Kapitel 6, Flashback Jung Hoseok Teil 1, Seoul, 05.12.2020 [Seoul, 01.2013]

Jung Hoseok [Flashback]:

Es ist still um mich herum, während ich schweigend die Sachen zusammenpacke, die mir am wichtigsten sind. Der Zug wird in wenigen Stunden abfahren und obwohl ich in mir drinnen einen tiefen Schmerz verspüre und den Gedanken trage, die Jungs im Stich zu lassen, so ist meine Entscheidung doch gefallen. Ich werde Big Hit Entertainment verlassen. Heute. Unwiderruflich.

Es ist keine leichte Entscheidung. Nein, bei weitem nicht und allein an das Chaos der vergangenen Tage zurückzudenken, sorgt dafür, dass sich mir der Magen umdreht. Es hat elend lange Gespräche gegeben. Diskussionen mit den Jungs, mit dem Management, ja sogar mit Bang-nim selbst. Ich habe mich so oft wiederholt, meine Gründe darlegt und mich erklärt. Es fällt mir schwer, alles zurückzulassen, wofür ich die letzten zwei, fast drei Jahre meines Lebens gearbeitet habe. All den Schweiß, das Blut und die Tränen als umsonst vergossen zu empfinden und mir einzugestehen, dass mein großer Traum gescheitert ist.

Gerade ich, der für alle immer so hart gekämpft hat. Sie beim Training an ihre Grenzen und darüber hinaus getrieben hat. Sie motiviert und dazu bewegt hat, weiterzumachen, egal wie sehr einem die Füße brennen oder die Kehle schmerzt. Doch jetzt habe ich mein Limit erreicht. Es schon lange überschritten.

Die ganzen Vertröstungen, der Skandal mit GLAM, die vielen schlaflosen Nächte, die ich damit verbracht habe, mir Sorgen zu machen. Die Gesichter meiner Kameraden, die längst Freunde geworden sind. Einige von ihnen sogar wie richtige Brüder. Vor allem Namjoon und Yoongi-hyung, die mir so viel beigebracht haben. Jungkook und Jimin, meine Tanzbrüder, die ihre eigenen Stile haben und doch ein unglaubliches Talent. Taehyung und Jin, ohne die das hier nicht funktionieren würde. Ihre traurigen, wütenden und enttäuschten Gesichter verfolgen mich jetzt noch.

Sie alle haben versucht, mich umzustimmen, doch ich habe mich nicht umstimmen lassen. Ich sehe keinen Zweck mehr in diesem Projekt. Big Hit ist ein so kleines Entertainment und unsere Manager selbst haben gesagt, dass sie uns nicht sagen können, wann wir debütieren werden. Oder ob wir es überhaupt werden. Natürlich nicht so direkt, doch ich habe es in ihren Gesichtern gesehen. Gerade erst hat Trinity-noona GLAM verlassen und der Imageschaden ist immens. Big Hit und Source Music haben unglaublich viel Geld in dieses Projekt gesteckt und es ist nicht abzusehen, ob die Investitionen sich lohnen. Und wir wurden erst einmal auf die Ersatzbank geschoben. Schon seit Monaten, sei dem der Skandal bekannt wurde, sind alle hier unermüdlich damit beschäftigt, den Schaden einzudämmen. Doch gegen eine Fangemeinde von Super Junior kommen wir nicht an.

Natürlich haben wir versucht, weiterzumachen. Haben härter trainiert, um synchroner zu tanzen und aggressiver zu rappen. Doch viel gebracht hat es nicht. Wir alle sind ausgebrannt, reizbar und am Ende unserer Kräfte. Und es ist abzusehen, dass einer von uns irgendwann die Reißleine ziehen wird. Ich muss allerdings zugeben, dass ich nicht damit gerechnet habe, dass ich derjenige sein werde. Aber jetzt ist es so.

Deshalb sitze ich grade hier und packe meine Sachen. Zumindest das Nötigste und mir Wichtigste. Es ist still im Dorm, denn keiner ist hier. Ich habe die anderen gebeten, mich allein packen zu lassen, und nur widerwillig haben sie zugestimmt. Nun alle bis auf einen. Jungkook ist hier. Ich höre immer wieder leise Geräusche aus dem Nebenraum. Viel Platz und Möglichkeiten gibt es hier nicht. Raum und Zeit, mal für sich allein zu sein, schon mal gar nicht. Wir alle schlafen in einem Raum und dann gibt es unser Badezimmer, unser Klamottenzimmer, weil im Schlafraum nicht genug Platz ist, und den Gemeinschaftsraum mit Küche. Es ist eng hier und ich weiß gar nicht, wie ich so lange hier leben konnte. Zusammen mit gleich sechs Jungs, die so anders sind als ich. Aber wir haben es hinbekommen und die meiste Zeit war es sogar wirklich schön. Ich werde es vermissen. Genauso wie vieles andere.

Ich scanne den Raum und schaue, ob ich irgendetwas vergessen habe. Aber ich kann nichts entdecken, was heißt, dass ich alles haben muss. Die Sachen aus dem Badezimmer und der Garderobe habe ich direkt als Erstes eingesammelt. So bleibt mir nur noch, den Koffer zu schließen und damit diesen Teil meines Lebens abzuschließen.

Mit einem Seufzen drehe ich die Cap auf meinem Kopf herum, sodass der Schirm mir tief ins Gesicht hängt. Meine Augen sind feucht und mir ist zum Heulen zu Mute. Aber ich habe mir geschworen, nicht zu weinen. Stark zu sein, bis ich allein bin. Und so ziehe ich mit einem Ruck den Reißverschluss meines Koffers zu und stehe schwerfällig auf. Ich verbiete mir, mich noch einmal umzusehen, und verlasse dann den Raum, um in den Flur zu gehen. Dabei muss ich aufpassen nicht über die vielen Schuhe und anderen Klamotten zu stolpern, die hier immer herumfliegen. Ordnung halten ist nun wirklich nicht möglich, egal wie sehr Jin es versucht hat.

Es ist dieser Gedanke, der mir ein kleines, trauriges Lächeln auf die Lippen legt. Die Tränen drücken immer fester gegen meine Augen. Vor allem, weil ich deutlich einen Blick im Rücken spüre. Ich sollte gehen, und zwar schnell. Soll ich mich noch verabschieden? Eigentlich habe ich das schon, als die anderen alle gegangen sind. Wohin weiß ich nicht? Ich bin nur froh, dass sie nicht hier sind. Und selbst wenn es ein Arschlochmove ist. Ich sollte einfach gehen und so setze ich meinen Weg fort, greife nach der Türklinke und will es durchziehen.

Jeon Jungkook [Flashback]:

Hätte ich mich damals für eines der größeren Entertainments entschieden, wäre ich jetzt vielleicht nicht in dieser Lage. Aber ich hätte auch nicht diese wundervollen Menschen kennengelernt, die mich zu einem völlig anderen Jungkook haben werden lassen. Neunzehn lange Monate habe ich bereits mit den meisten von ihnen verbracht und ich will keinen von ihnen mehr missen. Es sind schon zu viele gegangen, die ich in mein Herz geschlossen habe. Jetzt in dieser schwierigen Situation ausgerechnet den Freund zu verlieren, der für mich wie ein Vaterersatz ist, bricht mir das Herz. Ich habe es nicht geschafft, seinem Wunsch nachzukommen, und bin im Dorm geblieben. In der Hoffnung, dass mir in diesen letzten endgültigen Minuten irgendetwas einfällt, wie ich ihn davon überzeugen kann zu bleiben. Mein Kopf qualmt schon und ich gehe jedes Gespräch noch einmal durch, das wir in den letzten Monaten geführt haben. Doch am Ende finde ich keine Lösung. Er - unsere Hoffnung - hat die Hoffnung in unsere Vision verloren.

Er hat versucht, uns zu erklären, was ihn zu dieser Entscheidung bewegt hat. Dass es vor allem die Ungewissheit ist, die ihn regelrecht zerstört. Dazu kommt das harte Training, welches wir auf ein Level getrieben haben, dass für einen normalen Menschen nicht ertragbar ist. Wir sind alle durch, haben Angst und wollen einfach nur Debütieren, aber die finanzielle Situation von BigHit lässt es nicht zu. Wir sitzen auf heißen Kohlen. Natürlich habe ich Angst, dass all unsere Mühen umsonst sind, aber ich bin nicht bereit uns aufzugeben. Genauso wenig, wie ich Hoseok aufgeben will. Er gehört zu uns und ohne ihn ist Bangtan Sonyeondan nicht Bangtan Sonyeondan.

Beinahe verpasse ich meine Chance, da ich so in Gedanken vertieft bin, dass ich nicht mitbekomme, wie er durch den Gemeinschaftsraum kommt und sich regelrecht an mir vorbeischleicht. Sofort springe ich auf und stolperte über meine eigenen Füße.

„Hoseok!? ...", sage ich mit wackeliger Stimme. Sie bricht fast sofort weg und die ersten Tränen kullern über meine Wangen. Er zieht es wirklich durch. Er hat mich nicht einmal mehr in den Arm genommen, sondern will einfach verschwinden. Auf Nimmerwiedersehen. Mir schnürt es die Kehle zu, allein bei dem Gedanken, dass er uns verlässt.

„Geh nicht ..." Wieder bricht mir die Stimme weg. Ich stehe jetzt fast vor ihm, strecke meine Hand nach ihm aus und sehe ihn an. Er steht mit dem Rücken zu mir, die Hand auf der Türklinke, die ihn aus unserer Welt katapultieren wird. Wenn Hoseok jetzt durch diese Tür geht, dann - Ich schüttle den Kopf. Ich will das nicht. Tränen über Tränen kullern über meine Wangen.

„Du ... ich will nicht ... dass du gehst", bringe ich schluchzend hervor, überwinde den Anstandsabstand und schlinge meine Arme um ihn. Sofort presse ich mich gegen seinen Rücken, drücke mein Gesicht in seine Jacke und weine bitterlich. Meine Finger bohren sich schmerzhaft in seinen Bauch und meine Arme klammern so fest um ihn, dass er vermutlich Schwierigkeiten hat zu atmen.

Jung Hoseok [Flashback]:

Da ist sie. Diese dünne Stimme, die ich viel zu oft gehört habe. Nicht so weinerlich, nicht so tränenschwer und doch genauso brüchig und unsicher. Jungkook. Unser Maknae. Der Jüngste von uns allen und doch der mit dem größten Talent. Ich weiß noch, was für Luftsprünge wir gemacht haben, als unser CEO uns mitgeteilt hat, dass er jemanden gewinnen konnte, der Angebote von allen großen Entertainments hatte. Wie aufgeregt und zugleich ängstlich wir waren. Weil wir Angst hatten vor diesem Menschen. Und dann war es dieser schmächtige Junge, der kaum die Zähne auseinander bekam, schüchtern und fast ängstlich war und zu dem keiner von uns schnell Zugang fand. Zumindest nicht wirklich, bis Jimin und Taehyung zu uns stießen.

Jungkook hat sich so verändert in diesen zweieinhalb Jahren und ist für mich so wichtig geworden, wie jeder andere der letzten Aufstellung. Das wäre es gewesen. Wir sieben haben es geschafft und sollten debütieren. Noch heute klopft meine Brust so stark wie damals. Aber es ist nicht mehr Aufregung, sondern Angst geworden und ich kann so nicht mehr weitermachen.

Der Griff um den Koffer wird fester und mein Blick starr und ängstlich. Ich spüre ihn genau, wie er hinter mir steht und sein Blick sich in meinen Rücken brennt. Wie er hadert und wie seine Stimme zittert. Dieses „Geh nicht ..." zerreißt mir das Herz und ich kann nicht länger gegen die Tränen ankämpfen. Ich mache kein Geräusch und doch rollen sie mir über die Wangen. Meine Hand an der Türklinke zittert und obwohl ich sie nur herunterdrücken müsste, ist es auf einmal so unendlich schwer.

Es gibt ihn noch in mir. Diesen einen kleinen Funken, der genauso wenig gehen will. Der weitermachen und diese Jungs nicht verlassen will. Doch was wäre der Preis? Ich bin zu jung, um mich jetzt schon kaputtzumachen für etwas, was nicht gewiss ist. Unser Debüt ist ein großes Fragezeichen und ich bin nicht bereit meinen Körper dafür zu opfern. Die Schmerzen sind jetzt schon beinahe alltäglich, das Zittern meiner Glieder dazu. Schlafstörungen und schlechte Träume, ein kaum vorhandenes Hungergefühl. In den letzten zwei Monaten habe ich fast fünf Kilo verloren. Zu viel, was schon des Öfteren dazu geführt hat, dass unsere Manager und Ernährungsberaterin zu Gesprächen gebeten haben. Dreimal wurde mein Diätplan verändert und ich sollte wieder zunehmen. Doch es ist gescheitert, weil ich nicht mehr essen konnte.

Nein. Ich kann nicht bleiben. Ich muss gehen und das am besten so schnell wie möglich. Ich kneife meine Augen zusammen und erhöhe den Druck auf die Klinke, die beginnt nachzugeben. Doch dann spüre ich ihn. Jungkooks Arme schlingen sich fest um mich und auf einmal ist sein ganzer Körper an mich gepresst. Dazu seine Worte. Ich habe sie so oft in den letzten Wochen gehört. Er will nicht, dass ich gehe. Das weiß ich. Keiner will es und doch muss es sein. Es muss ... es ...

Ich höre sein bitteres Schluchzen und kann nicht mehr an mich halten. Auch mir entrinnen Schluchzer und ein regelrechter Sturzbach an Tränen ergießt sich über mein Gesicht. Meine Hand rutscht von der Klinke und ich presse sie fest auf Jungkooks. Verdammt ... genau deswegen habe ich gewollt, dass niemand hier ist.

„Jungkook ... bitte ... bitte ... lass ... mich los ...", schluchze ich und doch wird sein Griff nur fester, verzweifelter. Er umschlingt mich so sehr, dass ich kaum atmen kann. Aber das ist nur die Verzweiflung. Ich muss stark bleiben. Ich muss. Ich kann nicht mehr.

„Jungkookie ... bitte ...", wimmere ich und umgreife seine Hand und versuche, sie von mir zu lösen.

Jeon Jungkook [Flashback]:

„Ich kann nicht", schluchze ich bitterlich und kralle mich fester in seine Jacke. Mein Körper ist steif, wie eingefroren. Ich will mich nicht bewegen und ihn nicht loslassen. Allein der Gedanke, dass er durch diese Tür geht, zerstört mich. Und selbst als er versucht meine Hand zu lösen, lasse ich es nicht zu.

„Du gehörst zu uns ... bitte ... ohne dich ... bitte ... tu uns das nicht an ... tu mir das nicht an. Ich brauche dich." Ich kann meine Stimme kaum kontrollieren. Sie zittert und ist total belegt, aber ich muss es doch schaffen einen Punkt zu treffen, der ihn überzeugen kann. Es muss etwas geben. Nur was? Mir fällt nichts ein und mein Weinen wird heftiger. Ich bekomme kaum Luft, während ein Schluchzer nach dem nächsten meine Kehle verlässt. Noch nie habe ich so schlimm geweint. Es tut weh und ich bekomme kaum einen richtigen Gedanken gefasst. Hoseok nicht gehen zu lassen, ist alles, an was ich denken kann.

Jung Hoseok [Flashback]:

Jungkook ist hartnäckig, packt mich nur fester und krallt sich mehr an mir fest. Wieso tut er das? Wieso macht er es mir so schwer? Es ist offensichtlich. Er will mich nicht gehen lassen, wie er mir weiter unter Tränen zuraunt. Alles in mir zieht sich zusammen. Ich weiß doch ... ich weiß es doch.

„Jungkookie ... wir ... wir haben das besprochen. So oft ... du kennst die Gründe ...", bringe ich schwer zwischen meinen Lippen hervor. Mein Körper bebt wie seiner und das Weinen und Schluchzen macht es mir schwer verständlich zu sprechen. Am liebsten will ich mich umdrehen und ihn in den Arm nehmen. Doch, wenn ich das zulasse, dann ist es vorbei. Wenn ich ihm jetzt in die Augen sehe, dann schwindet bei mir der letzte Rest Willen und ich bleibe doch. Aber wozu? Wofür? Und zu welchem Preis?

Ich nehme einen festen Atemzug und versuche, mich zu beruhigen, zu stabilisieren, während Jungkook hinter mir immer mehr zerbricht. Verdammt ... es tut so weh, ihn so zu hören und zu fühlen. Aber es bringt nichts. Er kann mich nicht umstimmen. So lasse ich meinen Koffer los und greife mit beiden Händen nach seinen und umschließe sie fest.

„Kookie ... bitte lass los ... ich will dir nicht wehtun ...", flehe ich ihn an. Aber er lässt nicht los, krallt sich noch enger an mich und ich schließe gequält die Augen.

„Du kannst mich nicht umstimmen, Jungkook-ah. Ich muss gehen ...", sage ich mit, selbst für mich, unerwarteter festen und harten Stimme. Und dann packe ich fester zu, zwinge seine Hände auseinander und löse mich aus der Umklammerung. Doch ich lasse nicht los, drehe mich um und presse ihn an mich, halte seine Hände aber fest.

„Mach es uns beiden nicht so schwer. Es sind so viele gegangen, hm? Diesen einen Abschied schaffst du. Ich glaube an euch, okay? Ihr packt das, was ich nicht gepackt habe. Bleibe stark, Kookie." Ich drücke ihm einen Kuss auf den Schopf und dann schubse ich ihn von mir. Kräftig genug, dass er stolpert und hinfällt. Und es tut mir weh. Doch es ist die einzige Chance.

Bevor er sich aufrichten kann, greife ich nach meinem Koffer, wirbele herum und öffne die Tür. Ich höre sein bitterliches Weinen und wie er meinen Namen ruft, doch dann fällt die Tür zu und ich rase nur die Treppen herunter und flüchte regelrecht in das unten wartende Taxi. Und erst da ... erst da erlaube ich es mir zusammenzubrechen und hemmungslos zu weinen.

Fortsetzung folgt


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