Teil 22

Das ist das längst und wahrscheinlich schnellste Kapitel, das ich je geschrieben habe.  Kleines Dankeschön für eure Unterstützung.
Viel Spass! ❤️

Drake

Die Einbildung des Größenwahnsinnigen wird immer stärker sein als jede Wahrheit, die er erfahren könnte.
-Fjodor Michailowitsch Dostojewski

Nachdem wir den Wald verlassen haben, haben sich die Rebellen in alle Himmelsrichtungen aufgeteilt. Auch ich habe mich von meiner Xayra verabschiedet und auf den Weg zurück in den Palast gemacht. Kaum habe ich die grossen Tore durchquert, kommt mir auch schon ein Berater meines Vaters entgegen.
„Ah! Ich bin so froh Sie endlich gefunden zu haben, Prinz Drake." sagt er und läuft auf mich zu.
„Ich habe Sie bereits überall gesucht. Wir..." er stockt und sieht mich erschrocken an.
„Was ist denn mit Ihnen passiert? Geht es Ihnen gut?" fragt er besorgt über mein Erscheinungsbild.
„Ja, ich bin umgefallen, nicht Schlimmes." winke ich ab und will an ihm vorbei laufen. Ich brauche dringend ein Bad und frisch Kleidung.
„Aber mein Prinz, Sie sehen wirklich nicht..." beginnt er erneut.
„Keine Angst, mir geht es blendend." beschwichtige ich ihn, bevor er zu Ende sprechen kann. Er sieht mich zweifelnd an, doch wahrscheinlich hat er bemerkt, dass es keinen Sinn hat, diese Thema noch weiterzuführen. Deshalb murmelt er: „Wenn Sie meinen..."
Eine Weile läuft er schweigend neben mir her und wirft mir immer wieder besorgte Blicke zu, doch dann scheint ihm wieder etwas einzufallen.
„Ich habe Sie eigentlich gesucht, weil ihr werter Herr Vater, der König, eine Sitzung einberufen hat."
Ich muss mich beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen. Das ist wirklich das letzte, was ich heute noch brauche. Aber ich muss ja meine Rolle spielen.
„Wann soll die sein?" frage ich deshalb nach. „Jetzt. Es geht um einen Ausbruch einiger Rebellen, die morgen hätten hingerichtet werden sollen." antwortet der Berater.
„Ich habe also keine Zeit, um noch zu baden?" Er schüttelt verneinend den Kopf. Nun kann ich mir ein genervtes Stöhnen nicht mehr verkneifen.
„Na dann, bringen wir es hinter uns." Mürrisch folge ich dem Mann in den Besprechungssaal des Königs. Kaum haben wir den Raum betreten, richten sich alle Augen auf uns. Offenbar sind wir die letzten. Die Augen blieben schliesslich an mir hängen und ein unruhiges Murmeln geht durch die Reihen.
„Was ist mit dir passiert?" fragt mich mein Bruder, der am oberen Ende des Tisches sitzt.
„Bin hingefallen." erzähle ich auch ihm meine lahme Ausrede.
„Natürlich." meint Vincent ironisch. „Ist dir nichts besseres eingefallen?"
Ich habe ganz vergessen, dass mein Bruder nachfragen darf, im Gegensatz zum Berater. Immerhin steht er in der Rangfolge als Thronfolger noch über mir.
„Was wenn ich dir sage, dass ich den Rebellen geholfen habe, Verbündete aus dem Gefängnis zu befreien. Klingt das besser?" sage ich ihm schulterzuckend die Wahrheit. Nur leider scheint mir niemand in diesem Raum zu glauben.
Was für ein Jammer...
Ich muss mir ein Lachen verkneifen. Er wirft mir einen bösen Blick zu.
„Du hast dich wieder geprügelt, hab ich recht?" fragt mich mein älterer Bruder vorwurfsvoll.
„Du hast mich erwischt." gestehe ich grinsend und nehme ebenfalls am Kopfende des Tisches platz. Irgendwie habe ich mich ja tatsächlich geprügelt, nur eben mit Wachen des Gefängnisses und nicht mit den üblichen Leuten.
„Ich dachte, du wärst mittlerweile erwachsen geworden." meint Vincent und schüttelt enttäuscht den Kopf. Aufmunternd klopfe ich ein paar Mal auf seine Schulter.
„Einige Dinge ändern sich nunmal nie." sage ich schmunzelnd, wofür ich wieder einen bösen Blick ernte.
Was haben die Leut eigentlich immer mit diesen bösen Blicken? Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich die wie ein Magnet anziehe.
Plötzlich werden die grossen Doppeltüren geöffnet und der König betritt den Raum.
Er sieht irgendwie anders aus. Nervöser und unruhiger.
Mit schnellen Schritten läuft er durch den Raum und setzt sich dann auf seinen Sessel zwischen Vincent und mir. Ohne eine Begrüssung oder so, kommt er gleich zur Sache.
„Wie konnte das passieren?!" schreit er wütend.
Sofort ist die Stimmung im Raum komplett angespannt und die Berater alle schon eingeschüchtert.
„W-wir wi-wissen es n-nicht." stottert einer.
„Wachen!" ruft mein Vater laut und augeblicklich stürmen zwei Männer in den Raum. „Wie können wir ihnen behilflich sein, mein König?" fragt einer während er sich verbeugt. „Führt diesen Mann ab und lasst ihn hinrichten." befiehlt er und deutet auf den braunhaarigen Mann, der eben gesprochen hat.
Verwirrt betrachte ich das Geschehen.
„Was?! Nein! M-mein König habt erbarmen!" schreit der Mann hysterisch und versucht sich aus dem Griff der Wachen zu befreien. Als er abgeführt ist und die Türen wieder geschlossen sind, fragt Vincent: „Wieso hast du das getan, Vater?"
„Ich kann keine ahnungslosen Männer unter meinen Beratern gebrauchen." rechtfertigt er seine Taten.
„Aber König Beaufort..." startet ein mutiger, älterer Mann den Versuch Gregory Beaufort etwas Vernunft einzureden. Zu seinem Pech hält mein Vater jedoch nicht allzu viel von Vernunft.
„Du stellst mich in Frage?" Er sieht den Mann bedrohlich an.
„N-nein ich w-wollte nur..." beginnt er, doch erneut lässt ihn der König nicht aussprechen. „Richtet ihn hin!" befiehlt er wütend und schon wird der alte Mann abgeführt.
Danach traut sich so ziemlich niemand mehr zu sprechen. Folglich verlief die Besprechung nicht gerade konstruktiv. Zudem sind am Ende der Sitzung noch vier weiter Berater hingerichtet worden. Das hat die anderen so sehr verunsichert, dass sie es gar nicht mehr wagten etwas einzuwenden oder etwas anderes vorzuschlagen. Selbst als mein Vater vorschlug, den gesamten Wald um das Gefängnis von Derraia zu roden und zusätzlich noch einen 30 Meter tiefen Graben drumherum zu graben, erklärte ihm niemand, die damit verbundenen Probleme.
Kaum beendet der König die Sitzung, stürmen alle förmlich aus dem Raum, um einer spontanen Hinrichtung zu entkommen. Ich habe also endlich Zeit, um zu baden.
In meinen Gemächern angekommen, laufe ich direkt ins Badezimmer. Dort ist die Badewanne bereits vorbereitet.
Langsam lasse ich mich in das warme Wasser gleiten. Ich kann förmlich spüren, wie sich meine Muskeln entspannen. Das einzige, was das hier noch besser machen könnte, wäre wenn Xayra ebenfalls hier bei mir wäre... ja das wäre wirklich schön.
In meinen Fantasien versunken, schliesse ich die Augen und lasse mich tiefer in mein Schaumbad sinken.
Das ist genau das richtige nach dieser anstrengenden Besprechung, falls man das überhaupt so nennen kann. Ich würde es ja eher als ein ziemlich gefährliches Glücksspiel bezeichnen, wo man nie weiss, wer als nächstes stirbt.
Gerade als ich beinahe eingenickt bin, wird die Tür zum Badezimmer aufgestossen.
Kann man in diesem verdammten Schloss keine einzige Sekunde Ruhe haben?!
„Drake!" ruft Vincent verärgert meinen Namen.
Vielleicht geht er weg, wenn ich ihn einfach ignoriere.
„Drake Beaufort! Sag mir, dass es nicht wahr ist!"
Ich stöhne genervt auf und öffne meine Augen. Er ist wie ein Parasit.
„Es ist nicht wahr." versichere ich ihm, obwohl ich keine Ahnung habe, wovon er spricht. Hauptsache er geht wieder und lässt mich für einmal ein bisschen entspannen.
„Lass den Scheiss, Drake! Das hier ist ernst!" sagt er entnervt.
„Nun gut." Ich seufze und steige aus der Wanne. Ich schnappe mir meinen weissen Bademantel und ziehe ihn mir über.
„Also, was willst du von mir?" frage ich.
Mein Bruder, der bis eben noch wütend im Raum hin und her gelaufen ist, kommt jetzt direkt auf mich zu.
„Drake, hast du den Rebellen geholfen auszubrechen?" fragt er und sieht mir ernst in die Augen.
Okay, vielleicht hätte ich das vor der Besprechung doch nicht sagen sollen. Aber wer hätte gedacht, dass das jemand wirklich glauben würde?
„Vince, das war doch nur ein weiterer blöder Witz von mir." meine ich lachend, doch er scheint es nicht wirklich witzig zu finden.
„Ich weiss, dass du mit den Rebellen unter einer Decke steckst." zischt er zornig.
„Wieso fragst du mich, wenn du es doch schon weisst?" will ich von ihm wissen und verschränke meine Arme vor der Brust. Ich sehe wie Enttäuschung in seinen Augen aufblitzt.
„Weil ich dachte- Nein, ich habe so sehr gehofft, dass das alles eine Lüge ist!" Schreit er und fährt sich aufgebracht mit beiden Händen durch die Haare.
„Oh mein Gott, jetzt macht das alles endlich Sinn... die Besprechungen, alle deine Pflichten... du hast das alles nur mitgemacht, weil du für die Rebellen arbeitest!" flüstert er fassungslos und schüttelt dabei mehrmals seinen Kopf.
Plötzlich dreht er sich zu mir und packt mich am Kragen meines Bademantels.
„Wie konntest du nur?! Wie konntest du uns verraten?!" Schreit er und verpasst mir einen Kinnhaken.
Wow, das ausserordentliche Kampftalent liegt wohl in der Familie. Ich reibe mir das schmerzende Kinn.
Als ob die Schulterverletzung nicht genug ist...
„Wie ich ‚uns' verraten konnte? Ich habe eine andere Frage: Wie konntest du ,uns' nicht verraten?" frage ich ihn und merke, wie meine Stimme dabei ebenfalls an Lautstärke gewinnt.
„Deine Frage ergibt keinen Sinn!" ruft Vincent und wirft die Arme in die Luft.
Okay, dann formuliere ich es mal anders.
„Wieso tust du alles, was er sagt?" stelle ich ihn wütend in Frage.
„Weil er unser Vater ist." schreit mein Bruder zurück.
„Und das soll ein guter Grund sein, um nicht selbst zu denken und ihm blind zu gehorchen?" Wütend hole ich nach ihm aus, doch er weicht geschickt aus.
„Es kümmert ihn doch nicht im geringsten wie es dir, geschweige den mir geht! Er würde uns und jeden anderen, ohne zu zögern, opfern, um das zu erreichen, was er will. Genau so, wie er es bei unserer Mutter getan hat!"
Verwirrt zieht Vincent die Augenbrauen zusammen und weicht ein paar Schritte zurück.
„Was meinst du damit?"
„Er hat sie getötet, Vincent."
„Vater hat unsere Mutter nicht umgebracht." murmelt er kopfschüttelnd.
„Bullshit! Er hat sie vor meinen Augen erwürgt!"
Geschockt starrt er mich an.
Konnte es sein, dass er wirklich keine Ahnung hatte? Hat er all die Jahre nicht gewusst, was wirklich mit unserer Mutter passiert ist?
„Nein." flüstert er und weicht noch einen Schritt zurück. „Nein, du lügt. Sie ist ertrunken, sie konnte nicht schwimmen und ist in den Teich im Garten gefallen. Du versuchst einfach nur deinen Verrat zu rechtfertigen!"  wirft er mir vor.
Das reicht.
„Ich spielte damals im Garten. Dabei hatte ich einen schönen Stein gefunden und als ich Mutters Stimme hörte, wollte ich zu ihr, um ihn ihr zu zeigen. Relativ schnell bemerkte ich jedoch, dass sie nicht allein war und dass sie und Vater miteinander stritten. Ich weiss nicht wieso, aber ich blieb hinter einem der Büsche stehen und beobachtete sie. Mutter hat nicht auf Vater gehört. Sie wollte ihn nicht länger unterstützen, hat ihm widersprochen und wollte etwas verändern." erzähle ich leise, was damals geschah. Ich habe das bisher noch nie jemandem erzählt.
„Natürlich hat ihm das nicht gefallen. Du weisst ja, wie er ist. Sie haben gestritten. Sie drohte ihm damit wegzugehen, das Schloss zu verlassen und uns beide mitzunehmen. Daraufhin ist er durchgedreht. Er beschimpfte sie und schlug ihr ins Gesicht. Als sie dann noch sagte, dass sie dabei helfen werde, ihn zu stürzen und seine Tyrannei zu beenden, hat er sie erwürgt."
Ich mache eine kurze Pause, um das Bild in meinem Kopf loszuwerden. Ihr Anblick, kurz vor ihrem Tod, verfolgt mich noch bis heute in meinen Träumen.
„Ich stand einfach nur da... Ich wusste nicht, was ich machen sollte und ich hatte Angst. Als sie sich nicht mehr bewegte, hob er ihren leblosen Körper auf und schmiss ihn in den Teich. Danach ging er. Er zeigte keine Reue. Er war nicht einmal entsetzt darüber, dass er gerade seine Ehefrau und die Mutter seiner Kinder getötet hatte. Es interessierte ihn ganz einfach nicht."
Vincent, der mir schweigend zugehört hat, setzt sich auf den Rand der Badewanne. Er sieht plötzlich so müde und erschöpft aus.
„Er hat sie also wirklich umgebracht..." haucht er und sieht mit einem leeren Blick in die Ferne.
„Wieso hast du mir das nie erzählt?" fragt er nach einer Weile.
„Ich weiss es nicht." gebe ich ehrlich zu.
„Vater hat dich immer in alles eingeweit. Er hat dir mehr vertraut als jedem anderen, falls er überhaupt jemandem richtig vertraut. Ich habe irgendwie einfach angenommen, dass du es weisst und dass es dir ebenfalls egal ist. Zudem hast du ihn immer unterstützt, er konnte tun, was er wollte. Du standest immer an seiner Seite." sage ich und setze mich neben ihn auf den Rand.
„Weil ich ihn nicht wie Mutter verlieren wollte. Hätte ich gewusst, dass er der Grund für ihren Tod ist, dann..." er bricht ab und vergräbt sein Gesicht in seinen Händen.
„Es tut mir leid, Drake. Was du all die Jahre über mich denken musstest. Es tut mir leid, dass ich von dir wollte, dass du mit Vater arbeitest. Es tut mir leid, dass ich dich eben geschlagen habe, weil ich dachte, dass du dich gegen ihn gestellt hast. Es tut mir leid, dass ich dich mit diesem Wissen über Mutters Tod alleine gelassen habe und das ich nicht für dich da sein konnte und..."
„Ist schon gut." unterbreche ich ihn. „Es wäre ja langweilig geworden, wenn du mich nicht andauernd genervt hättest." meine ich grinsend.
Er senkt seine Hände und schenkt mir ein Lächeln. So sitzen wir eine Weile schweigend nebeneinander.
„Also arbeitest du für die Rebellen?" durchbricht Vincent die Stille.
Ich nicke.
„Meine Freundin ist auch eine Rebellin." sage ich und muss stolz lächeln, als ich an Xayra denke.
„Du hast eine Freundin?" fragt mich mein Bruder verwundert.
„Ja, wieso bist du so überrascht?"
Er lacht laut auf und sagt: „Naja du meintest mehrmals, dass du ein Mann bist, der nicht nur eine Frau lieben kann."
Ich zucke mit den Schultern.
„Damals kannte ich meine Xayra ja auch noch nicht." sage ich.
„Also bist du ein Spion oder..."
Ein Klopfen an der Tür unterbricht Vincent. Verwirrt sehen wir uns an, bevor ich aufstehe und die Tür öffne.
„Ja?" frage ich den schmächtigen Diener vor mir. „Der König wünscht unverzüglich eure Anwesenheit, meine Prinzen." sagt er und verbeugt sich tief, bevor er wieder davoneilt.
„Na dann, wir wollen den Tyrannen doch nicht warten lassen, oder?" sage ich und deute Vincent aufzustehen.
„Ich weiss nicht, ob ich ihm gegenüber treten kann. Nicht nachdem was ich gerade erfahren habe." meint er und bleibt auf der Kante der Badewanne sitzen.
Ich seufze.
Versteht mich nicht falsch, ich habe wirklich keine Lust meinen Vater zu sehen, jedoch bin ich immer noch der Informant der Rebellen und Xayra braucht diese Infos, damit mein Vater endlich fällt. Genau dafür mach ich das alles und wenn Vince nicht mitspielt, wird alles ins Wasser fallen. Ich setze mich neben ihn und lege einen Arm über seine Schultern.
„Hör mal zu: Du musst dich einfach so verhalten, als ob nichts wäre und dann wird Vater früh genug seine gerechte Strafe erhalten. Die Rebellen werden dafür sorgen." versichere ich ihm. „Ausserdem spiele ich die Rolle des braven Sohnes schon seit Wochen, dann solltest du das auch schaffen. Immerhin bist du doch mein Bruder und irgendetwas von meiner Hervorragendkeit musst du doch geerbt haben." ermutige ich ihn.
„Ich bin mir ziemlich sich, dass ,Hervorragendkeit' kein Wort ist." Ist alles, was er erwidert.
Da haben wirs wieder: Er ignoriert meine beeindruckende und aufbauende Rede und kritisiert mich stattdessen.
Nichts wird hier ausreichend gewürdigt.
„Und genau deshalb, bin ich der bessere Bruder." murmle ich, eher zu mir selbst als zu ihm.
„Was?" fragt er.
„Nichts, und jetzt komm, wir müssen los." sage ich und ziehe ihn mit mir zur Tür.
Es dauert eine Weile, bis wir das Arbeitszimmer des Königs erreicht haben. Das Schloss ist einfach zu gross...
Ich will gerade eintreten, doch Vince hält mich davon ab.
„Wie oft willst du ihn noch verärgern, indem du einfach rein gehst, ohne zu klopfen?" fragt er und klopf ein paar mal gegen die schwere Holztür.
Wow... er ist fast schon wieder ganz der alte. Gut so, dann wird Vater hoffentlich keine Zweifel hegen.
Ein dumpfes „Herein." ertönt aus dem Raum und wir treten ein.
„Wieso hat das so lange gedauert?" verlangt Vater zu wissen.
Ich sehe wie Vincent leicht nervös am Ärmel seines Hemdes zupft und gerade etwas sagen will. Bevor er jedoch die Chance dazu erhält, spreche ich: „Ich war gerade dabei ein Bad zu nehmen und musste mich erst noch anziehen. Vincent war so nett, auf mich zu warten."
Mein Vater scheint zufrieden mit der Antwort zu sein. Es ist besser wenn ich spreche, vor allem weil Vince echt miserabel im Lügen ist. Ich war schon immer der bessere Lügner von uns beiden.
Übung macht halt den Meister.
Kombiniert mit seiner Nervosität, die Sorge es zu vermasseln und den ganzen Informationen, die er in der letzten halben Stunde erhalten hat, kann es nur eine Katastrophe werden, wenn ich ihn zu viel reden lassen.
Wo wir gerade beim Thema Informationen sind, ich muss Vincent nachher noch fragen, von wem er wusste, dass ich mit den Rebellen arbeite. Der Verräter hat offensichtlich mit ihm Kontakt und wenn ich herausfinde, wer es ist, wird es wesentlich einfacher gegen meinen Vater vorzugehen.
Apropos Vater: Es scheint, als habe ich nicht ganz mitbekommen, worüber er gerade spricht. „...nur noch der Familie, sonst kann man keinem mehr vertrauen!" ruft er gerade und schlägt mit der Faust auf den Tisch.
Vincent nickt zustimmen, weshalb ich das auch tue.
„Deshalb habe ich beschlossen euch, meine beiden Söhne, in meinen Plan einzuweihen." erklärt er. „Setzt euch."
Wir tuen wie uns befohlen, während Vater einem Diener ruft. „Bring mir Wein und zwar schnell!" weisst er ihn an und der jungen Mann rennt förmlich aus dem Raum. Als er sich wieder hinter seinen Tisch setzt, warten mein Bruder und ich gespannt darauf, was er zu sagen hat. Der König schweigt jedoch und starrt uns nur an.
„Du wolltest uns in deinen Plan einweihen." helfe ich ihm auf die Sprünge, falls er vergessen hat, was er eigentlich tun wollte.
„Erst wenn mein Wein da ist, wir müssen die Tür abschliessen und verdichten, niemand darf uns ausspionieren."
Also warten wir.
Nach einigen Minuten kehrt der Diener mit einem Kelch zurück. Vorsichtig stellt er den Wein vor meinem Vater auf den Tisch und will sich wieder entfernen, als der König ruckartig aufsteht und den verängstigten Diener am Kragen seiner Uniform packt.
„Was hast du in den Wein getan?" schreit er wütend und reisst den jungen Mann näher zu sich.
„N... nichts mei...mein K...könig." stottert der kleinere der beiden fast schon panisch.
„Ach ja? Wieso bist du so nervös, wenn du nicht gerade versucht hast, deinen Herrscher zu ermorden?" faucht Vater zornig und greift mit seiner freien Hand nach dem Kelch.
„Trink!" befiehlt er. „A...aber mein König i...ch..." König Gregory lässt den vor Angst zitternde Mann gar nicht erst aussprechen. „Wusst ichs doch!" meint er und lacht laut auf.
„Nein, mein König, sie v...erstehen das falsch! I...ich..." beginnt der Diener erneut, doch wieder lässt ihn Vater seinen Satz nicht einmal beenden.
„Lügner! Du bist nichts weiter als ein dreckiger und feiger Lügner!" schreit er wütend und schubst den jungen Mann gewaltsam zu Boden. Gleich darauf schleudert er den vollen Kelch nach ihm.
Der Diener schreit vor Schmerzen kurz auf, als ihn das Metall am Kopf trifft. „Richtet ihn hin!" befiehlt der König und schon stürmen zwei Wachmänner auf den verwundeten Mann zu, um ihn abzuführen.
Geschockt beobachte ich das Geschehen.
Was zum Teufel...
Gregory Beaufort war immer ein überaus wachsamer Mensch. Er hat so gut wie immer rational gehandelt und seinen Verstand eingesetzt. Trotzdem oder vielleicht genau deshalb, war er schon immer Paranoid. Er hat oft Leute entlassen oder hingerichtet, die er des Verrats verdächtigte. Er hat seine Berater beinahe Jährlich ausgewechselt, damit sie nicht zu viele Informationen erhalten. Doch was ich heute miterlebt habe, übertrifft alles zuvor. Er lässt Menschen hinrichten, ohne das überhaupt der geringste Verdacht besteht. Er handelt völlig irrational. Dieser Mann hat nur noch wenig mit dem gnadenlosen Tyrannen zu tun, der unteranderem mit Voraussicht und Vernunft die anderen Könige gestürzt und die alleinige Herrschaft an sich gerissen hat.
Ich werfe Vincent einen Blick zu und auch er sieht mich an. Ich kann erkennen, dass er wohl das gleiche denkt wie ich. Es scheint, als ob König Gregory Beaufort langsam aber sicher komplett verrückt ist.
Vor lauter Wut schwer atmend, schreitet mein Vater mit schnellen Schritten zur Tür und wirft sie zu. Danach geht er zum Fenster, reisst den Vorhang runter und stopft ihn in den Türspalt, damit möglichst keine Geräusche nach draussen dringen.
Als er mit dem Ergebnis zufrieden ist, setzt er sich wieder auf seinen Platz hinter dem Schreibtisch. „Das war schon der dritte Mordanschlag diese Woche." ruft er und starrt grimmig auf die Weinpfütze in der Mitte des Raumes.
„Der dritte? Was waren dann die ersten beiden Versuche?" frage ich, da ich mir ziemlich sicher bin, dass es sich bei keinem der vermeintlichen Anschläge wirklich um solche gehandelt hat.
„Eine Magd hat vor drei Tagen etwas in mein Badewasser getan, was mich hätte umbringen sollen und gestern hat es ein Stallbursche gewagt mein Pferd aufzuschrecken, damit es mich zu Tode trampelt." erzählt er.
Vincent und ich tauschen einen vielsagenden Blick aus.
Er ist definitiv verrückt.
Ich räuspere mich kurz und sage: „Jetzt da alles gesichert ist, willst du uns deinen Plan erzählen?"
Vater nickt und holt ein Stück Papier aus der obersten Schublade seiner Kommode. Er breitet es auf dem Tisch aus, so dass wir gut drauf sehen können. Es handelt sich um eine Karte der Hauptstadt Aronias.
„Ihr wisst ja, dass es immer mehr Aufstände und Rebellionen im Land gibt." beginnt Vater. „Nun vor einigen Monaten hat ein Mann bei mir um eine Audienz gebeten. Er meinte, dass er mir helfen könnte und meine Position als König ein für alle Mal sichern." Er macht eine kurze Sprechpause. „Selbstverständlich glaubte ich ihm anfangs nicht. Ich dachte dieser Mann, Devasto ist sein Name, sei lediglich ein Schwätzer, ein Verrückter. Jedoch hat er mir schon bald seine ausserordentlichen Fähigkeiten demonstriert."
Interessiert höre ich ihm zu. Dass er jetzt auch noch Betrügern glaubt, verwundert mich wenig.
„Als ich also Überzeugt von ihm und seinen Talenten war, beschloss ich seinen Plan umzusetzen und mich zum mächtigsten König aller Zeiten zu machen!" sagt er und am Funkeln in seinen Augen kann man deutlich erkennen, wie sehr ihm diese Vorstellung gefällt.
„Wie will er das anstellen?" fragt Vincent nach.
„Es ist nicht gerade einfach, aber Devasto ist sich sicher, dass es funktionieren wird. Ihr habt bestimmt schon bemerkt, dass ich einige Bauarbeiten gestartet habe."
Wir nicken beide woraufhin er einen Stift in die Hand nimmt und sich damit über die Karte beugt.
„Ich habe jeweils vier grosse Türme bauen lassen." erklärt er und zeichnet vier Kreise rund ums Salix-Viertel.
„Diese habe ich dann durch neue Häuser miteinander verbunden." sagt er und zieht vier Linien von jeweils einem Punkt zum nächsten, sodass ein Quadrat entsteht.
„Dann habe ich veranlasst im Zentrum des Viertels Kanäle zu bauen." Er zeichnet einen Kreis in das Viereck.
„Und schliesslich habe ich in der Mitte von allem einen kleinen Tempel errichtet." Zur Verdeutlichung malt er einen Punkt in die Mitte seiner Zeichnung.
Verwirrt betrachte ich die Skizze. Auf was will er hinaus?
„Was soll das bezwecken?" fragt ihn Vincent.
„Das sind Vorbereitungen für ein Uraltes Ritual." erklärt Vater. „Devasto hat mir davon erzählt. Durch dieses Ritual werde ich mächtig und unsterblich! Bisher ist es nur einmal durchgeführt worden, weil alle anderen die Ressourcen dafür nicht auftreiben konnten."
Langsam aber sicher bekomme ich ein ungutes Gefühl und auch Vince scheint sich nicht mehr so wohl zu fühlen. „Von was für Ressourcen sprichst du?" frage ich vorsichtig.
„Menschenleben. Ich brauche mindestens eine Million davon, um das Ritual durchzuführen. Natürlich wird die ganze Zeremonie effektiver, je mehr ich opfere."
Ich schlucke schwer und bemühe mich stark darum, mein Entsetzen zu verbergen.
Er will eine Million und mehr Menschen töten? Für ein lächerliches Märchen eines dahergelaufenen Mannes?
Die Stimmung ist plötzlich komplett angespannt und man könnte das Unbehagen von Vincent und mir aus 20 Kilometern Entfernung wahrnehmen. Nur mein Vater scheint den Stimmungsveränderung nicht bemerkt zu haben. „Nun kommt das beste! Mit diesem Ritual werde ich nicht nur mächtiger, ich kann gleichzeitig auch alle Probleme mit dem Salix-Viertel lösen. Sie werden allesamt ausgelöst und somit verschwindet auch die ganze Armut und jegliches Elend dieser Stadt." erzählt er stolz.
Das Salix-Viertel?! Xayra lebt dort!
Auf einmal ergreift mich blanke Panik.
Was wenn ihr etwas geschieht?
Oh nein, ich werde nicht zulassen, dass mein Vater so viele unschuldige Leben nimmt und vor allem werde ich nicht zulassen, dass er meinen Sonnenschein tötet!
„Wann willst du diesen Plan umsetzten?" frage ich ihn und hoffe, dass es nicht allzu früh geschehen soll.
„In zwei Wochen wird es eine Sonnenfinsternis geben und genau dann werde ich in dieser Kapelle stehen und unsterblich werden." verkündet er feierlich und deutet mit dem Finger auf den Punkt, den er auf der Karte eingetragen hat.
„Die Leben sammle ich ganz einfach, indem ich ein Feuer legen lassen. Natürlich werde ich verhindern, dass es sich ausserhalb dieses Quadrates ausbreitet und auch meine Kapelle wird es nicht erreichen." erklärt er.
Er sammelt die Leben?! Ist ihm eigentlich klar, dass er vor hat, einen Massenmord zu begehen?
Ich blicke im in die Augen und wie zuvor kann ich nur dieses verrückte Funkeln darin erkennen. Es wirkt beinahe so, als ob er besessen ist.
„Und du bist dir sicher, dass du das durchziehen willst?" versichere ich mich nochmals und ich hoffe so sehr, dass er wenigstens ein bisschen an diesem Irrsinn zweifelt. Vielleicht hat dieser Mann ja doch noch einen letzten Funken Verstand und ist durch seinen unbändigen Machtdurst nicht komplett durchgedreht.
„Ich werde dieses Ritual unter keinen Umständen auch nur eine Stunde verschieben." meint er entschlossen.
Dann wird es wohl höchste Zeit die Rebellen zu informieren und Gregory Beaufort endlich von seinem Thron zu werfen....

Wie fandet ihr das Kapitel?
Was haltet ihr vom König? Und wie findet ihr Vincent?
Wie wird es weiter gehen?
Ich bin gespannt auf eure Kommentare! 😘
Evt. Kann ich nicht antworten (mein Wattpad spinnt) aber ich lese sie mir liebend gern alle durch ❤️

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