045. Verschlossene Münder

ᵍᵒᵗ ᵃ ˢᵉᶜʳᵉᵗ ᶜᵃⁿ ʸᵒᵘ ᵏᵉᵉᵖ ⁱᵗ

Nicht nur Professor McGonagall war an jenem Freitag guter Dinge. Auch die anderen Lehrer strahlten geradezu. Während Professor McGonagall ihre Freunde dadurch ausgedrückt hatte, ihnen allen besonders viele Hausaufgaben aufzugeben, stapelten die übrigen Lehrer etwas tiefer.

»Und deswegen ist ein Angriff eben nicht immer die beste Verteidigung, Mr. Avery«, sagte Professor Thorburn vergnügt, rutschte von seinem Pult und klatschte in die Hände, um das Ende der Stunde anzukündigen. »Lesen Sie noch einmal die Kapitel über Schildzauber, bevor wir in der nächsten Woche mit Zauberbannen fortfahren wollen.«

Hinter dem großen Schreibtisch Platz nehmend, beobachtete der Lehrer, wie die Gryffindors und Slytherins murmelnd ihre Schulbücher, Pergamentrollen und Schreibfedern wegpackten und sich in einer kleinen Menschentraube, von der ein stetiges Brummen ausging, aus dem Klassenzimmer bewegten. Thorburn vernahm noch, wie Drystan Avery seinem Freund Antonin Dolohow zuraunte, dass er ein nutzloser 'Dunkle Künste'-Lehrer war, wenn er die einfachsten Prinzipien des Angriffs nicht verstehen konnte und schmunzelte in sich hinein, als Dolohow daraufhin nur verwirrt mit den Schultern zuckte und erwiderte, er würde sowieso nicht viel von Männern halten, die sich ihren Bart nicht rasierten.

Zurück blieben Severus Snape, der noch dabei war, seine Tafelnotizen zu beenden, seine Sitznachbarin, Lily Evans, und James Potter, der in den letzten Tagen immer langsamer geworden war, wenn es darum ging, Tintenfass und Feder in seine Tasche zu packen, was hauptsächlich daran lag, dass sein Blick beinahe ununterbrochen an dem rothaarigen Mädchen haftete, das von ihm jedoch keinerlei Notiz zu nehmen schien.

Professor Thorburn räusperte sich stark, woraufhin der junge Potter aus seiner Trance aufschreckte, sein Zeug in die lederne Büchertasche warf und seinen Freunden aus dem Klassenzimmer folgte, die anderen beiden bekamen davon nichts mit und Thorburn unterdrückte das aufkeimende Schmunzeln, das ihm auf den Lippen lag.

»Ich habe jetzt Verwandlung«, stöhnte Snape, als er den letzten Punkt unter seine Notizen gesetzt hatte und müde den Kopf in den Nacken zurücklegte. Mit Daumen und Zeigefinger zwickte er sich in die Nasenwurzel, um die höllischen Kopfschmerzen, die er in letzter Zeit so oft bekam, einzudämmen. Besonders in solchen Unterrichtsstunden, in denen das Slytherinhaus noch mit den anderen Häusern im Klassenzimmer saß, war es besonders schlimm.

»Verwandlung ist wesentlich besser als Geschichte der Zauberei... oder Kräuterkunde«, erwiderte Lily. »Professor Beery schafft es doch jedes Mal, spannende Unterrichtseinheiten so langweilig zu verpacken, dass die halbe Klasse einnickt, bis Sirius Black und James Potter eine ihrer Pflanzen in Brand stecken und die Hölle losbricht.«

Severus rümpfte angewidert die Nase. »Es würde keinen wundern, wenn Potter und Black ihr erstes Jahr nicht überstehen. So kindisch wie sie sich verhalten.« Bei dem Gedanken konnte er ein zufriedenes Lächeln nicht verbergen.

»Sie haben in allen Fächern gute Noten und immerhin heitert es die Stimmung auf«, murmelte Lily achselzuckend, erst als sie sich zurück zu Severus drehte und seinen entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte, ruderte sie zurück. »Nicht, dass ich ihr Verhalten gutheiße. Potter benimmt sich wie ein vierjähriges Kind und Black springt auf seinen Zugwagon mit auf, ohne darüber nachzudenken, was für Konsequenzen das haben könnte. Sie sind Idioten... ich meine nur... ich denke nicht, dass sie - äh - schlecht in der Schule sind, obwohl sie keinen Finger rühren. Unfair ist das bloß.«

Severus gab sich mit ihrer Antwort zufrieden und sie atmete erleichtert auf.

»Jedenfalls ist Professor McGonagall eine tolle Lehrerin und Verwandlung macht Spaß.« Lily lächelte und half Severus dabei, sein Zeug einzupacken. Dieser zuckte mit den Schultern. »Sie ist eine komische Alte, die wegen Dumbledore total ausgerastet ist.«

»Severus!« Lilys Augen weiteten sich.

»Das sagt Narcissa jedenfalls. Und Unrecht hat sie nicht, viele haben im Gemeinschaftsraum gewettet, ob sie noch einen richtigen Nervenzusammenbruch vor der gesamten Schülerschaft haben wird. Wyatt Graves hat eine Menge Galleonen an das Zabini-Mädchen verloren, weil nichts passiert ist.«

Unwohl trat Lily von einem auf den anderen Fuß. Sie hasste es, wenn Severus so sprach, als würde es nicht um echte Personen mit echten Gefühlen gehen. Es erinnerte sie daran, wie er ihre Schwester immer behandelt hatte, nur weil sie nicht-magisch war.

»Sev, das ist schrecklich.«

»Es ist Spaß, Lil. McGonagall geht's doch wieder gut und Dumbledore kommt bald zurück.«

»Es hätte aber auch ganz anders ausgehen können. Professor Dumbledore hat viele Feinde...«

Bevor Severus darauf antworten konnte, gesellte sich Professor Thorburn an Lilys Seite. Er war hinter seinem Schreibtisch wieder hervorgekommen und grinste zu Severus hinab. »Mr. Snape, benötigen Sie Hilfe beim Einpacken? Ihre nächste Unterrichtsstunde beginnt in wenigen Minuten und Professor McGonagall wird über eine Verspätung sicherlich nicht erfreut sein.« Severus sah ihm nicht in die Augen. Er spürte, dass der Lehrer ein wenig zu viel ihres Gesprächs mitbekommen haben musste und ähnlich wie Lily nur Missbilligung für seine Worte empfand.

Das Kinn in die Luft gereckt, schüttelte er den Kopf. »Nein danke, Professor, ich schaffe das schon selbst.«

Mit einem Arm schob er seine ganzen Schulunterlagen achtlos in die abgenutzte Tasche, deren Henkel nur noch mit gutem Willen ihre Arbeit tätigten und warf sie sich über die Schulter. Auffordernd sah er Lily an, doch diese zögerte.

»Geh nur«, sagte sie, »ich bleibe noch kurz, ich wollte Professor Thorburn noch etwas fragen.«

Auch wenn er nicht glücklich darüber schien, nickte er, schenkte dem Professor keine weitere Sekunde seiner Aufmerksamkeit und ging wie schon die anderen.

Thorburn lächelte sie auf diese Weise an, die Lily einfach an die Grinsekatze aus Alice im Wunderland denken lassen musste und ihr ebenso ein Schmunzeln entlockte.

»Du wolltest mich etwas fragen, Lily?« Vergnügt ließ sich der Professor gegen seinen Schreibtisch sinken. »Freilich hätte ich gedacht, gerade du würdest meiner These zustimmen.« Er zwinkerte und Lily errötete.

»Das ist es nicht, Professor Thorburn. Ich stimme ihnen zu, dass Angriff nicht die beste Verteidigung ist, aber ich wollte sie fragen, ob sie nach dem Unterricht heute noch einmal Zeit hätten...« Unsicher schabte sie mit der Schuhspitze ihrer schwarzen Mary Janes über den steinernen Boden.

Seit ihrem ersten Gespräch in Thorburns Büro war sie nun schon dreimal bei ihm zum Tee gewesen, jedes Mal hatte sie sich vorgenommen, ihm von der Nachtwanderung zu erzählen, die sie mit Potter und den anderen unternommen hatte und jedes Mal hatte sie schlussendlich doch gekniffen.

Mit James Potter hatte sie nach ihrer Auseinandersetzung kein Wort mehr gewechselt. Auch wenn es Professor Dumbledore wieder besser ging und er in wenigen Tagen nach Hogwarts zurückkehren würde, die Schuld, nichts gesagt zu haben, fraß sie von Innen heraus auf.

Und auch wenn sie wusste, dass auch dieses Treffen nicht dazu führen würde, dass sie endlich gestand, was sie im Wald gehört hatten, mochte sie die Teestunden bei ihrem Lehrer.
Professor Thorburn war ein interessanter Mensch, der viele lustige Anekdoten aus seinem Leben preisgeben konnte, er liebte seine Arbeit als Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste und er liebte es, von seiner Tochter zu erzählen.

Thorburn sah sie freundlich an, doch schüttelte den Kopf. »Leider muss ich unsere Teeverabredung auf einen anderen Tag verschieben, Lily. Heute geht es nicht. Wie wäre es stattdessen morgen?«

Das Mädchen runzelte die Stirn. »Morgen ist das Quidditchspiel, Professor.«

»Ahja richtig...«

Hatte er es vergessen?

»Nun«, achselzuckend sortierte der Lehrer seine Gedanken, ehe er die Arme vor der Brust verschränkte. »Dann womöglich Montag?«

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Mit offenen Augen zu schlafen war eine Kunst, die James in den letzten Monaten in Professor Binns Unterricht über Geschichte der Zauberei perfektioniert hatte.
Es war ihm schleierhaft, wie der Professor es schaffte, Geschichten über Trollkriege und Koboldaufstände so monoton vorzutragen, dass die Trolle statt in blutigen Schlachten zu kämpfen auch hätten Wäsche waschen können.

Es hätte keinerlei Unterschied gemacht.

Die Tatsache, dass der Professor ein Geist war, erheiterte die Stimmung leider auch nicht. Wenn der Fast-Kopflose Nick ihr Lehrer gewesen wäre, sehe das ganz anders aus. Er hätte ihnen die Geschichte erzählen können, wie er seinen Kopf nicht verloren und wie es zu Zeiten des Mittelalters ausgesehen hatte. Mit Sicherheit hatte er sogar einige Hexenverbrennungen miterlebt.

Dagegen konnte Professor Binns nur vorweisen, dass er selbst einmal so gelangweilt von seinen eigenen Worten gewesen war, dass er sich in den Schlaf sinniert hatte und die Schüler eine halbe Stunde früher gehen konnten...
Selbst wenn er aufgewacht wäre, hätte er den Unterschied eines plötzlich leeren Klassenzimmers wohl kaum bemerkt.

James seufzte, was in einem Raum, in dem beinahe jeder Schüler auf der Schwelle des Tiefschlafs stand, weshalb außer Professor Binns Vortrag kein Ton zu hören war, einem Kanonenschuss gleichkam.
Der Professor, der soeben über einen Kobold namens Urg den Unsauberen und seine Verwicklungen in die Koboldrebellion des 18. Jahrhunderts gesprochen hatte, hielt abrupt inne und hob verdutzt den Kopf, als wäre das das erste Mal, dass ein Schüler in seinem Unterricht ein Geräusch von sich gegeben hätte.

»Wie bitte?«, fragte er. Er schob sich die Brille den krummen Nasenrücken hinauf. »Hat jemand etwas gesagt?«

Sirius schielte zu James hinüber, doch der harrte bloß regungslos aus, bis Professor Binns verwirrt blinzelnd seinen Monolog fortsetzte, nur um keine zwei Sekunden später durch das Öffnen der Tür erneut aus dem Konzept gebracht zu werden.

Es war Lily Evans.

»W-was ist denn heute los?«

Das Mädchen strich sich die dunkelroten Strähnen hinter die Ohren und musterte entschuldigend ihre Schuhspitzen.

»Verzeihung, Professor Binns, ich hatte noch ein Gespräch mit Professor Thorburn.«
James war sich nicht sicher, ob er es sich bloß eingebildet hatte, doch er hätte schwören können, dass Lilys Augen bei jenen Worten in seine Richtung gewandert waren.

Er schluckte schwer.

»Das macht sie jetzt oft«, meinte Remus, der zusammen mit Peter an dem Doppeltisch vor James und Sirius saß und sich zu ihnen hintergebeugt hatte. »Sie war die letzten Abende fast immer bei Thorburn... ob er ihr vielleicht Nachhilfe gibt?«

»Die könnte wohl eher ich gebrauchen«, flüsterte Peter niedergeschlagen.

»Es kann uns egal sein, was Evans macht«, patzte James und Sirius hob skeptisch die Augenbrauen. James ignorierte ihn.

Es war ihm alles andere als egal.
Jeden Morgen rechnete er damit, dass Lily ihr Geheimnis verraten würde und jeden Abend ging er unruhig zu Bett, nicht so recht wissend, ob er erleichtert oder unglücklich darüber sein sollte, dass sie es nicht getan hatte.

Vielleicht war es nun soweit - vielleicht hatte sie endgültig mit ihnen - mit ihm - abgerechnet.

Binns räusperte sich: »Nun, äh, setzen Sie sich, Miss... äh-«

»Evans, Sir.«

»Richtig... richtig... nun, wo war ich?«

»Urg der Unsaubere war ein klasse Kerl«, rief Sirius und erntete eine Reihe Gelächter.

Binns nickte. »Genau, ja, Urg der Unsaubere war für viele seiner Taten bekannt...« Der Professor fuhr fort, und seine Klasse versank wieder in den ursprünglichen Tiefschlaf, James' Gedanken aber rasten...

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⁰⁴⁵· ᵛᵉʳˢᶜʰˡᵒˢˢᵉⁿᵉ ᵐᵘᵉⁿᵈᵉʳ

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