Teil 46

46-Kiana

Ich stand eine Weile einfach nur in diesem Penthouse, in dem ich doch erst vor Wochen ausgezogen war. Meine Augen fanden meine Hände, die noch mit getrocknetem Blut befleckt waren.

Mein Vater ...

Er war tot.

Ich war schuld.

Weil ich nicht ...

Ich schüttelte meinen Kopf.

Dann sah ich zu Amore, die etwas ängstlich zu Don ging und ich bei ihm einrollte. Don fing an sie abzuschlecken. Als würde er sich um sie kümmern.

Es war ein wunderschönes Bild.

Dennoch wandte ich mich ab und lief mit leisen Schritten in Runes Schlafzimmer. Ich hielt nicht an, bis ich im Badezimmer stand. Ich zog alles aus, bis ich nackt war, und stieg in die Dusche. Die Regendusche angeschaltet, stand ich eine Weile einfach nur da und ließ, dass warme Wasser auf mich niederprasseln.

Doch als ich langsam wieder realisierte, was passiert war, brach ich zusammen. Ich setzte mich in die Ecke der Dusche und zog meine Beine an den Körper. Das Wasser immer noch an, regnete es auf meinen weinenden Körper nieder.

***

Mit müden Augen band ich den Bademantel um meinen Körper und lief barfuß hinaus zur Terrasse. Ich blieb am Geländer stehen, dass komplett aus Glas bestand und sah hinaus auf die Stadt. Es war noch dunkel, aber die Sonne würde wohl bald aufgehen.

Ich legte meine Arme auf dem Geländer ab und legte darauf meinen Kopf. Dann ließ ich diese Aussicht auf mich wirken.

Ich bekam nur halb mit, dass Rune zurück war und auf mich zulief. Er stellte sich hinter mich und schlang die Arme um meine Hüfte, richtete mich auf und zog mich mit dem Rücken an seine Brust.

»Du solltest schlafen.«

Ich behielt den Blick auf die Stadt. »Kannst du mich die ganze Nacht im Arm halten? Genau wie jetzt?«, fragte ich leise.

Ich brauchte ihn einfach gerade. Seine Nähe. Das Gefühl, dass er mich beschützen wird vor allem Bösen.

Rune legte sein Kinn auf meinen Kopf. »Solange du es zulässt. Und-«, er küsste meinen Scheitel, »wahrscheinlich auch dann, wenn du es nicht mehr willst.«

Ich kuschelte mich an ihn ran. »Bitte...lass mich nie wieder gehen. Ich...fühle mich gerade so allein.«

»Du hast mich. Du bist nicht allein. Niemals.«

Ich drückte mich ein Stück weg und drehte mich herum. Dicht vor ihn stehen sah ich zu ihm hoch.

»Es ...Es tut mir leid, dass ich dich liebe. Es tut mir leid, dass ich es gesagt habe. Ich....es ...es tut mir alles so leid.«

Er sah auf mich hinab, legte den Kopf schief und atmete tief ein und wieder aus. Er öffnete die Lippen, schloss sie aber wieder. Dann sagte Rune leise. »Du solltest jetzt wirklich schlafen, mi amore.«

Ich erwiderte seinen Blick. Es war klar, dass er dazu nichts sagte. Dennoch, war es richtig mich so an ihn zu klammern? Ja, er wollte mich. Aber, er liebte mich nicht. Ohne liebe hatte das mit uns doch keine Zukunft.

Und ...

Dad.

Mein Blick wurde traurig und ich drehte meinen Kopf so, dass ich die Stadt wieder sehen konnte.

Dad.

Konnte ich mit all das einfach weiter Leben?

Und was passiert jetzt mit den Schulden?

Werden diese automatisch auf mich übergehen?

Werden sie mich nun direkt bedrohen, wenn ich nicht zahle, statt meinem Vater nur zu drohen.

Was wird meine Mutter sagen, wenn sie davon erfährt?

Was wird Louis dazu sagen?

Kann ich ihm das irgendwann erklären? Wird er dafür Verständnis haben?

So viele Fragen.

Aber ja, ich war müde.

»Ich versuche, zu schlafen. Und du...Du musst dich nicht zwingen. Ich kann auch morgen früh gehen und...und erst einmal bei Louis wohnen oder... oder vielleicht irgendwo anders unterkommen. Ich...ich hätte dich nicht anrufen, dich nicht in meine Angelegenheiten einbeziehen sollen. Wir sind ....nichts....es ist...ich ...ich weiß auch nicht...aber in diesem Moment, da kamst nur du mir in den Sinn. Vielleicht lag es an deine Arbeit ....oder...vielleicht weil ich mich in deiner Nähe sicher und geborgen fühle. Ich weiß es nicht. Aber ich sollte morgen früh gehen. Ich ...Ich muss das allein schaffen. Es tut mir leid.«

Gott! Ich redete nur Müll zusammen. Aber das waren meine wahren Gefühle. Ich hatte Rune und auch Cal mit meinen Angelegenheiten belästigt. Wir sind weder ein Paar noch das, was wir zuvor hatten. Es war dumm. Aber...in dem Moment hat es sich richtig angefühlt ihn anzurufen. Ich wusste, dass sie mich nicht verurteilen würden und es für die beiden nichts Besonderes war. Doch ich hatte Angst vor all dem. Es war nicht meine Welt und nun hatte ich mich strafbar gemacht.

Es war keine Absicht. Dennoch fühlte ich mich schuldig.

Ich drückte mich weg.

»Ich danke dir trotzdem«, murmelte ich und sah ihn nicht mehr an. Ich fühlte mich so dumm. Bestimmt hatte er wichtigeres im Kopf als mich und meine Probleme.

Die Hand von dem Mann, von dem ich mich eigentlich fernhalten sollte, wanderte in meinen Nacken und er beugte meinen Kopf so, dass ich ihn ansehen musste.

»Niemand zwingt mich zu irgendwas und du wirst einen Scheiß tun, und woanders hingehen. Weder jetzt noch morgen früh noch sonst irgendwann. Du bleibst.« Er sah mich bestimmt an und griff in mein Haar. Sanfter als sonst, aber dennoch bestimmend. »Kiana, deine Angelegenheiten sind schon länger meine, als du überhaupt weißt.« Ein leises Lachen entkam ihm. »Viel, viel länger als erst heute Abend. Und wenn du denkst, du musst das alles allein schaffen, dann enttäusche ich dich nur ungerne, aber ich bin hier. Als du am ersten Abend mit mir gekommen bist, hast du dein Schicksal schon besiegelt, Kira«, sagte Rune und benutzte wieder irgendeinen Namen. »Du hörst es nicht gerne, aber du gehörst mir. Und ›allein‹ ist von jetzt an ein Wort, dass du aus deinem Wortschatz löschen kannst.« Er beugte meinen Kopf höher und lehnte sich näher zu mir. »Ich lasse dich nicht gehen. Nicht noch mal. Selbst dann nicht, wenn ich dich dazu zwingen muss, zu bleiben.«

Ich sah ihn an und mein Herz schlug unglaublich schnell. Die Tatsache, dass er schon wieder irgendeinen Namen sagte, ignorierte ich heute mal. »Wieso schon am ersten Abend? Du kanntest mich doch noch gar nicht und willst mir sagen, dass du da schon wusstest das ich dir gehören würde?«, fragte ich leise.

Ich liebte diesen Mann mit allem, was ich hatte. Und wenn ich bei ihm bleiben dürfte, dann war ich mir sicher, dass ich diese schwere Zeit irgendwie überstehen würde. Er war einfach die Sonne in meiner aktuell herrschenden Dunkelheit. Auch wenn er sich selbst als den Eingang zu Dunkeln Seite bezeichnete. So war er für mich viel mehr als das.

Es klang dumm, aber ich glaubte wirklich, dass ich mir schon längst das Leben genommen hätte, wenn es Rune nicht gäbe. Spätestens, als ich von den Hunderttausend Schulden erfuhr.

»Ich sagte dir schon mal, dass ich eine gute Menschenkenntnis habe. Nun, und ich hab in dir eben Potenzial gesehen.«

»Potenzial? Für guten Sex?«, fragte ich und konnte nicht anders als zu schmunzeln.

Gott!

Mein Vater war tot und trotzdem ... wenn ich ihn ansah und er solche Worte zu mir sagte, dann konnte ich nicht anders.

Ich war doch verkorkst.

»Potenzial dafür, mich wahnsinnig zu machen«, verbesserte er und sein Daumen strich über meine Wange. »Potenzial dafür, in meinem Kopf herumzuirren und jeden klaren Gedanken zu löschen. Potenzial dafür, dass ich Dinge tue und sage, die ich sonst niemals täte. UND Potenzial für guten Sex. Vor allem das«, schmunzelte Rune zurück.

Automatisch streckte ich meinen Kopf noch ein Stück höher. »Hört sich mit deinen Worten schon fast wie eine Liebeserklärung an«, gab ich zurück.

Eine Seite seines Mundes wanderte höher. »Nein, das sind nur Fakten. Eine Liebeserklärung wäre es, wenn ich dir in die Augen sehen würde«, er tat genau, dass, »und sagen würde: Tu sei diventata la mia vita, Kiana. Ti amo, mi amore.«

Meine Augen weiteten sich. Die ersten Worte hatte ich nicht ganz verstanden, aber ich wusste ganz genau, was ›ich liebe dich‹ auf Italienisch hieß.

Rune ...

Er hatte mir gerade wirklich eine Liebeserklärung gemacht.

Er liebte mich?

Er liebte mich wirklich?

Ich sah zwischen seinen Augen hin und her.

Und stellte dann die dümmste Frage der Welt: »Bist du sicher?«

Er zuckte mit der Schulter, dann sagte er: »Wenn du jemandem sagst, dass ich das jemals ausgesprochen habe, oder denkst, ich sage das je noch mal, überleg ich es mir vielleicht anders, aber ... ja, ich bin mir sicher.«

Ich musste kurz lachen. Dann ging alles schnell und ich legte meine Lippen auf seine. Ich küsste ihn mit viel Gefühl und als ich wieder von Rune abließ, erwiderte ich: »Bitte, sag es noch einmal.«

Der Mafiaboss kicherte dunkel und beugte sich vor. »Werd bloß nicht übermütig, Kitty Cat.«

Schmollend sah ich ihn an. »Die Worte haben auf Italienisch so wunderschön geklungen. Ich hätte sie aufnehmen sollen, damit ich sie immer wieder anhören kann«, scherzte ich. Dann aber sah ich ihn wieder direkt an und sagte: »Ich liebe dich, Rune.«

»Ich weiß«, sagte er und küsste meine Stirn. »Glaub mir, das weiß ich. Und jetzt, werde ich trinken. Viel trinken und Dinge klären, während du dich hinlegst und schläfst. Morgen«, sagte er und seufzte, »Sieht die Welt schon wieder anders aus. Ich denke zwar, keinen Sex zu haben, nachdem man getrunken hat, ist eine Riesenverschwendung, aber das ist heute wohl eine Ausnahme.« Rune lenkte mich rein und durch das Wohnzimmer. »Ich komme, wenn ich fertig bin zu dir und halte dich. Löffelchen ist zwar auch nur eine Ausrede, um herauszufinden, wie oft du ›aus Versehen‹ deinen Arsch bewegen musst, um meinen Schwanz hart werden zu lassen, aber auch das ignorieren wir heute geflissentlich.«

Ich sah zu ihm nach hinten, während wir durch das Wohnzimmer liefen und im Schlafzimmer landeten.

»Du denkst echt nur an das eine«, meinte ich zwar belustigt, aber mein Blick wurde schon wieder traurig.

Ich nickte zwar, aber fragte: »Was musst du denn klären? Wegen ... meinem Vater?« Ich klang unsicher.

»Ich denke in deiner Nähe ausschließlich, an ›dass Eine‹. Ich sage nicht, dass Sex alles ist. Aber dich zu vögeln ist ziemlich weit oben, auf meiner ›To Do Liste‹, und«- Er sah mich an, »ja, unter anderem muss ich noch Dinge bezüglich des Wichs-« Rune räusperte sich. »Deines Vaters klären.«

Ich blinzelte ein paar mal. »Aber mich zu vögeln scheint sehr oft auf deiner ›To Do Liste‹ zu sein.« merkte ich an und sah dann zu seinem Bett. »Tue, was du tuen musst. Ich werde keine Fragen stellen.« mit diesen Worten lief ich zum Bett und krabbelte unter die Decke. Weiterhin nur mit einem Bademantel, kuschelte ich mich in seine Decke und sah dann wieder zu Rune.

»Auf meiner Liste mit dir steht vieles. Aber alles zu seiner Zeit. Und jetzt ruh dich aus. Ich werde später nach dir sehen.«

Er wandte sich ab und lief aus dem Zimmer.

Ich sah ihm nach.

In meinem Kopf herrschte Chaos. Eine Mischung aus Angst, Trauer, Vorwurf und Glückseligkeit.

Rune liebte mich.

Er hatte es gesagt.

Es war wie Musik in meinen Ohren.

Und der erste Gedanke, dass er es nur tat, um mich von meiner Trauer abzulenken, verflog schnell wieder.

Es war süß, dass er nicht wollte das es jemand anderes mitbekam. Es waren Worte, die allein für mich bestimmt waren.

Das machte mich glücklich.

Ich drehte mich auf die Seite und zog die Decke bis hoch zu meinem Kinn. Ich schloss meine Augen und schlief zu meiner Überraschung sehr schnell ein.

***

Ich zuckte zusammen und wachte schreiend auf.

Blut! Überall Blut.

Meine Augen wanderten an mir herunter und ich zog die Decke weg und schrie wieder. Die Decke: Blut, mein Bademantel: Blut. Meine Hände: Blut.

»NEIN!!«, schrie ich wieder und versuchte, das Blut von dem Bademantel weg zu bekommen. »Macht das Blut weg!!« schrie ich und zappelte im Sitzen mit meinen Beinen herum. »Bitte! Rune....RUNE!!! Hilfe!!! Blut, überall Blut!!«

Ich bekam nur halb mit, dass Rune ins Zimmer stürmte und regelrecht ins Bett sprang. Sie Sonne war schon aufgegangen und die Volle Panik in meiner Miene zu erkennen.

»Ich bin hier«, sagte er ruhig, obwohl seine Körpersprache angespannt war. »Ich bin hier, Angel. Wach auf. Alles ist gut.«

Ich sah von meinem Körper auf und direkt in bernsteinfarbenen Augen. »Rune... Blut.. Ich...« ich sah wieder an mir herunter. »Da war überall Blut.. wirklich...Bitte glaub mir...«, schluchzte ich und sah ihn wieder an.

»Atme. Hier ist kein Blut«, erklärte er ruhig und sah mich ernst an. »Du bist bei mir, Kiana. Du hast geträumt.«

»Kein Blut«, flüsterte ich und berührte den Stoff meines Bademantels.

Ich hatte nur geträumt.

»Entschuldige.«

Kopfschüttend atmete auch er einmal aus. »Entschuldige dich nicht immer, Sweety. Du hast etwas, für dich, Schreckliches erlebt. Du verarbeitest das und das ist okay.« Er rieb sich die Haare. »Nur, versuch das nächste Mal, mir nicht so einen Schreck einzujagen.«

Ich sah wieder Rune an, rieb mir die Augen und musterte ihn. Er hatte Augenringe des Todes und sah unglaublich müde aus. »Wie viel Uhr ist es? Wieso bist du nicht im Bett?«

»Es ist 13 Uhr und ich ... hatte zu tun.« Rune stricht mir über das zerzauste Haar. »Außerdem, hast du so tief geschlafen, dass ich dich nicht wecken wollte, indem ich mich neben dich lege.«

Ich nickte verstehend. »Was hast du bis jetzt zu tun gehabt?«, fragte ich und musterte ihn weiter.

Der Braunhaarige legte sich halb hin und stützte seinen Oberkörper an das Kopfteil des Bettes. »Ich musste Anrufe tätigen und Gelder fließen lassen, wegen der Sache«, sagte er nur und blickte neben sich, auf mich. »Die Feuerwehr kam etwas früher als gedacht zu deinem Haus und hat das Feuer früher gelöscht als es gut war. Sie haben ... Spuren gefunden, die nicht so prickelnd sind. Darum mussten Cal und ich uns kümmern. Wir mussten zudem die Polizei schmieren und die Daten, die beweisen das du je dort gewohnt hast, aus allen Systemen verschwinden lassen.« Rune seufzte. »Und da der Hacker nicht erreichbar war, haben Cal und ich das gemacht.«

Ich drehte mich auf die Seite und legte mich wieder neben ihn. »Also musstest du wegen mir viel Geld und Zeit ausgeben. Es tut mir leid. Ich...Ich kann es dir zurückzahlen und.... Oder... ich...das ist alles so verrückt«, brachte ich nur heraus und rieb mir die Stirn.

Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich der Polizei alles erzählen würde. Aber...die Leiche... nein mein Vater, er war nicht mehr da. Sie würden nach seinem Körper fragen.

Ich sah Rune an.

»Es tut mir leid. Ich ... sobald ich die Schulden von meinem Vater abbezahlt habe, dann zahle ich dir alle Mühen zurück. Ich ... Ich kann das alles nicht so auf mir sitzen lassen«, erklärte ich entschlossen.

Erst die hunderttausend und dann Rune.

Ich würde ihn mit all dem nicht allein lassen.

Das war ich ihm schuldig.

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