Teil 45
45-Rune
Mein Handy klingelte und ich stöhnte genervt.
Ich sollte das Ding einfach wegschmeißen.
»Geh ran«, brummte Cal, der total high neben mir auf dem Sitzsack im Außenbereich saß. »Das nervt.«
Die Augen geschlossen, – weil ich genauso bekifft war, wie mein Cousin – angelte ich nach dem Ding.
»Pronto!«, murrte ich gereizt.
Es herrschte so lange Stille, dass ich kurz davor war, aufzulegen. Doch dann sagte das gegenüber endlich etwas.
»Rune?«
Ich öffnete sofort meine Augen und grinste. »Sieh an. Vermisst du mich, mein Herz?«
Der Spitzname war eventuell etwas gemein, aber dennoch.
Ich richtete mich augenblicklich auf, als Kiana ein kleines Schluchzen entkam und ich begriff, dass sie weinte.
»Rune...« Sie atmete zitternd ein und aus. »Ich ... ich glaube, ich habe meinen Vater ... ich ...«
»Beruhig dich erst mal«, setzte ich an und trat fest an Cals Bein. Er fluchte und sah mich böse an. Mein alarmierter Gesichtsausdruck ließ ihn allerdings hochfahren und automatisiert nach der Waffe greifen. Ich machte den Lautsprecher an.
»Was ist los? Was ist passiert?«
»I ... ich bin nach Hause gekommen. Und ... und plötzlich ... oh Gott ... mein Vater ... er hat ... er hat mich wieder mit meiner Mutter verwechselt.« Sie schluchzte und schniefte ins Handy, während sich alle Muskeln meines Körpers anspannten und ich Cal ansah. Auch in seinen Augen tanzte Feuer. »Das ... das ist nicht das erste Mal. Aber ... diesmal hat ... hat er mich versucht zu ... zu ... vergewaltigen.«
Noch niemals, war diese tödliche Ruhe in mir, so ausgeprägt gewesen.
Noch nie hatte dieses Gefühl mir selbst Angst eingejagt. »Sag mir jetzt ganz genau, was er gemacht hat.«
»Er ... er hat mich angefasst. Mich ... mich ausgezogen ... aus Angst und ... und Verzweiflung ... habe ich eine Flasche genommen.... Und ... Rune ... ich glaube, ich habe meinen Vater umgebracht.« Kiana weinte lauter, doch alles, was ich hörte, war das Rauschen in meinen Ohren. »Ich ... ich bin eine Mörderin ... ich komm ins Gefängnis.«
Er wollte sie ficken.
Seine eigene Tochter.
Er hat sie ausgezogen.
Angefasst.
Cal fluchte und stand synchron mit mir auf. Wir liefen in die Wohnung, in sBüro und ich fragte, während ich mir eine Waffe nahm und Cal noch eine zuwarf: »Bist du zu Hause?«
Er wollte sie verdammt noch mal ficken!
Seine eigene verdammte Tochter!
Er hatte sie verdammt noch mal ausgezogen!
Hatte sie angefasst!
Wenn sie ihn nicht umgebracht hatte, würde ich es tun. Heute. Jetzt. Mit Genuss und einem Lächeln auf den Lippen.
Cal fluchte wieder und lief neben mir direkt zum Fahrstuhl. Ich angelte nach irgendeinem Schlüssel und drückte den Knopf.
Wir fuhren schon hinab, als Kiana endlich Wort zwischen den Schluchzern fand und sagte: »Ja ... ich ... ich sitz hier im Wohnzimmer, in der Ecke, und komm nicht weg. Hier ist überall Blut ... Ich habe Angst ... er ... er ist Tod.«
Cal fluchte zum dritten Mal und ich startete den Motor. »Du bleibst, wo du bist. Wir kommen«, forderte ich. »Mach keinem auf, bis wir da sind.«
Ich legte auf.
»Rune, sie-«
»Ich weiß, halt einfach den Mund.«
Natürlich hörte mein Cousin nicht und fragte: »Was, wenn er nicht tot ist?«
»Egal wie, er wird heute noch im See versenkt.«
Er nickte und wir fuhren rasend schnell zu Kianas Haus.
Ich hielt mich nicht auf, sondern sah zu, wie Cal die Tür eintrat. Binnen einer Sekunde standen wir im Wohnzimmer. Cal, der sofort die Waffe auf den Motherfucker am Boden richtete, kniete sich zu ihm, während ich zielsicher Kiana fand, die in einer Ecke kauerte und den Körper ihres Vaters ansah.
Ich kniete mich in ihr Blickfeld. »Mi amore, bist du okay?«
Ihre Augen fanden meine und sie schüttelte weinend den Kopf. »Ich ... ich bin eine Mörderin. Er ist tot, nicht wahr? Einfach tot!«
Ich sah sie an, nur im Hoodie und Tanga bekleidet. Über die Schulter sehend, sah ich zu Cal, der gerade mit der Pistole an den eingeschlagenen Kopf des Wichsers klopfte.
»Das ist eine Menge Blut«, sagte er unbeteiligt. »Ich vergesse immer wieder, dass Kopfwunden so eine Sauerei machen.«
Ich schnaubte, als Cals Worte Kiana wieder stärker zum Weinen brachten. »Ist er tot?«
Cal wandte den Kopf in meine Richtung. »Also selbst wenn er nicht in seinen gesamten 4 - 6 Litern Blut liegen würde, ist der starre Blick doch ziemlich aussagekräftig, oder?«
Fuck.
Und doch ... Ich genoss es, in die toten blauen Augen zu sehen.
Er hatte es verdient.
Ich unterdrückte das Lächeln und sah wieder zu Kiana. »Du hast dich nur gewehrt. Du wolltest das nicht, also ist es technisch gesehen auch kein Mord.«
»Und ... und wenn mir die Polizei nicht glaubt? Ich komm bestimmt ins Gefängnis.« Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen. »Ich habe ihn umgebracht! GOTT!!! Hätte ich mich doch einfach vergewaltigen lassen!«, schrie ich.
Ich erstarrte und packte ihr Kinn.
Grob.
Gröber als ich es sollte, wenn man bedachte, in welcher emotionalen Lage sie war.
Ich knurrte dunkel und sagte einfach nur: »Nein«.
Cal hinter mir lachte leise, als er sich über den Fakt amüsierte, dass Kiana wirklich dachte, sie würde auch nur mit einem einzigen Cop sprechen.
»Polizei«, schmunzelte er. »Der war gut, Süße.« Mein Cousin stand auf und trat dem Toten ungalant in die Rippen. Dann seufzte er. »Also, See? Oder hast du was anderes vor? Wald? Strand?«
»See klingt vernünftig.«
»Und das Haus?«
»Wie immer.«
Er nickte und ich wandte mich an Kiana. »Hör zu. Cal und ich kümmern uns darum. Du packst jetzt deine Sachen und bringst sie ins Auto. Nimm Amore mit und überlass das uns.«
»Kommt sie mit?«
Ich sah Kiana fragend an, überließ es ihr.
Sie sah mich an, dann Cal und dann ihren Wichser von Vater. Dann schaute sie zu Amore, die leise winselnd neben ihr saß. »Ich ... Ich komm mit.«
Ihre Stimme klang so zerbrechlich, dass ich schlucken musste. »Das wird nicht schön, angelo mio. Das wird nicht würdevoll. Es wird keine Zeit für einen Abschied geben. Kannst du das?«
Sie nahm Amore in den Arm und flüsterte: »Ich ... muss. Ich muss das mit eigenen Augen sehen.«
Einen Augenblick dachte ich darüber nach, ihr das auszuschlagen. Was brachte es ihr, dabei zuzusehen, wie ich ihren Vater in Folie einwickelte und mit Steinen beschwert in einem See versenkte?
Konnte sie das jemals verarbeiten, wenn sie zusah?
Was sah sie in mir, wenn ich derjenige war, der ihren Vater wegbrachte? Endgültig aus der Gesellschaft löschte? Mir lag die Frage, ob sie sicher war, auf der Zunge, doch ...
»Cal, hilf Kiana, zu packen.«
Mein Cousin nickte und kam zu uns. Er kniete sich ebenfalls vor sie und lächelte. »Komm, Süße. Lass uns mal sehen, was du so brauchst.« Er nahm vorsichtig ihre Hand, als müsse er aufpassen das sie nicht zerbrach. »Wir können nicht alles mitnehmen, aber zumindest das, was dir etwas bedeutet.«
Kiana nickte und als sie aufstand, fischte ich ihr den nicht mehr so kleinen Welpen aus dem Arm. Als Kiana protestieren wollte, sah ich sie ernst an.
»Ich bring sie nur schon ins Auto, damit sie uns aus den Füßen ist.«
Wieder nickte sie mechanische und meine Brust stach.
Das war scheiße.
Alles hieran.
Sie sollte sich nicht schuldig fühlen.
Kiana mochte zwar jetzt wieder einigermaßen gefasst sein, aber ich wusste, der große Fall käme noch. Ja, sie hatte geweint und geschluchzt. Doch das ihr Vater tot war, würde sie erst später, wenn sie gesehen hatte, wie er im Wasser unterging, richtig verarbeiten.
Sie würde leiden, würde sich selbst dafür die Schuld geben und ich würde jede Minute davon für sie da sein und sie stützen. So weit ich konnte.
Der Tod meiner Eltern war schon so lange her, dass ich es kaum noch nachempfinden konnte. Ich wusste, es war schwer und ich wusste, dass auch ich gelitten hatte. Doch es war Jahre her und meine Beziehung zu ihnen, nicht so verkorkst.
Die Mutter weg.
Der Vater früher liebevoll und später ein Wichser, der seinesgleichen suchte.
Als sie mit Cal in ihrem Zimmer verschwand, lief ich raus und setzte Amore auf die Rückbank.
Wieder im Wohnzimmer fiel mein Blick auf den Toten. Meine Lippen verzogen sich angeekelt und die Spitze meiner Turnschuhe berührte seine Rippen.
Ich raunte: »Blöder Wichser.«
Langsam sah ich mich in dem Drecksloch um. Mir kam es nicht so vor, als würde hier noch etwas herumliegen, was von Bedeutung war, aber sicher konnte ich mir erst sein.
Gott, Kiana, dachte ich und beugte mich hinab, um die Wunde am Kopf des Mannes zu betrachten. Mein Blick glitt zu der Flasche, die in dem Blut lag und ich zählte eins und eins zusammen. Der Penner musste Kiana auf den Boden gedrückt haben. Und als sie die Flasche zu fassen bekam, musste Kiana wirklich gut getroffen haben. Der Mann war mit ziemlicher Wucht an den Tischrand geknallt. Zu meinem größten Vergnügen war er so dumm aufgekommen, dass es ihn letztlich das Leben gekostet hatte.
Er war nicht sofort tot gewesen.
Das wusste ich.
Aber es hatte nicht lange gedauert, bis der Blutverlust den Bewusstlosen letztlich niedergerafft hatte. Ich würde einen Teufel tun, und Kiana sagen, dass sie ihm wahrscheinlich hätte helfen können, indem sie die Wunde verbunden und den Krankenwagen gerufen hätte.
Diese Last würde sie fertigmachen.
Also blieb es mein Geheimnis. Und das von Cal, der es ebenfalls bemerkt haben musste.
Ich seufzte und zog meine Knarre. Es war zwar kaum wahrscheinlich, aber falls der Wichser doch am Grund des Sees gefunden werden würde ...
Ich drückte den Lauf an die Stelle, die Kiana mit der Flasche getroffen hatte und versuchte, den Winkel so zu setzen, dass die Kugel dort austrat, wo die Stirn an den Tisch geknallt war.
Bam!
Blut spritzte in mein Gesicht und ich fragte mich, wie das bei der Lache möglich war, in der ich hockte.
Ich drehte den Kopf des Toten und besah mein Werk.
»Fuck, nicht ganz«, nuschelte ich fluchend und setzte die Waffe wieder an.
Dann eben auf Nummer sicher.
Bam! Bam! Bam!
Er wollte sie ficken.
Seine eigene Tochter.
Er hatte sie ausgezogen.
Angefasst.
Die durch den Schalldämpfer gedämpften Kugeln, schlugen in der Wand ein und ich drehte den nun ziemlich unschön anzusehenden Kopf noch mal zu mir.
So, jetzt würde es so aussehen, als wäre das die Todesursache. Nicht das es je eine Rolle spielen würde.
Als ich mich aufrichtete und mir das Gesicht abwischte, wandte ich den Kopf und sah in Kianas geweitete Augen.
Scheiße.
»Was ... was tust du da?!« Sie stolperte zurück. »Er ist nicht einer dieser Männer, die du wegen deiner Geschäfte töten kannst! Er ist mein Vater verdammt noch mal!«, schrie sie, griff im selben Moment die Türklinke und rannte aus der Wohnung.
Ich schnaubte und gab Cal ein Zeichen. Er würde sich um den Rest kümmern.
Was hieß, er packte die Leiche ein, brachte sie mit dem Bisschen, was Kiana gepackt hatte ins Auto und zündete dann das verdammte Drecksloch an, dass sie ein Haus nannten.
Ich joggte Kiana hinterher, bis ich sie ein Stück weiter die Straße entlang eingeholt hatte. Schwer atmend griff ich ihren Arm und bremste sie aus.
»Bleib stehen, verdammt noch mal!«
Sofort versuchte sie sich, aus meinem Griff zu befreien. »Lass mich los! Ich muss hier weg! Ich kann das nicht. Ich ... das ist einfach zu viel! Du hast ihm in den Kopf geschossen! Bitte...« Sie fing wieder an zu weinen und sackte zusammen. »Bitte behandle ihn nicht wie die anderen Männer ... er ist mein Vater ... Ich habe niemanden mehr außer meinen Bruder ... Bitte seine Seele soll in Frieden ruhen. Bitte.«
Ich zog sie an mich, presste ihren zitternden Körper an meine Brust und schlang die Arme um sie.
FUCK!
»Kiana«, setzte ich an und entschloss mich letztlich, auch in dieser für sie harten Situation für die Wahrheit. »Seine ›Seele‹ wird ruhen. In der verdammten Hölle. Dafür was er die angetan hat, wie er dich benutzt hat, geschlagen, missbraucht und ... Was auch immer auf ihn wartet, es wir kein schöner Ort. Er ist dein Vater, ja. Für mich ist er jedoch nur ein Penner, der Hand an seine Tochter gelegt hat. Und wenn du ihn nicht aufgehalten hättest, wäre er heute noch einen Schritt weiter gegangen, Kiana. Er wollte dich ...« Ich biss die Zähne zusammen. »Er wollte dich vergewaltigen. Vollsuff hin oder her, das ist nicht zu entschuldigen. Und dafür werde ich ihn behandeln, wie jeden Mistkerl, den ich umlege.« Ich strich ihr übers Haar und küsste ihren Scheitel. »Trauer um ihn, wenn du willst, aber es wird keine Beerdigung geben. Ich frage dich jetzt noch mal: Kommst du mit? Oder willst du, dass ich dich vorher zu mir bringe?«
Kiana krallte sich in mein Oberteil und weinte. Sie schaffte es nicht, sofort zu antworten. Erst nachdem sie mehrere Minuten geheult hatte, hob sie endlich den Kopf. »Nein ... ich ... will ... ich kann das nicht sehen.«
Ich nickte. »Dann komm.«
Sie stützend führte ich Kiana zurück und verfrachtete sie vorsichtig auf die Rückbank zu Amore, die ihr sofort das Gesicht ableckte. Cal, der gerade aus dem Haus lief, nickte. Als er neben mich auf den Beifahrersitz rutschte, schlugen die ersten Flammen aus den Fenstern.
Cal folgte meinem Blick und verzog die Lippen. »Da brennt eine Menge Alkohol.«
Ich biss die Zähne zusammen und sah kurz zu Kiana, bevor ich losfuhr. »Wir bringen sie erst zu mir.«
»Rune, wir haben eine verdammte Leiche im Kofferraum.« Ich schwieg und Cal seufzte. »Perché tutto deve essere sempre complicato?«
»Zitto. Ha appena perso il padre.«
»Era uno stronzo.«
»Spielt keine Rolle«, antwortete ich und lenkte das Auto durch die Straßen. »Und jetzt, halt die Klappe.«
»Wie du meinst, Mann«, brummte er und den Rest der Fahrt blieben wir alle ruhig.
Ich ließ Kiana im Parkhaus aussteigen und Cal brachte sie und Amore in mein Penthouse, während ich schon wieder auf die Straße fuhr.
Ich hielt nicht an. Erst als ich den See erreicht hatte. Dann lief alles recht emotionslos und mechanisch ab.
Ich holte die Leiche aus dem Kofferraum, wickelte sie in Folie und brachte sie zu dem kleinen Boot, dass versteckt an der immer gleichen Stelle auf mich wartete. Ich legte einen dicken Haufen Steine dazu und fuhr dann auf eine zufällig ausgewählte Stelle im See.
Ich wickelte die Folie wieder auf, legte die Steine rein, band alles ordentlich zu und ....
Platsch.
Ein Mensch versank im See.
Und als der Wichser im tintenschwarzen Wasser verschwand, grinste ich.
Ich blieb noch, starrte auf die Stelle und dann fasste ich einen Entschluss. Als ich mich auf den Weg zurückmachte, wurde mir etwas klar.
Etwas, das ich schon wusste.
Etwas, das mir, wenn ich ehrlich war, wohl schon eine Weile klar gewesen war.
Ich würde Kiana nicht gehen lassen.
Nie wieder, denn ... ich liebte sie.
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