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Besonders. Jeno findet mich besonders. Und er hat das so sanft gesagt, mein Herz flattert immer noch, wenn ich daran denke. Ich bin besonders. Für Jeno bin ich jemand Besonderes. Ist das zu fassen? Für mich absolut nicht.

Täglich steigt seine Fananzahl, hat schon bald die Tausend überschritten. Seine Lieder gewinnen extrem an Hörzahlen, und einige erreichen mehrere Tausend. Ich sehe zweimal täglich nach, was sich verändert hat, und freue mich jedes Mal mehr. Zwar begegnen Jeno und ich uns eine Weile nicht, aber er lädt weitere Lieder hoch und so fühle ich mich trotzdem, als hätte ich mit ihm gesprochen.

Aber ich werde krank, also verdoppelt sich die Zeit, und ich bin jeden Tag frustrierter, ihn nie nach seiner Nummer gefragt zu haben. Meine Glücksmomente sind immer die, in denen ich sehe, dass Jeno mehr Fans bekommen hat, und trotz der Positivität, die ich dadurch verspüre, bin ich ansonsten doch gänzlich unmotiviert und bewege mich kaum aus meinem Zimmer, geschweige denn Bett, fasse die Notizen meiner verpassten Vorlesungen nicht einmal an. Meistens schlafe ich oder lenke mich mit belanglosem Zeug ab, um nicht die ganze Zeit an Jeno denken zu müssen. Aber genau das tue ich. Dass er gefühlt täglich neue Lieder hochlädt, hilft da nicht wirklich. Und dass ich ständig das Gefühl habe, dass er bei dieser einen Zeile oder dieser einen Situation an mich gedacht hat, macht mich verrückt. Ich meine, ich weiß, dass ich irgendwo sein werde. Aber ich kann nicht eines seiner Lieder hören, ohne darauf zu achten, was sich auf mich beziehen könnte.

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Am zehnten Tag ohne Jeno steht auf einmal Jaehyun vor meiner Wohnungstür und drückt mir nur einen Zettel in die Hand, wünscht mir gute Besserung, bevor er auch schon wieder weg ist. Ich starre eine Weile blöd auf das Papier, drehe es um und sofort breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus.

Es ist Jenos Schrift.

Und sofern ich das richtig entziffern kann, muss ich morgen um 15:30 Uhr Radio hören, auch wenn der Sender mir nichts sagt.

Ich suche ihn also hastig im Internet heraus, speichere ihn auf meinem Handy ein. Und danach fällt mir die Nummer unten in der Ecke auf. Und noch einmal grinse ich wie verrückt. Gut, dass ich allein bin, sonst hielte mich noch jemand für bescheuert.

Doch nach dem Hoch kommt sofort ein Tief, denn ich kann die letzten drei Ziffern nicht erkennen. Also sitze ich auf meinem Bett, starre auf die Zahlen, die ich mir seit fünf Tagen so sehnlich herbeigewünscht habe, und fange vor lauter Frustration an zu weinen.

Wenn ich ihm nicht schreibe, was denkt er dann? Dass ich kein Interesse an ihm habe? Dass ich es vergessen habe? Dass es mir einfach nicht so wichtig ist? Ich will seit einer Woche seine Nummer haben, und jetzt wo ich sie habe, bringt sie mir nichts, weil ich sie nicht lesen kann. Was habe ich nur getan, dass mir jetzt so eins ausgewischt wird?

Ich bin nicht mehr nur frustriert, sondern auch noch irgendwie enttäuscht. Und so mache ich gar nichts mehr, bis ich am nächsten Tag um 15:28 Uhr den Radiosender einschalte, die Lautstärke hochdrehe und mit einem Kissen im Arm auf meinem Bett sitzend darauf warte, dass ich Jenos Stimme hören kann.

Die Ankündigung bekomme ich nicht so wirklich mit, auf einmal schießt Aufregung und Freude durch meinen Körper. Ich freue mich unglaublich für Jeno, dass er mit seiner Leidenschaft etwas erreicht hat, und hoffe, dass es ihm genauso geht. Und ich komme nicht umhin, zu hoffen, dass er mich erwähnen wird.

"Jeno, vielen Dank, dass du unserer Einladung gefolgt bist." Na endlich. Wieso bin ich so aufgeregt?

"Danke, dass ihr mich eingeladen habt." Seine Stimme löst ein warmes Kribbeln in mir aus, und ich bemerke seine Nervosität.

"Einige unserer Hörer haben nach dir gefragt, und sind sicherlich genauso aufgeregt wie du." Die Moderatorin lacht, und ich meine, auch Jenos leises Lachen hören zu können. "Aber fangen wir an. Du hast schon vor knapp einem Jahr angefangen, Musik zu machen, ist das korrekt?"

"Wenn man es genau nimmt, habe ich schon mit sechzehn angefangen. Das war so das Einzige, wo mir meine Eltern nicht dazwischengepfuscht haben. Aber vor einem Jahr habe ich angefangen, meine vollständigen Lieder hochzuladen."

"Alles, was man hört, stammt von dir, richtig?"

"Ja. Deswegen ist auch alles relativ simpel. Ich bin kein großartiger Künstler, der Mischpulte oder Bearbeitungsanwendungen zu verwenden weiß. Meine Gitarre reicht mir." Und das kannst du auch unglaublich gut. Ich weiß immer noch nicht, wie deine Lieder so schön klingen können. Aber ich schätze, ich bin einfach nur echt verliebt in dich.

"Seit wann spielst du schon Gitarre?"

"Seit ich zehn bin? Ich weiß es nicht. Meine Eltern haben mich damals dazu gezwungen, ein Instrument zu spielen. Angefangen habe ich mit Geige, aber ziemlich bald habe ich mich umentschieden."

"Das hat sich eindeutig ausgezahlt." Eine ganz kurze Pause. "Ich möchte vor unseren Hörern nicht angeben, aber nun, da du vor mir sitzt, kann ich die Vermutungen und Wünsche nur bestätigen. Du bist wirklich sehr hübsch." Ja, das ist er. Ob er heute wohl ausgeschlafen ist? "Aber du zeigst dich nicht. Dürfen wir da noch etwas erwarten, oder hast du Angst, dass jemand deinetwegen in Ohnmacht fällt?"

Jenos leises Lachen klingt ein wenig peinlich berührt. "Ich habe schlichtweg noch nicht darüber nachgedacht. Ich möchte eigentlich nicht nach meinem Aussehen bewertet werden, es geht ja doch um meine Musik, oder nicht? Außerdem denke ich, dass es deutlich entspannter ist, wenn niemand weiß, wie ich aussehe. Nicht nur für mich, sondern auch für die Personen in meinem Umfeld."

"Da werden einige Fans enttäuscht sein", schmunzelt die Moderatorin. Ich finde trotzdem, dass Jeno recht hat. Er braucht sich nicht zu verstecken, wenn er anonym bleibt. "Aber recht hast du natürlich. Reden wir aber mal über deine Musik, schließlich bist du deswegen hier. Angefangen hast du, wenn ich mal so ehrlich sein darf, mit unbedeutenden Stücken. Sie gehen einfach nicht so richtig ins Ohr. Mittlerweile hat jedes Lied mehr Potenzial als das andere. Und das, obwohl du sehr viel mehr veröffentlichst, als wohl eigentlich zu schaffen ist. Was ist passiert?"

Jeno schweigt. Ich frage mich, worüber er nachdenkt. Denkt er an mich? Ich werde rot und verdrehe die Augen über mich selbst.

"Du musst das natürlich nicht beantworten", ergänzt die Moderatorin lächelnd.

"Doch, das ist schon okay." Er räuspert sich. "Das ist nur eine etwas längere Geschichte."

"Wir haben genug Zeit."

Jeno holt tief Luft. Dann beginnt er zu sprechen, und ich fange sofort an zu lächeln. "Ich wohne in der Nähe einer Universität. Dort gibt es einen Kaffeeladen, direkt am Campus. Der Kaffee ist extrem gut. Und außerdem haben sie von drei Uhr morgens bis elf Uhr abends geöffnet. Ich bin meistens nachts am Schreiben, und da bietet sich das natürlich an. Also bin ich immer dann dort, wenn mir ohne Kaffee die Augen zufallen." Ein leises Rascheln, vielleicht von Papier. "Ich bin immer in einem ziemlich müden Zustand dort aufgekreuzt und bin den Barista damit immer echt auf den Geist gegangen." Er lacht leise. "Vor einiger Zeit war ich nach einer Weile wieder dort. Und da stand ein neuer Barista." Ich höre sein Lächeln. Das bin wohl ich. "Ein Student. Er hatte Semesterferien und das war seine erste Frühschicht. Trotzdem hatte er eine unerklärlich gute Laune." Deinetwegen, du Idiot.

"So früh? Das ist wirklich ungewöhnlich." Unterbrich ihn nicht. Ich will Jeno zuhören.

"Und er sah auch noch echt müde aus. Naja. Wir haben uns ein bisschen unterhalten. Er hat sich in meinem Gedächtnis verankert, obwohl ich meistens vergesse, was ich morgens zwischen zwei und vier tue. Dafür ist wohl mein Melatonin verantwortlich." In seiner kurzen Pause muss ich mir ein Grinsen verkneifen. "In der Woche danach war er wieder da. Und zu Hause fiel mir mit dem Kaffee dann etwas ein, wo mein Kopf seit Tagen nur noch Unsinn ausgespuckt hatte. Und auch noch einen Tag später waren Ideen da. Und noch einen Tag darauf stand er schon wieder da. Und dann haben wir uns für den nächsten Tag zu einem Kaffee verabredet." Er lacht leise. "Ich bin in diesen Tagen nur so übergelaufen vor Ideen. Es hat ein bisschen gedauert, um zu verstehen, dass er der Grund dafür war. Eine Woche haben wir uns nicht gesehen, er war nie morgens da und ich nie tagsüber, aber am darauffolgenden Samstag bin ich dann doch hingegangen, nachmittags meine ich. Und er war da und ich habe mich eine halbe Stunde allein in die Ecke gesetzt und auf ihn gewartet. In dieser kleinen halben Stunde ist meine Kreativität mit mir durchgegangen und das nur seinetwegen."

"Da hat er wohl die richtigen Knöpfe gedrückt?"

"So ungefähr." Jeno scheint zu zögern.

"Erzähl ruhig weiter", fordert die Moderatorin ihn lächelnd auf, "das interessiert sicherlich nicht nur mich."

"Wir haben eine ganze Weile zusammengesessen, bis ich es nicht mehr aushalten konnte, nur Notizen zu machen, und nach Hause gegangen bin. Zu seiner nächsten Schicht war ich wieder da, ich habe ihn extra gefragt, schließlich wollte ich ganz eigennützig seine Inspiration ausnutzen." Und ich bin dir dankbar dafür. "Abends haben wir zusammen gegessen. Und wieder war eine ganze Seite seinetwegen gefüllt."

"Was passierte dann?", hakt die Frau nach, als Jeno verstummt. Ich beiße mir auf die Unterlippe.

"Das war das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben. Er ist krank geworden." Es tut mir so unglaublich leid, Jeno.

"Wie wirkt sich das auf deine Kreativität aus?"

Er lacht leise. "Stark. Aber er hat noch genug Ideen in mir festgesetzt, also muss ich mir darum keine Sorgen machen."

"Hört er uns gerade zu, was denkst du?"

"Ich hoffe das." Jetzt ist er ganz eindeutig unsicher.

"Möchtest du ihm etwas sagen?"

Jeno sagt nichts. Aber da sie auch nichts sagt, gehe ich davon aus, dass er nachdenkt.

"Gute Besserung, Jaemin. Werd schnell wieder gesund, ich vermisse deinen Kaffee." Ich laufe knallrot an und vergrabe mein Gesicht in meinem Kissen.

"Jaemin? Ein schöner Name."

"Ein schöner Junge." Oh Himmel.

Sie lacht leise. "Vielen Dank für deinen Besuch, Jeno. Wir hören bestimmt noch einmal von dir."

"Danke, dass ich hier sein durfte."

Dann kündigt sie eines seiner Lieder an, aber ich denke nur darüber nach, wie ich ihn möglichst schnell wiedersehen kann.

Heute Nacht. Ich muss heute Nacht einen Kaffee trinken gehen.

20 04 12

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