... yet to come; KOOKUCK
"Das klappt irgendwann", haben sie gesagt. "Irgendwann wird der richtige Partner kommen." Aber wann 'irgendwann' ist, haben sie nicht gesagt. Dabei wäre das die wichtigste Information von allen gewesen.
Momentan weiß Minho nicht, wie viele traurig-tragische, teilweise echt absurde Dates er noch ertragen kann, bis er die Hoffnung aufgibt.
Dass jetzt auch noch seine Lieblingsband BTS darüber singt, dass der schönste Moment erst noch kommt, macht es nicht grade besser. Bisher hat er sich zumindest immer von den sieben Musikern verstanden gefühlt. Aber 'Yet to come'? Ihr neuestes Comeback? Ernsthaft, nicht mehr als ein Comeback in der Shitshow seines Lebens. Wenn er BTS von seinen letzten Dates erzählen könnte, würden sicher selbst die anderer Meinung sein...
Vielleicht wäre das aber auch bescheuert. So wirklich durchblickt hat er es noch nicht einmal selbst. Und sie damit zu belästigen, würde nichts besser machen.
Er sitzt auf dem Sofa und starrt die Wand an. Unzählige Bilder hängen dort, verbunden durch rote Fäden, Notizen und Screenshots aus Chatverläufen. Ein muffiger Geruch liegt in der Luft, denn Minho und Hyunjins Studiowohnung befindet sich im Kellergeschoss und hat nur ein einziges, klitzekleines Fensters zum Lüften. Obwohl es gerade mitten in der Nacht ist, ist das stete Brummen von Straßenverkehr zu hören. Die Dusche plätschert leise im Hintergrund und Hyunjin singt gerade ein paar Tonlagen daneben Toxic von Britney Spears, während die Nachbarn über ihnen entweder dabei sind Leguane zu paaren oder äußerst fragwürdigen Geschlechtsverkehr haben.
Das alles interessiert Minho jedoch nicht. Sein brennendes Problem sind die roten Fäden vor ihm. Alle sein Dates und Flirts und Tinder-Supermatches hat er aufgeklebt – aber er erkennt kein Muster. Zumindest keins, das erklärt, warum er immer an die falschen Männer gerät.
Die Typen auf den Fotos sehen alle gut aus, sind alle ungefähr Mitte zwanzig und haben alle ein Rad ab. Ein fettes Rad. Mit Ecken und Kanten und feuerspeienden Echsen, die Tango tanzen und Minho auslachen, weil er aus unerfindlichen Gründen nur von Wahnsinnigen um Dates gebeten wird.
Und wieso? Auf einer Skala von eins bis zehn ist Minhos Charakter zirka eine sechs und eine sechs ist besser als eine fünf und eine fünf ist passabel, also ist er eigentlich der geniale Partner. So ungefähr.
Die Dusche hört auf zu plätschern und Hyunjins Toxic verstummt. Kleider rascheln und keine Minute später tritt ein vor Feuchtigkeit glänzender Hyunjin aus dem Bad. Seine langen schwarzen Haare tropfen auf den blauen Hoodie und seine drahtigen Beine lugen unter einer zerlumpten Spiderman-Boxershort hervor. Trotz der fragwürdigen Kleidung steht seine Schönheit im direkten Kontrast zur Hässlichkeit der Wohnung. Die vergilbten Wände, der ranzige Geruch und der Plastik-Esstisch wirken wie Abfall, der Hyunjins Präsenz nicht wert ist.
"Sag nicht, du spielst immer noch Sherlock", beschuldigt Hyunjin, sobald er Minho auf dem Sofa erblickt. Er geht zum Kühlschrank, nimmt sich ein abgelaufenes Schoko-Joghurt heraus, schnuppert vorsichtig daran, zuckt mit den Schultern und setzt sich dann zu Minho und seinem Dating-Problem. Er hebt eine Augenbraue – weil Minho ihm noch nicht geantwortet hat und Hyunjin die einzige Person auf der Welt ist, die Minho kommentarlos provozieren darf.
Minho seufzt. "Ich stehe kurz vorm Durchbruch."
"Und ich bin heimlich Milliardär.".
"Pinguine können fliegen."
"Der Kapitalismus ist schön."
"Das Leben ist fair."
Hyunjin schnaubt. "Hyung?"
"Was", fragt Minho.
"Findest du nicht, dein Drang einen", er setzt Gänsefüßchen in die Luft, "Seelenverwandten zu finden, wird langsam aber sicher lächerlich?"
"Ich werde ihn finden."
"Wirst du nicht."
Minho hasst die Tatsache, dass etwas Grausiges tief in ihm Hyunjin zustimmt. Er will es nicht wahrhaben. Er will nicht dazu verdammt sein in dieser winzig kleinen Bruchbude von Wohnung zu leben und einen Knochenjob in einer Großküche arbeiten zu müssen, nur um nebenher noch Tanzunterricht geben zu können, in der Hoffnung irgendwann entdeckt zu werden und gesellschaftlich aufzusteigen. Er ist eine sechs von zehn, aber sein Aussehen ist eine neun von zehn. Das ist im Schnitt eine 7.5 von zehn und eine verfickte 7.5 von zehn verdient ein gutes Leben.
"Hier", unterbricht Minho seine eigene Gedankenspirale, "sieh dir das an." Er steht auf und zeigt auf ein Bild eines Kunststudentens, der Minho letzte Woche angeboten hat, ihn mit Klebeband an eine Wand zu fixieren, um ihm einen zu blasen. "Sungho steht auf Gaffatape und Jihoon", er folgt einem roten Faden und zeigt auf ein Bild eines etwas älteren, muskulösen Mannes, "steht auf Shibari – also auch etwas mit Befestigung." Minho wirft Hyunjin einen bedeutungsschwangeren Blick zu, aber dieser löffelt nur unbeirrt sein abgelaufenes Joghurt. "Und Hyungwoo", er zeigt auf einen Tinder-Screenshot eines Selfies mit Hasenfilter, "strickt gerne. Daraus können wir schlussfolgern, dass mein Seelenverwandter ein Ding für Garn oder Seil hat und mich fixiert sehen will."
Hyunjin schüttelt den Kopf. "Daraus können wir schlussfolgern, dass du einen fürchterlichen Männergeschmack hast. Außerdem bist du die letzte Person, die irgendjemand irgendwo anbinden sollte."
Das ist wahr. Minho hasst es fixiert zu sein und die Kontrolle zu verlieren. Aber wenn das Universum ihm einen Seelenverwandten gibt, der das mag... was will er tun?
"Ich habe mir außerdem überlegt, ob ich nicht auch auf Dates mit Frauen gehen sollte", sagt er resigniert und setzt sich wieder zu Hyunjin auf das Sofa.
Hyunjin schnaubt. "Hyung? Du bist schwul."
"Aber was wenn nicht? Was, wenn mein Seelenverwandter eine Frau ist?"
"Ist er nicht. Ich verspreche es dir."
"Das kannst du nicht wissen", sagt Minho und verschränkt die Arme. Er starrt das Wirrwarr von roten Linien vor sich an, in der Hoffnung etwas Neues zu entdecken, aber da hängen bloß die selben gescheiterten Dateversuche wie immer.
Vielleicht ist die Tatsache, dass Minho immer nur an merkwürdige Leute gerät ein Hinweis an sich? Vielleicht ist Minhos Seelenverwandter in der Klapse.
"Als offizielles Oberhaupt der Bisexualty-Squad verspreche ich dir, dass deine nicht vorhandene Wertschätzung gegenüber Frauen Grund genug ist, keinen weiblichen Seelenverwandten zu haben."
"Ich kann nichts dafür, dass Frauen nerven."
Hyunjin kickt Minho überraschend vehement in die Seite. "Fuck", keucht Minho. "Was soll das?"
"Du bist ein Idiot."
"Einer, den du am leben lassen solltest, wenn du die Miete für das Drecksloch hier weiterhin bezahlen willst."
Sie sehen sich in die Augen. Hyunjin regt sich nicht, aber Minho kann jeden seiner Züge lesen. Hyunjin ist genervt, weil Minho recht hat. Er ist enttäuscht, weil Minho weiß, dass Hyunjin seine Bisexualität wichtig ist, Minho jedoch trotzdem ständig darauf rumhackt. Er ist traurig, weil er diese Bruchbude hier genauso verabscheut wie Minho und keinen Ausweg sieht.
Als sie sich auf der Performing-Arts Universität kennengelernt haben, haben sie sich gegenseitig versprochen eines Tages auf den größten Bühnen der Welt zu tanzen – und dennoch sitzen sie jetzt hier und sind gezwungen den Nachbarn beim Leguanepaaren zuzuhören. Hyunjin ist immer der positivere von ihnen beiden gewesen. Charakterlich eine acht von zehn und optisch eine zehn von zehn. Im Schnitt eine neun von zehn und somit viel zu gut für alles, was sich im Umkreis von zehn Kilometern befindet. Diese Positivität leuchtet immer noch irgendwo unter all den anderen, schwereren Emotionen durch, aber sie wird langsam aber sicher träge.
Wie lange kann man sich ein Drecksloch schönreden, bevor einem die Kraft zum Vortäuschen ausgeht? Minho weiß es nicht. Er hofft, dass er den Tag, an dem Hyunjins inneres Licht erlischt, niemals erleben muss. Vielleicht hat er Glück und eines seiner Dates bringt ihn vorher um. Minho schnaubt und wendet den Blick ab.
"Hast du von BTSs Comeback gelesen?"
"Yet to Come", antwortet Hyunjin und lässt den Themenwechsel zu. "Wir sollten nach dem Erscheinen schnellstmöglich den Tanz lernen, um ihn den Kiddies beizubringen. Du weißt, wie versessen sie alle auf die Jungs sind."
"Mhm."
Hyunjin beobachtet Minho von der Seite – Minho kann es deutlich spüren. Sie kennen sich erst seit sechs Jahren, aber diese sechs Jahre haben sie so eng miteinander verbracht, dass Minho buchstäblich einen siebten Sinn für Hyunjins Präsenz entwickelt hat. Es ist, als wisse sein Körper stets wo sich sein bester Freund befindet, ohne überhaupt darüber nachzudenken.
"Was beschäftigt dich, Hyung?", fragt Hyunjin, der Minho mindestens genauso gut lesen kann, wie Minho ihn.
Minho zuckt mit den Schultern. "Glaubst du, der schönste Moment wird noch kommen?"
"Vielleicht. Ich bezweifle aber, dass man ihn erkennt, wenn er da ist. Du weiß ja nie, was noch kommt. Vielleicht kommt was Besseres. Vielleicht hast du das beste schon erlebt. Spielt es denn eine Rolle?"
"Ich möchte es finden."
"Das Beste?", fragt Hyunjin verwirrt.
"Wohlstand, Zufriedenheit, meinen Seelenverwandten..."
Hyunjin schnaubt.
"...etwas, das besser ist als all das hier." Minho macht eine vage, allumfassende Geste.
Ein Stapel Teller liegt ungewaschen im Spülbecken. Das Doppelbett, dass sie sich teilen, ist ungemacht und zerwühlt. Staub sammelt sich auf den Regalen an und die Deckenleuchte flackert alle paar Minuten, als hätte sie regelmäßige Schlaganfälle.
"Lass uns was Essen gehen", wechselt Hyunjin das Thema und steht auf. Er wirft seinen Leeren Joghurtbecher weg und streift sich eine Jogginghose über die Spiderman-Boxershort.
"Wir haben kein Geld", sagt Minho.
"Ich habe nicht gesagt, dass wir teuer ausgehen sollen. Für den Cornerstore reicht es allemal – ich lad dich sogar ein, Hyung." Hyunjin lächelt und etwas in Minho wird weich. Hyunjin ist wahrhaftig das einzig Schöne in dieser Bruchbude – und meistens hat das keinen Deut mit seinem Aussehen zu tun.
"Okay, lass uns essen gehen."
***
Minho sitzt draußen vor dem Cornerstore auf einem Plastikstuhl. Es ist kurz vor zwei Uhr morgens und die Seitenstraße ist ruhig. Es ist angenehm warm und eine leise Popmelodie dringt aus dem Laden nach draußen.
Gegenüber des Cornerstores hängt ein Poster von Jungkook, mit dem Undercut und den perfekt gestylten Haaren. Seine Piercings glänzen im Licht des Fotografens und darunter steht Yet to Come. Es fühlt sich an, als wolle Jungkook in diesem Moment Minho höchstpersönlich damit beleidigen. Yet to Come. Das Glück wird schon noch kommen, sei nur geduldig, dann wird dein Schrotthaufen von Leben auch noch gut werden. Wer's glaubt.
"Hier", sagt Hyunjin leise und schiebt Minho einen Dampfenden Ramyeon-Karton unter die Nase. Er hat Mozzarellastücke und Würstchen hineingetan. Die, die Minho am allerliebsten mag, sie sich aber nie kauft, weil er sie für verschwendetes Geld hält.
"Danke."
Hyunjin lächelt und setzt sich neben ihn. Es wäre auch auf der anderen Seite des Tisches Platz, aber Hyunjin mag menschliche Nähe. Er quetscht sich eng an Minho und obwohl Minho diesbezüglich gegenteilig denkt, macht er keinen Wank. Vielleicht hat er sich mittlerweile daran gewöhnt, Hyunjins höchstpersönliches Kuscheltier zu sein, vielleicht ist er gerade aber auch einfach zu erschöpft, um sich zur Wehr zu setzen.
"Ich habe in drei Stunden Frühschicht", murmelt Hyunjin, während er Nudeln schlürft.
"Macht Seungjin schon wieder blau?"
"Mh-mh", stimmt Hyunjin zu, der in den letzten paar Wochen fast alle von Seungjins Frühschichten übernommen hat, weil der Wichser keinen Sinn für Anstand hat. Zugegeben hat Minho das auch nicht, aber wenn es um Hyunjin geht, ist es angebracht Ausnahmen zu machen.
"Soll ich mal ein Wörtchen mit ihm reden?"
Hyunjin lacht stumpf. "Damit er dich mit Gaffatape fesseln und dir seine Liebe gestehen kann?"
Minho ist ein klitzekleinwenig gekränkt. "Damit er aufhört deine Gutmütigkeit auszubeuten."
"Weil du die ganz für dich allein haben willst?"
"Weil ich die Miete für das Drecksloch allein nicht bezahlen kann", antwortet Minho kühl, weiß aber genau, dass das nicht die Wahrheit ist. Hyunjin weiß es ebenfalls. Minho ist nicht gut darin Emotionen auszudrücken, aber aus unerfindlichen Gründen versteht Hyunjin ihn trotzdem. Er weiß, dass Minho in drei Stunden aufwachen wird, weil Hyunjin das Bett verlässt und das Bett so verdammt kalt und leer ist, wenn man allein darin liegt. Minho wird so tun, als würde er weiterschlafen, auch wenn sie beide wissen werden, dass er wach ist. Hyunjin wird gehen und Minho wird ein paar Minuten lang daliegen und die leere Seite des Bettes anstarren. Manchmal fragt er sich in diesen Momenten, wieso Hyunjin und er es nicht geschafft haben. Warum sie Kinder unterrichten und schlecht bezahlte Nebenjobs ausführen, statt auf großen Bühnen zu stehen. Manchmal fragt er sich in diesen Momenten aber auch, wieso er – eine schwache sechs von zehn – jemand so gutes wie Hyunjin in seinem Leben verdient hat. Knochenjobs und Bruchbuden sind scheiße, aber was ist schon scheiße, wenn man jemanden an der Seite hat, der die Welt zum Strahlen bringt? Auch in Dreckslöchern. Vor allem in Dreckslöchern.
"Sie liegen falsch", sagt Minho.
"Huh?"
"BTS. Sie liegen falsch. Das Beste kommt nicht erst noch."
"Nicht? Sag mir bitte nicht, du hast dein Glück beim Strick-Typen gefunden."
Minho lacht schwach. "Wäre das schlimm?"
"Ich setz dich auf die Straße", droht Hyunjin.
"Wirst du nicht."
"Werde ich nicht", stimmt Hyunjin zu. "Aber bitte geh nicht nochmals mit ihm aus. Der Typ ist gruselig."
"Versprochen."
"Ja?"
Minho nickt. Er hält einen Moment inne, bevor er flüsternd hinzufügt: "BTS liegen falsch, weil es egal ist, was noch kommt. Ich hab schon alles was ich brauche, um glücklich zu sein." Es ist ein Geständnis, welches er bis vor zwei Minuten noch nicht einmal sich selbst eingestanden hat. Eines, das sich bloß um diese Uhrzeit, irgendwo zwischen Billigramen und BTS-Werbeplakaten aussprechen lässt.
Und Minho muss Hyunjin nicht ansehen, denn er weiß, dass Hyunjin lächelt.
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