Kapitel 6: Treffen
Kapitel 6:
Treffen
~*~
Es fühlte sich illegal an.
Nicht nur wegen der Ausgangssperre, die sie eindeutig missachtete, sondern weil sie genau wusste, dass sie sich in einem Zustand befand, der alles andere als rational war.
Doch sie zog dennoch die schwere, schwarze Robe fester um sich, als sie durch die stillen, dunklen Korridore von Hogwarts schlich. Es war mitten in der Nacht, und der Mond warf silberne Lichtflecken durch die hohen Fenster auf die kalten Steinböden. Ihr Herz pochte wie ein Trommelschlag in ihren Ohren, und jeder ihrer Schritte schien in der Stille des Schlosses viel zu laut zu sein.
Sie hätte in ihrem Bett liegen und schlafen sollen, aber das war unmöglich. Ihr Kopf war ein einziges Chaos aus Erinnerungen, Bildern und Gefühlen, die sie nicht sortieren konnte. Immer wieder tauchte sein Gesicht vor ihrem inneren Auge auf. Malfoy. Mit seinen scharf geschnittenen Zügen, den stahlgrauen Augen, die so viel mehr verrieten, als er zugeben wollte. Und dann die Art, wie er sie angesehen hatte, nachdem er...
Die Brünette schüttelte den Kopf, als könnte sie die Gedanken damit abschütteln. Aber sie kamen zurück, hartnäckig wie immer. Sie erinnerte sich an den Moment, als er ihr Handgelenk gepackt hatte, wie seine Finger sich um ihre Haut geschlungen hatten, viel zu fest, viel zu nah. Und an die Angst, die sie gespürt hatte – die sie ihm gezeigt hatte. Das war ein Moment gewesen, der sie nicht losließ. Nicht die Wut, nicht die Worte, die sie ihm entgegengeschleudert hatte. Sondern die Angst, die sie nicht hatte verbergen können.
Hermine biss sich auf die Unterlippe und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während sie um die nächste Ecke bog. Sie wusste nicht, wohin sie ging. Oder vielleicht wusste sie es, wollte es sich aber nicht eingestehen. Ihre Füße trugen sie einfach vorwärts, immer weiter durch die endlosen Gänge.
Ihre Gedanken liefen so laut in ihrem Kopf, dass sie fast den plötzlichen Laut überhörte. Ein leises Klicken, gefolgt von einem dumpfen Geräusch, irgendwo weiter vorne im Korridor. Sie blieb abrupt stehen, ihre Hände um die Robe gekrallt, und lauschte. Ihr Atem ging flach, während sie ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnen ließ. Vielleicht war es nur Peeves, oder Mrs. Norris, oder...
„Wer ist da?" Ihre eigene Stimme klang schwächer, als sie gehofft hatte, ein Flüstern, das in der Dunkelheit verschwand. Keine Antwort. Aber da war noch etwas – ein schwaches, pulsierendes Licht, das aus einem der angrenzenden Räume sickerte.
Hermine zögerte. Sie wusste, dass sie umkehren sollte. Sie wusste, dass sie einfach zurück in den Gryffindor-Turm gehen, sich in ihr Bett legen und so tun sollte, als wäre nichts passiert. Aber etwas in ihr – etwas, das sie nicht benennen konnte – trieb sie vorwärts.
Mit einem festen Griff um ihren Zauberstab schlich sie näher an die Tür heran, aus der das Licht drang. Es war nur einen Spalt breit geöffnet, gerade genug, um einen Blick hineinzuwerfen. Sie hielt den Atem an, als sie vorsichtig hineinschaute.
Es war Eingang zum Astronomieraum, der eindeutig aus den Jahren gekommen war. Staub schwebte in der Luft wie winzige, glitzernde Partikel, beleuchtet von dem schwachen, schimmernden Licht, das von einem alten, verzauberten Globus in der Mitte des Raumes ausging. Das Licht drehte sich langsam und malte sanfte Schatten an die Wände.
Und dann sah sie ihn.
Draco Malfoy saß auf einer der alten, wackeligen Tische, ein Buch in der einen Hand, sein Zauberstab in der anderen, der schwaches Licht spendete. Sein blondes Haar war leicht zerzaust, als hätte er sich ständig mit der Hand hindurchgefahren, und seine Schultern waren angespannt. Doch was sie am meisten überraschte, war sein Gesichtsausdruck. Er wirkte... müde. Nicht nur körperlich, sondern erschöpft auf eine Art, die tief in ihm nistete.
Sie hielt den Atem an, als er plötzlich aufsah.
„Granger?" Seine Stimme war leise, aber nicht weniger scharf, und sein Blick fixierte sie, als hätte sie ihn gerade beim Diebstahl ertappt.
Die Hexe trat reflexartig zurück, aber ihre Schuhe quietschten leicht auf dem Steinboden. Verdammt. Sie konnte sehen, wie sich seine Haltung veränderte – wie er das Buch zuschlug und von dem Tisch rutschte, seine Bewegungen fließend und kontrolliert.
„Was machst du hier?" Seine Stimme war jetzt kühler, doch sie spürte, dass sie nicht die einzige war, die in dieser Nacht mit ihren Gedanken kämpfte.
„Ich... konnte nicht schlafen", erwiderte sie schließlich, und zu ihrer Überraschung klang ihre Stimme fest. „Und du?"
Er zögerte, seine grauen Augen suchten kurz den Raum ab, bevor sie wieder zu ihr zurückkehrten. „Dasselbe", gab er zu, und die ehrliche Antwort überraschte sie.
Einen Moment lang standen sie sich einfach nur gegenüber, die Stille des Raumes umhüllte sie wie ein schwerer Mantel. Das silbrige Licht des Globus tauchte seine Züge in ein sanftes, fast verletzliches Licht, und zum ersten Mal sah sie ihn nicht als den arroganten Slytherin-Prinzen, sondern einfach nur als...Draco Malfoy.
Doch bevor sie etwas sagen konnte, drehte er sich plötzlich ab und ging zur Tür.
„Malfoy?" Sie wusste nicht, warum sie ihn zurückhalten wollte, aber ihre Stimme hielt ihn auf.
Er hielt inne, sein Rücken zu ihr gewandt, und sie konnte sehen, wie sich seine Schultern hoben und senkten, als er tief durchatmete. „Geh zurück in deinen Turm, Granger", antwortete er leise, und seine Stimme klang fast... gebrochen.
„Warte", flüsterte sie, bevor sie darüber nachdenken konnte, ob es eine gute Idee war. Ihre Stimme hallte in dem stillen Raum wider, und sie sah, wie seine Schultern sich versteiften. „Bitte."
Er blieb stehen, die Hand auf der Kante der Tür. Sein Kopf neigte sich leicht, als wollte er prüfen, ob sie es wirklich ernst meinte. Einen Moment lang dachte sie, er würde einfach gehen. Doch dann ließ er die Tür los und zeigte ihr die kalte Schulter. Buchstäblich. Sein Gesicht war wahrscheinlich wie immer ausdruckslos, aber seine Augen... Seine Augen sprachen Bände. Zumindest konnte sie sich das vorstellen, den er drehte sich noch immer nicht zu ihr.
„Was willst du, Granger?" Seine Stimme war kühl, aber nicht schneidend. Es klang eher, als hätte er keine Kraft mehr, sie zu verletzen – oder sich selbst zu verteidigen.
Die Hexe atmete tief durch, ihr Herz schlug so laut, dass sie sicher war, er konnte es hören. Sie wollte wegsehen, aber sie zwang sich, seinen Blick zu halten. „Ich... wollte mich entschuldigen", brachte sie schließlich heraus, ihre Worte leiser, als sie beabsichtigt hatte.
Der platinblonde Zauberer blinzelte, als hätte er sich verhört. Für einen Moment wirkte er fast überrascht, dann spannte sich sein Kiefer an. „Entschuldigen?" Wiederholte er, und in seiner Stimme lag ein Hauch von Spott, als wollte er die Idee allein schon lächerlich machen. „Wofür denn?"
Die Gryffindor zögerte, ihre Finger spielten nervös mit dem Saum ihrer Robe. „Tu jetzt nicht so...Für das, was ich gesagt habe", gestand sie schließlich. „Das mit... deinem Vater."
Seine Augen wurden schmal, und sie sah, wie seine Hände sich zu Fäusten ballten. „Was für ein nobles Eingeständnis", sagte er mit einer Stimme, die vor Sarkasmus triefte. „Willst du mir jetzt auch sagen, dass du es nicht so gemeint hast?"
„Doch", antwortete sie, bevor sie darüber nachdenken konnte. Sie sah, wie sich sein Gesicht verhärtete, doch sie hob eine Hand, um ihn davon abzuhalten, sie zu unterbrechen. „Ich meinte es in dem Moment. Aber das heißt nicht, dass es richtig war, es zu sagen."
Der Zauberer starrte sie an, als könnte er nicht glauben, dass sie das tatsächlich sagte. Der Raum schien sich noch mehr zu verdichten, und die Hexe spürte, wie die Luft schwer auf ihrer Brust lastete.
Der Slytherin blieb noch einen Moment reglos stehen, sein Rücken zu ihr gewandt, bevor er sich schließlich langsam umdrehte. Seine grauen Augen funkelten kühl, und seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Glaubst du wirklich, du hättest mich damit getroffen, Granger?" fragte er, seine Stimme glatt und unbeteiligt, als wäre das Ganze nicht mehr als eine kleine Auseinandersetzung gewesen.
Die junge Hexe zögerte. Der sarkastische Unterton in seiner Stimme machte sie wütend, aber sie konnte nicht leugnen, dass sie die Schuldgefühle in ihrer Brust immer noch quälten. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, um die Unsicherheit zu überspielen. „Ich weiß, dass ich es habe", erwiderte sie ruhig. „Und genau deswegen entschuldige ich mich."
Sein Lächeln wurde breiter, aber es erreichte seine Augen nicht. „Du überschätzt dich", sagte er kühl, während er sich von der Tür löste und einen Schritt auf sie zumachte. „Ich habe schon weitaus Schlimmeres gehört. Deine kleinen Sticheleien beeindrucken mich nicht."
Doch da war etwas in seinem Blick – ein flüchtiges Zucken in seinem Gesicht, ein Moment, in dem die Maske für den Bruchteil einer Sekunde zu verrutschen schien. Hermine hielt seinem Blick stand, trotz der Anspannung, die zwischen ihnen in der Luft lag. „Das glaube ich nicht", sagte sie leise, ihre Stimme fast ein Flüstern.
Der Malfoy lachte, ein kaltes, abweisendes Geräusch, das durch den Raum hallte. „Du kannst glauben, was du willst, Granger", sagte er und schüttelte den Kopf. „Aber verschwende deine Entschuldigungen nicht an mich. Ich brauche sie nicht."
Er machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, als wollte er das Gespräch damit endgültig beenden, und wandte sich wieder zur Tür. Doch Hermine ließ sich nicht so leicht abschütteln. „Du kannst es abstreiten, so viel du willst, Malfoy, aber das ändert nichts daran, dass ich weiß, dass ich dich verletzt habe. Und auch nichts daran, dass es mir leid tut."
Für einen Moment verharrte er, die Hand schon an der Türklinke. Seine Schultern spannten sich sichtbar an, und die Stille, die folgte, war fast greifbar. Schließlich drehte er den Kopf leicht zu ihr, ohne sie jedoch direkt anzusehen. „Vielleicht solltest du dir weniger Gedanken darüber machen, ob du mich verletzt hast, und mehr darüber, warum dir das überhaupt so wichtig ist", murmelte er leise.
„Ich meine es ernst, Malfoy", erwiderte sie, ihre Stimme ruhiger. „Ich weiß, dass ich zu weit gegangen bin."
Draco musterte sie für einen Moment, als wollte er jede ihrer Bewegungen analysieren. „Du meinst es ernst?" wiederholte er skeptisch. „Du bist wirklich faszinierend, Granger. Ein Moment lang bist du bereit, mich mit Worten zu zerlegen, und im nächsten spielst du die reumütige Heilige."
„Ich spiele nichts", entgegnete sie, ihre Stimme nun fester. „Du warst nicht unschuldig in diesem Streit, aber ich hätte dich nicht so tief treffen dürfen."
Für einen Moment sagte er nichts. Seine grauen Augen ruhten auf ihr, und sie spürte, wie ihr die Luft knapp wurde. Dann wandte er den Blick ab und lehnte sich an die Wand neben der Tür, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Was erwartest du, Granger?" fragte er schließlich, seine Stimme so leise, dass sie fast überhört hätte. „Dass ich plötzlich vergesse, was du gesagt hast?"
„Nein", antwortete sie und schüttelte den Kopf. „Ich erwarte nichts. Ich wollte nur, dass du weißt, dass es mir leid tut."
Malfoy schloss die Augen für einen Moment, seine Kiefermuskeln angespannt. Als er sie wieder öffnete, war da ein kalter Ausdruck in seinem Gesicht, der sie trotz allem nicht ganz überzeugte. „Schön", sagte er knapp. „Entschuldigung angenommen." Natürlich sprach er mit Sarkasmus.
„Vollidiot", murmelte sie.
„Was hast du gesagt?" Seine Stimme war ruhig, doch sie trug eine scharfe Kante, die sie unwillkürlich zusammenzucken ließ.
Die Schülerin hob das Kinn, obwohl sie spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Sie war nicht die Art von Mensch, die sich einschüchtern ließ, und sie würde jetzt sicher nicht zurückweichen. „Ich habe gesagt, dass du ein Vollidiot bist", wiederholte sie, ihre Stimme fester als sie sich fühlte.
Der Schüler ließ die Türklinke los und trat langsam auf sie zu. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Schritte leise, aber jeder von ihnen schien die Luft im Raum schwerer zu machen. Als er schließlich vor ihr zum Stehen kam, beugte er sich leicht vor, bis sie sich fast auf Augenhöhe befanden. „Und was genau", begann er mit einer gefährlich ruhigen Stimme, „macht mich zu einem Vollidioten, Granger?"
Die Brünette verschränkte die Arme vor der Brust, mehr, um sich selbstbewusster zu fühlen, als eine Herausforderung darzustellen. „Vielleicht, dass du immer so tust, als würde dir nichts etwas ausmachen, während du offensichtlich innerlich kochst", gab sie zur Antwort, ihre Worte kühn, obwohl sie sich nicht ganz sicher war, ob sie über die Grenze ging. „Oder vielleicht, dass du dich hinter dieser arroganten Fassade versteckst, weil du Angst hast, jemand könnte den echten Draco Malfoy sehen."
Für einen Moment herrschte Stille. Sein Blick war so intensiv, dass sie fast bereute, gesprochen zu haben. Fast.
Dann lachte er. Ein bitteres, humorloses Lachen, das kurz und abweisend war. „Der echte Draco Malfoy", wiederholte er, fast spöttisch. „Und wer, glaubst du, Granger, ist der echte Draco Malfoy? Erleuchte mich doch."
Die Gryffindor hielt dem Feuer in seinen Augen stand, auch wenn ihre Kehle trocken wurde. „Ich weiß es nicht", gab sie zu, ihre Stimme weicher. „Aber ich weiß, dass das hier" – sie deutete vage auf ihn – „nur eine Rolle ist. Und ich weiß, dass du dich hinter ihr versteckst, weil du denkst, es wäre einfacher, alle von dir fernzuhalten, als dich wirklich verletzlich zu zeigen."
Seine Augen verengten sich, und für einen Moment schien es, als würde er etwas sagen, doch er hielt inne. Seine Kiefermuskeln arbeiteten, und er zog sich plötzlich zurück, als hätte sie etwas gesagt, das ihn mehr traf, als er zugeben wollte.
„Du hast keine Ahnung, Granger", sagte er schließlich, leise, fast gefährlich. „Keine Ahnung, wer ich bin oder was ich durchgemacht habe. Also hör auf, so zu tun, als könntest du mich durchschauen."
Sein Ton ließ sie für einen Moment verstummen, aber sie sah auch die Spannung in seinen Schultern, das Unruhige in seinem Blick. Er wirkte, als würde er jeden Moment explodieren – oder zerbrechen.
„Vielleicht hast du recht", gab sie schließlich zu. „Vielleicht kenne ich dich nicht. Aber ich glaube, dass du mehr bist, als das, was du uns allen zeigst."
Malfoy sah sie an, seine grauen Augen voller unausgesprochener Worte. Doch statt zu antworten, drehte er sich wortlos um, öffnete die Tür und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzusehen.
~*~
Er schmeckte bitter, verdammt bitter.
Der sonst so süßliche Kürbissaft in seiner Hand war scheußlich.
Draco ließ das Glas sinken, als der Geschmack des Kürbissafts ihm wie Säure die Kehle hinunterglitt. Es war ein seltsames Gefühl, das ihn ergriff. Ein Widerwille, der tief in ihm nagte. Der süßliche Geschmack, den er früher immer gemocht hatte, war jetzt nur noch ein lästiger, unangenehmer Überrest in seinem Mund. Er starrte in den Raum, als ob er auf etwas wartete, das er nicht einmal benennen konnte.
Seine Gedanken kehrten immer wieder zu ihr zurück – zu Granger. Zu dem Moment, als sie ihm diese verdammten Worte ins Gesicht geworfen hatte. „Du bist mehr, als du uns zeigst", hatte sie gesagt
Doch seine Gedanken waren woanders, wie immer. Bei ihr. Hermine Granger.
Er beobachtete sie aus dem Augenwinkel, als sie ihren Platz an dem Tisch suchte. Ihre braunen Locken fielen ihr leicht über die Schultern, sie wippten mit jedem Schritt leicht mit.
Sie setzte sich, griff nach einem Stück Brot und begann, es in einer ruhigen, fast automatisierten Bewegung mit Marmelade zu bestreichen. Keine Butter. Genau wie er es tat. Ein winziger, fast unwichtiger Moment. Doch es war ihm aufgefallen.
Und möglicherweise war er extra früher aufgestanden, nur weil er wusste, dass sie es eben tat, damit er sehen konnte wie sie zum Tisch lief, ohne, dass sie im morgendlichen acht Uhr Ansturm von Schülern, die sich gerade aus dem Beten gequält hatten, unterging.
Sie zog es vor, in Ruhe zu frühstücken. Nicht in der Zeit, in der es alle taten.
Der Unterricht begann um neun.
Und Pansy? Die brauchte immer eine Stunde, um „vorzeigbar" zum Frühstück zu erscheinen. Sie stand zwar früh auf, aber hatte nie das Bedürfnis, sich sofort in die Halle zu begeben. Stattdessen investierte sie meistens in ihre „morgendliche Beauty-Routine" – die weitaus länger dauerte als bei den meisten anderen. Es war kein Geheimnis, dass Pansy viel Zeit damit verbrachte, sich zu stylen, ihr Haar zu bändigen und sicherzustellen, dass ihre Kleidung perfekt saß. Erst gegen acht Uhr, als der Raum schon merklich voller wurde, erschien sie dann endlich zum Frühstück, wie der Rest der Schüler auch. Und das war genau der Zeitpunkt, wenn der Raum voll war – der Ansturm der hungrigen Schüler, die sich gerade aus ihren Betten gequält hatten.
Malfoy wusste das genau, da Pansy meistens sehr früh das Zimmer verließ. Sie war die Einzige, die es sich leisten konnte, so spät zu erscheinen. Aber Hermine war anders. Sie war nie diejenige, die sich im Morgengrauen mit einer perfekten Frisur und makellosem Make-up zeigte. Granger hatte ihre eigene Art, den Morgen zu beginnen. Und anders als Pansy war sie es, die fast immer die Erste war. Sie wollte nicht Teil dieses hektischen Morgentrubels sein.
Vielleicht war es das, was Draco so faszinierte – die Art, wie sie sich nicht dem Drang hingab, wie die anderen Schüler sofort in die Frühstückshalle zu strömen. Stattdessen nahm sie sich die Zeit, in Ruhe zu frühstücken. Ein simpler Moment, der für Draco fast wie ein stiller, fast geheiligter Augenblick wirkte.
Er stellte sich vor, wie sie in den frühen Morgenstunden in ihrem Schlafsaal aufstand. Wahrscheinlich war es nicht viel anders als bei den anderen – ein schneller Blick auf den magischen Wecker, das Rascheln von Decken und dann die leise Entscheidung, dass sie sich nicht gleich für eine Stunde fertigmachte. Nein, sie hatte ihre eigene Routine. Draco konnte es fast bildlich vor sich sehen: den dicken Pullover, den sie oft trug, wie er sich in der Kälte des Morgens an ihrem Körper schmiegte, während sie langsam aus dem Bett kletterte um dann ihre Schuluniform anzuziehen.
Dann, die Haare. Diese widerspenstigen Locken, die schwer zu bändigen waren, fielen ihr in einem wilden Durcheinander ins Gesicht. Sie versuchte sie wahrscheinlich mit einem Zauber zu zähmen, doch Draco hatte sie oft genug gesehen, um zu wissen, dass es nicht immer funktionierte. Die Haare sahen nie perfekt aus. Aber das war irgendwie das, was sie ausmachte – dieses unaufgeregte, unperfekte, aber doch stimmige Bild, das sie von sich selbst erschuf.
Im Gegensatz zu den anderen, die sich mit ständigen schnellen Bewegungen durch den Morgen hetzten, sehr viel Wert auf das perfekte Äußere legten und sehr lange brauchten, schien sie sich in Ruhe fertig zu machen. Sie würde nicht sofort zum Frühstück gehen, sondern es sich gemütlich machen, noch einmal den Blick aus dem Fenster werfen, tief durchatmen. Weil sie den Morgen nicht damit verschwand, etliche Schritte vorzunehmen...das Make-up zu machen...und dennoch kam sie als Erste.
Draco wusste, dass er selbst eine bestimmte Routine hatte, die ebenso wenig zu übersehen war. Schließlich war er immer darauf bedacht, perfekt auszusehen, vor allem für die Menschen, die es wert waren, seine Erscheinung zu bewundern – was in der Regel die meisten war, wenn man ehrlich war. Wenn er an Pansy dachte, dann kam ihm sofort wieder ihre ewig langwierige Beautyroutine in den Sinn. Sie war es gewohnt, sich fast eine Stunde Zeit zu nehmen, nur um sich für den Tag vorzubereiten, mit der richtigen Mischung aus Zaubersprüchen und teuren Produkten, die sie natürlich nie von selbst kaufte, sondern immer von ihren Eltern geschickt bekam.
Und er als Slytherin hatte seine eigenen Geheimnisse. Die zahlreichen Haarprodukte, die in seinem Bad aufgereiht standen, waren teurer, als die meisten Schüler sich jemals leisten könnten. Aber Malfoy war eben auch jemand, der sich etwas leisten konnte. Das spezielle Haarwachs, das er mit viel Bedacht in seine Haare einarbeitete, war das Beste, was es auf dem Mark gab – und nicht einmal Theo konnte dem widerstehen. Schon mehrfach hatte Draco ihn erwischt, wie der Slytherin heimlich eine gewisse Menge seines Waches stahl, um sich die eigenen Haare zu stylen. Doch an ihn kam niemand wirklich heran, was das betraf. Sogar das Haarwachs in Theos Haaren musste wohl mit einem Zauber ergänzt werden, um ihm die gewünschte Form zu geben.
Er wusste es besser als jeder andere – Haare waren nicht nur Haar, sie waren ein Statement. Und Draco war derjenige, der sich mehr Gedanken darüber machte, wie er in den Spiegel blickte, als die meisten anderen Schüler in diesem Schloss. Doch trotz all der Zeit, die er in seine äußere Erscheinung investierte, konnte er sich nicht davon abhalten, immer wieder an Granger zu denken. Sie schien alles, was er zu kennen glaubte, auf den Kopf zu stellen.
Sie war so anders. Ihr Haar war nicht das perfekte Produkt von Zauberei oder teurem Wachs. Sie war einfach...sie. Und das war irgendwie faszinierend.
Aber es war auch ein wenig irritierend, wenn er es zugab. Warum musste sie so unerreichbar wirken? Warum so anders? Wieso war sie nie so langweilig, wie die anderen Hogwartsschüler?
Der Slytherin ließ den bitteren Kürbissaft stehen, seine Aufmerksamkeit wanderte unwillkürlich zur großen Eingangstür der Halle. Es war, als ob er auf etwas wartete, obwohl er sich selbst nie eingestehen würde, was genau. Der Morgenverkehr der Schüler kam langsam herein. Noch war aber zu früh, für den gewohnten Ansturm.
Dann öffneten sich die großen Türen der Halle erneut, und eine kleine Gruppe Schüler trat ein. Die wenigen Beauxbatons-Schüler, die für das Turnier angereist waren, kamen mit anmutigen, fast schwebenden Bewegungen herein. Ihre makellose Haltung und das schlichte Blau ihrer Umhänge verliehen ihnen ein beinahe übernatürliches Flair. Draco beobachtete sie nur flüchtig, bevor sein Blick weiter wanderte.
Hinter ihnen betrat eine auffällige Gruppe Durmstrang-Schüler den Saal, ihre schweren Umhänge und die kräftigen, fast raubtierhaften Bewegungen ließen keinen Zweifel daran, dass sie von einem ganz anderen Schlag waren. Sie marschierten fast schon demonstrativ auf ihren eigenen Tisch zu, den Dumbledore großzügig für sie in der Nähe des Slytherin-Tisches hatte aufstellen lassen. Draco fragte sich, ob es Absicht gewesen war, sie so nah bei ihnen zu platzieren – oder einfach nur ein Zufall.
Einer der Durmstrang-Schüler, ein hochgewachsener Junge mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und kurz geschorenem Haar, musterte ihn kurz, bevor er sich wieder zu seinen Kameraden drehte. Der platinblonde Zauberer begegnete seinem Blick kühl, zeigte keinerlei Reaktion, auch wenn er die unterschwellige Spannung spürte, die die Anwesenheit der Durmstrangs mit sich brachte.
Doch sein sein Blick glitt weiter und verharrte auf einer sehr bekannten Gestalt: Viktor Krum. Die Quidditch-Berühmtheit saß am Durmstrang-Tisch, seine massige Statur und das markante Gesicht schwer zu übersehen. Plötzlich hob Viktor die Hand, eine beiläufige Geste, die Draco kurz irritierte. Verwirrt ließ er seinen Blick durch die Große Halle gleiten. Hatte Krum ihm zugewinkt?
Draco hatte Viktor Krum immer für einen herausragenden Sucher gehalten. Talentiert, zweifellos, wenn auch etwas... schlicht. Ja, das war das Wort: schlicht. Krum war nie jemand gewesen, der durch seine Raffinesse beeindruckte, sondern durch schiere Leistung. Und auch wenn Draco das zugeben musste, war da immer ein Hauch von Bewunderung gewesen – klein, aber doch vorhanden.
Doch diese leichte Bewunderung zersplitterte in dem Moment, als Draco bemerkte, dass Viktor nicht ihm zugewinkt hatte. Natürlich nicht. Der berühmte Durmstrang-Schüler hatte seinen Gruß jemand anderem zugedacht – jemandem, der am Gryffindor-Tisch saß.
Hermine.
Der Slytherin erstarrte für einen Moment, als er sah, wie sie zurücklächelte, ein kleines, fast schüchternes Lächeln, das er an ihr nicht gewohnt war. Seine Miene verhärtete sich augenblicklich, während er spürte, wie sich seine Laune verdüsterte. Verdammt.
Er wusste nicht, warum er auf einmal so gereizt war. Vielleicht war es die plötzliche Erkenntnis, dass es eine Verbindung zwischen Krum und Granger gab – eine, die ihm völlig neu war. Oder vielleicht war es das Wissen, dass Krum jemand war, den die Leute bewunderten, jemand, der nicht so leicht übersehen wurde. Anders als...
Draco biss die Zähne zusammen und wandte den Blick ab. Es war ihm egal. Es war ihm verdammt noch mal egal, was zwischen Granger und Krum lief. Klar, das redete er sich zumindest ein. Aber warum hatte er dann das Gefühl, dass ihn diese Situation mehr störte, als sie sollte?
~*~
Seit wann lief da was?
Das hätte er merken müssen. Malfoy fühlte, wie sich sein Magen unangenehm zusammenzog, während er unauffällig einen weiteren Blick in Richtung Gryffindor-Tisch warf. Granger strich sich eine Haarsträhne zurück, scheinbar unbeeindruckt von der Aufmerksamkeit, die Krum ihr geschenkt hatte, und schmierte konzentriert Marmelade auf ihr Brot. Doch dieses kleine Lächeln von eben – es schien noch immer in der Luft zu hängen, wie ein unsichtbares Echo, das ihn nicht losließ.
Hatte er das wirklich übersehen? Krum war schon seit Wochen hier. Die Durmstrang-Schüler waren Teil dieses verdammten Turniers, und Draco war sich sicher, dass er die meiste Zeit über alle Bewegungen im Raum aufmerksam beobachtet hatte. Vor allem ihre. Aber das? Zwischen Krum und Granger? Das war ihm völlig entgangen.
Er schnaubte leise. Nein, das konnte nicht schon länger laufen. Sie hätte keine Zeit für so etwas. Sie war zu beschäftigt damit, perfekte Aufsätze abzugeben und sich über ihn aufzuregen. Sich über jeden zu ärgern, der nicht auf ihrem Intelligenzniveau war.
Oder... vielleicht hatte sie doch Zeit gefunden? Vielleicht waren da diese Momente, die ihm durch die Lappen gegangen waren – kleine, flüchtige Augenblicke, in denen sie nicht die strebsame Hermine Granger gewesen war, sondern...
„Verdammt", murmelte er leise und trank einen großen Schluck von seinem Kürbissaft, der immer noch bitter schmeckte.
Er war sich nicht sicher, was ihn mehr störte: die Vorstellung, dass Krum sich für sie interessierte, oder die Tatsache, dass sie ihn scheinbar nicht abwies. Hatte sie etwa Gefallen an diesem verfluchten Durmstrang-Rüpel gefunden?
Ein Teil von ihm wollte wissen, wie oft Viktor ihr schon zugezwinkert hatte, wie oft sie vielleicht sogar miteinander gesprochen hatten. War das alles hinter seinem Rücken passiert? Draco hasste es, die Kontrolle über Dinge zu verlieren, die ihm wichtig waren. Und so sehr er sich auch dagegen wehrte, diese Situation fühlte sich genau so an.
Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte ihm eine gescheuert.
Der Gedanke allein ließ seine Finger kurz zu Fäusten ballen, doch ehe ihn die Wut übermannen konnte, öffneten sich die Tore der Großen Halle ein weiteres Mal.
Unfassbarerweise war es Potter, der hereingeschlurft kam. Draco verzog das Gesicht. Es war offensichtlich, dass der Gryffindor gerade erst aus dem Bett gefallen war. Seine Haare – ein Verbrechen in den Augen eines Malfoys – standen in alle Richtungen ab, als hätte er sich mit einem Hippogreifen geprügelt. Merlin, besaß Saint-Potter etwa keinen Zauberstab, um dieses Nest zu bändigen? Oder war das seine absurde Art, „lässig" auszusehen?
Doch trotz seiner Abneigung konnte Draco nicht leugnen, dass er in diesem Moment beinahe erleichtert war. Denn als Potter mit seinem üblichen gleichgültigen Gesichtsausdruck zum Gryffindor-Tisch schlenderte, richtete Krum seine Aufmerksamkeit endlich woanders hin. Der Durmstrang-Champion beobachtete jetzt Potter, als überlege er, ob er ihn ansprechen sollte. Draco hätte Potter fast danken können – aber nur fast.
Während Potter sich auf seinen Platz setzte und mit seinem üblichen schläfrigen Verhalten nach einem Toast griff, fiel Draco eine weitere Sache auf: Potter war ein Gewohnheitstier.
Er tauchte jeden Morgen zur exakt gleichen Zeit auf, irgendwo zwischen fünf Minuten vor und fünf Minuten nach halb neun. Nie früher, nie später. Es war, als hätte er eine innere Uhr, die ihn immer genau in diesem Zeitfenster in die Große Halle trieb. Meistens allein, manchmal mit seinem Rotschopf im Schlepptau, der entweder noch halb im Schlaf war oder schon eifrig mit vollem Mund redete – ein Anblick, der Draco jedes Mal sehr missfiel.
Aber selbst wenn Weasley nicht dabei war, änderte Potter nie seinen Rhythmus. Er trottete denselben Weg, setzte sich an denselben Platz und griff nach denselben Lebensmitteln. Es war fast lächerlich berechenbar. Draco fragte sich, ob Granger ihn deshalb ertragen konnte – weil er so verlässlich langweilig war.
Dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los, dass Krum sich wieder an Granger wenden könnte, sobald Potter sich seinen Pancakes widmete. Der Slytherin spürte, wie die Wut in ihm erneut aufflammte, und er musste sich zwingen, den Blick abzuwenden. Es wäre lächerlich, sich so von etwas mitreißen zu lassen, das ihn eigentlich nichts angehen sollte.
Was ihn jedoch sehr wohl etwas anging, war wie bei Salazar das zwischen Granger und Krum passieren konnte.
Er wusste nur eins: Er würde mehr über diese Sache in Erfahrung bringen müssen.
Egal wie.
tbc...
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