Yesterday
„Dies ist nicht meine Geschichte, sondern seine. Es war ein ganz normaler Schultag. Er ging wie jeden Morgen zur Schule. Er hatte zwar Freunde, doch die traf er erst im Klassenzimmer an. Als er gerade ins Schulgebäude lief, bekam er die für ihn alltäglichen Kommentare zu hören. „Verpiss dich, du Schwuchtel!", „Denkst du, nur weil es jetzt einen Pride Month gibt, wirst du von uns akzeptiert? Du Abschaum!", „Geh wieder dahin, wo du herkommst!",waren normale Kommentare für ihn. Er hatte sich daran gewöhnt und gelernt, damit zu leben, dass er nicht akzeptiert wurde. Jedoch verlief dieser Tag anders ab als die gewöhnlichen Tage. Diesmal kam er nicht ins Klassenzimmer. Diesmal wurde er von einem Jungen in die Toilette verschleppt. Der coolste Junge natürlich, der irgendetwas beweisen wollte.
Der Coole namens Beomgyu grinste ihn komisch an. Genervt schaute dieser und fragte, was Beomgyu von ihm wollen würde. Dieser erwiderte nur „Dich. Hier und jetzt. Es ist doch der 1. Juni, also Pride Month, dass sollst du doch zu spüren bekommen.". Er wusste, dass er sich nicht gegen den Coolen wehren konnte, also ließ er alles über sich ergehen. Die 15 Minuten, die sich wie 15 Stunden anfühlten, unterdrückte der hilflose Junge. Als Beomgyu die Toilete verließ, sank der andere zu Boden. Er weinte nicht, da er sich selbst abgewöhnt hatte, zu weinen. Er wollte niemals wieder weinen und er hatte es auch schon verlernt. Er besaß einen leeren, leblosen Blick und überdachte sein Leben.
Die Klingel läutete, der Unterricht würde nun anfangen. Doch das Opfer einer Vergewaltigung betrat diesmal nicht den Klassenraum, um seine Freunde zu begrüßen und ihnen ein falsches Lächeln aufzutischen. Der Junge stand auf und ging nach Hause. Er hatte kein einziges Wort mehr gesprochen an diesem Tag. Die Stille des Jungen sagte mehr als tausend Worte.
Als er Zuhause ankam, war niemand da. Seine Eltern waren arbeiten. Er lachte aus Verzweiflung. Das Leben war für ihn unnötig geworden. Er wollte schon lange nicht mehr leben. Er wollte nicht mehr gegen seine Depressionen und diese homophobe Gesellschaft kämpfen. Er wollte sich nicht mehr verstecken. Er wollte sich nicht mehr selbstverletzen. Was er wollte, war einen letzten schönen Tag.
Er durchsuchte das Haus nach Alkohol. Er wollte seine innerlichen Schmerzen nicht mehr spüren. Er wollte frei sein. Also nahm er jeglichen Alkohol zu sich, den er finden konnte. Bevor er jedoch trank, schrieb er alles auf. Alles, was er fühlte und durchgemacht hatte. Er schrieb auf, dass er nun endgültig aufgab. Dass er nur durch den Tod Frieden finden würde. Er lebte in ärmeren Verhältnissen und erlitt Mobbing. Durch dieses Mobbing verfiel er in eine tiefe Depression, die jahrelang, bis zu seinem Tod, anhielt. Sein Outing durch dumme Arschlöcher, kam noch dazu. Er kämpfte jeden Tag mit dem Gedanken, sich selbst zu verletzen oder sich das Leben zu nehmen. Jeden Morgen fragte er sich, wieso er nicht im schlaf gestorben ist. Jeden Morgen quälte er sich aus dem Bett, um sich in der Schule dumme Kommentare anzuhören und sinnloses Zeug zu lernen.
Mit seinen 16 Jahren hatte er es schwerer, als Menschen, die nicht mit mentalen Problemen leben müssen. Nachdem er seine Gedanken aufschrieb, und somit alles losließ, was ihn in dieser Welt noch so festhielt, trank er hemmungslos. Er war sich aber bewusst, dass er nicht zu viel trinken durfte, da er noch im Stande sein musste, sich umzubringen.
Vielleicht denkt ihr, dass er sich 'nur'wegen einer Vergewaltigung das Leben nahm. Nein, die Vergewaltigung war nur der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Er wollte seit längerem nicht mehr leben. Sein Sinn im Leben war es, zu sterben. Das Leben war ihm eine tägliche Last, ohne jegliche Erfolgschance, jemals wieder glücklich zu werden. Er genoß den Gedanken an den Tod. Der Tod bedeutete Erlösung, die er dringend brauchte.
Nachdem er keine Schmerzen mehr empfand, suchte er sich Schlafmittel. Er schaute gar nicht auf die Packungsbeilage sondern nahm einfach alle Tabletten ein. Er wollte definitiv an diesem Tag sterben. Er musste sicher gehen, dass er zumindest eine Sache in seinem Leben richtig machte. Als er alle Tabletten nach und nach geschluckt hatte, legte er sich ins Bett, schrieb seine letzten Worte und schlief ohne Schmerzen friedlich ein. Seine Eltern fanden ihn am Abend tot auf. Sie waren am Boden zerstört. Sie wollten wissen, wieso. Als sie sich seine Tagebücher durchlasen, wussten sie, wieso. Doch abgeschlossen hatten sie damit noch nicht. Auch nach vier Jahren konnten sie nicht abschließen. Sein Selbstmord ist mehr als 4 Jahre her. Die meisten haben ihn wohl schon vergessen, er war ja bloß eine Schwuchtel, nicht wahr?
Nun erzähle ich meine Sicht seiner Geschichte.
Sein Name war Min Yoongi, ein 16 jähriger Schüler, der in meiner Schule war. Er war eine Klassenstufe über mir. Er hatte zwar Freunde, doch ich sah ihm täglich an, wie einsam er sich fühlte. Ich traute mich nie, ihn anzusprechen, da ich damals noch nicht zu mir selbst stand. Am besagten 1. Juni stand ich mit meinen Freunden im Flur des Schulgebäudes. Ich hörte, dass Yoongi wieder einmal beleidigt worden war. Es war zwar Pride Month, doch dies änderte nichts an dieser Schule. Dann sah ich, wie Beomgyu Yoongi in die Toilette zog. Ich ahnte, dass das nicht gut enden würde. Meine Freunde und ich quatschten noch ein bisschen, bis es klingelte. Wir gingen in den Unterricht, doch ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich dachte die ganze Zeit an den Jungen. Ich hatte solche Angst um ihn.
Als endlich Pause war, hoffte ich, Min Yoongi in der Cafeteria zu sehen, doch er war nicht da. Den ganzen Tag machte ich mir um ihn Sorgen. Bevor ich schlief, hoffte ich, dass er am nächsten Tag wieder in der Schule war. Ich war unfassbar verliebt ihn ihn. Ich wollte ihn unbedingt ansprechen. Ich hätte mich endlich getraut. Doch er kam nicht am nächsten Tag. Auch nicht am übernächsten. Er kam nicht wieder. Und eine Woche nach seinem Tod, wurde sein Selbstmord bekanntgegeben. Ich war total geschockt. Meine Freunde wussten, dass ich in ihn verliebt war, deshalb waren sie in der Zeit für mich da. Ich konnte einfach nicht verstehen, wieso. Jeder an dieser Schule wusste, dass er gemobbt wurde, doch ich dachte mir, dass da mehr dahintersteckte. Also nahm ich meinen Mut zusammen und ging zu Yoongis Wohnung.
Ich klingelte total nervös. Ich hoffte, die Eltern könnten mich verstehen und mir helfen, seinen Tod besser zu verstehen. Die Tür wurde aufgemacht und ich sah Yoongis Eltern in die Augen. Diese strahlten absolute Trauer aus. Ich erklärte ihnen wer ich war, dass ich in Yoongi verliebt gewesen war und das ich gerne wüsste, wieso er sich das Leben nahm. Zuerst waren seine Eltern sehr skeptisch. Verständlich, ich war ein Fremder für die beiden. Wir redeten ein bisschen, bis sein Vater Yoongis Tagebücher holte und an mich übergab. Ich bedankte mich und begann zu lesen. Ich konnte das kaum verkraften.
Als ich alles durchgelesen hatte, wusste ich eine Sache: Ich würde seine Geschichte an meiner Abschlussrede erzählen. Ich liebte und liebe ihn bis heute. Ich konnte es nicht fassen, wie schwer er es gehabt hatte und wie schwer sein Alltag war. Ich verfiel ebenfalls wie er in ein tiefes Loch. Dieses Bestand allerdings nicht aus einem depressiven, Selbsthass-Loch, sondern aus einem Hass-Loch. Ich empfand nur noch Hass gegenüber dieser homophoben Schule.
Aber ich lernte etwas von diesem Hass. Niemals wollte ich mit solchen Monstern zu tun haben. Ich wuchs. Ich hörte auf, mir die Schuld zu geben, da ich ihn nicht ansprach. Aber ich werde mir immer die Schuld dafür geben, dass ich nicht zu mir selbst stand.
Liebe homophobe Schule, ich bin Bisexuell. Und mit diesen letzten Worten hoffe ich, dass ich niemanden aus diesem Raum jemals wiedersehen muss.", beendete ich meine Rede. Ich ging von der Bühne und sah ausschließlich schockierte Gesichter. Ich musste einfach Yoongis Geschichte erzählen und das war es Wert. Ich hatte meinen Abschluss und musste nie wieder in diese grauenhafte Schule. Ich verließ die Sporthalle und schaute in den Himmel. Ich hoffte, dass Yoongi in Frieden ruhte. Ich lebte nun für ihn.
—
Manchmal ist es zu spät, also zögert nicht zu helfen.
Falls jemand Hilfe braucht, es ist niemals zu spät, um Hilfe zu bitten.
Start: 19:57
Ende: 20:59
Wörter:1381
03.06.23
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