032. Willkommen in Nimmerland

ᵃˡˡ ʸᵒᵘ ⁿᵉᵉᵈ ⁱˢ ᶠᵃⁱᵗʰ ᵃⁿᵈ ᵗʳᵘˢᵗ ᵃⁿᵈ
ᵃ ˡⁱᵗᵗˡᵉ ᵇⁱᵗ ᵒᶠ ᵖⁱˣⁱᵉ ᵈᵘˢᵗ

Mit weit ausgebreiteten Schwingen zog der majestätische Uhu am Himmel seine Kreise über London. Das braun-gescheckte Gefieder fing die Sonnenstrahlen der Morgenröte auf und glitzerte in dem Licht beinahe golden.
Den Brief ans Bein gebunden wusste die Eule ganz genau, dass sich unter ihm - verborgen hinter einem Zauber - die Nr. 12 des Grimauldplace befand. Statt jedoch hinabzuschießen, durch den Zauber zu brechen und sich auf der Fensterbank des zweiten Fensters von links im ersten Stock niederzulassen, zog der Uhu weiter seine Kreise, als wartete er auf ein Zeichen, ein Signal.

Der Regen der letzten Nacht hatte den Schnee fortgespült und nichts als eine braune Pampe zurückgelassen, die sich am Rand der Bürgersteige auftürmte, hässlich und kalt.

Mathis saß zusammen mit seiner Schwester auf dem kleinen Spielplatz und verfolgte den Uhu mit seinen Blicken, während dieser fast ganze fünf Minuten über den Häuserdächern kreiste, ehe er ein Kreischen ausstieß, hinabstürzte und einfach... verschwand.

Vor Schreck zuckte Mathis zusammen. Er blinzelte mehrmals, doch das hatte er sich nicht einfach eingebildet. Der Uhu war einfach mitten im Sturzflug fort gewesen, hatte sich aufgelöst.

»Hast du das gesehen?«

»Was gesehen?« Geneviève hob den Kopf. Sie hatte ihre Schuhspitzen angestarrt, während sie mit ihnen über den sandigen Boden gestrichen hatte, die Arme fest um die eisernen Kettenglieder der Schaukel geschlungen.

»Die Eule ist einfach verschwunden!«

Nun war Mathis auf den Beinen, er eilte zu dem flaschengrünen Zaun am Rande des Parks, um eine bessere Sicht auf die Häuser zu erhaschen. Irgendwo zwischen der Nummer Elf und der Dreizehn musste der Vogel unsichtbar geworden sein. Er reckte den Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen.

»Wie? Was soll das heißen; 'verschwunden'? Die Eule ist bestimmt hinter den Häusern abgetaucht.«

»Nein. In einer Sekunde war sie da und im nächsten Moment... einfach weg.«

Genevièves Miene wurde düster und sofort wünschte sich Mathis, nichts gesagt zu haben. Er hasste diesen Ausdruck in ihrem hübschen Gesicht. So sah sie ihn jedes Mal an, wenn er ihr von den unerklärlichen Dingen erzählte, die ihm oder anderen in seiner Umgebung passierten.
Sie glaubte, wie auch seine Eltern und all die anderen in der Schule, er wäre einfach nur verrückt. Wahnsinnig und gefährlich.

Und wer konnte es ihnen verübeln? Nach allem, was mit Philipp Tucker passiert war? Doch Mathis konnte sich noch immer nicht erklären, wie der alte Gargoyle vom Dach gefallen war.

Wie hatte er das angestellt?

Das hatten auch die anderen gefragt - und niemand konnte eine plausible Antwort für das Geschehene finden, dennoch gaben alle ihm die Schuld.

»Eulen können nicht einfach verschwinden...«, seufzte Geneviève. »Es war eine optische Täuschung.«

Sie wollte so sehr glauben, dass er sich nicht irgendwelche Dinge einbildete, dass er nicht verrückt war. Sie so zu sehen, brach ihm das Herz und er nickte.

»Vielleicht hast du recht.«

Er musste ihr nicht noch mehr Kummer bereiten.

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Wie recht der Neunjährige jedoch hatte, würde er so schnell nicht erfahren.
Der große Uhu war durch den Zauberwall gebrochen in eben jenem Moment, da sich Walburga aus dem Zimmer ihres ältesten Sohnes verabschiedet hatte. Mit seinem Schnabel pickte er gegen das Glas der Fensterscheibe, hinter der Sirius Black an seinem Schreibtisch saß, den Kopf auf eine Handfläche gestützt und über seinem Aufsatz für das Fach Zaubertränke brütete, den Professor Slughorn ihnen über die Ferien aufgegeben hatte.

Wenn Sirius schon freiwillig Hausaufgaben machte, mussten die Alternativen der puren Folter gleichen.

»Flubberwurmschleim«, murmelte Sirius angestrengt und wenig konzentriert vor sich her, während er dessen Funktionen in verschiedenen Zaubertränken zusammenfasste.

Nach einem halben Paragraphen schob er das Pergament ungeduldig von sich und fluchte. Er warf die Feder hinterher und stieß dabei auch noch das Tintenfass um. Er fluchte noch mehr.

»Elender Erumpent! Woher soll ich das denn alles wissen!?«

Er stieß sich von seinem Schreibtisch ab und kam strauchelnd auf die Beine. In seinem Zimmer auf- und abtigernd bemerkte er die Eule, die langsam etwas ungeduldig wurde dort draußen auf der kalten Fensterbank, erst viel später.

»Godric?« Er erkannte den Uhu, es war eben jener Vogel gewesen, der beinahe jeden Morgen am Gryffindortisch auf die vier Jungen herabgeschossen war und James immer einen Brief und viele Süßigkeiten mitgebracht hatte.
Die Eule der Potterfamilie.

Ich dachte, du hättest bloß zwei Zimmergenossen. In deinen Briefen...

Noch immer ging Sirius die Konversation, die sie mit James Familie am Bahnhof gehabt hatten, immer und immer wieder durch. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, wieso James nicht erwähnt hatte... und doch - ein Gedanke war da, und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, wenn James nichts gesagt hatte, weil Sirius eben ein Black war.

Ein Potter und ein Black. Es war lächerlich, Sirius hatte das gewusst und doch hatte er geglaubt, James würde mehr in ihm sehen, als den Ruf seiner Familie.
Sirius schob den Riegel am Fenster zurück und öffnete es einen Spaltbreit, da krächzte der Uhu auch schon ärgerlich, ließ den Brief auf dem Schreibtisch fallen, wo sich noch immer das Tintenfass großzügig entleerte und sich durch jedes einzelne Stück Pergament fraß.

Godric setzte sich schlussendlich auf einen der vorderen Pfosten an Sirius' Bett und blickte ihn aus großen Bernsteinfarbenen Augen vorwurfsvoll an.

»Ich weiß, dass es kalt ist, aber wofür hast du denn sonst so viel Gefieder.«

Empört stieß der Uhu ein Kreischen aus.

»Pscht! Ist ja schon gut!« Beschwichtigend hob Sirius die Hände. Er horchte, doch niemand im Haus schien bei dem Klang des Eulenschreis aufgeschreckt worden zu sein. Zum Glück... sollten seine Mutter oder sein Vater das Wachssiegel der Potters auf dem Umschlag sehen, wäre der Brief schneller zu Asche zerfallen, als Sirius hätte 'Quidditch' sagen können.

Sirius griff nach dem Pergament und musste automatisch schmunzeln, als er James gedrungene Handschrift erkannte.

Oy Sirius,

ich habe absoluten Drachenmist gebaut, wie du das sagen würdest.

Sirius lachte. James hasste es zu fluchen.

Ich weiß nicht, was mich dazu bewogen hat, meinen Eltern nicht von dir zu erzählen. Marlene hat mir schon eine Standpauke gehalten, doch eigentlich verdiene ich noch eine viel größere von dir. Irgendwie dachte ich, meine Eltern würden ein Problem damit haben wegen deiner Familie, doch das war einfach nur dumm von mir.
Es ist mir egal, aus welcher Familie du kommst und meinen Eltern auch - und selbst wenn nicht, du bist mein bester Freund.
Ich hoffe, wir können uns in den Ferien noch sehen. Es ist super öde allein zu Hause. Ich hoffe, wir sehen uns! Es wäre toll, wenn du kommst. Dad kann dich auch abholen, wenn deine Eltern dich nicht bringen wollen.
Flohpulver funktioniert bei uns nicht. Wir sind nicht ans Netz angeschlossen, weil Dad sich mit seiner Pro-Muggel-Einstellung zu viele Feinde gemacht hat. Aber man kann ins Dorf apparieren und dann zu uns laufen, das ist nicht weit.
Bitte schreib mir, dass es klappt.
Ansonsten wünsche ich dir Frohe Weihnachten und wir sehen uns nach den Ferien im Zug!

James P.

Ein wohlig warmes Gefühl hatte sich in Sirius' Bauch ausgebreitet, als er die Zeilen gelesen und sich vorgestellt hatte, Weihnachten bei den Potters zu verbringen.
Doch mit dem letzten Satz hatte sich die warme Brise in einen Eisklotz verwandelt, der ihm schwer auf den Magen drückte.

Wir sehen uns nach den Ferien im Zug!

Würde Sirius zurück nach Hogwarts dürfen? Seine Mutter hatte es vorhin deutlich gemacht. Sie würde Sirius einen Privatlehrer besorgen und dieser sollte ihn von nun an unterrichten. Hogwarts - ein Gryffindor zu sein, er war eine Schande für die Blacks und sie würden das nicht zulassen.

Orion hatte sich nicht dazu geäußert, er sprach überhaupt nur das Nötigste mit seinem Sohn, wenn überhaupt. Er strafte ihn mit Schweigen, doch das kam Sirius gelegen. Es war allemal besser, als das ständige Gekreische seiner hysterischen Mutter oder die beleidigten Sprüche, die Regulus ihm im Vorbeigehen zuzischte.
Er verhielt sich wie das Kind, das er war.

Den Brief fest an sich gedrückt, suchte Sirius ein Blatt Papier, das unbeschädigt geblieben war von dem ganzen Tintenfiasko und begann seine Antwort zu notieren, ließ den Uhu etwas von seinem unangerührten Frühstück stibitzen und etwas aus dem Glas Orangensaft trinken, ehe er ihm das Papier ans Bein band und den Uhu wieder hinaus ins Freie entließ.

Niemand sollte länger als nötig in diesem kräftezehrenden Haus verbringen müssen.

Unten ertönte ein Läuten. Sirius stöhnte laut auf, als er hörte, wie ein weiterer Lehrer ins Haus geführt wurde.

Kreacher erschien keine Sekunde später vor seiner Tür und kündigte an, dass Sirius sich auf den Weg nach unten in den Salon machen sollte.

»Master Sirius, Sir, Kreacher soll sie holen. Ihr neuer Lehrer für Zaubereigeschichte ist eingetroffen, Sir. Das Thema ist die Reinheit der Rasse, Sir. Nieder mit den Halb- und Schlammblütern.«

Mit einem grotesken Lächeln deutete Kreacher eine Art Verbeugung an, doch Sirius blickte nur verächtlich auf den Elfen hinab. »Lily Evans ist bestimmt schlauer als der Trampel und sie ist ein Schlamm- äh... eine - eine Muggelstämmige, Kreacher. Also hör auf so blöd zu grinsen. Dieser ganzen Familie wird das Lachen noch vergehen.«
Bestürzt sah Kreacher aus seinen wässrigen Augen auf, sagte jedoch nichts.
Sirius ließ alles zurück, den Brief schob er unter den Stapel mit den tintenbefleckten Briefen und rannte hinunter. Je eher er diese Tirade hinter sich bringen konnte desto besser.

Gerade als Sirius den Fuß der Treppe erreicht hatte, öffnete sich seine Zimmertür erneut und ein Junge, nicht viel jünger als er selbst trat ein.
Der Junge schlich im Zimmer umher, er war sich sicher, vorhin einen Eulenschrei gehört zu haben, obwohl das eigentlich unmöglich war.

Die Zauber, die das Haus umgaben, hielten alles magische und nicht-magische, dem kein Einlass gewährt worden war, fern.

Mit leisen Schritten huschte Regulus zu dem Schreibtisch und suchte nach einem Anzeichen dafür, dass er sich nicht geirrt hatte.
Nachdem seine Hand in einem großen Tintenkleks gelandet war, zog er diese angeekelt zurück und beobachtete wie die mitternachtsblaue Farbe über seine Handfläche ließ, sich in den Lebenslinien absetzte und zurück auf das Holz tropfte.
Regulus wollte aufgeben, es hatte keinen Zweck, er würde nichts finden. Er hatte sich das Geräusch eingebildet. Eine andere Erklärung konnte es nicht geben.

Doch genau dann, als er sich aufmachen und wieder zurückschleichen wollte, sah er das rote Siegel. Potter.

Und direkt daneben unter den anderen Papieren blitzte er hervor... der Brief.

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08:27.

08:31.

08:46.

Es fühlte sich an, als wären schon Stunden seit seinem Aufwachen vergangen, dabei strichen die Sekunden so kläglich vorbei, als würden sich die Zeiger durch Honig hindurch bewegen und mit jedem Tick langsamer werden.

Allein in seinem Zimmer wartete Peter auf die untergehende Sonne, dabei war sie vor wenigen Minuten erst gänzlich aufgegangen.
Der Zug zurück nach Hogwarts konnte nicht früh genug kommen. Und die Vorfreude auf Weihnachten war gänzlich verflogen.

Seine Mutter war enttäuscht, sein Vater bequemte sich nicht aus seinem Büro und Simon und Wilma tobten draußen auf dem Rasen und waren so glücklich, dass es Peter den Magen umdrehte.
Beim Essen bekam er keinen Bissen hinunter und er wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich aus diesem Haus zu verschwinden.
So sehr er sich auch gefreut hatte, hier zu sein, so sehr verabscheute er jeden Augenblick.

Wenn Theodore doch noch immer hier wäre, dann hätte Peter wenigstens irgendjemanden in diesem Haus, der sich über seine Anwesenheit freuen würde, doch der Käfig und das Laufrad standen seit über einem Jahr unbenutzt in der Ecke seines Zimmers und dienten bloß noch dem Staub, der sich auf ihnen niederlassen konnte und eine kleine Decke bildete.

Wollmäuse waren die einzige Gesellschaft die Peter im Augenblick hatte. Konnte es etwas Kläglicheres geben?

Tief seufzend warf er einen kurzen Blick aus dem Fenster. Simon lachte lauthals über etwas, das Wilma gesagt hatte.
Wie sehr Peter doch seine Freunde vermisste. Remus, Sirius und vor allem James.

James. Hatte James sie nicht alle über Weihnachten zu sich eingeladen?
Peter war unsicher... er wollte sich nicht aufdrängen, aber noch weniger wollte er in diesem Haus bleiben.

Ein weiteres Kichern dröhnte von draußen zu ihm herein und Peter sank tiefer in die Kissen.

08:52.

08:55...

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In der Nacht war alles dunkel gewesen. Keiner hatte es gewagt ein Licht anzuschalten oder mit den Taschenlampen durch das alte Lagerhaus zu leuchten, also hatten sie sich blind durch die Gänge getastet und waren direkt schlafen gegangen.
Die durchnässten Kleider hatte Remus auf dem Boden ausgebreitet und war in seinen Pyjama geschlüpft, nachdem Jo ihm eine löchrige Decke in die Hand gedrückt und auf einen unbenutzten Schlafplatz verwiesen hatte. Remus wusste nicht, wer vor ihm dort geschlafen hatte, doch die Nacht hatte ihn so erschöpft, dass, kaum hatte er sich in die Horizontale begeben, er binnen Sekunden eingeschlafen war.

Der nächste Morgen brach mit den ersten Sonnenstrahlen an, die durch die Fenster des Lagerhauses hineinschienen und den Blick auf Reihen und Reihen von leerstehenden Regalen freigaben. Zwischen den Regalen lagen die Kinder.

Es war Remus in der Nacht zuvor nicht bewusst gewesen, wo ihn die anderen verlorenen Jungen hingebracht hatten, doch es war wirklich eine Art Nimmerland. Verwunschen, verlassen und doch irgendwie heimelig.

Jo war schon wach, sie saß aufrecht auf einer Decke und schaukelte ein Baby in ihrem Arm.
Remus stolperte überrascht auf sie zu, zögerlich, doch als sie seinen Blick auffing, setzte er sich zu ihr.

»Das ist...« Mit großen Augen sah Remus von den Kind zu Jo und sie schüttelte genervt den Kopf.

»Das ist Reese, Krii hat ihn damals aus dem Waisenhaus gerettet. Zusammen mit den Brix-Zwillingen.«

»Gerettet?«

»Waisenhäuser sind die Hölle auf Erden. Reese kann und die anderen können auch froh sein, dass Cory ihnen das Leben gerettet hat.«

Remus sah sich erneut um. Das Lagerhaus war heruntergekommen, in der Decke waren Löcher so groß wie ein Minivan und die Fenster ganz oben standen gekippt, so dass die eiskalte Winterluft ungehindert in die Halle strömen konnte. Der Regen hatte die metallenen Regalreihen zum Rosten gebracht und Remus hätte schwören können, in einer der Ecken Augenpaare aus der Dunkelheit zu erkennen, die ihn an Ratten erinnerten.

Doch dieser Ort war nicht abstoßend. Irgendwie hatten diese Kinder - und es schienen mit Remus genau zwölf zu sein - aus diesem düsteren Ort ein zu Hause geschaffen.
Und doch...

»Waisenhäuser sind dafür da, den Kindern zu helfen.«

»Ein paar von ihnen vielleicht«, keifte Jo und Reese rührte sich in ihren Armen. »St. Patricks jedoch nicht.« Und damit schien für sie das Thema beendet. Sie schaukelte Reese weiter und Remus stand auf und lief zwischen den Schlafplätzen hindurch.

Die meisten Kinder schliefen noch seelig. Doch sie alle lagen auf diesen löchrigen Decken, die mottenzerfressen und geflickt waren. Manche hatten das Glück einen Schlafsack in ähnlichem Zustand zu besitzen, doch sie alle hatten Kleinigkeiten, Mitbringsel, und... Schrott um ihre Schlafstellen aufgereiht. Dinge, die nur ihnen gehörten.

Frankie, nach wie vor - auch bei Tageslicht - groß und mitternachtsschwarz war gerade aufgestanden und hatte sich daran gemacht, seine Decke zu falten und seinen Platz etwas in Ordnung zu bringen. So bedrohlich er auf Remus in der Nacht gewirkt hatte, so war er vom Wesen genauso sanft wie sein Gesicht.

Er schenkte Remus ein verhaltenes Lächeln, nachdem sein Blick an dessen Pyjamahosen hängen geblieben war, die für Remus viel zu kurz waren und ihm gerade noch so bis zur Hälfte der Waden reichten.

»Hühnerbeine«, kommentierte Frankie und fuhr dann mit seiner Putzaktion fort.

Beleidigt runzelte Remus die Stirn. »Bitte?«

»Danke«, grinste Frankie. »Gut geschlafen?«

»Hm. Tief geschlafen.«

»Aber nicht gut?«

Remus' Schweigen war Antwort genug.

»Hab damals fünf Woch'n nich richtig schlafen könn'. S' normal.« Frankie zuckte mit den Schultern. »Krii s' wieder da?«

Remus schüttelte den Kopf. »Hab ihn hier nirgends gesehen...« und er hatte gesucht. Cory Krii wollte er gleich beim Aufwachen sprechen, er wollte... ja, was wollte Remus eigentlich? Ihm danken? Er war sich nicht sicher, doch irgendwie wusste er, wenn er mit ihm sprach, würde alles besser sein.

»Hmpf«, machte Frankie. »Normal. Krii taucht oft ab, kommt Tage nich zurück un's plötzlich wieder da.«

»Nicht sehr verlässlich«, murmelte Remus, fing aber Jo's Blick auf, die ohne Reese zu ihnen herübergeschlendert war und seine Worte mit ihren Augen taxierte. Sie widersprach ihm jedoch nicht.

»Krii kommt zurück, wenn man ihn braucht. Er ist... wie Peter Pan.«

»Und du bist dann Wendy?«, fragte Remus ohne über seine Worte nachzudenken.

Ein heiseres Lachen dröhnte durch das ganze Lagerhaus. Cargohose - oder Phil - war ebenfalls aufgestanden und sein Gelächter hatte nun endgültig jedes der Kinder geweckt, die sich verschlafen die Augen rieben und verwundert zu den Vieren hinüberstarrten. Jo sah aus, als würde sie Remus und Phil am liebsten die Kehlen zerfetzen, Frankie sah unwohl zu Boden.

Phil lachte immer weiter. »Die kleine Tinker Bell wünscht sich das vielleicht, aber...«

»Die kleine Tinker Bell zerkratzt dir gleich dein Gesicht, du elende Pestbeule Phil. Du bist nur hier, weil Krii Mitleid mit dir hatte.«

Phils Gesicht verhärtete sich. Erst jetzt bemerkte Remus, dass er beim Gehen leicht hinkte.

»Ich hätte dich in der Gasse verrecken lassen. Also steck dir deine Sprüche sonst wo hin.«

Mit roten Ohren trat Phil einen weiteren Schritt auf sie zu, Frankie stellte sich schützend dazwischen, doch das wäre gar nicht nötig gewesen, denn in eben jenem Moment schob sich die Lagertür mit einem Quietschen auf und Cory Krii trat über die Schwelle.

Remus wurde übel.
Jo stieß einen Schrei aus und Frankie, Phil und einige der anderen holten scharf Luft.

»Seh' ich nicht heiß aus?« Die Arme ausgebreitet drehte Krii sich auf der Stelle, schwang die Hüften und kam lässig auf sie zu.

Seine Kleidung hing ihm nur noch in Fetzen am Körper, das gesamte Gesicht war blutunterlaufen, angeschwollen und zerkratzt. Sein linker Arm stand in einem merkwürdigen Winkel von ihm ab, doch am schlimmsten war sein breites Lächeln. Seine Zähne waren bräunlich von dem ganzen Blut, das er ausgespuckt haben musste und die kleine Zahnlücke zwischen seinen Schneidezähnen wurde nun von drei weiteren ausgeschlagenen Zähnen begleitet.

An Reeses Kinderbett hielt er an, gab dem Kleinen einen Kuss auf den Kopf und kam dann zu Remus, Jo, Frankie und Phil.

»Alles klar, Remus?«

Dieser antwortete nicht, sondern starrte nur weiter auf das zerschundene Gesicht, er brachte keinen Ton heraus.

»Was ist mit dir passiert?«, fragte eins der jüngeren Kinder, das sich als erstes aus seiner Schockstarre gelöst hatte.

Krii winkte ab. »Ach das ist nichts.«

»Nichts«, wiederholte Jo.

»Das waren Big G und seine Jungs, danach hat mich dann ein Bulle erwischt, wie ich mir aus einem Auto eine Jacke borgen wollte. Fand er nicht gut und ich war etwas langsamer als sonst unterwegs...«, er deutete auf seine Erscheinung, »...naja... glaube der hat mir den Arm geprellt, aber das heilt in ein paar Tagen. Dann bin ich wieder fit und wir machen uns auf zu unserer großen Weihnachtsbeutejagd.«

Jo griff nach Kriis Arm und zischend zog er ihn zurück.

»Gebrochen nicht geprellt, Krii, was hast du dir gedacht? Ich wollte, dich nicht allein gehen lassen. Ich wusste, dass so etwas passiert. Nie kannst du deine Klappe halten, musst immer den großen Macker spielen, du...«

»Es geht mir gut, Jo, Liebste.« Sie wandte sich von ihm ab und lief durch die Regalreihen davon. Krii seufzte, dann wandte er sich an Remus und sein Lächeln wurde wieder breiter.

»Gut geschlafen? Du musst Hunger haben, ich habe einen Bärenhunger. Frankie?«

»Frühstück s' unterwegs.«

»Grandios! Kommt meine verlorenen Jungs! Jetzt wird geschlemmt!«

Verhaltenes Jubeln wurde lauter und lauter, doch Remus' Hochmut, von dem er geglaubt hatte, er würde mit Kriis Ankuft eintreffen, hatte sich in blankes Entsetzen gewandelt.

Er ist wie Peter Pan.

Und Remus musste an seine Mutter denken, seine Mutter, die die Geschichte rund um den Jungen, der nie erwachsen werden wollte, immer gehasst hatte.
Pan ist der Todesengel und seine verlorenen Jungs die armen Seelen, die er in sein Reich entführt...

Remus schluckte schwer.

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⁰³²· ʷⁱˡˡᵏᵒᵐᵐᵉⁿ ⁱⁿ ⁿⁱᵐᵐᵉʳˡᵃⁿᵈ

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