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Jedes seiner Lieder gefällt mir. Aber das Problem ist trotzdem mehr als deutlich; es ist Nonsens, über das er singt, und keines davon geht richtig ins Ohr. Nur sein neuestes ist da etwas besser, allerdings auch noch lange nicht gut.

Trotzdem lade ich sie alle herunter und höre sie, als ich mich für meine nächste Frühschicht fertigmache. Schon komisch, wie ich meinen kostbaren Schlaf für jemanden opfere, der nach vier Begegnungen mein Crush geworden ist. Okay, die vierte waren auch drei Stunden voller Gespräche und Gelächter, aber trotzdem kommt mir das so absurd vor, dass ich über mich selbst lachen muss.

Jeno, ich komme.

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Diesmal ist er erst kurz bevor meine Schicht endet da, und steht einige Zeit in der Tür, bevor mein "Jeno?" ihn aus seinen Gedanken reißt und er auf mich zukommt.

"Hast du einen Zettel und einen Stift für mich?"

"Hat die Kreativität zugeschlagen?" Er nickt, sein Gesichtsausdruck ist auf einmal ernst und er sieht nicht mehr müde aus, sondern konzentriert. Ich gebe ihm also hastig Papier und Kuli, bevor ich seinen Kaffee mache. Währenddessen werfe ich ihm ein paar Blicke zu, beobachte, wie er hastig mehrere Zeilen auf den Zettel kritzelt und dabei seine gesamte Aufmerksamkeit dem Stift schenkt. Als ich mit dem Kaffee vor ihm stehe, sieht er auf, lächelt und ergänzt noch zwei weitere Zeilen, bevor er sich vollständig aufrichtet und mir Geld gibt – mehr als sonst.

"Jeno–" Er lächelt mich so aufrichtig an, dass ich nicht weiter komme.

"Danke für die Inspiration. Ich wünsche dir einen schönen Tag, Jaemin." Und auch wenn ich darauf nicht weiß, was ich sagen soll, strahlt er einfach nur weiter und verlässt den Laden.

Wozu ich ihn wohl inspiriert habe?

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Eine ganze Woche vergeht, in der Jeno durch zwei neue Lieder kurz vor dreihundert Fans steht. Wir sehen uns nicht, meine nächste Frühschicht wird erst im nächsten Monat sein, und es frustriert mich mehr, als ich zugäbe. Und natürlich taucht Jeno auch in meinen Nachmittagsschichten nicht auf. Jedes Mal enttäuscht es mich aufs Neue, obwohl ich genau weiß, dass er nur frühmorgens hierherkommt. Und so verliere ich mit jedem Tag mehr und mehr die Hoffnung, ihn vor nächstem Monat wiederzusehen. Das wirkt sich wohl oder übel auch auf den Rest meines Lebens aus; ich bin so gut wie immer unmotiviert und unkonzentriert, von meiner schlechten Laune fange ich gar nicht erst an. Und das nur, weil ich Jeno nicht sehe. Ich könnte mir dafür selbst eine reinhauen.

Wenigstens habe ich noch seine Musik.

Ich höre ihm fast jeden Tag zu, liebe seine Stimme einfach so sehr, dass ich gar nicht anders kann. Und sie erinnert mich an ihn und macht mir damit etwas bessere Laune.

Am Samstag stehe ich von elf bis sechzehn Uhr im Laden, da ich dem eigentlich Zuständigen der Nachmittagsschicht die erste Stunde abnehme – aber ich werde dafür bezahlt, also ist mir das recht.

Besonders, als gegen halb vier ein mir all zu bekanntes Gesicht durch die Tür tritt. Und innerlich springe ich vor Freude im Kreis, strahle ihn aber einfach nur an. Er sieht erleichtert aus, lächelt erfreut und läuft etwas schneller als sonst zum Tresen.

"Hallo, Jeno. Was möchtest du bestellen?"

"Hallo, Jaemin. Wieso fragst du das noch?"

"Ich weiß auch nicht." Noch immer breit grinsend wende ich mich ab.

"Aber heute kannst du ihn mir in eine Tasse füllen."

"Was hält dich hier?" Ich nehme eine der vielen bunten Tassen aus dem Regal.

"Meine Inspiration."

"Was–" Er lächelt mich an, sodass ich verstumme und rot anlaufe. Leider ist unser Gespräch damit beendet, da eine weitere Person den Laden betritt, aber ich schiebe eine kleine Notiz mit Jenos Kaffee über den Tresen, dass er auf mich warten soll, bis meine Schicht um 16 Uhr beendet ist.

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Etwas nach vier kommt Jung Jaehyun in den Laden gehastet, entschuldigt und bedankt sich bei mir, und innerhalb von fünf Minuten bin ich mit einer Kaffeetasse an den Tisch herangetreten, an dem Jeno seit einer halben Stunde sitzt, bereits mit einem zweiten Kaffee – den auch ich ihm gemacht habe.

"Deine Inspiration also." Ich blicke auf das Papier vor ihm, allerdings schreibt er so hastig, dass ich kaum etwas auf die Schnelle entziffern kann.

"Du, Jaemin."

Wieder laufe ich rot an. "Wozu inspiriere ich dich?"

"Zu ganz vielem. Wenn ich dich ansehe, kommen mir tausende Ideen, und davon hat vielleicht die Hälfte wirklich mit dir zu tun. Du lässt einfach meine Kreativität auf Hochtouren laufen. Vielleicht muss ich dich entführen und in meine Wohnung setzen."

Peinlich berührt senke ich meinen Blick auf seine Finger um seine Kaffeetasse. Sie sind hübsch und wieder mit blauen und schwarzen Flecken übersät. "Heißt das, dass du öfter herkommst?"

"Ich bin fast jeden Tag hier. Aber jetzt tauche ich vermutlich auch noch nachmittags auf. Das ist echt mies von dir, so kann ich gar nicht mehr schlafen. Nachts komponiere ich und tagsüber muss ich deine ganzen Ideen einsammeln und aufschreiben, bevor sie verloren gehen." Schüchtern lächelnd sehe ich auf und er lächelt ebenfalls, und spätestens jetzt sollte ich mir wohl im Klaren darüber sein, dass Jeno im Besitz meines Herzens ist.

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Wir reden noch eine Weile miteinander, er hält zwischendurch immer wieder seine Hand hoch, sodass ich verstumme und erst weiterrede, als er wieder von dem voller und voller werdenden Zettel aufsieht. Es ist schön, mit ihm zusammenzusitzen und einfach nur zu reden, oder auch zu schweigen und dabei zuzusehen, wie er sich seiner Leidenschaft widmet.

"Jaemin?", unterbricht er eine der kleinen Pausen, die wir machen, wenn er schreibt.

"Jeno?"

"Verzeihst du es mir, wenn ich jetzt nach Hause gehe? Sonst platze ich noch."

Ich muss lächeln. "Klar." Er sieht erleichtert aus.

"Danke. Wann bist du das nächste Mal hier?"

"Oh, ich... Dienstag. Fünfzehn bis neunzehn Uhr. Meine Standardschicht."

Jeno steht auf und sammelt seine Sachen ein, schiebt seinen Stift in seine Jackentasche. "Dann sehen wir uns Dienstag." Lächelnd nimmt er sein Notizbuch in die Hand und ich sehe überrascht zu ihm hoch.

"Kommst du hierher, um mich anzustarren?"

Er schmunzelt. "So ungefähr. Aber auch, um ganz viel Kaffee zu trinken, damit ich deine Stimme hören kann." Und dann geht er. Lässt mich mit hochrotem Kopf allein.

Jeno, tu mir das doch nicht an.

20 04 11

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