Kapitel 24 - 17. Skorpion

Kapitel 24: 17. Skorpion

Nora wurde immer nervöser, während sie durch die Gänge des Labyrinths lief und sich fühlte, als würde sie im Kreis laufen. Was wohl der Sinn eines Labyrinths war. Dennoch war Nora nicht so begeistert davon. Sie wollte im Grunde nur noch hier raus. Aber so wie es aussah musste sie sich erst einmal trauen, einen dieser Nebelschleier zu durchschreiten, um an ihre Prüfung zu gelangen. Nur war sie bisher nicht ein einziges Mal an einem vorbei gekommen. Langsam wurde sie unruhig. Was, wenn es für sie keine Prüfung gab? Vielleicht wollte man sie nicht hier haben? Immerhin galt sie unter den Schattenwandlern als Ausgestoßene. Auch wenn es hier Leute gab, die sie akzeptierten, konnte sie nicht davon ausgehen, dass es auch die Lehrer taten.

Mit jedem Schritt, den Nora tat, stieg die Angst weiter in ihr, bis sie in einen Gang einbog und fast einen Freudenschrei von sich gegeben hätte, als sie den Nebelschleier erkannte.

Nun kam die Nervosität vor der Aufgabe zurück und sie trat langsam auf die Tür aus Nebel zu. Ganz vorsichtig streckte sie zuerst eine Hand hinein und als sie spürte, dass nichts passierte, folgte ihr restlicher Körper, bis sie durch die andere Seite des Nebels durchbrach.

"Nora?", wurde sie fragend begrüßt und blickte auf und direkt in Arlins Gesicht.

"Was machst du denn hier?", fragten beide Frauen gleichzeitig, weil sie davon ausgingen, dass jeder seine Prüfung alleine machen musste.

Kurz blickten sie sich an, bevor Arlin leise zu lachen begann. "Wenn wir das zu zweit machen sollen, ist mein Problem gelöst", erklärte Arlin plötzlich und deutete auf zwei Statuen, die auf Sockeln standen.

Eine Figur wirkte wie ein Krieger mit Schwert und Schild und die andere wie ein Magier mit einem Buch.

Nora betrachtete beide Figuren nachdenklich und entdeckte ganz deutlich Druckplatten davor.

"Gibt es Hinweise dazu?", fragte sie und würde sich wohl auf die Druckplatte der Magierstatue stellen.

Arlin schüttelte den Kopf. "Nein und es ist egal auf welche Platte ich mich stelle, es passiert nichts", erklärte sie und drehte ihre leicht gelockte, kuperrote Strähne zwischen den Fingern.

"Heißt wir sollen uns zusammen draufstellen?", fragte Nora unsicher und Arlin nickte.

"Versuch macht klug", erwiderte Arlin mit einem Schmunzeln und stellte sich auf die Druckplatten des Kriegers.

Nora hingegen wirkte noch ein wenig unschlüssig. Sie war sich sicher diese Figuren schon einmal gesehen zu haben, aber wo.

"Na komm schon", drängte Arlin mit einem Grinsen und Nora seufzte, bevor sie sich auf die Druckplatte stellte und tatsächlich etwas aktiviert wurde. Ein Summen erklang und Magie wurde ausgelöst.

"Das sind übrigens Spieler und Spielfigur aus dem Spiel Shirach", erklärte Arlin mit einem vorfreudigen Lachen, dass Nora nicht verstehen konnte, bis die Information in ihrem Kopf ankam. Shirach? War das nicht dieses Spiel, das man zu viert spielte?

Nora sah zu, wie der magische Nebel sie einhüllte und kurz darauf fand sie sich vor einer Art Tisch wieder. Ein Stapel Karten und Würfel waren ebenfalls darauf gelegt und wenn sie nach vorn blickte erkannte sie ein riesiges Spielfeld mit mehreren Feldern, die alle noch leer waren.

Die Schattenwandlerin schluckte. Sie kannte dieses Spiel. Wer kannte es nicht? Aber sie hatte es noch nie selbst gespielt. Immerhin brauchte man dazu einen Partner und die passende Ausstattung.

Unten auf dem Spielfeld tauchte Arlin auf. Sie würde für diese Runde die Spielfigur sein. Nora hingegen hatte sich dazu entschieden den Spieler zu machen. Mehr oder weniger freiwillig.

Ihr Blick glitt auf das Pult, das ihr gegenüber stand und sie entdeckte eine junge Frau mit langen, tiefschwarzen Haaren und Augen in einer orangenen Farben, die einen leicht arroganten Ausdruck besaßen.

Sie würden dieses Spiel also wirklich gegen ein anderes Team spielen. Aber Nora kam diese Person nicht bekannt vor. Sie konnte nicht sagen, dass sie für einen Schüler zu alt war, da sämtliche Altersklassen hier auf die Schule gingen. Aber sie hatte diese auch nicht unter den Anwärtern gesehen.

Außerdem, wie Nora erst jetzt auffiel, trug sie den violetten Mantel der Lehrer. Auch wenn sie den nicht normal an hatte und er wirkte wie ein über die Schultern gelegtes Tuch. Leider konnte man durch das Pult, vor dem sie stand, ihren Unterkörper nicht näher erkennen.

"Nora? Hast du schonmal Shirach gespielt?", fragte Arlin skeptisch und Nora wunderte sich, woher ihre Stimme kam. Als sie sich umsah bemerkte sie eine kleine Kugel Licht neben sich, die wohl Arlins Stimme übertrug.

"Nein", antwortete sie mit knirschenden Zähnen. Es war besser ehrlich zu sein, als Arlin anzulügen. "Aber ich kenne die Spielregeln", versicherte sie, was Arlin dann doch ein erleichtertes Seufzen entlockte.

Shirach war ein Spiel, bei dem es nicht primär darauf ankam, wie gut man seine Kräfte oder Fähigkeiten unter Kontrolle hatte. Im Grunde hatte ein Vampir genau so viele Chancen wie ein Mensch.

Jeder startete mit den gleichen, ihnen eigenen, körperlichen Fähigkeiten, doch die magischen waren wie gelöscht. Fast zumindest. Als Spieler konnte Nora ihre Spielfigur Arlin durch magische Karten ausrüsten, die es in unterschiedlichen Kategorien gab.

Normalerweise tauchten auf den Spielfeldern je nach Würfel wurf unterschiedliche Ebenen und Monster auf, die es zu töten gab. Doch dieses Spiel würde ein Duell sein. Dennoch würde Noras Würfelwurf über die Oberfläche entscheiden, auf der dieses Duell stattfand.

Nora griff nach den Würfeln und ließ diese rollen. Der Würfel mit der Schwierigkeit landete auf einer drei, was nicht zu schlecht war. Auch das Element Erde war nicht das Schlimmste, was sie bekommen konnte. Der Monsterwürfel landete auf Wind, doch dieser würde heute nicht zählen.

Die Umgebung begann sich aufzubauen und aus dem anfänglichen flachen Kampffeld wurde eine Klippenlandschaft, die nicht sonderlich einfach zu beschreiten war.

Außerdem tauchte ein junger Mann mit violetten Augen auf einer der Klippen auf. Ein Lehrer, den Nora auf der Willkommensfeier gesehen hatte. Allerdings waren seine prächtigen, weißen Schwingen verschwunden. Was gut war, denn somit hatte er in dieser Landschaft keinen Vorteil gegenüber Arlin.

Nora betrachtete die Karten, die sie ziehen konnte.

Es gab insgesamt vier Kartentypen. Die Rüstung-, die Waffen-, die Ausrüstungs- und die Sondertypen. Sie waren in den Kartenstapeln getrennt. Erst wenn sie einen Typen ausgerüstet hatte, durfte sie davon eine neue Karte ziehen. Außerdem konnten Karten abgeworfen werden, doch dann waren sie für das ganze Spiel nicht mehr nutzbar.

Nora blickte ihre Karten durch und entschied sich schließlich als erstes die Karte 'Kaze' zu legen.

Arlin wurde daraufhin in eine silberne Rüstung gehüllt, die wirkte, als wäre sie ein Mitglied der schweren Infanterie. Doch die Rüstung war sehr leicht und besaß Flügel mit denen es ihr möglich war zu schweben. So würde sie einen gewissen Vorteil bei diesen Klippen besitzen.

Noras Blick glitt weiter über die Karten und sie musste sich erst einmal durchlesen, was diese alles konnten. Es war nicht so, dass sie das Spiel nicht kannte, aber Karten hielt sie das erste Mal in der Hand. Daher konnte sie mit den Namen kaum etwas anfangen.

Eine Waffe wäre gut und so entschied sich die junge Frau für ein Blitzschwert, das kurz darauf in Arlins Hand erschien.

Allerdings war sie nicht die einzige, die ausgerüstet wurde.

Der Engel erhielt ebenfalls Flügel, wenn auch keine Engelsflügel sondern Fledermausflügel. Damit war das Fliegen anders, als mit den Engelsflügeln und Nora hoffte, dass er es vielleicht noch nicht gewohnt war. Gleichzeitig fürchtete sie jedoch, dass er nun doch einen Vorteil hatte.

Außerdem erschien in seiner Hand ein großer Hammer, der irgendwie nicht ganz zu dem Mann passte, aber wahrscheinlich dennoch eine effektive Waffe war.

Die Karten waren gelegt, was hieß, dass Nora jetzt für diejenige, die sie gespielt hatte, neue ziehen durfte und im selben Moment würden sich Arlin und der Lehrer angreifen.

Die Schattenwandlerin hielt die Luft an, als sie das Spielfeld betrachtete. Sie bekam eine Gänsehaut vor Aufregung und fragte sich, wie das wohl ausgehen würde.

Arlin sprang nach oben in die Luft und nutzte die Fähigkeiten ihrer Rüstung, um mit der Hilfe des Windes auf Nemesis zuzufliegen. Sehr schnell und mit erhobenem Schwert.

Ihr Sturzflug, gleich einem Falken, der sein Ziel gewittert hatte, sauste Arlin auf Nemesis drauf. Die Blitze ihres Schwertes zogen einen blau leuchtenden Schweif hinter sich her, während sie auf ihn zuhielt. Der Engel erhob seinen Hammer und stellte sich ihr mit dem großen Kopf entgegen. Die Spitze des Schwertes krachte gegen den Hammerkopf und eine Druckwelle fuhr über das ganze Spielfeld. Nemesis nutzte Arlins kurze Verwirrung und entkeilte den Hammer, drehte eine Pirouette und verpasste ihr mit der Schlagfläche eine ordentlich Breitseite. Die Schülerin wurde zurück geschleudert und stand wieder am Anfang.

Nora betrachtete den Ausgang des ersten Aufeinandertreffens. Dann fiel ihr Blick auf ihre Gegnerin. Bisher waren außer ihrem Blick und ihrem Lächeln nicht viel zu sehen. Auch hatte sie bisher kein Wort gesagt. Sie hatte Nora die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen.

Die Lehrerin griff mit ihren Chitin ummantelten Fingern nach dem Kartenstapel und zog. Sie betrachtete die Karte für einen Augenblick und war gespannt, wie sie Nora daraus befreien würde. Die Karte trug den Namen 'Himmlisches Mandat' und schenkte Nemesis eine goldene reichverzierte Krone, welche sich auf seinem Kopf bildete. Der Engel deutete auf Arlin und anschließend auf den Boden. So wurde sie gezwungen niederzuknien. Dies ausnutzen, lag es nun an dem Lehrer, sich in die Lüfte zu erheben und Arlins Schädel zu zerschmettern.

Nora hatte nur wenige Augenblicke. Mit schnellen Blicken überprüfte sie ihre Karten und legte sogleich eine Sonderkarte, um Arlin vor Schaden zu bewahren. 'Sitedas Ketten' war ihr Name und diese legten sich um die Fledermausflügel von Nemesis und zwangen ihn zur Landung, noch ehe er seinen Klippenrand verlassen hatte. Unfähig die Kluft zu überwinden, musste der Engel nun auf seine Partnerin warten.

„Eine vorschnelle Handlung", kommentierte Noras Gegnerin den Zug und schenkte Nora ein sanftes, aber durchtriebenes Lächeln.

„Was...?" Nora verstand erst nicht was sie meinte, bis ihr Blick auf Arlin fiel. Die Ketten hatten ihre Flügel ebenfalls umwickelt und sie der Flugfähigkeit beraubt. „Oh nein."

Abermals zog die Lehrerin und legte eine Karte verdeckt.

„Hättest du Güte und würdest mich befreien, Gefjon?", hörte sie Nemesis Stimme neben sich, doch die Lehrerin lachte nur leise.

„Wo bliebe denn da der Spaß?", fragte Gefjon zurück und beobachtete Noras Zug. Diese zog und spielte eine weitere Karte. Eine goldene Karte. 'Dekret der Hetalia' machte alle vorherigen Karten unbrauchbar. Sämtliche Ausrüstung und Statuseffekte wurden aufgehoben und die Spieler mussten wieder bei Null anfangen.

„Interessant. Du opferst deinen bisherigen Vorteil und schenkst mir eine weitere Chance."

„Ihr seid Euch Eurer Sache ziemlich sicher, oder?", fragte Nora und legte zwei weiteren Karten verdeckt auf das Feld.

„Das bin ich in der Tat. Momentan reagierst du nur und betrachtest nicht das große Ganze. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass du mit den nächsten Karten 'Jindshiel' gezogen hättest. Eine einfache Erweiterung, die das Blitzschwert zu einer mächtigen Waffe umgeformt hätte", erklärte die Lehrerin und zog nun ihrerseits.

Nora konnte nicht verhindern, dass sich kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn bildeten. Shirach war schon immer ein Spiel gewesen, in dem es um Können und Strategie ging. Ohne eine entsprechende Taktik war man schnell verloren. Zwar konnte der Partner vieles ausgleichen, doch die eigentliche Macht lag beim Spieler. Im Groben war es nicht mehr, als das Prinzip der Marionettenkönige. Die wahre Macht war hinter dem Thron.

Gefjon schenkte ihrem Partner eine neue Waffe und eine Rüstung. Die Waffe trug den klangvollen Namen 'Gjallarhorn' und im Prinzip ein großes langes Horn in welches Nemesis hineinstoßen konnte. Die Rüstung war eine solide Erscheinung aus Bronzeplatten, die da hieß 'Der Wachhturm'. Nora erkannte an den silbernen Rändern der Karten, dass dieses zu einem Set gehören mussten. Könnte sie nicht verhindern, dass Gefjon das ganze Set aufs Feld brachte, würde dieses Spiel schneller ein Ende finden, als ihr lieb war. 

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