... yet to come; Taelirium

„Das klappt irgendwann", haben sie gesagt. „Irgendwann wird der richtige Partner kommen."

Aber wann ‚irgendwann' ist, haben sie nicht gesagt. Dabei wäre das die wichtigste Information von allen gewesen. Momentan weiß er nicht, wie viele traurig-tragische, teilweise echt absurde Dates er noch ertragen kann, bis er die Hoffnung aufgibt.

Dass jetzt auch noch seine Lieblingsband BTS darüber singt, dass der schönste Moment erst noch kommt, macht es nicht grade besser. Bisher hat er sich zumindest immer von den sieben Musikern verstanden gefühlt. Aber ‚Yet to come'? Ihr neustes Comeback? Ernsthaft, das ist nicht mehr als ein Comeback in der Shitshow seines Lebens. Wenn er BTS von seinen letzten Dates erzählen könnte, würden sicher selbst diese anderer Meinung sein...

Frustriert scrollt Jay schnell weiter. Er will die Gesichter nicht länger sehen, die ihm so unverschämt gutaussehend von seinem Display anlächeln und für ihr Comeback werben. Genauso wenig will er daran erinnert werden, dass er auf dieser beschissenen Party anscheinend der einzige Single ist. Und bleiben wird. Verdammt, er hat es echt versucht. Ein paar süße Mädels laufen hier schon rum. Aber nein. Sie haben ihn der Reihe nach eiskalt abserviert. Über seine Witze haben sie nicht Lachen können, stattdessen haben sie ihn angesehen, als wäre er völlig gestört. Beim Karaoke hat er grundsätzlich die Parts bekommen, die keiner haben wollte und die anderen Spiele hat er schon gar nicht mehr mitgemacht. Jetzt sitzt er neben einem knutschenden Pärchen auf der Couch und versucht sich, mit seinem Handy abzulenken. Jetzt lachen ihn die sieben Idols an, als wüssten sie genau, was für ein Loser Jay doch ist. Das ist mit Abstand der mieseste Tag seines Lebens. Uns der beschämenste.

Am liebsten würde er sofort gehen, aber da er seinem besten Freund Jake erst um Mitternacht gratulieren kann, kann er schlecht jetzt schon verschwinden. Warum muss der Kerl unbedingt reinfeiern? Und verdammt... warum hat Jay die Einladung angenommen? Er hätte am nächsten Tag vorbeikommen können, aber nein... Jay hat mal wieder die falsche Entscheidung getroffen. Ist ja nicht so, als wäre dies das erste Mal in seinem Leben.

Bislang hat er so gut wie jede Entscheidung im Nachhinein bereut. Am meisten wohl, ein professioneller Sportler werden zu wollen. Seine Eltern haben ihn zwar unterstützt, aber irgendwie ist alles nicht so gelaufen, wie er sich das immer vorgestellt hat. Bevor er nach Seoul gezogen ist, hatte er viele Freunde. Sein aktueller Freundeskreis beschränkt sich auf nur eine Person. Jake. Der Australier ist ebenfalls erst vor ein paar Monaten hergezogen und war genau wie Jay am Anfang des Semesters ziemlich einsam. Nur dass Jake irgendwie diese Fähigkeit besitzt, sich mit Fremden sofort anzufreunden. Mittlerweile scharrt er so viele Personen um sich, dass Jay zunehmend nebensächlich wird. Erst recht, seit er vor einigen Wochen mit seiner Freundin zusammen gekommen ist. Natürlich freut er sich für ihn. Wenn es einer verdient hat, glücklich zu werden, dann Jake.

Mit einem weiteren Seufzen erhebt sich Jay von der Couch, weil er es nicht länger erträgt, neben einem der zahlreichen verliebten Pärchen zu sitzen, und flüchtet auf den kleinen Balkon. Der einzige Ort, an dem er für einen Moment allein sein kann. Es ist zwar Frühling, aber die letzten Tage hat es durchgehend geregnet. Dementsprechend kalt und nass ist es draußen. Jay kommt es ganz recht. Hier fühlt er sich immer noch besser aufgehoben, als zwischen den Partygästen, die ihn sowieso nicht da haben wollen.

Frustriert lässt er sich an der Mauer heruntergleiten, winkelt die Beine an und schaut aufs Display seines Handys. Noch zwei Stunden, dann kann er Jake gratulieren, ihm sein Geschenk überreichen und danach endlich von hier verschwinden. Jetzt muss er nur noch die Zeit rumkriegen, aber zum Glück hat er vorsichtshalber seine Kopfhörer eingepackt. Als hätte er geahnt, dass er sie heute noch brauchen wird. Ohne zu zögern, öffnet er seine "Proof"-Playlist. So bitter sich "Yet to Come" auch anfühlt, mag er, welche Songs sie für das Album ausgewählt haben. Einige seiner liebsten Songs sind mit dabei, vor allem die älteren, bei denen er noch zu 100% das Gefühl hatte, verstanden zu werden.

Er zieht die Beine näher an seinen Körper, schlingt seine Arme darum und vergräbt seinen Kopf. Die Songs dafür sorgen, dass er alles um sich herum ausblendet. Er spürt, wie sich die Melodien immer tiefer in sein Herz graben. Mal wieder sind es diese sieben Jungs, die ihm Trost spenden. Verrückt, aber es ist so.

Sein Körper fühlt sich an wie aus Beton, trotzdem hebt er kurz den Kopf. Ihm ist gerade nicht nach „Fire", deswegen skippt er den Song, bis die ersten Töne von "Spring Day" erklingen. Gerade will er sich seiner Frustration wieder hingeben und den Kopf erneut vergraben, als eine Seifenblase auf mittig auf dem Display landet und platzt.

Moment... Eine Seifenblase?

Abends um 22 Uhr, auf einem Balkon, während es im Hintergrund regnet. Was zum..!?

Erschrocken reißt er den Kopf hoch und schaut sich um. Es dauert keine zwei Sekunden, bis er die Quelle der Seifenblasen ausmachen kann. Er hat sie sich also wirklich nicht eingebildet. Ein Typ hat sich anscheinend zu ihm auf den Balkon gesellt, ohne dass er etwas davon mitbekommen hat. Was ihn nicht sonderlich wundert, weil er sich völlig seiner Musik hingegeben hat.

Kurz begegnen sich die Blicke der beiden. Der Fremde hält eine grellpinke Seifenblasenpistole in der Hand und trägt ein niedlich-freches Grinsen auf den Lippen. Und aus unerklärlichen Gründen hat er sowohl im Gesicht Farbflecken als auch auf seinem blauen, etwas zu groß geratenen Hemd. Die gelben und blauen Streifen auf seiner Wange sind zwar sogar in dem dämmrigen Licht deutlich zu erkennen, schaffen es aber nicht, von den charismatischen Grübchen abzulenken. Egal wie sehr Jay hin und her überlegt, kann er sich nicht erklären, wo dieser Typ plötzlich herkommt. Oder warum er aussieht, als wäre er gerade aus der Bastelstunde im Kindergarten gekommen.

Kurz darauf richtet der Fremde mit einem hinterlistigen Grinsen seine „Waffe" direkt auf ihn. Jay kann gar nicht so schnell reagieren, wie eine ganze Ladung großer und kleiner Seifenblasen auf ihn prasseln. Eilig kneift er die Augen zusammen und schützt sein Gesicht mit seinen Händen. Ein helles Lachen hallt daraufhin durch die Nacht. Jay öffnet vorsichtig wieder seine Augen und sieht, dass der Typ immer noch vor ihm steht.

Jay müsste in diesem Moment sauer sein. So richtig. Er kann es überhaupt nicht leiden, wenn sich andere auf seine Kosten amüsieren. Auf der Skala seiner meist verhassten Sachen kommt es nach knutschenden Pärchen auf Partys direkt auf Platz zwei. Trotzdem kann er es nicht. Vielleicht liegt es an den Seifenblasen, die vereinzelt noch durch die Luft wirbeln. Vielleicht an der Farbe im Gesicht des Fremden. Oder ist es das Lachen? Jay weiß nicht, wie er es beschreiben soll, aber es wirkt auf ihn nicht wie Spott. Eher wie ein Aufmunterungsversuch?

Jay ist es ein bisschen unangenehm, dass er sein eigenes Schmunzeln nicht schafft zu verbergen und wendet seinen Blick deshalb ab.

„Ich wusste, dass es helfen wird", meldet sich der Fremde erstmals zu Wort. Kurz darauf spürt Jay einen leichten Druck auf seiner Schulter und dreht den Kopf in die Richtung. Der andere hat sich zu ihm auf den kalten Balkonboden gesetzt und schaut der letzten Seifenblase hinterher. „Seifenblasen machen jeden glücklich, wusstest du das?"

„Ist das so?", fragt Jay brummig. Er ist davon nicht überzeugt. Der andere schweigt einen Moment, holt tief Luft und Jay erwartet, dass er ihm jetzt eine ausführliche Erklärung liefert. Aber die bekommt er nicht. Stattdessen dreht der Fremde sich schwungvoll zu ihm und setzt seine Waffe erneut ein. Jay fuchtelt wild um sich, aber er hat keine Chance. Die unzähligen Seifenblasen wirbeln durch die Luft und platzen überall, diesmal auch in seinem Gesicht. Der andere lässt sich daraufhin lachend gegen ihn fallen.

„Entschuldige, wenn ich lache, aber dieses Gesicht, was du gerade gemacht hast... das war einfach zu süß!"

Süß!? Was stimmt nicht mit diesem Kerl? Noch nie hat jemand Jay als süß bezeichnet. Dabei muss er zugeben, dass er dasselbe von seinem Sitznachbarn gerade auch gedacht hat. Dieses Lächeln... diese Grübchen... Bevor Jay gedanklich weiter darüber philosophieren kann, was genau er an dem Fremden so faszinierend findet, meldet sich dieser wieder zu Wort.

„Willst du mir verraten, warum du hier alleine im dunkeln sitzt, statt bei den anderen zu sein?"

„Ich äh... bin nicht so... der Partytyp."

Warum antwortet er auf die Frage überhaupt? Warum redet er mit einem Typen, der nachts mit Seifenblasen um sich schießt.

„Hmmm", brummt sein Sitznachbar und bläht dabei die Wangen zu dicken Pausbacken auf, „Ich eigentlich auch nicht. Aber nachdem wir Jakes Zimmer geplündert haben und allerlei lustige Sachen gefunden haben, wie diese wundervolle Seifenblasenpistole, gings eigentlich." Stolz hält er das pinke Plastikteil in die Luft, als sei es der heilige Gral und sieht einfach zu ulkig aus. Es ist so albern und niedlich zugleich, dass sogar Jay anfängt, herzhaft zu lachen.

„Schon viel besser!"

Jay braucht einen Moment, um den Sinn hinter den Worten zu verstehen, dann aber versteht er es. Wer auch immer dieser Fremde ist (und ihn würde mal interessieren, wo Jake immer diese ganzen sonderbaren Menschen aufsammelt), er ist nur deswegen zu Jay raus auf den Balkon gekommen, weil er ihn tatsächlich aufmuntern wollte. Nur das ergibt wirklich Sinn bei dieser zugewandten, positiven Art, die er ausstrahlt.

„Ich heiße Jay", ergreift er nun die Initiative, weil er glaubt, dem anderen irgendetwas schuldig zu sein. Bis jetzt hat er sich nicht unbedingt von seiner charmantesten Seite gezeigt, also wird's Zeit.

Sofort hellt sich das Gesicht seines Sitznachbarn wieder auf. Die Seifenblasenpistole lässt er einfach zu Boden fallen, um Jay sehr energisch seine Hand hinzuhalten. „Jungwon", antwortet er freudestrahlend. „Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Jay. Jake hat mir schon echt viel von dir erzählt. Weißt du, er bewundert dich total und es gibt nicht viele Menschen, von denen Jake so überzeugt ist. Als ich gesehen habe, dass du alleine auf den Balkon raus bist, dachte ich, das wäre meine Chance, dich mal richtig kennenzulernen."

„Hmm, okay...? Das ist... nett?" Skeptisch schaut er zu Jungwon und fragt sich, was von den Dingen, die er ihm gerade gesagt hat, als erstes hinterfragen sollte. Dass Jake ihn bewundert? Oder doch, dass Jungwon ihn heute anscheinend schon länger beobachtet hat? Oder dass er offensichtlich nicht vorhat, wieder zu gehen?

„Und? Kommst du jetzt wieder mit rein? Wir können drinnen die anderen mit Seifenblasen bombardieren! Oder wir plündern nochmal Jakes Kleiderschrank. Ich wette, dass wir auch was für dich finden. Oh, und dann kann ich dir auch Sunghoon-hyung vorstellen."

„Das ist wirklich lieb, aber ich glaube, ich bleibe lieber hier."

„Und was willst du tun?"

„Musik hören wahrscheinlich."

Jungwon lässt keine Chance verstreichen, das Ganze wieder in sowas wie eine Unterhaltung zu lenken, obwohl Jay sehr offensichtlich nicht so der Gesprächigste ist. „Was hörst du denn? Vielleicht mögen wir ja dasselbe. Dann können wir zusammen Musik hören?"

„Ich... eigentlich hör ich grad die ganzen alten Songs von BTS. Die haben ja in ein paar Tagen ihr Comeback und-"

„YET TO COME", unterbricht Jungwon lautstark. Es ist erstaunlich, wie sehr seine positive Art geradezu aus ihm herauszuquellen scheint. Jay kann den Blick kaum von ihm abwenden und merkt erst zu spät, dass er anscheinend einen genauso großen Fanboy vor sich sitzen hat.

„Du hörst... auch BTS?"

„Was? Na klar! Ich liebe ihre Musik! Ich kann das Comeback kaum erwarten! Ich meine... allein die Concept Photos haben mich schon wieder soooo gekillt. Das wir DAS Event des Jahres für mich!"

„Ich bin auch schon gespannt. Hör die Playlist schon rauf und runter. Sind einige meiner liebsten Songs dabei", erklärt Jay und zeigt Jungwon seine Spotify Playlist, die immer noch geöffnet ist.

„Mega! Dann habe ich schon die perfekte Idee, wie wir die Zeit bis Mitternacht rumkriegen. Wir machen einfach eine Pre-Comeback-Party!"

Jay könnte sicherlich Gründe finden, die dagegen sprechen. Bei den meisten würde er dies auch sicherlich tun, aber dieser Jungwon ist irgendwie anders. Wenn Jay ganz ehrlich ist, freut er sich sogar, wenn er noch ein bisschen mehr Zeit mit dem Seifenblasentypen verbringen kann.

„Und wir nennen sie: Yet-to-Come-Party! Das wird mega! Ich hoffe, du bist bereit, dich gleich mit mir zusammen richtig zum Affen zu machen!"

Glasklar. Jay kann bei diesem Lächeln und diesem Funkeln in den Augen nicht nein sagen. „Ohh", antwortet er daher grinsend, „Ich bin ein Meister darin, mich zum Affen zu machen."

„Perfekt! Ich auch! Also... worauf warten wir dann noch?"

Jungwon springt so überstürzt auf, dass Jay gar nicht so schnell reagieren kann, aber netterweise hält er ihm direkt die Hand hin. Jay greift nach der Hand des anderen mit einem breiten Lächeln und in dem Moment realisiert er, was hier gerade passiert. Okay, das ist vielleicht ein bisschen weit hergeholt, aber irgendwie findet Jay den Gedanken sehr tröstlich, dass BTS doch Mitleid mit ihm hatten und ihm jemanden geschickt haben, der den Abend in eine wesentlich bessere Richtung lenkt.

Und wer weiß... vielleicht hatten BTS doch Recht und der beste Moment seines Lebens kommt erst noch?

Zumindest scheint Jungwon ein Mensch zu sein, der dafür sorgen könnte.

Taelirium

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top