1. Kapitel
Ich starrte meinen Laptop an.
Ein heller Bildschirm.
Gefüllt mit Buchstaben.
Gefüllt mit Wörter.
Gefüllt mit Sätze.
Gefüllt mit Absätze.
Gefühlt mit Gefühlen.
Leise seufzte ich, schloss meinen Laptop und stand auf.
Ich musste los.
Schnell zog ich mir meine Jacke über, schlüpfte in meine Winterstiefel.
Es scheite wie verrückt.
Und trotzdem wollte ich in die Stadt.
Ich wollte mich ablenken.
Zu viel nachdenken tat mir nicht gut.
Als ich nach draußen trat, schlug mir die kalte Luft entgegen.
Eiskalt.
Doch das ignorierte ich.
Ich lief nur in dieses Schneegestöber.
Schneeflocken verfingen sich in meinen Haaren, bald sah ich aus, wie ein halber Schneemann.
Früher hatte ich das geliebt.
Wäre fröhlich umhergesprungen und hätte Schneeengel im Schnee gemacht.
Aber alles kam ganz anders.
Ich hatte mich verändert.
So sehr verändert, dass ich mich selbst nicht wiedererkannte.
Ganz anders.
Einfach...anders...
Ich versank mittlerweile knöcheltief im Neuschnee, der weiß und unberührt am Boden liegt.
Kaum jemand begegnete mir auf dem kleinen Trampelpfand, der vom Internat zum Dorf führte.
Das offene Feld war zwischen den vielen Schneeflocken kaum erkennbar, meine Sicht begrenzt.
Wohl waren dicke, schwere Wolken aufgezogen, es würde wahrscheinlich den ganzen Tag lang nur schneien.
Ein wenig missmutig schritt ich voran, stapfte durch den Schnee.
Alles weiß und grell.
Alles unschuldig, alles so...schön und doch so grausam.
Ich zog meinen Schal enger um meinen Hals, damit ich keinen Schnee in den Nacken bekam.
Meine Hände waren bereits rot vor Kälte, ich hatte mein Handschuhe vergessen.
Scheiß Wetter.
Immer schneller stapfte ich voran.
Das half zumindest gegen diese affige Kälte, die scheinbar alle nach drinnen in die schöne Wärme treibt.
Der Weg veränderte sich, wurde etwas breiter.
Neben mir befanden sich nun Bäume und Gebüsch, alle eingehüllt in einer Schicht Schnee.
Dicht ging ich an ihnen vorbei.
Der Wald war mir schon immer nicht ganz geheuer gewesen, ich hatte mich schon immer ein wenig unheimlich gewesen.
Leise seufzte ich auf, begann zu laufen.
Ich liebte es nach Herzenslust zu rennen.
Ich fühlte mich dann immer so...frei.
So sicher.
So mutig und stark.
Ja, dann fühlte ich mich wie eine Wölfin.
Aber ich fühlte nur so.
In Wahrheit war ich keine, nie und Nimmer.
Mein Name bedeutete dies zwar, aber ich war es nicht...
Frierend begann ich schneller zu laufen, immer schneller und schneller.
Bis ich in dem Dorf ankam.
Der Schnee hatte nachgelassen, nur noch einzelne Flocken schneite es.
Einige Menschen waren zu sehen, die umherbummelten oder die jetzt schon hastig hin und her hasten, um alle Geschenke zu besorgen.
Es war doch noch ein Monat Zeit.
Genug meiner Meinung nach.
So schlenderte ich über den Hauptplatz des Dorfes, spähte durch einige der Schaufenster. Überall gab es kleine, niedliche aber auch kitschige Sachen zu kaufen.
Und doch machte es jedes Jahr wieder Spaß an Schaufenster vorbeizugehen, den Inhalt zu inspizieren.
Es versetzte mich immer wieder in eine fast naive Fröhlichkeit und Seeligkeit, die ich selten so ausgeprägt hatte.
Lächelnd betrachtete ich den kleinen Hirsch aus kunstvoll geschnitzen Holz.
Er war wirklich außergewöhnlich schön...
Dennoch schlenderte ich weiter, gönnte mir einen Punsch von dem Mann an einem kleinen Stand.
Es war fast schon wie am Weihnachtsmarkt.
Ich liebte Weihnachtsmärkte.
Der Geruch von gebrannten Mandeln in der Luft.
Die verschieden Sachen, die verkauft wurden.
Die unterschiedlichen Stände.
Ja, selbst die überteuerten Preise gehörten irgendwie dazu.
Und ganz wichtig: Punsch.
Ich liebte Punsch.
Vielleicht sogar noch mehr als sich Weihnachtsmärkte an sich liebe.
So nippte ich an meinem heißen Punsch, der herrlich nach Zimt und Orange schmeckte, und stapfte von Schaufenster zu Schaufenster.
Am meisten amüsierte mich der Kitsch, es war einfach lustig zu sehen, was wir Menschen eigentlich verkaufen und teilweise auch kaufen.
Nachdenklich blieb ich vor einer Scheibe stehen, sah nach innen.
Kerzen beleuchteten das Fenster, setzten sie in ein besonderes Licht.
Aber nicht die Kerzen zogen mich so in den Bann, nein.
Es war das Bild, das dort ausgestellt stand.
Obwohl es sehr einfach gemalt war, faszinierte es mich.
Ein kleiner, bunter Papagei war zu sehen, ganz zerrupft,
Um ihn herum folgen und saßen schwarze Raben, hatten teilweise bunte Federn im Schnabel, schienen den Papagei auszulachen.
Darunter stand ein Spruch:
Anders sein ist wie ein bunter Papagei unter schwarzen Raben.
Irgendwie hatte der Künstler damit recht.
Dieses ‚Bunt' gehörte da nicht hin, schien nicht zu passen.
Dieses ‚Bunt'...es war einfach falsch.
Nachdenklich nickte ich, schritt weiter.
Als ich in das nächste Schaufenster sah, erstarrte ich.
Nein, nicht wegen dem Inhalt.
Nein, es gab keinen Inhalt, das Fenster war zugehangen.
Aber darin spiegelte sich, was sich hinter mich befand.
Angespannt drehte ich mich ruckartig um.
Hinter mir stand, an einer Mauer gelehnt, eine sehr bekannte Person.
Eine Person, die ich nie wiedersehen wollte, die ich einfach nur aus meinen Augen verlieren wollte.
Ja, und das sehr bewusst.
Chris...
Schnell drehte ich mich um, begann zu rennen.
,,Ylva! Warte!", rief mir eine Stimme nach.
,,Wir können es doch wenigstens versuchen...bitte...."
Chris.
Eindeutig Chris.
Unbeirrt lief ich weiter, rannte immer schneller.
Meinen Punsch verschüttete ich dabei, das heiße Getränk lief über meine Finger, klebte an meiner Jacke und meiner Hose.
Schnell schmiss ich den Becher weg, um besser rennen zu können.
Mein Tempo erhöhte ich stehts, obwohl ich jetzt schon nach Luft schnappte, kaum etwas davon bekam.
Angst breitete in mir aus.
Chris hatte mich gefunden....
Was sollte ich nur tun?
Scheiße, scheiße, scheiße!
Mittlerweile war ich aus dem Wald gekommen, lief über das Feld.
Der Wind erschwerte mein Vorhaben, meine Kraft schwand langsam dahin.
Immer öfter fiel ich hin.
Ich musste weiter!
Immer weiter!
Bis ich in Sicherheit war, würde es nicht lange dauern.
Nur noch ein paar Meter...
300 Meter.
200 Meter.
100 Meter.
50 Meter.
20 Meter.
10 Meter.
Endlich hatte ich es geschafft.
Atemlos öffnete ich die Tür, knallte sie zu. Dann zog ich in Windeseile meine Sachen aus, trug sie nach oben.
Ich bekam nur schwer Luft, so schnell war ich gerannt.
Panisch sah ich mich immer wieder um, als könne Chris jeden Moment in das Zimmer spazieren, oder durch mein Fenster sehen.
Schnell startete ich meinen Laptop, wartete ungeduldig, bis dieser fertig gelanden hatte.
Es fühlte sich so an, als würde es Jahre dauern...
Als es endlich so weit war, gab ich schnell mein Passwort ein, öffnete Word.
Da waren sie wieder, diese Wörter und Sätze.
All meine Gedanken, all meine Ideen.
Ich kaute unsicher auf meinen Lippen.
Doch dann wusste ich, was zu tun war.
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Schriftfarbe: Weiß.
Ich starrte auf das nun, wie leer aussehende, Dokument.
All die Wörter, all die Gedanken.
Alles was hier stand, war jetzt unsichtbar...
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