte wohl keine Wahl.
Trotzdem würde ich mir den Zeitdruck nicht anmerken lassen, also erhob ich mich und ging auf sein Auto zu.
»Wenn du darauf bestehst. Und mein Name ist Kiana«, meinte ich augenverdrehend und stieg in sein Auto.
»Ich bestehe auf einen Scheiß, Angel«, sagte er und lenkte wieder auf die Straße. »Wenn du lieber laufen willst, lass ich dich. Viel Spaß dabei. Mir ist das ziemlich egal. Nur erinnere ich dich dran«, er zog an seinem Joint und bog dann rechts ab, »dass ich, da ich dein Boss bin, genau dahin muss, wo du hin musst.«
Ich rieb mir die Stirn.
Wieso ist der nur so ein Arschloch?
»Nein, schon gut, Mister Super-Boss.«
Ich sah auf den Joint zwischen seinen Fingern. »Spinnst du?! Wie kannst du beim Fahren kiffen? Was wenn uns die Polizei anhält?!«, fragte ich fassungslos und sah mich hektisch um.
Er grinste mich an. »Machst du dir sorgen?«
»Was?!« Ich sah ihn mit großen Augen an, dann begriff ich, worauf er hinauswollte, und ich lehnte mich langsam zurück. »Nein. Du bist mir egal«, erwiderte ich nun und fügte gedanklich hinzu, dass es wohl ganz gut wäre, wenn er und seine Verbrecher Freunde von der Polizei geschnappt werden würden.
Obwohl.... Hätte ich dann noch einen Job?
Sein Grinsen blieb und als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte er: »Wenn ich festgenommen werden würde, dann müsstest du dir wohl einen neuen Job suchen, Püppi. Und glaub mir«, er pustete Rauch in mein Gesicht und ließ an einer roten Ampel den Motor aufheulen, »keiner bezahlt so gut wie ich. Wenn du dir ein bisschen Mühe gibst, und dich gut anstellst, kannst du deinem nächsten Lover mehr Trinkgeld für einen Fick geben.«
Ich hustete und wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht. »Glaubst du echt, ich lasse bei jedem guten Typen Trinkgeld da? Aber bevor du antwortest, frage ich mich eher, ob du bei jeder Tussi das Kleid zerreißt?«
Die Tatsache, dass ich auf keinen Fall meinen Job verlieren wollte, ließ ich aus.
Es stimmte nun einmal, er bezahlte gut, sehr gut sogar.
»Also bin ich was Besonderes, huh? Gut zu wissen.« Die Ampel schaltete grün und er gab Gas. Vollgas. Während er mich ansah. »Ich zerreiße nicht nur Kleider, Liebes. Wenn du mich lassen würdest, dann ....«
Er ließ den Satz unvollendet und gab mehr Gas. Lenkte zwischen den Autos durch, ohne wirklich hinzusehen.
Ich krallte mich in meinen Gurt.
»Oh heilige Scheiße nein!«, antwortete ich und sah ihn ängstlich an. »Kannst du verdammt noch mal nach vorne schauen oder willst du uns umbringen?!« Mein Blick ging zum Seitenspiegel und meine Augen weiteten sich, als die Bullen hinter uns auftauchten. Sie schalteten das Blaulicht an und fuhren uns nach. »Die ... Die Polizei ist hinter uns. Jetzt ist alles aus. Adieu Job!«
Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und sein Lächeln verschwand nicht, als er rechts ran fuhr und wartete. Er zupfte an seinem dunkelroten Hoodie und lehnte sich lässig zurück.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Mein Blick ging zum Joint, den ich mir kurze Hand schnappte und aus dem Fenster schmiss. Dann wedelte ich mit der Hand herum.
»Vielleicht... riechen sie es ja nicht«, redete ich und versuchte, mich damit eigentlich nur selbst zu überzeugen.
Die Polizei trat an das Auto heran, ein Polizist an mein Fenster und eine Polizistin an Nox Fenster.
Sie klopfte an seine Scheibe und sagte dann: »Fahrzeupapiere und Führerschein bitte. Sie sind etwas zu schnell gefahren, mein Herr.«
Sein Lächeln verschwand. »Keine Ahnung, aber ›ein bisschen‹ ist wohl dezent untertrieben, wenn man bedenkt, dass ich 50 km/h zu schnell war, nicht wahr, Officer?«
Ist der bescheuert?! Wieso widerspricht er noch?!
Ich starrte ihn an und dann zu der Polizistin, die sich runter beugte.
»Fahrzeugpapiere und Führerschein«, wiederholte sie.
Ich sah unsicher zu dem Polizisten, der nun an meinem Fenster lehnte. »Wurden hier Drogen konsumiert?«, fragte er und sah mir direkt in die Augen.
»N - nein...«, stotterte ich.
Ich hatte noch nie ein Gesetz gebrochen. War die Polizei anzulügen auch gegen das Gesetz?!
Würde ich heute im Gefängnis landen und das auch noch mit diesem Idioten!
»Wie sieht es eigentlich unter deiner Uniform aus, Süße«, fragte Nox die Polizistin und sagte dann zu dem anderen: »Oh, hier wurden definitiv Drogen konsumiert. Der Joint mit dem wirklich guten Gras, wie ich betonen will«, er sah mich böse an, »liegt da hinten im Dreck.«
Ich war wie erstarrt.
Oh mein Gott, ich werde heute eindeutig im Knast landen.
Nein! Ich muss doch arbeiten.
Schnell sah ich zum Polizisten. »Ich ... Ich kenn den nicht. Ich habe nichts mit dem zu schaffen! Können sie mich bitte mitnehmen und zu Arbeit fahren?«, fragte ich verzweifelt.
Der Polizist hob eine Braue, sah dann in die Richtung zum Joint und dann wieder zu mir. »Sie gehen nirgends hin junge Dame, sie haben sich nämlich gerade strafbar gemacht.«
Wäre ich doch nie bei diesem Verrückten mit eingestiegen.
Die Polizistin räusperte sich. »Das werden sie nie erfahren und jetzt, steigen sie aus, wir werden sie durchsuche«, forderte sie.
Tränen stiegen mir in die Augen. »Ich habe wirklich nichts mit dem zu schaffen. Bitte. Ich habe noch nie das Gesetz gebrochen. Ich schwöre hoch und heilig.«
»Sie bleibt sitzen«, sagte Nox knapp, aber scharf. Dann sah er den Polizisten an, der schon die Tür zu seinem Auto aufmachen wollte. »Check das Nummernschild, Schwachkopf. Und wenn's geht noch heute. Ich hab zu tun. Allem voran die Kleine hier zur Arbeit zu fahren. Und da ich wirklich langsam den Spaß an dem Gespräch verliere, beeilt euch lieber.«
Beide Polizisten hielten inne, dann nickte der Polizist seiner Kollegin zu. Diese sah sich das Nummernschild an, genau wie Nox verlangte, und ihre Augen weiteten sich. Dann ging sie um das Auto herum, sodass sie neben ihrem Kollegen stand. Sie flüsterten etwas und dann beugte sich der Polizist noch einmal zu uns runter.
Ich sah ihn verwirrt an.
Ich kapier gar nichts.
»Entschuldigen Sie die Störung. Bitte fahrt weiter und habt eine angenehme Fahrt«, lächelte er nervös und dann gingen sie beide zurück.
Ich beugte mich vor, drehte mich herum und sah zwischen uns nach hinten. Sie stiegen allen Ernstes in den Streifenwagen ein und fuhren weg.
Mit offenem Mund drehte ich meinen Kopf langsam zu Nox.
»Was ... war das?«
Wir fuhren weiter.
»Sowas nennt man eine allgemeine Verkehrskontrolle, Kanita. Das kommt hin und wieder mal vor«, erklärte er und bog in eine Richtung ab, die nicht zum Club führte. Er sah mich nicht an, sondern murrte. »Das war übrigens wirklich teures Gras und ich habe nicht mehr viel davon. Du schuldest mir also noch was.«
Ich lehnte mich zurück und blieb kurz still.
Wieso war die Polizei so? Er war total frech zu den beiden gewesen. War 50 km/h zu schnell gefahren und hatte Drogen konsumiert und sie hatten ihn letzten Endes einfach fahren lassen.
Langsam sah ich ihn wieder an.
»Ich gib dir das Geld dafür, ich mag es nicht, Schulden zu haben. Und zum tausendsten Mal, ich heiße KIANA oder LOU, aber hör auf, mich mit irgendwelchen Schlampen zu verwechseln«, meinte ich nun leise und mit ernster Miene.
Dabei sah ich ihn immer noch an und stellte mir folgende Frage:
Wer war Nox überhaupt?
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