Teil 25
25 - Rune
Sie war nicht da.
Weder bei sich zu Hause – wo ich alle zwei Tage wartete, obwohl ich dafür eigentlich keine Zeit hatte, da langsam die Hütte brannte. Noch im Café oder Club – wo ich ebenfalls entweder selbst war, wie in Letzterem, oder davor wartete, wie ein Idiot.
Kiana war Cal, der, wie er selbst sagte, nur einmal auf dem Klo war, davongelaufen.
Schlaues Mädchen.
Ich atmete gepresst, als ich aus der Tiefgarage eines der etwas abseitsgelegenen Stadtteile fuhr, wo sich eins meiner Drogenlager befand.
Es war nicht so, das ich sie nicht hätte finden können, wenn ich es wirklich gewollt hätte. Fuck, mit meinen Geldern und Verbindungen zu wirklich unangenehmen Gestallten, könnte ich sogar den Heiligen Gral finden.
Und ich war nahe dran, sie zu suchen.
Aber ... Etwas hielt mich auf.
Wie sie mich angesehen hatte, an dem Tag, als ihr Don davongelaufen war.
Wie sie mir sagte, es täte ihr leid.
Wie sie gegangen war, ohne sich noch mal zu mir umzudrehen.
Ich ... mochte sie. Sehr.
Und das war beschissen. Für mich und für sie. Denn als Don Costello war das ein Todesurteil für sie, wenn ich nicht wirklich sorgsam war.
Aber gerade passierte so viel. Konnte ich mir die Zeit nehmen, sie so zu beschützen, dass ihr nichts geschah?
»Fuck«, fluchte ich leise und drehte die Musik etwas lauter. Die strategischen Angriffe waren längst nicht mehr alles, um das ich mich kümmern musste. Die Lombardos legten sich wirklich ins Zeug damit, mir meine Macht zu nehmen. Obwohl ich und Cal und die vielen anderen, einiges aufhielten, bemerkte ich sehr wohl, dass manche Mitglieder meiner Organisation langsam Zweifel an meiner Führung hatten – was in meiner Welt gefährlich war.
Sie destabilisierten die wirtschaftliche Grundlage meines Imperiums und untergruben meine Autorität in der kriminellen Unterwelt.
Sam hatte so etwas angedeutet und auch wenn ich wusste, dass ich mich – noch – auf sie verlassen konnte, konnte das sehr bald ganz anders aussehen.
Zusätzlich dazu setzten die anderen rivalisierenden, kleineren Mafiafamilien mittlerweile auf politische Intrigen und Korruption, um Druck von außen auszuüben. Die Wichser schafften es langsam, einige hochrangige Politiker und Gesetzeshüter zu bestechen oder zu erpressen, um meinen illegalen Aktivitäten ein Ende zu setzen, oder zumindest es so zu drehen, dass ich sehr viel mehr zahlen musste, um eben diese zu verschleiern.
Und die Bedrohungen würden sich auf persönlicher Ebene ausweiten, wenn die rivalisierenden Anführer versuchten, Kiana als Druckmittel gegen mich zu nutzen. Ihre Unschuld bezüglich meiner Welt und mein verdammtes Verlangen nach ihr war eine perfekte Waffe gegen mich.
Inmitten dieses Chaos müsste ich also nicht nur um meine Geschäfte, sondern auch um die Frau kämpfen, die ich ...
Selbst in Gedanken stoppte ich meine Worte.
Die ich was? Liebte? Auf meine verdrehte Weise?
Ich wollte sie vögeln. Immer. Doch wenn ich ehrlich war, vermisste ich es auch, einfach mit ihr zu reden. Sie zu reizen, indem ich sie mit falschem Namen ansprach. Zu spüren, wie sie mich ansah. Kiana selbst anzusehen, wenn die es nicht bemerkte. Sie zu küssen.
»FUCK!«, schrie ich diesmal und schlug an der roten Ampel auf mein Lenkrad.
Ich gab gas und grummelte weiter vor mich hin, als ich an dem Krankenhaus vorbeifuhr, in dem Atilla Kitake gegen den Krebs ankämpfte. Ich entschied, einen Schlenker zu machen und ihn zu besuchen. Es war schon sehr lange her und wie ich von Haru wusste, ging es ihm gerade wieder etwas schlechter.
Ich parkte also den Wagen und steig aus. Ich lief den Weg entlang und kurz bevor ich am Eingang ankam, gab mir das verdammte Schicksal ein Zeichen.
Kiana stand dort und unterhielt sich lächelnd mit einem Kerl, den ich anhand seines Kittels als Arzt identifizierte.
Sofort schlug mein Herz schneller.
Ging es ihr gut?
War sie krank? Verletzt?
Ich machte einen Schritt, als ...
Kiana machte einen Hopser und schlang die Arme um den Hals des Typen.
Ich erstarrte, als er seine um sie legte und sie enger an sich zog. Er grinste, lachte dann und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf.
Was zum ...
Wie ich direkt vor sie kam, war mir unbegreiflich, aber ehe ich es bemerkten, konnte, zog ich Kiana schon von dem Penner weg und legte eine Hand an meine Waffe.
»Was soll der Scheiß?!«
Ich starrte den Arzt in Grund und Boden und ich wusste, dass meine Augen selbst durch die in warme, gelb getönte Sonnenbrille, gefährlich loderten.
Der Kerl blinzelte und machte automatisch einen Schritt zurück. Ich bis die Zähne zusammen, als er von mir zu Kiana sah und dann auf den Fleck, wo meine Hand sich rabiat in ihre Haut grub.
»Hey, ich hab keine Ahnung, wer du bist, aber ... Moment, Sie sind Mr. Costello, richtig?«
Ich knurrte und packte hinter meinem Rücken meine Waffe fester. Ein Schuss und er würde Kiana nie wieder so umarmen. Es wäre ein guter Grund, es zu tun.
»Rune«, hörte ich Kiana flüstern und ich erschauerte. Über die Seite sah ich sie an. Ihr Blick lag auf der Hand, die sie gepackt hatte.
Sie drückte sich weg und entfernte sich von mir. Ein Stechen zuckte durch meine Brust und ich atmete flach ein. Bevor mein Blick zurück zu dem Mann huschte. »Wer bist du? Und warum zum Teufel küsst du sie?!«
Meins.
Meins.
»Ich ...« Der Typ wirkte bis zum Äußersten gespannt, doch als er wieder zu Kiana sah, weiteten sich seine Augen ein wenig. »Das ist ER?«
Oh, du blöder Motherfucker! Ja!
Ich bin ER! Ich knurrte leise und kam mir plötzlich mehr vor wie ein Tier, als ein Mann. Wären wir an einem weniger öffentlichen Ort, wäre er schon tot. Das war so sicher wie das verdammte Amen in der Kirche.
Sie nickte dem Kerl zu. Dann sah sie zu mir und in ihrer Stimme hörte man an, wie verletzt sie war. »Was ist dein Problem, Rune? Ich ... ich gehöre dir nicht mehr.«
»Gehören?«, fragte Doktor-Fas-tot nach und hob eine Braue. Dann sah er zu mir und mit einem Mal schien etwas wie Beschützerinstinkt in ihm zu erwachen. Er sah Kiana wieder an und sagte: »Du gehörst niemandem, Kiki.«
»Oh, du irrst dich Arschloch«, fauchte ich und trat sehr dicht an ihn heran. »Sie gehört definitiv an meine Seite. Was mich wieder zu dem Punkt bringt, dass meine Faust gleich deine Nase geradebiegt, wenn du mir nicht sagst, wer du bist!«
Er blinzelte mehrfach, dann lachte er, doch es wirkte kaum belustig. »Ich bin ihr Halbbruder, Mr. Costello.«
Bevor ich mich über seinen höflichen Ton aufregen konnte, trafen mich seine Worte wie ein Stein. Halbbruder?
»Was?«, fragte ich und sah zu Kiana. »Du hast einen Bruder?«
Kiana seufzte und sagte dann zu dem Doktor: »Es ist kompliziert, Louis.« Dann sah sie wieder mich an. »Ja, er ist mein Halbbruder. Anscheinend hat Cal seine Arbeit nicht richtig getan«, merkte sie an und schüttelte den Kopf. »Du benimmst dich wie ein Idiot, Rune.«
Ich öffnete den Mund und ... schloss ihn wieder. Dann wandte ich mich an den Kerl, der ihr verdammter Bruder war, und nahm Abstand.
»Ich entschuldige mich für die Umstände. Es ist ... kompliziert«, wiederholte ich Kianas Worte und als ich noch einen Schritt zurückmachte, traf mein Blick ihren. Ich befeuchtete mir die Lippen, ließ den Griff der Knarre los und nickte. Ich machte Anstalten zu gehen, als der Doc mich mit, seinen leider zu laut geflüsterten Worten, aufhielt.
»Rune Costello ist dein Sugardaddy? Shit, Kiki. Warum hast du das nicht gesagt?«
Dass er meine Namen kannte, war klar. Denn die Belege, mit denen ich Atillas Rechnung zahlte, liefen tatsächlich auf meinen echten Namen. Das heißt, Ärzte, die diesen Fall kannten, wussten, wie ich hieß. Ein Fehler, den ein jetzt sehr toter meiner Männer gemacht hatte, dem ich dummerweise damals ebenfalls meinen echten Namen anvertraut hatte.
Ich sah Kiana an und hob eine Braue. »Sugardaddy?«
»Scht! Nicht so laut«, zischte sie Louis an und sah dann aber zu mir. Ihre Wangen wurden leicht rot. »Du ... Du musst dich verhört haben.«
Bei ihrer Lüge zuckten meine Mundwinkel.
»Hm«, machte ich nur und kreuzte die Arme vor der Brust. »Also ging es dir um mein Geld, ja?«
Der Scherz war nicht als solcher zu erkennen, denn meine Miene blieb unbewegt.
Sie blinzelte einmal und schüttelte den Kopf. »Nein, bestimmt nicht. Ich konnte meinem Bruder nur nicht erklären, von wem ich plötzlich ein neues Handy bekommen habe«, erklärte sie ernst und sah mich verletzt an. »Mir ist dein Geld egal, sowie meine Gefühle für dich egal sind.«
Scheiße.
IHRE Gefühle für mich.
Ihre GEFÜHLE für mich.
Ihre Gefühle für MICH.
»Lass uns einen Kaffee trinken gehen, Kitty.«
Kiana presste die vollen Lippen zusammen und sah mich eine Weile an, bevor sie dann den Blick fragend, ja fast hilfesuchend zu ihrem Bruder wandte.
Ich wandte mich nicht von ihr ab, sondern sah sie weiter einfach nur an. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass ihr Bruder mit der Schulter zuckte, jedoch leicht nickte.
Gut, so.
Ich wartete.
Komm schon mein Mädchen. Sei brav, komm mit mir. Komm mit dem Wolf.
Letztlich umarmte sie ihren Bruder und sah mich abwartend aber enttäuscht an.
Nickend lief ich los und steuerte den dunkelblauen Maybach an. Ich entriegelte und öffnet die Tür für sie.
Sie blieb stehen und starrte ins Auto. Dann wanderte ihr Blick zu mir. Wir sahen uns einander an. Es herrschte Stille, bis sie leise sagt: »Danke.«
Ich nickte nur und stieg dann selbst ein. Langsam fuhr ich zu einem kleinen Platz, der mehr eine Wiese mit zwei Bäumen und der Statur eines Satyr war, denn ein Park, aber der Kaffeestand, der dort verkaufte, hatte nun mal den besten Espresso, den es in der Stadt gab.
Ich bestellte zwei Kaffee und gab dem Mann, wie immer, ein gutes Trinkgeld. Dann lief ich in den Park und ließ mich auf einer Bank nieder, auf die sich auch Kiana setzte. Mit viel zu viel abstand.
Es dauerte eine Weile und den halben Espresso, bis ich etwas sagte.
»Wieso hast du das Handy nicht behalten?«
»Ich wollte nicht gefunden werden. Die anderen Sachen, bekommst du auch noch zurück.«
»Hm«, machte ich nur wieder und lehnte mich zurück. »Und dennoch sitzen wir jetzt hier. Zusammen.« Ich nippte an dem Heißgetränk – sah ebenfalls gerade aus. Ich ... Fuck. Wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. »Wen du sie Sachen wirklich zurückgeben willst,« setzte ich an, »dann bring sie zu mir. Ich habe, irgendwo, noch die Quittungen rumliegen. Ohne die kommst du wohl nicht weit.«
»Gut. Mache ich.«
Mein Kiefermuskel spannte sich an und zuckte.
Meine Gedanken kreisten. Von hier, nach da und wieder zurück. Was wollte sie hören? Das ich sie liebte? Nein, Kiana wusste, dass ich das nicht sagen würde. Selbst wenn es so wäre. Tat ich es? Liebte ich sie? Nein. Was ich für sie fühlte, war irritierend und das ich es tat, war an sich schon etwas, mit dem ich mich befassen musste. Aber Liebe? Nein. Nein. Nein.
Ich atmete ein und wieder aus, aber es kamen immer noch keine Worte.
Wie klärte ich das? Wie bekam ich ... sie zurück?
FUCK!
Ich rieb mir die Haare und verwuschelte sie unnötig. Mein Bein begann auf und ab zu wippen.
»Warum hast du nie erwähnt, dass du einen Bruder hast?«
»Du hast mich nie gefragt«, antwortete sie knapp und schmiss den leeren Becher in den Mülleimer neben ihr. »Ach ja stimmt. Wieso solltest du auch? Du hast ja alles, was du wissen wolltest von Cal erfahren, der mich angeblich beschützt hat.«
Ich biss die Zähne zusammen. Wenn sie mich zurücknahm, würde ich sie für dieses Gespräch ans Bett fesseln und ficken bis sie die Besinnung verlieren würde. Und das war definitiv nicht übertrieben und wortwörtlich gemeint.
»Du weißt, warum ich das mit Cal veranlasst habe. Was willst du von mir hören? Das ich es bereue? Nein. Ich würde es wieder tun.«
Sie atmete genervt aus und sah mich endlich an. Mein Blick kreuzte ihren.
»Ich weiß, du bist ein ganz gefährlicher Club-Besitzer mit Anhang.« Sie schüttelte den Kopf. »Du hättest mich fragen können. Mich kennenlernen können, dann hätte ich dir von meinem Halbbruder erzählt, von MIR erzählt. Aber nur weil du mir von dir fast gar nichts erzählst, glaubst du, dass es ausreicht, alles durch Cals Recherchen zu erfahren, weil er mich ja beobachtet?«
»Er hat auch die städtische Datenbank nach dir abgesucht. Immerhin ist er kein Amateur. Die Sache ist nur, bis dahin wusste ich nicht, dass mir die Info wichtig werden könnte, dass du einen Bruder hast.«
Sie stand abrupt auf und ich sah sie an. »Du bist doch verrückt.« Sie stemmte die Hände in die Hüfte. »Was ist bitte daran so wichtig? Mein Gott! Ich habe Gefühle für dich, Rune! Denkst du echt, dann hau ich ab und treffe mich sofort mit dem nächsten Typen? Was glaubst du eigentlich, wer ich bin?«
Ich erstarrte.
Geh. DAS sollte ich sagen. Ich sollte ihr sagen, dass sie verschwinden musste, wenn ihr Herz heil bleiben sollte.
Verschwinde! Lauf so schnell du kannst.
Doch was ich sagte, als ich ihre Hand nahm und sie sacht auf meinen Schoß zog, war: »Ich würde dich jederzeit mit Don spazieren lassen. Alleine.« Sie blinzelte mehrfach und sah mich verwirrt an. Dann hoben sie eine Augenbraue. »Alleine? Ach? Deine letzten Worte klangen aber noch anders. Wieso der Sinneswandel?«
Wieder malte mein Kiefer, doch meine Hand legte sich an ihre Hüfte und zog sie enger an mich. Meine Finger blieben dort und mein Daumen bewegte sich massierend. »Don ... mag dich. Und ich denke, er wäre nicht glücklich, wenn du ihn nicht weiterhin mit Futter vollstopfen und gelegentlich bei uns zu Hause vorbeischauen würdest.« Ich sah wieder auf die Parkwiese. »Das er weggelaufen ist, tut ihm leid. Und ... ich hätte wohl auch etwas anders reagieren müssen.«
Das war das, was ich ihr zugestehen würde.
Eine Entschuldigung auf meine Weise.
Sie sah mich überrascht an. Dann schmunzelte Kiana und kicherte leise, sodass ich endlich innerlich aufatmen konnte.
»Ich wusste gar nicht, dass Don auf seine Art und Weise so süß sein kann.« Kianas Hände wanderten über meine Brust, hoch zu meinem Hals und sie legte sie in meinen Nacken. »Hat Don mich auch vermisst?«
Ich sah zu ihr hoch. »Wir reden nur über Don, also ...« Ich leckte mir die Lippen. »Es waren sehr einsame zwei Wochen, mi amore.«
Kiana umfasste mit beiden Händen mein Gesicht und beugte sich so nah an mich, dass ich sie fast schmecken konnte. »Also ich habe Don sehr vermisst.«
Mein Herz hüpfte, als ich in ihre hellblauen Augen sah, doch ich ignorierte es. »Torna da me, per favore, Kiana.«
Ich hauchte es ebenso an ihre Lippen, wie sie die Worte zuvor über meine hat gleiten lassen.
Ihr grinsen wurde breiter. »Ich würde nichts lieber tun.«
Als ich meine Lippen auf ihre legte und sie mit einer so wilden Inbrunst küsste, dass mir dabei ein Knurren entkam, nahm ich mir vor, diese kleine Hexe so schnell nicht wieder gehen zu lassen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top