2.
Langsam drehte ich mich um und lief zu den Fenstern. Eine Glasscheibe war zerbrochen und frischer Wind wehte mir mein dichtes, graues Haar ins Gesicht. Wie viel ich doch dafür gäbe, wieder so jung und unerfahren zu sein wie damals. Ich würde jetzt, da ich wusste, was geschah, sicherlich einen anderen Weg einschlagen - zumindest wenn ich täte, was meine Vernunft mir befahl. Doch damals hatte ich nur auf meine Träume geachtet, weit weg von der Realität und es war ein Leichtes für ihn gewesen, mich in seinen Bann zu ziehen, egal ob ich auf solche „Kleinigkeiten" wie Liebe nicht scharf war.
Er, der Klavierspieler in der hinteren Ecke; er, der hochgewachsene, lächelnde Junge, der den Tänzerinnen oftmals zusah und sie in sagenhaften Tönen wiegte; er, dessen Namen mir wie ein Dolchstoß vorkam. André. Ich hatte dessen Bedeutung recherchiert: Mannhaft, tapfer. Mir kam er nicht tapfer vor, selbst nach seinem Tod. Ja, er war tot. Doch so recht konnte ich nicht darüber traurig sein. Zwar hatten wir gemeinsam vieles erlebt, doch Kummer und Schmerz hatte er mir auch zugefügt, mehr als ich hätte ahnen können ...
Wieso nur war ich - verdammt noch mal - so stur gewesen? Wieso hatte ich mich dazu herabgelassen, zurück an diesen Ort voller Erinnerungen zu gelangen? Dass ich wegen Andrés Beerdigung hier in die Stadt musste, war eine Sache, aber das Schicksal herauszufordern, indem ich hier herkam? Das war in keinem Fall vernünftig, geschweige denn gut für mein altes Herz, dass so viel durchgemacht hatte ...
Die Einladung zur Beerdigung war vor zwei Wochen in meiner kleinen Wohnung eingetroffen und hatte mich über alle Maße überrumpelt. Wie konnte er es wagen? Wie konnte André es wagen, mich zu seinem regelrechten Tod einzuladen? Wie konnte er nur damit leben, mich erneut durch diese Schmerzen zu führen - zugegeben, er lebte nicht mehr ...
Ich hatte so vieles erlebt, seit wir uns getrennt hatten. Ja, ich war mit ihm zusammen gewesen. Ja, wir hatten ein gewisses Maß an Liebe füreinander empfunden, wenn man das so ausdrücken kann. Doch das war seit Langem vorbei und ich war längst darüber hinweg.
Zumindest glaubte ich das, bis ich den Erinnerungen nachgab, die mich durchfluteten, als ich mich im Raum umsah und das weiche Holz des Klaviers berührte -
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