... yet to come; Vikkilitschi

"Das klappt irgendwann", haben sie gesagt. "Irgendwann wird der richtige Partner kommen."

Aber wann 'irgendwann' ist, haben sie nicht gesagt. Dabei wäre das die wichtigste Information von allen gewesen.

Momentan weiß er nicht, wie viele traurig-tragische, teilweise echt absurde Dates er noch ertragen kann, bis er die Hoffnung aufgibt.

Dass jetzt auch noch seine Lieblingsband BTS darüber singt, dass der schönste Moment erst noch kommt, macht es nicht grade besser. Bisher hat er sich zumindest immer von den sieben Musikern verstanden gefühlt. Aber 'Yet to come'? Ihr neustes Comeback? Ernsthaft, nicht mehr als ein Comeback in der Shitshow seines Lebens. Wenn er BTS von seinen letzten Dates erzählen könnte, würden sicher selbst die anderer Meinung sein.

Nicht, dass er ernsthaft damit rechnet, jemals in diese Verlegenheit zu kommen. Und das ist in Ordnung. Auf eine verquere Art und Weise hat Jungkook Frieden mit diesem Gedanken geschlossen (anders als mit seinen Dating-Geschichten, denn ernsthaft, da sollte doch zumindest Hoffnung bestehen, oder???) und begnügt sich damit, Cover-Versionen der Songs von BTS auf der Bühne zu performen. Immer wenn er singt, fühlt er sich ihnen nah. Das ist mehr als genug.

* * *

there's a mirage right here, always far away from me

* * *

„Jungkook! Hör auf zu träumen und beweg' endlich deinen Arsch her! Wir brauchen dich hier!"

„Ich träume nicht! Ich arbeite!", ruft Jungkook über seine Schulter hinweg zurück und wendet sich erneut der Technik auf der Bühne zu. Es sind gerade mal fünf Minuten seit seinem Auftritt vergangen und er befindet sich noch mitten im Abbau.
„Sklaventreiber", murmelt er grinsend vor sich hin und meint damit seinen besten Freund und ebenfalls Besitzer des Pubs, in dem sie sich gerade befinden. Ein traditioneller irischer Pub mitten in Seoul. Nur Taehyung konnte auf eine solche Idee kommen, aber Jungkook liebt das Konzept. Ihre Kundschaft genauso. Heute Abend ist Samstag und er versteht, dass Taehyung und Jimin hinter der Theke ohne ihn vollkommen überlastet sind, aber dieser Scheiß muss nun mal auch erledigt werden. Das Equipment war zu teuer, um einfach auf der Bühne rumliegen gelassen zu werden. In einem Gewusel zwischen lauter betrunkenen Menschen. No – fucking – way.

Er ist routiniert in diesen Tätigkeiten, sammelt Kraft und Energie darin, um sich für den Rest des Abends zu wappnen. Das Publikum eben war euphorisiert. Jungkook kann sich gut vorstellen, dass sie heute alle in Trinklaune sind und hoffentlich auch in Trinkgeld-Geber-Laune. Auch wenn das gut ist, ist es auch anstrengend und er weiß jetzt schon, dass in spätestens drei Stunden sein ganzer Körper schmerzen wird.

„JUNGKOOK", brüllt Taehyung erneut, diesmal energischer und mit noch mehr Nachdruck. Dieser Tonfall, den er nur dann auflegt, wenn wirklich Land unter ist und seine Wutschnur gerade kurz davor ist zu reißen.

„FERTIG! ICH KOMME", brüllt Jungkook mindestens genauso laut zurück, damit sie sich über die Musik hinweg trotzdem verständigen können und springt leichtfertig über die Flügeltüren, die zur Theke führen. Jimin betrachtet ihn mit einem gekonnten Ernsthaft?!-Blick, wendet sich dann aber schnell wieder Kundschaft zu, die sich schon zu stapeln scheinen.

Das Leben als Barkeeper ist kein Leichtes, aber es ist das Beste, dass Jungkook sich vorstellen kann (realistisch betrachteta zumindest).

* * *

is your dream just that? is your dream only that?

* * *

„Ich bin so fertig, ich kann nicht mal mehr stehen", äußert Jimin melodramatisch und lässt sich nichtsdestotrotz wahnsinnig elegant auf dem Barhocker nieder. Taehyung steht pflichtbewusst neben seinem Freund und versucht mit letzter Kraft die Verspannungen aus den verkrampften Schultern zu massieren. Er sieht keinen Deut besser aus als Jimin.

Muss Liebe schön sein, denkt Jungkook und sagt stattdessen laut: „Ihr könnt abhauen, wenn ihr wollt. Den Rest schaffe ich auch allein."

„Aber wir haben noch einen letzten Gast da sitzen", widerspricht Taehyung und deutet mit einer dezenten Geste auf eine Person, die in der hintersten Ecke ihres Pubs sitzt und manisch etwas in ein Notizbuch kritzelt. „Ich glaube, er ist verrückt."

„Er ist nicht verrückt", widerspricht Jimin sofort. „Er ist einfach nur traurig. Ich hab' ihn heute Nacht mehrfach bedient."

„Und dann hat er dir erzählt, dass er traurig ist?", erkundigt sich Jungkook, während er die letzten Gläser spült. Es würde ihn nicht wundern. Ab einem gewissen Alkoholpegel erzählen die Gäste einem alles, was man niemals hören wollte. Man gewöhnt sich daran.

„Nein, er hat gar nichts gesagt. Es waren seine Augen. Er hat traurige Augen."

„Mit traurigen Augen kann ich umgehen. Ihr könnt echt abhauen", bietet Jungkook erneut an.

„Traurige, verrückte Augen", offeriert Taehyung kichernd und greift dann unter Jimins Arme, um ihn von dem Barhocker hochzuhieven. „Wir nehmen dein Angebot an und verziehen uns wirklich, ja? Chip schläft sonst gleich hier ein." Kurz darauf sind sie verschwunden.

Als alle sonstigen Arbeiten erledigt sind, macht sich Jungkook auf den Weg zum letzten besetzten Tisch des Abends.

„Entschuldigung", räuspert er sich höflich und beugt sich leicht nach vorne. „Wir schließen jetzt. Sie müssen nun gehen."

Die Person erschreckt sich obgleich der direkten Ansprache. Als er aufblickt und mehrfach mit den Augen blinzelt, wirkt es so, als müsste er erst wieder in der realen Welt ankommen und einen Orientierungspunkt finden. Jungkook kennt das. Wenn er sich zu lange mit der Musik beschäftigt und sich darin verliert, verliert er auch das Empfinden für die Wirklichkeit.

„So spät schon...?", fragt eine dunkle Stimme, die genauso verloren klingt.

Er hat wirklich traurige Augen, denkt Jungkook. Aber verrückt sieht er nicht aus. Eher...

„Fuck", sagen sie beide gleichzeitig. Der Gast, weil er grade auf die Uhr gesehen hat und nun das reale Ausmaß seiner Weltvergessenheit begreift und Jungkook, weil er im Dämmerlicht der Bar jetzt erst erkannt hat, wer da vor ihm sitzt.

Wenn wir mit etwas überhaupt nicht rechnen, dauert es immer etwas länger, bis wir begreifen, dass es tatsächlich geschieht.

„Tut mir leid", sagt der Gast. Wieder gleichzeitig mit Jungkook, der sagt: „Suga", obwohl er ihm im Kopf immer nur Yoongi, Yoongi, Yoon~gi nennt, aber es sich jetzt nicht traut, weil sie sich doch gar nicht kennen. Also... Er kennt ihn. Aber Yoongi kennt ihn nicht.

„Hilft es, wenn ich es abstreite?", fragt Yoongi mit einem müden Lächeln, welches widerspiegelt, dass ihm absolut bewusst ist, wie wirkungslos dieses Unterfangen ist.

„Nein", antwortet Jungkook und versucht zurückzulächeln, irgendwie zumindest, nur hoffentlich nicht gruselig und sagt dann: „Aber wir können so tun, als würde es das."

„Okay", grinst Yoongi. Diesmal schon etwas breiter, aber immer noch genauso verloren. „Dann lass' uns so tun. Ich bin Yoongi und es tut mir leid, dass ich dich so lange aufgehalten habe. Ich werde jetzt gehen."

* * *

they tell me i'm on my way to happiness,
then how do you explain my unhappiness?

* * *

Yoongi ist nicht gegangen. Jungkook weiß ehrlich gesagt nicht, wie er den anderen zum Bleiben überreden konnte. Sein hilfloses Gestammel hat er nicht mal für ihn selbst Sinn ergeben. Nur wie durch Zauberhand hat Yoongi ihn trotzdem verstanden. Nach all der Zeit und all den Songtexten und Liedern, die er von dem Älteren schon gehört hat, sollte Jungkook sich eigentlich nicht mejr darüber wundern. Die Lyrics von Suga haben schon immer mehr von Jungkook verstanden, als er selbst beschreiben konnte.

Jetzt sitzen sie an der Theke und haben einen Whiskey on the rocks vor sich.

„Du musst ihn trinken wie Tee", erklärt Yoongi gerade und Jungkook kann nicht damit aufhören ihn anzustarren. „In kleinen Schlücken und ihn dabei genießen."

Sie stoßen nicht miteinander an. Suga probiert zuerst von seinem Getränk, lässt sich den Geschmack sichtlich auf der Zunge zergehen und nickt dann anerkennend. Jungkook tut es ihm nach. Er probiert und versucht anschließend seine Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu bekommen (ehrlich gesagt mit keinem großen Erfolg, für ihn ist Whiskey immer nur so bitter wie sein Leben).

„Es macht einen Unterschied, ob man etwas bewusst trinkt oder nicht", murmelt Yoongi weiter mit dieser tiefen Stimme vor sich hin, ganz so, als wäre er selbst der Barkeeper und nicht Jungkook. Obwohl dem Jüngeren all diese Dinge bewusst sind, ist es so, als würde er sie gerade zum ersten Mal verstehen.

Es ist ihm wirklich peinlich, aber er bekommt keinen Ton raus.

* * *

why are you shaking up my heart?

* * *

„Was hast du hier gemacht?", fragt Jungkook und schwingt die Eiswürfel in seinem Glas, die sich langsam aber sicher auflösen und den Whiskey verwässern. Er wartet auf diesen Moment, bevor er weitertrinkt.

„Texte geschrieben."

„Für euer neues Album? Oder Agust-D3??!?!?!"

„Das darf ich dir nicht sagen."

„Darf ich sie denn lesen?"

Yoongi blickt ihn seltsam an und es kostet Jungkook alles, den Blick nicht abzuwenden. Er weiß, dass er diese Chance nie wieder haben wird und vielleicht ist es genau dieses Wissen, dass es so schwer macht. Es ist zu intensiv. Weil er weiß, wie weh es im Nachhinein tun wird, fühlt er jetzt schon die Phantomschmerzen. Viele Fans berichten von Post-Konzert-Depressionen. Wie groß muss der Crash erst sein, wenn man eine Post-Drinking-Whiskey-with-Suga-Depression erlebt?!

„Du bist ein Fan, oder?", fragt Yoongi, als würde die Antwort nicht ohnehin schon auf der Hand liegen. „Du warst es, der am Anfang des Abends auf der Bühne stand und unsere Lieder gesungen hat, oder?"

„Hilft es, wenn ich es abstreite?", wiederholt Jungkook die vorherigen Worte des Älteren und bemerkt, wie sich seine Wangen knallrot färben.

„Nein", grinst Yoongi, „aber wir können so tun, als würde es das."

Das Lächeln, dass er Jungkook danach schenkt, ist wirklich zu viel. Es lässt sein Herz aufgeregt in seinem Brustkorb vibrieren und seufzen und flattern und lauter verrückte Dinge tun. Jungkook unterbindet den Trubel mit einem gehörigen Schluck Whiskey. Mhm. Immer noch bitter, aber nicht mehr ganz so schlimm.

„Darf ich sie nun lesen?"

„Eine Seite."

* * *

my efforts to win you heart do not work
i'm a love loser

* * *

„Wie fandest du unser Comeback?"

Yet To Come?"

„Mhm."

„Können wir darüber reden, wie ich all eure andere Musik fand?"

„Du kannst unmöglich alles gut gefunden haben."

„Hab' ich auch nicht", antwortet Jungkook grinsend. Mittlerweile aufgetaut wie das Eis in seinem Glas.

„Okay, das beantwortet dann wohl die Frage, was du von yet to come gehalten hast", grinst Yoongi nachsichtig. Als wäre er ein ganz normaler Mensch und als hätte Jungkook nicht gerade die Musik der berühmtesten Band der Welt beleidigt.

„Warum mochtest du es nicht?"

„Das Beste kommt noch", wiederholt Jungkook die Worte seiner besten Freunde. „Irgendwann findest du schon noch den Richtigen. Aber niemand sagt einem, wann dieser Zeitpunkt denn sein wird. Und nichts ist schlimmer als auf etwas zu warten, von dem du nicht weißt, ob es überhaupt passieren wird."

„Und das hast du gefühlt, als du yet to come gehört hast?"

„Ich hab' viele Dinge dabei gefühlt", gibt Jungkook zu und wird erneut rot bei der Vorstellung, wie er wie ein Irrer die YouTube-Premiere verfolgt hat und danach erstmal für einige Minuten starstrucked auf dem Boden seines WG-Zimmers saß, „aber das auch. Das hat später überwogen."

„So schlimme Erfahrungen gemacht?", erkundigt sich Yoongi wertfrei und der Jüngere versucht angestrengt zu verarbeiten, dass sein Lieblingsidol, sein Ulti-Bias No. 1, ihn gerade nach seinem Liebesleben fragt.

„Frag nicht", antwortet Jungkook, der sich diese Peinlichkeit wirklich ersparen möchte.

„Für mich hat der Song eine andere Bedeutung", wechselt sein Gesprächspartner daraufhin elegant das Thema.

„Und welche?"

„Hoffnung", erklärt Yoongi, als wäre damit alles gesagt. „Es geht nicht um das Warten auf den schönsten Moment. Es geht nicht mal darum, ob er tatsächlich irgendwann kommt. Es geht nur darum, dass da immer Hoffnung ist. Hoffnung darauf, dass er kommen wird. Und Hoffnung ist es, die uns weitergehen lässt. Immer..."

Wie immer berühren ihn Yoongis Worte zu Tränen. Bisher war das nie wirklich peinlich, weil er entweder allein in seinem Zimmer gesessen hat oder ihn nur Jimin und Taehyung dabei beobachtet haben. Aber nie der Grund für seinen emotionalen Ausbruch und deswegen versucht Jungkook, die Tränen wegzublinzeln und das enge Gefühl in seiner Brust mit Whiskey wegzuspülen.

„Hattest du ihn schon?", fragt Jungkook mit zitternder Stimme. „Deinen most beautiful moment?"

Yoongi tut es ihm nach und trinkt sein Glas ebenfalls mit einem letzten Zug aus.

„Wer weiß", sagt er undurchsichtig und steht auf. „Vielleicht war es der hier", grinst das Idol mit den traurigen Augen und beugt sich Jungkook entgegen.

Jungkooks Atem stoppt und sein Herz rast und der Boden unter seinen Füßen verliert an Bedeutung, als Yoongis Lippen an seiner Stirn entlang streichen. Es ist nicht mehr als die Fata Morgana einer Berührung.

Danach ist Yoongi verschwunden, aber die Hoffnung, die er hinterlässt, bleibt.

* * *

i need you (you're so beautiful)
and the most beautiful moment
is yet to come 

* * *

* die Songtext-Schnipsel stammen jeweils aus den ersten Liedern auf CD 1 von Proof :]

* die Whiskey-Szene stammt aus der Malta-Folge von Run-Bts - Wer kennt sie? :D

Vikkilitschi

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